Löhne und Arbeitsbedingungen einer weiteren Gruppe von Vergessenen: Paketzusteller

Die alljährliche Schlacht um die Weihnachtszeit für die vielen Menschen in den Paketdiensten ist geschlagen, aber angesichts der Bedeutung des Online- und Versandhandels im gewöhnlichen Alltag geht das nahtlos weiter mit den unzähligen Paketen aller Art, die an die Haustür gebracht werden (sollen). Und hin und wieder tauchen sie dann für einen Moment auf in der öffentlichen Berichterstattung, die Paketzusteller. Meistens in skandalisierend daherkommenden Schlaglichtern auf die Arbeitsbedingungen in dieser Branche, wo eine im wahrsten Sinne des Wortes auf die Knochen gehende Arbeit geleistet wird. Also von denen, mit deren Arbeit die letzte Meile zum Kunden bedient wird. Hier wird seit vielen Jahren immer wieder über die Paketdienste berichtet.

Und wenn wir von den Paketdiensten sprechen, dann geht es um eine echte Boom-Branche. In den letzten Jahren stieg die Sendungsmenge kontinuierlich und im Jahr 2021 wurden rund 4,15 Milliarden Sendungen durch die KEP-Branche (KEP steht für Kurier-, Express- und Paketdienste) ausgeliefert, nach anderen Erhebungen werden für 2021 auch mehr als 4,5 Milliarden Sendungen genannt. Fast 590.000 Beschäftigte sind hier mehr oder weniger unterwegs.

Rund 26,9 Milliarden Euro Umsatz erwirtschafteten die Kurier-, Express- und Paketdienste Deutschlands im Jahr 2021, ein bisheriger Rekord. Mit Abstand ist die Deutsche Post DHL klarer Marktführer unter den Paketdienstleistern in Deutschland: Ihr Marktanteil (gemessen am Paketvolumen) lag im Jahr 2019 bei 48 Prozent, dann kommt Hermes mit 16 Prozent, UPS 12 Prozent, DPD 10 Prozent, GLS 7 Prozent sowie FedEx/TNT mit 6 Prozent. Die sechs größten Paketdienste hatten zusammen einen Marktanteil von 99 Prozent.

In den vergangenen Jahren hat die Sendungsmenge deutlich stärker zugelegt als die Zahl der Beschäftigten in der KEP-Branche. Dazu auch diese Abbildung aus dem KEP-Studie 2022 des Bundesverbandes Paket & Expresslogistik (S. 32):

Und wie sieht es aus mit der Bezahlung und anderen Arbeitsbedingungen in dieser Boom-Branche?

»Die Beschäftigten in der Kurier-, Express- und Postbranche (Kep) verdienen deutlich weniger als Vollzeitmitarbeiter in anderen Wirtschaftszweigen. Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) mitteilt, lag der durchschnittliche Monatsverdienst (brutto) in der Kep-Branche im Jahr 2021 um gut 1.000 Euro unter dem Durchschnitt der Wirtschaft insgesamt. Im Schnitt kamen die Kep-Mitarbeiter (Vollzeit) demnach auf 3.022 Euro, während das Durchschnitts-Einkommen in der Wirtschaft insgesamt bei 4.100 Euro lag. Alle Hierarchien verdienten weniger als der Durschnitt – vom Ungelernten bis zur Führungskraft.« Das berichtet Matthias Rathmann in seinem Artikel Einkommen in der KEP-Branche: Was Zusteller verdienen. Dabei war die Lohnentwicklung in dieser Branche deutlich unterdurchschnittlich:

»Die Verdienste haben sich in den vergangenen zehn Jahren vergleichsweise wenig erhöht. Vollzeitbeschäftigte bei Post-, Kurier- und Expressdiensten verdienten im Jahr 2021 mit durchschnittlich 3.022 Euro brutto im Monat (nicht preisbereinigt) 6,0 % mehr als zehn Jahre zuvor. 2011 waren es im Schnitt 2.851 Euro brutto im Monat … Zum Vergleich: In der Wirtschaft insgesamt legten die Verdienste im selben Zeitraum nicht preisbereinigt um 23,8 % zu, die Verbraucherpreise stiegen um 14,6 %.« So das Statistische Bundesamt am 14. Dezember 2022 unter der Überschrift Verdienste bei Post- und Paketdienstleistern in den vergangenen zehn Jahren mit 6 % unterdurchschnittlich gestiegen. Dort findet man noch weitere interessante Informationen:

2021 lag der durchschnittliche Bruttomonatsverdienst in der Branche der Post-, Kurier- und Expressdienste gut 1.000 Euro unter dem Durchschnitt in der Wirtschaft insgesamt (4.100 Euro). Die Branchenverdienste fielen in allen Leistungsgruppen geringer aus als diejenigen Durchschnittsverdienste von Vollzeitbeschäftigten in der Gesamtwirtschaft.

»2021 waren nur 4 % der Vollzeitbeschäftigten bei Post-, Kurier- und Expressdiensten in leitender Stellung und 7 % herausgehobene Fachkräfte. Dagegen waren zwei Drittel (67 %) Fachkräfte, gefolgt von angelernten (13 %) und ungelernten (9 %) Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Zum Vergleich: In der Gesamtwirtschaft waren im vergangenen Jahr 12 % der Vollzeitbeschäftigten in leitender Stellung, 24 % herausgehobene Fachkräfte, 45 % Fachkräfte, 14 % angelernte und 5 % ungelernte Vollzeitbeschäftigte.«

Vergleichsweise wenig Geld und das zu unüblichen Zeiten

»In der Post- und Paketbranche arbeiten Erwerbstätige nicht nur bei vergleichsweise geringen Verdiensten, sondern oft auch zu unüblichen Zeiten. Laut Ergebnis des Mikrozensus für 2021 arbeiteten 60 % der Erwerbstätigen in diesem Bereich auch an Wochenenden. Der Anteil ist wesentlich höher als in der Wirtschaft insgesamt: Über alle Branchen hinweg gingen 31 % der Erwerbstätigen auch an Wochenenden ihrer Beschäftigung nach.
Jede und jeder siebte Erwerbstätige (14 %) bei Post-, Kurier- und Expressdiensten arbeitete 2021 zudem nachts zwischen 23 Uhr und 6 Uhr morgens. Zum Vergleich: Insgesamt leistete jede und jeder elfte Erwerbstätige (9 %) Nachtarbeit. Dagegen war die Arbeit in den Abendstunden zwischen 18 Uhr und 23 Uhr bei Post-, Kurier- und Expressdiensten mit einem Anteil von 18 % der Erwerbstätigen weniger verbreitet als im Durchschnitt aller Branchen (28 %).«

Befristung und Teilzeit sind in der Branche weit verbreitet

Laut den Ergebnissen des Mikrozensus 2021 »war fast ein Drittel (31 %) der Kernerwerbstätigen bei Post-, Kurier- und Expressdiensten atypisch beschäftigt, das heißt entweder befristet, in Teilzeit mit weniger als 21 Wochenstunden, geringfügig beschäftigt oder in Zeitarbeit. Kernerwerbstätige sind alle Erwerbstätigen zwischen 15 und 64 Jahren, die weder in Ausbildung noch in einem Freiwilligendienst sind. Über alle Branchen hinweg lag der Anteil der atypisch Beschäftigten bei gut 19 % der Kernerwerbstätigen.«

»18 % der Kernerwerbstätigen bei Post-, Kurier- und Expressdiensten arbeiteten 2021 in Teilzeit mit weniger als 21 Wochenstunden. Bei den Kernerwerbstätigen aller Branchen waren es dagegen 12 %. Der Anteil der befristet Beschäftigten an den Kernerwerbstätigen war bei Post- und Paketdienstleistern mit 14 % sogar doppelt so hoch wie im Durchschnitt aller Branchen mit gut 6 %.«

Und wer macht den Job? »Fast 27 % der Erwerbstätigen bei Post-, Kurier- und Expressdiensten hatten 2021 eine ausländische Staatsangehörigkeit, während es unter allen Erwerbstätigen 13 % waren.«

Arbeitsbedingungen, die nicht nur vor dem Weihnachtsfest auf die Kochen gehen

Aus Berichten über die Arbeitsbedingungen der Paketzusteller und angesichts der Tatsache, dass den meisten das letzte Weihnachtsfest noch sehr präsent ist in der Erinnerung, sei beispielhaft auf den Artikel Was für eine schwere Weihnacht! von Felicitas Witte hingewiesen, der am 24. Dezember 2022 veröffentlicht wurde. Bei ihr taucht das wieder auf, was hier als eine Arbeit bezeichnet wurde, die im wahrsten Sinne des Wortes auf die Knochen geht:

»In Deutschland blieben im Jahr 2019 Beschäftigte in Post- und Zustelldiensten im Schnitt 28,6 Tage der Arbeit fern – deutlich mehr als in anderen Branchen. Am häufigsten lag das an Beschwerden am Muskel-Skelett-System – etwa Rückenschmerzen –, an Verletzungen, psychischen Problemen oder Atemwegserkrankungen. Diese Beschwerden passen auch zu den Erkenntnissen von Studien aus anderen Ländern: Mehr als jeder dritte von 237 Kurierdienst-Fahrern in Israel litt mindestens einmal am Tag unter Schmerzen in Knochen, Muskeln oder Gelenken, mehr als jeder siebte hatte einen arbeitsbedingten Verkehrsunfall.«

Und auch Witte weist auf das Auseinanderlaufen zwischen der Zahl der Paketboten und der Sendungsmenge hin: »Es gibt keine verlässlichen Zahlen, wie viele Pakete ein Zusteller hierzulande je Tag austragen muss und ob das in den vergangenen Jahren mehr geworden ist. Indizien aber gibt es schon: 2021 wurden 4,51 Milliarden Pakete, Kurier- und Expresssendungen transportiert, das sind 82 Prozent mehr als 2011. Und 2021 waren es allein eine Milliarde mehr als 2019, hauptsächlich wegen mehr Privatbestellungen im Onlinehandel. Die enorme Zunahme an Sendungen wird aber nur zu einem Teil durch mehr Personal aufgefangen.«

Dem Sendungszuwachs von 6,2 Prozent je Jahr steht ein Beschäftigungszuwachs von nur 3,5 Prozent je Jahr gegenüber.

»Während Angestellte von DHL gemäß Tarifvertrag arbeiten, hat laut der Dienstleistungsgesellschaft Verdi nur gut jeder zweite Zusteller von UPS und Fedex einen Tarifvertrag, diejenigen von DPD nur in fünf Prozent der Fälle und diejenigen von Amazon, Hermes und GLS arbeiten ohne.«

»Oft lagern die Konzerne das Ausliefern an Subunternehmen aus. Rechtlich gesehen gibt es hier kein Arbeitsverhältnis zwischen Auftraggeber – also Amazon & Co. – und den Fahrern. Ihr Arbeitgeber ist der Subunternehmer, der seine Angestellten nur in Schichten einteilt und die Touren vorgibt. „In diesen kleinen Unternehmen gibt es kaum einen Betriebsrat und noch seltener eine Tarifbindung“, sagt Stefan Thyroke, der bei der Gewerkschaft Verdi die Bundesfachgruppe Kurier-, Express- und Paketdienste leitet.«

Mindestens ein Drittel der Zusteller kommt aus dem Ausland. Aus Mangel an Kenntnissen der deutschen Sprache und der hiesigen Rechtslage würden nur wenige Betroffene wagen, die ihnen zustehenden Löhne geltend zu machen und gerichtlich durchzusetzen, beklagt der Gewerkschafter: „Wir hören immer wieder von Verstößen gegen das Gesetz, etwa Unterschreitung des gesetzlichen Mindestlohns von 12 Euro pro Stunde, von Sozialversicherungsbetrug, ungerechtfertigten Kündigungen, Schwarzarbeit oder illegalem Aufenthalt der Beschäftigten.“

Und die Frage der Nicht-Tarifbindung ist nicht nur für die Entlohnung relevant:

»Arbeitsbedingungen mit hohem Zeitdruck, ungeregelten Arbeitszeiten, schlecht gewarteten Fahrzeugen oder ohne Navigationsgeräte seien nicht nur ein Risiko für den Beschäftigten selbst, sondern auch für unbeteiligte Dritte, wenn die Betroffenen wegen Müdigkeit oder Unkonzentriertheit einen Unfall verursachen, sagt Andreas Tautz, Leitender Arzt Konzerngesundheitsmanagement bei der Deutschen Post DHL Gruppe. „Deshalb ist es wichtig, dass die Beschäftigten tarifvertraglich abgesichert werden und dass der Arbeitgeber eine Gefährdungsbeurteilung durchführt und Unterstützung anbietet.“ In der Gefährdungsbeurteilung wird beispielsweise geprüft, ob die Arbeitsbedingungen so gestaltet sind, dass die Boten den Zeitdruck aushalten und die schweren Pakete liefern können.«

Was man machen könnte/müsste und sollte – und was in vielen Unternehmen nicht gemacht wird. Da kommt man an Amazon nicht vorbei

Paketzusteller – darunter oft auch Geflüchtete – leiden unter prekären Beschäftigungsverhältnissen, kritisiert Egbert Ulrich von der Beratungsstelle für Wanderarbeit. Noch immer seien unhaltbare Arbeitsbedingungen für Paketzusteller an der Tagesordnung, kann man diesem Bericht entnehmen: „Arbeitsbedingungen der Paketzusteller sind dramatisch“. »260 Pakete in acht Stunden ausliefern, jeden Tag, egal ob auf dem Land oder in der Stadt – dieses Arbeitspensum habe ein Zusteller für Amazon im Saarland im Schnitt jeden Arbeitstag zu stemmen, so Ulrich. Das sei in der regulären Arbeitszeit nicht zu schaffen. Die anfallenden Überstunden würden jedoch nicht bezahlt. Hinzu komme, dass die Beschäftigten – darunter oft auch Geflüchtete mit geringen Sprachkenntnissen – sich selten wehren würden oder gewerkschaftlich organisiert seien. Und erschwerend hinzu komme, dass die Zusteller oft bei Subunternehmen und nicht bei Amazon direkt beschäftigt seien.«

So erlebe man immer wieder, dass Arbeitgeber in der Branche die Löhne nicht auszahlten, die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall nicht gewährten, auf unzulässige Weise kündigten oder ihre Beschäftigten schwarz arbeiten ließen.

Amazon hat die Vorwürfe in einer Stellungnahme zurückgewiesen. »Laut Unternehmen sind die Lieferpartner vertraglich verpflichtet, alle geltenden Gesetze einzuhalten, insbesondere in Bezug auf Löhne, Sozialabgaben und Arbeitszeiten.« Genau das ist das Problem: Amazon lässt sich von den vielen Subunternehmen, die im Auftrag des Konzerns fahren und ausliefern, einen Blankoscheck unterschreiben, dass die sich an die gesetzlichen Bestimmungen halten – und man kann dann eine weiße Weste ins Schaufenster hängen. Die dreckige Wäsche wird dann in den verborgenen Kelleretagen des Subunternehmerunwesens gestapelt.

Apropos Amazon: »Sie bekommen oft zu wenig Lohn, sitzen übermüdet am Steuer und leben monatelang in ihrem Lkw. Wie Fernfahrer behandelt werden, die für Amazon Waren durch Deutschland transportieren«, das haben Nik Afanasjew und Caterina Lobenstein im Dezember 2022 in diesem Artikel aufgegriffen und beschrieben: Die Geisterfahrer. Da wird mal mit der Taschenlampe nach unten geleuchtet.