Die Reallöhne schmelzen wie Butter in der Sonne und die nächste teuerungsbedingte Hitzewelle ist auf dem Weg

In vielen Artikeln in der Wirtschaftspresse wird immer wieder das Gespenst einer „Lohn-Preis-Spirale“ an die Wand geworfen (korrekterweise wäre eher der Terminus Preis-Lohn-Preis-Spirale zu verwenden, wenn es die denn geben sollte). Also die Gewerkschaften setzen sehr hohe Lohnforderungen durch und die stark steigenden Personalkosten führen zu einem weiteren Inflationsschub in der Volkswirtschaft. Nun ist es zumindest in Deutschland eben nicht so, dass permanent Lohnverhandlungen geführt werde (können) und die bisher vorliegenden aktuelle Lohnabschlüsse sind doch eher überschaubar, teilweise sind die Tarifabschlüsse mit sehr langen Laufzeiten versehen.

Die meisten Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen in unserem Land haben ganz andere Sorgen, folgt man den Daten des Statistischen Bundesamtes zur Entwicklung der Reallöhne, bei denen die Inflationsentwicklung berücksichtigt wird.

Der Nominallohnindex bildet die Entwicklung der Bruttomonatsverdienste der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einschließlich Sonderzahlungen ab, während der Reallohnindex über die preisbereinigte Verdienstentwicklung Auskunft gibt. Datenquelle der Verdienstindizes ab dem Berichtsjahr 2007 bis zum Berichtsjahr 2021 ist die Vierteljährliche Verdiensterhebung, die mit dem 4. Quartal 2021 eingestellt wurde. Datenquelle der Verdienstindizes ab dem Berichtsjahr 2022 ist die neue Verdiensterhebung.

»Die hohe Inflation in Deutschland hat im 1. Quartal 2022 zu einem Reallohnrückgang geführt: Zwar war der Nominallohnindex im 1. Quartal 2022 nach ersten und vorläufigen Ergebnissen der neuen Verdiensterhebung um 4,0 % höher als im Vorjahresquartal. Allerdings stiegen die Verbraucherpreise im selben Zeitraum um 5,8 %«, berichtet das Statistische Bundesamt unter der Überschrift Reallöhne im 1. Quartal 2022: -1,8 % gegenüber dem Vorjahresquartal. Für das erste Quartal des Jahres 2022 werden wir also mit einem realen (preisbereinigten) Verdienstrückgang von 1,8 % konfrontiert. Der Preisanstieg hat den nominalen Anstieg der Löhne mehr als aufgezehrt.

Und der Sinkflug der Reallöhne wird im laufenden Jahr weiter anhalten (müssen), wenn man die niedrigen Tarifabschlüsse (die erst einmal auch nur für die tarifgebundenen Arbeitnehmer gelten) in Relation setzt zu der bereits realisierten Inflationsrate und vor allem zu dem, was da an der Preisfront noch auf uns zukommen wird.

➔ Zur Entwicklung der Tarifverdienste berichtet das Statistische Bundesamt: Die Tarifverdienste in Deutschland sind im 1. Quartal 2022 um durchschnittlich 4,0 % gegenüber dem Vorjahresquartal gestiegen. Und dann kommt ein interessanter Hinweis: Der Anstieg der Tarifverdienste ohne Sonderzahlungen lag im Vorjahresvergleich nur bei 1,1 %.
»Deutlich überdurchschnittlich sind die Tarifverdienste einschließlich Sonderzahlungen unter anderem in den Bereichen „Erziehung und Unterricht“ (+5,0 %), „Land- und Forstwirtschaft; Fischerei“ (+4,9 %) sowie „Öffentliche Verwaltung, Verteidigung; Sozialversicherung“ (+4,6 %) gestiegen. In diesen Bereichen machten sich vor allem die Corona-Prämien bemerkbar, die sowohl die Tarifbeschäftigten im öffentlichen Dienst der Länder als auch die meisten Landes- und Kommunalbeamten im 1. Quartal 2022 erhielten. Ohne Berücksichtigung der Sonderzahlungen lag die Tarifentwicklung in diesen Bereichen mit +0,3 % (Erziehung und Unterricht), +0,8 % (Öffentliche Verwaltung, Verteidigung; Sozialversicherung) sowie +1,6 % (Land- und Forstwirtschaft; Fischerei) deutlich niedriger.
Auch die überdurchschnittliche Tarifentwicklung im Verarbeitenden Gewerbe (+4,8 %) lässt sich vorrangig auf Sonderzahlungen, vor allem in der Metall- und Elektroindustrie, zurückführen. Mit +0,7 % lag die Tarifentwicklung ohne Sonderzahlungen hier deutlich unter dem gesamtwirtschaftlichen Durchschnitt von +1,1 %. Im Baugewerbe (+4,7 %) wurde im 1. Quartal 2022 ebenfalls eine Corona-Prämie gezahlt.«

Parallel zu den Daten die Reallohnentwicklung betreffend hat das Statistische Bundesamt diese im wahrsten Sinne des Wortes beunruhigende Nachricht herausgegeben: Importpreise im April 2022: +31,7 % gegenüber April 2021: »Die Importpreise waren im April 2022 um 31,7 % höher als im April 2021. Eine höhere Vorjahresveränderung hatte es zuletzt im September 1974 im Rahmen der ersten Ölkrise gegeben (+32,6 % gegenüber September 1973) … Die aktuellen Daten spiegeln auch die Auswirkungen des Kriegs in der Ukraine wider. Energieeinfuhren waren im April 2022 um 157,4 % teurer als im April 2021.« Das geht vor allem auf das Konto der Erdgas-Importe: Die Erdgaspreise lagen im April 2022 viermal so hoch wie im April 2021 (+301,2 %). Aber selbst unter Ausklammerung der Energiepreissteigerungen ergibt sich dieses Bild: »Ohne Berücksichtigung der Energiepreise waren die Importpreise im April 2022 um 17,1 % höher als im April 2021 … Lässt man nur Erdöl und Mineralölerzeugnisse außer Betracht, lag der Importpreisindex um 27,6 % über dem Stand des Vorjahres.«

Schaut man sich nun die langfristige Preisentwicklung auf den unterschiedlichen Wirtschaftsstufen an, dann wird klar erkennbar, dass sich bei den Einfuhrpreisen, aber auch bei den gewerblichen Erzeugerpreisen (also Preise, die von den Unternehmen an ihrer Lieferanten gezahlt werden müssen) sowie den Großhandelspreisen bereits seit längerem ein massiver Preisanstieg im zweistelligen Bereich realisiert, der dann in einer zweiten oder dritten Runde je nach Wettbewerbsintensität und Kaufverhalten ganz oder zumindest teilweise an die Endverbraucher überwälzt werden wird. Insofern signalisieren diese Preisindizes, dass wir in diesem Jahr eher mit weiter steigenden Inflationsraten gemessen am Verbraucherpreisindex werden rechnen müssen. Das aber wird den Einbruch beim Reallohnindex weiter vorantreiben.

Nachtrag am 30.05.2022:

Kurz nach der Veröffentlichung des Beitrags hat das Statistische Bundesamt eine weitere Pressemitteilung mit der vorläufigen Inflationsrate für den Monat Mai 2022 herausgegeben: Inflationsrate im Mai 2022 voraussichtlich +7,9 %. In der Zeitreihenbetrachtung seit dem Januar 2019 sieht die Verbraucherpreisentwicklung bis einschließlich Mai 2022 so aus: