Vor und nach dem Weltfrauentag: Aus den Untiefen des staatlichen Schutzauftrags. Die Frauenhäuser, der Mangel und immer wieder das Geld

Am 8. März wurde der Weltfrauentag begangen und wie immer bei solchen Tagen werden zahlreiche Studien und Meinungsbeiträge, die man mit dem Thema in Verbindung bringt, veröffentlicht. Wer das wollte, konnte sich mit neuen Studien zu einem alten Thema eindecken. Überwiegend beschäftigen sich die Veröffentlichungen mit dem Nachweis, dass Frauen (oder ein großer Teil von ihnen) immer noch ganz erheblichen strukturellen Behinderungen ausgesetzt seien (vgl. aus den vielen Übersichten dazu Yvonne Lott et al.: Stand der Gleichstellung von Frauen und Männern in Deutschland, 2022 oder Clara Albrecht und Britta Rude: Wo steht Deutschland 2022 bei der Gleichstellung der Geschlechter?, 2022). Das wird dann anhand von beeindruckenden Zahlenwerken über die ungleiche Verteilung der Sorge- und Erwerbsarbeit zwischen den Geschlechtern (vgl. dazu als ein Beispiel Kai-Uwe Müller und Claire Samtleben: Reduktion und partnerschaftliche Aufteilung unbezahlter Sorgearbeit erhöhen Erwerbsbeteiligung, 2022) oder über eine unterschiedliche und im Fall „der“ Frauen tiefere Vergütung in der Welt der Erwerbsarbeit, was unter dem Begriff „Gender Pay Gap“ diskutiert wird (als Beispiel Annekatrin Schrenker und Katharina Wrohlich: Gender Pay Gap ist in den letzten 30 Jahren fast nur bei Jüngeren gesunken, 2022).

Alles wichtige Beiträge und hilfreiches Material. Aber zuweilen ist es notwendig, die zwangsläufig damit verbundene eher abstrakte Vogelperspektive zu verlassen und „unten“, „vor Ort“ genauer hinzuschauen, da, wo ganz lebenspraktische und in dem hier relevanten Kontext im wahrsten Sinne des Wortes existenzielle Hilfestellung geleistet wird oder sagen wir besser: geleistet werden soll. Gemeint sind die Frauenhäuser1, eine unbedingt erforderliche öffentlich zu gewährleistende Schutzinfrastruktur für Frauen und Kinder, die als potenzielle oder tatsächliche Gewaltopfer geschützt werden müssen.

Nun wird möglicherweise der eine oder andere an dieser Stelle ältere Beiträge erinnernd einwenden, dass wir bei diesem Thema doch auf einen guten Weg sind, zumindest konnte man eine solche Botschaft herauslesen aus dem letzten Beitrag zu dem Thema, der hier am 28 Mai 2021 unter der Überschrift Frauenhäuser: Jetzt aber kraftvoll aus dem seit langem beklagten Mangel. In der nächsten Legislaturperiode veröffentlicht wurde. Denn zum einen haben wir doch jetzt die aus der Sicht des vergangenen Jahres „neue Legislaturperiode“ und dann auch noch mit Parteien, die sich teilweise vehement in der Vergangenheit für eine strukturelle Verbesserung der bis heute immer wieder als Mangel beschriebenen Angebote für schutzsuchende Frauen und Mütter eingesetzt haben und dabei, das wird in dem Beitrag genau beschrieben, auch erkannt haben, dass man das seit vielen Jahren beklagte strukturelle Finanzierungsproblem der Einrichtungen endlich und vor allem verlässlich lösen muss.

Aber man muss auch das Ende des damaligen Beitrags wieder aufrufen: Mit der Positionierung von Bund, Ländern und Kommunen auf der Ebene der Absichtserklärungen hat man einigen Fortschritt erreicht (auf dem Papier), aber man ist dem Mangel noch nicht wirklich und vor allem verbindlich entgegengetreten. »Es bleibt vor allem die Hoffnung vor der Wahl – und selbst danach werden andere Themen erwartbar als dringlicher eingestuft werden. Wir werden uns wohl (noch und erneut) Zeit geben müssen.«

Die in den Ausführungen erkennbare Skepsis scheint ihre Berechtigung haben, wenn wir ein Blick werfen auf die aktuelle Berichterstattung. Weiterhin wird aus vielen Regionen unseres Landes vor allem über einen Mangel berichtet. Dazu nur ein Beispiel:

Janina Schreiber berichtet am Weltfrauentag unter der Überschrift Jedes Frauenhaus im Westen der Pfalz überfüllt: »Frauenhäuser sollen Schutzräume für Frauen und ihre Kinder sein, die von Gewalt bedroht oder betroffen sind. Doch es gibt wie in Kaiserslautern oder Pirmasens kaum freie Plätze.« Und auch in diesem Artikel wird eine zentrale Rechtsnorm angesprochen, die bereits im vergangenen Jahr hervorgehoben wurde: Deutschland hat sich bereits seit 2018 mit dem Inkrafttreten der Istanbul-Konvention verpflichtet, Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt zu bekämpfen. Dazu gehört die Schaffung eines Familienplatzes für von Gewalt bedrohte Frauen und ihre Kinder.

Und aus den Empfehlungen zur Umsetzung der Istanbul-Konvention (der eine oder die andere wird sich an dieser Stelle beim Stichwort Istanbul erinnern, dass vor kurzem die Türkei unter Erdogan die Konvention, die sie auch unterschreiben hat, wieder zu verlassen) geht eine konkrete praktische Zielvorgabe hervor – die wird von Schreiber an den aktuellen Gegebenheiten in der Westpfalz gemessen:

»Die Task Force des Europarates empfiehlt, dass ein Frauenhaus eine Familie pro 10.000 Einwohner aufnehmen können muss. Das Frauenhaus in Kaiserslautern ist für die Stadt und den Kreis zuständig. Dieser Empfehlung der Task Force zufolge, müssten 20 bis 21 Familien dort Zuflucht finden können. Derzeit kann das Frauenhaus nach eigenen Angaben neun Familien unterbringen. In den Frauenhäusern im Donnersbergkreis und Pirmasens ist der Unterschied zwischen Empfehlung und Realität ähnlich hoch. Der Stadt Kaiserslautern ist diese Diskrepanz auf Anfrage bewusst, wie ein Sprecher angibt. In Kürze werde eine neue Kollegin im Büro der Gleichstellungsbeauftragten ihren Dienst aufnehmen, die die Umsetzung der Istanbul-Konvention in der Stadt Kaiserslautern betreuen wird. Ob es dann auch mehr Plätze geben würde, könne die Stadt derzeit noch nicht beantworten.«

Und wenn wir die regionale Beispielebene verlassen und das auf Deutschland insgesamt beziehen, dann kann man hier aus dem Beitrag vom 28. Mai 2021 zitieren:

Die Frage, wie viele Plätze man denn eigentlich zur Verfügung stellen und damit auch finanzieren müsste, kann man seriös beantworten, ohne mit irgendwelchen Wünsch-Dir-was-Zahlen zu hantieren. Und zwar auf der Grundlage einer internationalen Konvention, die auch die Bundesregierung unterschrieben hat und die seit kurzem auch rechtsverbindlich in Kraft getreten ist: Mit dem Beitritt zur Istanbul-Konvention (Übereinkommen des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt), die am 2. Februar 2018 in Kraft tritt, hat sich Deutschland dazu verpflichtet, Frauen vor Gewalt besser zu schützen. Dies beinhaltet, „Maßnahmen, um die Einrichtung von geeigneten, leicht zugänglichen Schutzunterkünften in ausreichender Zahl zu ermöglichen“ (Istanbul-Konvention, Artikel 23, Bundestagsdrucksache 18/12037). Als angemessen erachtet der Europarat dabei einen Frauenhausplatz (Bett) pro 7.500 Einwohner/-innen (Gesamtbevölkerung) … oder einen Familienzimmer pro 10.000 Einwohner/-innen. Laut Bundesregierung halten die rund 350 Frauenhäuser und mindestens 40 Zufluchtswohnungen insgesamt mehr als 6.800 Plätze (Betten) zur Verfügung … Mit der sich daraus ergebenden Platzquote von rund 1:12.000 verfehlt Deutschland die Empfehlung des Europarates deutlich.«

Und im Februar des vergangenen Jahres wurde dieser Artikel veröffentlicht: Frauenhäuser in Deutschland: Es fehlen Geld und Plätze. Dem kann man diese Rechnung entnehmen: »Nur Bremen und Berlin erfüllen aktuell die Empfehlungen des Europarats, alle anderen Länder bieten zu wenige Plätze an Besonders schlecht sieht es im Saarland, in Sachsen und Bayern aus. Misst man die Zahl der Plätze an der von Deutschland ratifizierten Istanbul-Konvention, fehlen bundesweit sogar rund 14.000 Plätze in Frauenhäusern.«
In diesem Beitrag findet man dann auch den unvermeidlichen Hinweis, welche problematische Rolle die „(Nicht-)Finanzierung spielt: »Die Finanzierung von Frauenhäusern gleicht einem Flickenteppich. Mal ist der Aufenthalt kostenlos, so wie in Schleswig-Holstein, mal müssen die Frauen selber monatlich Geld für die Unterkunft und Betreuung zahlen. Im Monat kommen so schnell mehrere hundert Euro Kosten zusammen. Für manche Frauen übernimmt das Jobcenter die Kosten, doch andere fallen völlig aus dem System: Rentnerinnen, Auszubildenden oder Frauen ohne gesicherten Aufenthaltsstatus.«

Apropos Finanzierung – da müssen wir noch eine Etage tiefer steigen und uns die höchst komplizierte und mit hoch problematischen Anreizen versehene Finanzierungsstruktur vor Ort anschauen. Dazu ein Beispiel aus Berlin, das in den älteren Beiträgen noch als eine der wenigen „Leuchttürme im Rohbau“ eigentlich positiv aufgefallen ist (gemessen an der reinen Platzzahlrelation im Vergleich zu den meisten anderen Bundesländern).

Robert Kiesel berichtet diese Tage aus Berlin unter der irritierenden Überschrift Einziges Krisenhaus für Frauen in Berlin steht vor der Schließung: »Das Frauenkrisenhaus in Reinickendorf muss wohl dichtmachen. Der Grund sind Fehlanreize bei der Abrechnung: Die Bezirke dürfen Einsparungen anders ausgeben.«

Was genau ist das los? Berlin droht der Verlust seiner derzeit einzigen Kriseneinrichtung für Frauen. Das Frauenkrisenhaus der Bürgerhilfe im Bezirk Reinickendorf stehe vor dem Aus. Zum 31. März muss der Betrieb aller Voraussicht nach eingestellt werden. Erste betriebsbedingte Kündigungen seien schon ausgesprochen worden. Nur einzelne der derzeit 18 angestellten Mitarbeiter:innen der 2012 gegründeten Einrichtung können intern umbesetzt werden.

Und warum haben die jetzt solche Existenz-Probleme? Dazu muss man auf die spezifische Finanzierung der Einrichtungen schauen – ein Lehrbuchbeispiel für die Untiefen des Finanzierungsdschungels, in dem man sich beim Thema Frauenhäuser bewegen muss:

»Ursache ist ein Konstruktionsfehler bei der Finanzierung von Einrichtungen wie der in Reinickendorf. Ihre Leistungen werden als „67er-Hilfen“ abgerechnet, benannt nach den in Paragraf 67 des Sozialgesetzbuchs geregelten Hilfen zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten.«

➔ Es geht hier um den § 67 SGB XII (also dem Sozialgesetzbuch, dass die Sozialhilfe regelt) und dabei um die Leistungsberechtigten der Leistungsart „Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten). Im Original heißt es dort: »Personen, bei denen besondere Lebensverhältnisse mit sozialen Schwierigkeiten verbunden sind, sind Leistungen zur Überwindung dieser Schwierigkeiten zu erbringen, wenn sie aus eigener Kraft hierzu nicht fähig sind. Soweit der Bedarf durch Leistungen nach anderen Vorschriften dieses Buches oder des Achten und Neunten Buches gedeckt wird, gehen diese der Leistung nach Satz 1 vor.«

Das liest sich doch noch ganz unverfänglich, aber in Berlin gibt es jetzt einen im Ergebnis fatalen Anreizmechanismus. Um den zu verstehen, müssen wir im Keller der Finanzierungsstrukturen noch eine weitere Etage nach unten steigen:

»Das Problem: Bewilligt werden die Leistungen, in dem Fall die Unterbringung von Frauen im Reinickendorfer Krisenhaus, nach dem sogenannten Planmengeverfahren durch die Bezirke. Diesen steht ein Budget X zur Verfügung, das im Fall seines Nichtgebrauchs zu 25 Prozent (der nicht ausgegebenen Summe) im Besitz der Bezirke bleibt. Die Einsparungen wiederum werden nicht selten für andere Zwecke ausgegeben. Weil die Unterbringung von Menschen in Kriseneinrichtungen besonders kostenintensiv ist, rentieren sich Einsparungen besonders.«

Man ahnt, warum hier von einem „Fehlanreizverfahren“ die Rede ist. Das liest sich abstrakt, kann aber am ganz konkreten Beispiel des Frauenkrisenhauses in Berlin-Reinickendorf illustriert werden:

»„Unsere Unterkunft ist chronisch unterbesetzt, weil die Bezirke aus wirtschaftlichen Gründen von einer Bewilligung absehen“, erklärte dazu Heike Christ. Im vergangenen Jahr hätten den Träger mehr als 500 Anfragen erreicht, nur 68 Menschen wurden tatsächlich vermittelt. Die Einrichtung erwirtschaftete ein Defizit von 140.000 Euro.«

Das ist keine neue Erkenntnis oder gar Entdeckung von etwas, von dem man nichts gewusst hat. Auf der politischen Ebene ist das Problem bekannt. Die Sozialverwaltung schreibt dazu in einem „Konzept zur Rettung der Krisenhäuser“:
„Die mangelnde Auslastung beruht nicht auf einem Mangel an Bedarf, sondern liegt in der zurückhaltenden Bewilligungspraxis der Bezirke begründet, die wiederum ihre Ursachen in einer besonderen Finanzierungssystematik der 67er-Leistungen in Berlin hat.“

Wenn jetzt nicht noch schnell einer dieser Rettungslösungen gefunden wird, droht der Verlust von einem Drittel der stadtweit zur Verfügung stehenden Plätze in Kriseneinrichtungen in Berlin. Das Leuchttürmchen würde ziemlich ramponiert werden.

Unabhängig davon zeigen diese und andere Beispiele: Man braucht eine verlässliche Finanzierungsstruktur in einem Verbundmodell aus Bund, Ländern und Kommunen, dass die öffentliche Sicherstellung dieses Bereichs verlässlich und eben gerade nicht in einem föderalen Flickenteppich garantiert. Modelle dafür liegen seit längerem vor, man könnte … Aber bislang wurde man gerade bei diesem existenziellen Thema immer wieder vertröstet und hingehalten und mit runden Tischen und Modellprojekten und Sonderfinanzierungen in Bewegung gehalten. Hoffentlich muss hier nicht in einem Jahr ein Folgebeitrag veröffentlicht werden, mit dem Tenor: Immer noch werden die Betroffenen darauf vertröstet, dass es jetzt aber bestimmt bald eine umfassende und verlässliche Lösung geben wird.

1 Immer wieder werden in den sozialen Netzwerken nach der Veröffentlichung von Beiträgen, die sich mit Frauenhäusern beschäftigen, Hinweise gegeben bzw. Vorwürfe gemacht, dass doch auch Männer betroffen sein können von häuslicher Gewalt, dass das ein gesellschaftliches Tabuthema sei und dass für die betroffenen Männer „nichts“ gemacht werde.
Zu der Geschlechterverteilung im Bereich der häuslichen Gewalt vgl. ausführlicher diese Veröffentlichung:
➞ Bundeskriminalamt (2021): Part­ner­schafts­ge­walt – Kri­mi­nal­sta­tis­ti­sche Aus­wer­tung – Be­richts­jahr 2020, Wiesbaden, November 2021
Nach den offiziellen Daten (man muss eine große Dunkelziffer in Rechnung stellen) wurden 2020 mehr als 148.000 Menschen Opfer von häuslicher Gewalt. Von den im Jahr 2020 insgesamt erfassten 148.031 Opfern vollendeter und versuchter Delikte der Partnerschaftsgewalt waren 119.164 (80,5 Prozent) weiblichen und 28.867 (19,5 Prozent) männlichen Geschlechts.
Es gibt durchaus Schutzeinrichtungen, die sich an Männer (bzw. Väter mit ihren Kindern) richten, folgt man der Antwort der Bundesregierung auf die Anfrage „Schutzeinrichtungen vor häuslicher Gewalt in Deutschland“ (BT-Drs. 20/366 vom 05.01.2022) – allerdings sind die bundesweiten Zahlen mehr als überschaubar:
»Nach Kenntnis der Bundesregierung gibt es bundesweit neun Einrichtungen mit insgesamt 29 Plätzen in Baden-Württemberg, Bayern, Niedersachsen, Nord- rhein-Westfalen und Sachsen (Augsburg, Dresden, Düsseldorf, Köln, Leipzig, Nürnberg, Oldenburg, Plauen, Stuttgart), die gewaltbetroffenen Männern und ihren Kindern Schutz bieten können. Weitere Schutzeinrichtungen befinden sich in der Planung.«