In Zeiten, in denen immer wieder durch Wortmeldungen von Politikern und durch die Berichterstattung in Teilen der Presse der Eindruck erweckt wird, als würden ältere Erwerbspersonen in Scharen und dann auch noch Jahre vor dem Erreichen des gesetzlichen Renteneintrittsalters den Arbeitsmarkt verlassen oder wenn sie denn länger arbeiten, dann überwiegend in geringfügiger Beschäftigung und nicht (mehr) in „richtiger“ sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung, ist ein nüchterner Blick auf die Fakten eine hilfreiche Angelegenheit:
»Die Erwerbstätigkeit von Älteren, also in der Altersgruppe ab 50 Jahre, nimmt seit Mitte der 2000er Jahre deutlich zu. Dabei dominiert der Anstieg der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung, insbesondere bei den 60- bis 64-Jährigen. Auch der Anteil Selbstständiger in dieser Altersgruppe stieg in diesem Zeitraum an, zumindest bis zur Corona-Krise. Im Gegensatz dazu geht der Anteil ausschließlich geringfügig Beschäftigter bei Älteren seit den 2010er Jahren – mit Ausnahme der Personen ab 65 – zurück.«
Das berichtet das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit in diesem Beitrag:
➔ Bernd Fitzenberger et al. (2023): Der starke Anstieg der Erwerbstätigkeit von Älteren ist ganz überwiegend dem Wachstum der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung geschuldet, in: IAB-Forum, 02.05.2023
Wir befinden uns derzeit in einer Phase, in der bei zunehmendem Fachkräfte- und Arbeitskräftemangel neben einer verstärkten Zuwanderung die „Mobilisierung“ inländischer Erwerbsreserven in die Debatte geworfen und dabei angesichts der stark besetzten Jahrgänge der Baby Boomer-Generation eine stärkere Erwerbsbeteiligung der Älteren als Lösungsansatz eingefordert wird. Dabei läuft das schon längst. Schritt für Schritt, aber offensichtlich unaufhaltsam.
Nun gibt es natürlich aufgrund der demografischen Entwicklung immer mehr ältere Menschen und damit steigt natürlich auch die Zahl der Erwerbstätigen aus dieser Gruppe, was nicht bedeuten muss, dass anteilig gesehen mehr Ältere auch erwerbsarbeiten. Deshalb ist ein Vergleich der Beschäftigungsquoten über die Jahre so bedeutsam, denn dabei wird der Anteil der Beschäftigten in Relation gesetzt zu der Gesamtzahl der Älteren in den jeweiligen Altersgruppen. Die Befunde des IAB sind hier deutlich:
So kann man feststellen, dass »die Beschäftigungsquote der höheren Altersgruppen in den vergangenen 20 Jahren deutlich stärker gestiegen (ist) als die Beschäftigungsquote insgesamt.«
Der Anteil der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten an der Gesamtbevölkerung (ab 15 Jahren) ist zwischen 2006 und 2021 nahezu kontinuierlich von 37 auf 47 Prozent gestiegen, mit einer weiter steigenden Tendenz.
»Noch stärker fällt der Anstieg bei den Älteren aus. Während die Beschäftigungsquoten der 60- bis 64-Jährigen bereits Anfang der 2000er Jahre zulegten, setzte bei den 50- bis 59-Jährigen erst Mitte der 2000er Jahre ein Beschäftigungsschub ein. Der Anstieg war in der ersten Gruppe besonders stark; hier hat sich der Anteil seit 2001 mehr als vervierfacht. Mittlerweile ist hier fast die Hälfte sozialversicherungspflichtig beschäftigt.«
Immer wieder trifft man auf die Aussage, dass die Zunahme der Erwerbsarbeit bei den Älteren überwiegend auf Minijobs, also geringfügige Beschäftigung zurückzuführen sei. Eine Zeit lang gab es durchaus Hinweise darauf, aber:
»Die Quote der ausschließlich geringfügig Beschäftigten stieg in den 2000er Jahren ebenfalls an und ging in den 2010er Jahren wieder zurück … Am stärksten war der Anstieg zwischen 2003 und 2004, was vor allem der Neuregelung der Minijobs im Rahmen der Hartz-Reformen geschuldet ist. Der Rückgang in den 2010er Jahren hing mit dem Arbeitsmarktaufschwung zusammen, der mit einem steigenden Bedarf an sozialversicherungspflichtigen Jobs als Alternative zu Minijobs einher ging.« Und ergänzend: »Am höchsten ist … der Anteil ausschließlich geringfügig Beschäftigter bei den 60- bis 64-Jährigen, wobei hier auch die Rückgänge seit Mitte der 2010er Jahre besonders deutlich ausfallen. Dabei handelt es sich um die rentennahen Jahrgänge, von denen nicht wenige in Frührente waren oder sind, und für die lange Zeit maximal ein Minijob möglich war.«
Ein etwas anderes Muster kann man in mit Blick auf die Selbstständigkeit erkennen: »Ähnlich wie bei den Minijobs nahm auch der Anteil der Selbstständigen an der Gesamtbevölkerung in den 2000er Jahren zu und ging danach wieder zurück … Trotz des insgesamt rückläufigen Trends in den 2010er Jahren stieg der Anteil Selbstständiger bei den Älteren in allen untersuchten Altersgruppen – zumindest bis 2019 – fast durchweg an, am stärksten bei den Älteren ab 60 … In der Corona-Krise ging die Selbstständigkeit in allen … Altersgruppen ebenfalls deutlich zurück, wobei der absolute Rückgang für die Gruppe der 60- bis 64-Jährigen überdurchschnittlich stark ausfiel.«
Die IAB-Wissenschaftler bilanzieren:
»Seit Anfang der 2010er Jahre gibt es in der Gesamtbevölkerung einen Trend hin zur sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung, während die übrigen Erwerbsformen relativ betrachtet an Bedeutung verlieren. Dieser relative Bedeutungsverlust zeigt sich im weiteren Verlauf der 2010er Jahre insbesondere für ältere Personen. Besonders deutlich wird dies, wenn man die altersspezifische Entwicklung der ausschließlich geringfügig Beschäftigten und der Selbstständigen in Bezug setzt zur Entwicklung der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten.«
Die »ausschließlich geringfügige Beschäftigung (hat) relativ zur sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung in den vergangenen Jahren massiv an Bedeutung eingebüßt. Während in der Gesamtbevölkerung die ausschließlich geringfügige Beschäftigung relativ zur sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung seit 2001 um gut 20 Prozent zurückgefallen ist, ist der relative Bedeutungsverlust bei den älteren Beschäftigten noch sehr viel stärker. Für die 60- bis 64-Jährigen beträgt er am aktuellen Rand sogar über 80 Prozent. Denn während im Jahr 2001 auf 100 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte in dieser Altersgruppe noch 80 ausschließlich geringfügig Beschäftigte kamen, waren es 2021 nur noch 15 … Dank der hohen und zunehmenden Arbeitsnachfrage nach sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten hat die ausschließlich geringfügige Beschäftigung, die aufgrund der niedrigen Verdienstschwelle nur zu einem geringen Arbeitseinkommen führt, also gerade bei den Älteren an Bedeutung verloren, während die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung einen erheblichen Bedeutungszuwachs erfahren hat.«
Und wie hat hier die Pandemie gewirkt?
➞ «In der Corona-Krise setzten sich die Rückgänge von geringfügiger Beschäftigung und Selbstständigkeit relativ zur sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung fort, für die Selbstständigkeit beschleunigten sie sich im Jahr 2020 sogar. Kurzfristig dürfte dies auch damit zusammenhängen, dass bei der massenhaften Nutzung von Kurzarbeit in der Coronakrise nur sozialversicherungspflichtig Beschäftigte Anspruch auf Kurzarbeitergeld hatten, geringfügig Beschäftigte und Selbstständige jedoch nicht. Damit beschleunigte sich in der Coronakrise jedoch nur der schon zuvor bestehende längerfristige Trend.«
»Die Erwerbstätigkeit Älterer nimmt seit 20 Jahren deutlich zu. Ähnlich wie in der Gesamtbevölkerung dominiert auch bei den Älteren die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung die übrigen Erwerbsformen zunehmend. Gerade in den Altersgruppen ab 60 zeigen sich deutliche Anstiege. So hat sich hier der Anteil sozialversicherungspflichtig Beschäftigter – ausgehend von niedrigem Niveau – ungefähr vervierfacht … Die Bedeutung der ausschließlich geringfügigen Beschäftigung für Ältere geht in den 2010er Jahren zurück. Da die Hinzuverdienstgrenzen bei vorgezogenem Renteneintritt zu Jahresbeginn 2023 aufgehoben wurden, könnte sich der fallende Trend insbesondere bei den unter 65-Jährigen noch verstärken. Denn hier dürfte beispielsweise die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung eine attraktive Alternative sein. Auch wenn die Selbstständigkeit bei Älteren noch bis 2019 an Bedeutung gewann, sank ihr Anteil in der Coronakrise deutlich. Es bleibt abzuwarten, ob und inwieweit dieser Rückgang von Dauer ist.«