Die Riester-Rente ist ja nun schon seit vielen Jahren und verständlicherweise immer wieder Gegenstand der kritischen Berichterstattung. Politik und Versicherungswirtschaft suchen seit längerem nach einer Alternative zu dem toten Pferd, die man dann den vielen Menschen im Land als einen ganz neuen Aufguss verkaufen kann.
Aber es gibt ja zugleich Millionen Menschen, die in der Vergangenheit Riester-Verträge abgeschlossen haben und bei einigen geht es jetzt bzw. demnächst um die Früchte ihrer Sparanstrengungen. Und da sind dann doch einige mehr als überrascht, wenn sie sehen, was sie raus bekommen sollen.
»So mancher Riester-Sparer hat sich vielleicht schon gewundert, warum die zu erwartende Rente aus dem laufenden Sparvertrag so niedrig ist. War da nicht mal mehr zu erwarten?« So Tina Groll in ihrem Artikel Nachträglich die Rente zu kürzen, ist unwirksam. Wieso kürzen?
»Und gab es da nicht einmal eine Mitteilung vom Versicherer, dass der Rentenfaktor angepasst werde?«, so Groll weiter. Ja, das ist dann bereits einige Jahre her. »Verschickt wurden solche Briefe schon vor fünf Jahren: 2017 teilten mehrere Versicherer ihren Kundinnen und Kunden mit, dass man die Rentenfaktoren in vor allem fondsgebundenen Riesterverträgen kürzen müsse wegen der lang anhaltenden Niedrigzinsphase.«
»Nun hat das Landgericht Köln jedoch ein richtungweisendes Urteil gesprochen (Az.: 26 O 12/22) und festgestellt, dass nachträgliche Rentenkürzungen unwirksam seien.« Also wie immer bei solchen Kurzfassungen von Urteilen muss man vorsichtig sein: Es kommt auf die konkreten Vertragsbedingungen an, ob das unwirksam ist oder nicht.
Also müssen wir uns den Sachverhalt anschauen, der zu der Entscheidung des Gerichts geführt hat. Die Organisation „Finanzwende“, die den Kläger im vorliegenden Fall unterstützt hat, berichtet unter der Überschrift Wie die Kölner Richter entschieden zum Sachverhalt:
»In dem verhandelten Fall hatte ein Kölner Riester-Sparer geklagt, weil die Zurich Lebensversicherung ihm im Jahr 2017 seine zukünftige Riester-Rente überraschend um fast ein Viertel kürzte. Obwohl die Zurich für den fondsgebundenen Vertrag im Versicherungsschein eine Monatsrente von gut 37 Euro je 10.000 Euro Sparkapital vereinbart hatte, teilte sie damals mit, daraus werde nichts. Wegen der anhaltend niedrigen Zinsen habe man neu kalkuliert und zahle ihm ab dem Rentenbeginn im Jahr 2039 jeweils nur noch knapp 28 Euro.
Der so genannte Rentenfaktor – also die Monatsrente je 10.000 Euro Sparkapital – wurde also um fast ein Viertel gekürzt.«
„Rentenartfaktor“ – der »Begriff klingt technisch, ist aber eine wichtige Größe bei der fondsgebundenen Altersversorgung. Denn hier wissen die Kundinnen und Kunden zu Beginn des Sparvertrags nicht, wie viel Geld am Ende bei Rentenbeginn vorhanden sein wird, da das spätere Guthaben davon abhängig ist, wie gut die Börse und die Fonds laufen«, erläutert Tina Groll. Der aufmerksame Leser wird an dieser Stelle vielleicht innehalten und daran denken, dass solche Fragen ja auch eine Rolle spielen werden bei solchen Dingen wie der „Aktienrente“, die derzeit am rentenpolitischen Horizont Gestalt annehmen.
Nun könnte man annehmen, dass es eben (nur) um diesen Einzelfall des Kölner Riester-Sparers mit seiner persönlichen Rentenschmelze geht. Finanzwende weist aber darauf hin:
»Der Fall ragt über den Einzelfall hinaus, denn es geht um eine Grundsatzfrage: Darf ein Versicherer – wenn es am Kapitalmarkt nicht gut läuft – einseitig eine einmal vereinbarte Rente nachträglich zusammenstreichen?«
Die Kölner Richter meinen offensichtlich: Nein. Die Kürzung aus dem Jahr 2017 ist unwirksam – und auch zukünftige Rentenkürzungen sind nicht erlaubt. Dazu Tina Groll:
»Die Kölner Richterinnen und Richter stellten nämlich fest, dass sich die Zurich zu viele Freiheiten herausgenommen und die Bedingungen einseitig zu ihren Gunsten ausgelegt hätte. Denn die Klausel zur Anpassung des Rentenfaktors sah lediglich vor, dass dieser abgesenkt, nicht aber wieder erhöht werden müsse, wenn die Zinsen wieder steigen. Dem Versicherungsnehmer keine Erhöhung einzuräumen, stellt aber eine Schieflage dar. Denn rechtlich bestehe ein Symmetriegebot, erklärt der Anwalt des Klägers, der das Urteil erstritten hat. Die Kölner Richter stellten daher auch fest, dass die Vertragsklausel nicht mehr angewandt werden dürfe.«
„Anpassungsklauseln dürfen nicht nur bei Äquivalenzstörungen zulasten des Versicherers eine Anpassung vorsehen. Vielmehr müssen sie das vertragliche Äquivalenzverhältnis von Leistung und Gegenleistung in beide Richtungen wahren“, so aus dem Urteil im Wortlaut zitiert.
Kann man die erwähnte Klausel im Original sehen? Kann man, die findet man in dem Beitrag Riester-Rente: Kürzung wegen Niedrigzins gekippt:
„Bereits bei Vertragsschluss nennen wir Ihnen die Monatsrente je 10.000 EUR Vertragsguthaben zum Ende der Ansparphase. […] Wenn sich die Lebenserwartung unerwartet stark erhöht bzw. die Rendite der Kapitalanlagen nicht nur vorübergehend absinkt und dadurch die langfristige Erfüllbarkeit einer lebenslangen Rentenzahlung nicht mehr sichergestellt ist, sind wir berechtigt, Ihre Monatsrente je 10.000 EUR Vertragsguthaben so weit herabzusetzen, wie dies erforderlich ist, um diese langfristige Erfüllbarkeit zu gewährleisten. […]“ So lautet die streitgegenständliche Klausel in den Produktbedingungen des Tarifs „Förder Renteinvest“ bei Zurich Deutsche Herold.
Aber das Urteil des LG Köln geht über eine Unwirksamkeitserklärung der Klausel im vorliegenden Fall hinaus:
Danach durfte der Versicherte mit dem im Versicherungsschein genannten Rentenfaktor von 37,34 Euro rechnen. Die Voraussetzungen für eine Senkung des Rentenfaktors (§ 163 Abs. 1 S. 1 VVG) sahen die Richter im vorliegenden Fall nicht als erfüllt an. Denn die gesetzliche Regelung eröffne „keine Anpassungsbefugnis für den Fall, dass der Versicherer geringere Kapitalerträge erwirtschaftet, als er bei der Festlegung des Rechnungszinses kalkuliert hat.“
Das nun wird der Versicherungsbranche wahrlich nicht gefallen.
Und es muss nicht bei einem Einzelfall bleiben: Die Organisation Finanzwende schätzt, dass bundesweit einige zehntausend Versicherte von derartigen Rentenkürzungen betroffen sein könnten. Denn auch andere Versicherer kürzten aufgrund ähnlicher Klauseln die künftigen Renten ihrer Versicherten.
Aber etwas Wasser muss abschließend in den verbraucherpolitisch süßen Wein gegossen werden: Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Gegenüber dem Handelsblatt teilte ein Zurich-Sprecher mit, dass es sich um das erste Urteil zu einer sehr komplexen juristischen Frage handle. Derzeit analysiere man die schriftliche Urteilsbegründung und werde anschließend über das weitere Vorgehen entscheiden.