Digitales Suchtverhalten breitet sich immer mehr aus. Die Corona-Pandemie hat das bei Kindern und Jugendlichen und auch bei immer mehr Erwachsenen geboostert

»In der Pandemie hat sich die Mediensucht bei Kindern und Jugendlichen verdoppelt. Inzwischen sind mehr als sechs Prozent der Minderjährigen abhängig von Computerspielen und sozialen Medien. Damit zeigen über 600.000 Jungen und Mädchen ein pathologisches Nutzungsverhalten. Auch die Medien-Nutzungszeiten sind seit 2019 um ein Drittel gestiegen.« Das berichtet die Krankenkasse DAK unter der Überschrift DAK-Studie: In Pandemie hat sich Mediensucht verdoppelt. Die Zahlen stammen aus einer gemeinsame Längsschnittstudie der DAK-Gesundheit und des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE). »Der Vergleich der digitalen Mediennutzung von Kindern, Jugendlichen und deren Eltern in bundesweit 1.200 Familien an fünf Messzeitpunkten der vergangenen vier Jahre gilt als weltweit einzigartig. Erstmals wurde jetzt auch das Suchtpotential beim Streaming und körperliche Probleme untersucht.«

»Nach der aktuellen Studie von DAK-Gesundheit und UKE Hamburg stieg die Zahl abhängiger Kinder und Jugendlicher bei Computerspielen von 2,7 Prozent im Jahr 2019 auf 6,3 Prozent im Juni 2022. Hochgerechnet haben damit rund 330.000 Jungen und Mädchen nach den Kriterien der Weltgesundheitsorganisation (WHO) eine krankhafte Gaming-Nutzung mit schweren sozialen Folgen. Die aktuellen Ergebnisse Längsschnittstudie zeigen: Rund 2,2 Millionen Kinder und Jugendliche nutzen Gaming, Social Media oder Streaming problematisch, das heißt sie sind von einer Sucht gefährdet oder bereits betroffen. Im Bereich Social Media verdoppelte sich die Mediensucht von 3,2 auf 6,7 Prozent mit rund 350.000 Betroffenen. Laut Studie zeigen rund 1,8 Millionen Kinder und Jugendliche eine problematische Nutzung bei Computerspielen und oder sozialen Medien.«

»Laut Studie von DAK-Gesundheit und UKE-Hamburg sind Nutzungszeiten von Computerspielen und Social Media weiter angestiegen. Nach einer starken Zunahme im ersten Corona-Lockdown im April 2020 gab es zunächst einen Rückgang. Diese positive Entwicklung setzte sich jedoch nicht fort: Im Juni 2022 lagen die Nutzungszeiten beim Gaming mit 115 Minuten an Werktagen knapp 34 Prozent höher als im September 2019 vor der Pandemie. Einen ebenso deutlichen Anstieg gab es im gleichen Zeitraum bei den sozialen Medien mit 35,5 Prozent von 121 Minuten auf 164 Minuten täglich.«

»Seit November 2020 untersucht die Studie auch das Streamingverhalten von Kindern und Jugendlichen. Hier zeigte sich einen Rückgang im Vergleich zum vorherigen Messzeitpunkt: Im Juni 2022 streamten die Befragten an einem durchschnittlichen Werktag 107 Minuten Videos und Serien. Die Zahlen liegen damit auf einem ähnlichen Niveau wie 2020 (104 Minuten) und deutlich niedriger als 2021 (170 Minuten). Insgesamt nutzten rund 733.000 Kinder und Jugendliche Streaming riskant, 2,4 Prozent zeigen ein pathologisches Nutzungsverhalten. Das entspricht rund 126.000 Betroffenen.«

Schnittmengen problematischer Nutzung

»Das Ausmaß der Gesamtproblematik wird insbesondere bei der Betrachtung der Schnittmengen deutlich: 5,1 Prozent aller Befragten zeigen eine problematische Nutzung von Gaming und Social Media, was rund 270.000 Betroffenen entspricht. 1,1 Prozent nutzt darüber hinaus auch Streaming-Angebote problematisch – 58.000 Kinder und Jugendliche wären damit von diesem riskanten Dreiklang betroffen.«

Geschlechterunterschiede leben fort

»Insgesamt sind Jungen häufiger suchtgefährdet oder bereits von einer Sucht betroffen als Mädchen – insbesondere beim Gaming. So zeigen 18,1 Prozent der Kinder und Jugendlichen eine problematische Nutzung digitaler Spiele. Davon sind 68,4 Prozent Jungen. Bei den sozialen Medien, die 23,1 Prozent aller Befragten problematisch nutzen, ist die Verteilung mit 52,1 Prozent (Jungen) bzw. 47,9 Prozent (Mädchen) hingegen etwas ausgewogener.«

Was ist das für eine Studie?

»Die repräsentative DAK-Längsschnittstudie zur Mediennutzung im Verlauf der Corona-Pandemie untersucht die Häufigkeiten pathologischer und riskanter Nutzung von Spielen, sozialen Medien und Streamingdiensten bei Kindern und Jugendlichen basierend auf den neuen ICD-11-Kriterien der WHO. Bundesweit wurden rund 1.200 Familien nach ihrem Medienverhalten befragt. Die DAK-Gesundheit führt dazu gemeinsam mit dem Deutschen Zentrum für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters im Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf in mehreren Wellen Befragungen durch das Meinungsforschungsinstitut Forsa durch. Dafür wird eine repräsentative Gruppe von Kindern und Jugendlichen im Alter zwischen zehn und 17 Jahren mit je einem Elternteil zu ihrem Umgang mit digitalen Medien an bisher fünf Messzeitpunkten befragt. Nach den Befragungen im September 2019, im April 2020, im November 2020 und im Mai 2021 spiegeln die aktuellen Erkenntnisse die Ergebnisse der jüngsten Befragung im Juni 2022 wider.«

➔ DAK-Gesundheit (Hrsg.) (2023): Mediensucht in Zeiten der Pandemie. DAK-Längsschnittstudie: Wie nutzen Kinder und Jugendliche Gaming, Social Media und Streaming?, Hamburg 2023

Und auch bei den Erwachsenen soll das mit der „Digitalsucht“ zunehmen

»Soziale Medien, Online-Shopping, Computerspiele – Experten beobachten seit der Pandemie einen Anstieg von Patienten mit digitalem Suchtverhalten. Dabei sind auch immer mehr Ältere betroffen«, so Anja Braun und Hannah Walter in ihrem Beitrag Digitalsucht bei Erwachsenen nimmt zu. Bislang war digitales Suchtverhalten »eher bei jüngeren Menschen unter 30 Jahren verbreitet. Mit der Pandemie stieg aber auch die Zahl der älteren Betroffenen an. Allein in der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der Universitätsmedizin Mainz haben etwa 25 Prozent mehr Menschen nach Hilfe gesucht als 2021, so Klaus Wölfling, Leiter der Ambulanz für Spielsucht in Mainz. Auch der Suchtforscher Hans-Jürgen Rumpf von der Uni Lübeck geht davon aus, dass die Zahl der Hilfesuchenden durch die Pandemie zugenommen hat. Es gebe zwar noch keine umfassenden Studien, aber einige Hinweise darauf.«

Was muss man sich unter diesem „digitalen Suchtverhalten“ vorstellen und warum wird das problematisiert?

»Betroffene von digitalen Süchten verbringen täglich acht bis zehn Stunden mit Chatten, Sozialen Netzwerken, Computerspielen, Internet-Pornografie oder Online-Shopping und vernachlässigen wichtige Lebensbereiche. Dadurch droht vielen Arbeitsplatzverlust, Trennung oder Verschuldung.«

Und wo ist der (mögliche) Zusammenhang mit der Pandemie?

»Suchtkliniken berichten, dass gerade für ältere Menschen gewohnte Strukturen weggebrochen seien und dieser Leerlauf mit Sozialen Medien gefüllt worden sei. Das seien noch keine belastbaren Zahlen, aber Beobachtungswerte.«

Man achte aber auf die mehrfach zitierten Hinweise, dass man es hier mit einem Themenfeld zu tun hat, für das „noch keine belastbaren Daten“ vorliegen, dass man „einige Hinweise“ habe oder „Beobachtungswerte“.

An der Universität Lübeck wurden Diagnosekriterien entwickelt, um internetbezogene Störungen festzustellen. Neben der Bildschirmzeit spielen auch noch weitere Kriterien eine Rolle. Es müssen mindestens fünf von neun Kriterien erfüllt sein, um von Sucht zu sprechen. so der Psychologe Wölfling. Und der wird mit diesen Worten zitiert: „Uns ist auch ganz wichtig, dass wir nicht überdiagnostizieren und sozusagen eine digitale Pandemie heraufbeschwören wollen.“

»Inzwischen sind Video- und Glücksspielsucht, sowohl online im Internet als auch ohne Internutzung, im Diagnoseschlüssel ICD 11 der WHO als Suchterkrankungen aufgenommen worden und damit der Kokain- oder Alkoholabhängigkeit gleichgestellt. Bis Ende 2023 will auch Deutschland die neuen Diagnoseschlüssel anwenden.«