Zuweilen gibt es Fundstücke aus der großen weiten Welt des Online-Journalismus, die selbst „abgehärtete“ Beobachter dessen, was in unserem Land als „Pflegenotstand“ seit vielen Jahren diskutiert wird, sprachlos zurücklassen. Die zugleich in einer unbedingt zu dokumentierenden schonungslosen Art und Weise einen ganz eigenen Blick auf Frauen und Pflege offenbaren.
In diesen Tagen stehen alle Menschen, die noch einen letzten Rest an Menschlichkeit in sich tragen, fassungslos vor dem großen Desaster, das vor unseren Augen in Afghanistan abläuft. Wir sehen nur sehr wenige, höchst selektive Bilder vom Flughafen in Kabul und keine aus den Gegenden, wo die Taliban bereits die Macht übernommen haben. Und man kann von den sicheren Zonen in unserem Land aus nur in Spurenelementen eine Vorstellung aufbauen, was vielen Menschen, darunter vielen Frauen und Mädchen, jetzt widerfährt bzw. droht. Einige wenige werden möglicherweise über die Luftbrücke der Panik gerettet werden oder sich durch Flucht einem Martyrium entziehen können, vielen anderen wird das nicht gelingen.
Was aber hat diese zivilisatorische Katastrophe nun mit der Altenpflege und Frauen in Deutschland zu tun, wird sich der eine oder andere denken mit Blick auf die Überschrift dieses Beitrags?
Es gibt Menschen, die offensichtlich in der Lage sind, in nur wenigen Sätzen eine solche Verbindung herzustellen und dabei en passant einen Abgrund offenlegen.
Drei Sätze. Die reichen aus, um einen sprachlos zurückzulassen.
Es handelt sich um den Anfang eines Kommentars von Ulrich Reitz, der in der Online-Ausgabe des Focus veröffentlicht wurde unter der Überschrift: An Afghanistans Frauen zeigt sich nun, ob unser Asylsystem mehr als bloß ungerecht ist. Zuweilen – und in diesem Fall ganz besonders – ist es mehr als aufschlussreich, die Gedankengänge des Kommentators zu lesen:
»Junge afghanische Frauen sind jetzt am meisten gefährdet. Wer heute 25 Jahre alt ist und aus einer der afghanischen Großstädte stammt, ist dort mit hoher Wahrscheinlichkeit anders aufgewachsen als die Generation der Mütter und Großmütter. Gebildeter, selbstbestimmter, freier.«
Er scheint sich Sorgen zu machen um die jungen Frauen. Aber lesen wir weiter:
»Diese Frauen sind nicht nur die, die am meisten zu verlieren haben. Es sind zugleich jene, die einem Einwanderungsland viel zu bieten haben. Und die Wahrscheinlichkeit, dass sich diese jungen afghanischen Frauen zu Islamistinnen entwickeln, dürfte verschwindend gering sein.«
Offensichtlich hat er eine Auge auf sie geworfen, aber nicht auf die anderen:
»Bislang sind aus Afghanistan vor allem junge Männer nach Deutschland migriert. Viele wurden von ihren Familien auf die gefährliche Reise geschickt, weil man ihnen am ehesten zutraute, es ins gelobte Land zu schaffen.«
»Es wäre gleich doppelt ungerecht, wenn die nächsten Flüchtlinge aus Afghanistan wieder vor allem junge Männer wären. Sie wären die relativen Gewinner einer Entwicklung, deren Opfer absehbar in erster Linie jung und weiblich sein werden.«
Dann kommt er zum Punkt:
»Deutschland sollte … ein Kontingent für die Migration von Frauen aus Afghanistan beschließen. Und sie dann in Mangelberufen wie der Pflege ausbilden. Auf diese Weise würde Barmherzigkeit mit deutschen Interessen verbunden.«
Was für ein Ansatz: Man würde diesmal die Zugbrücke der Festung Europa für einige von denen, die bislang „zu kurz“ gekommen sind bei der Aufnahme, herunterlassen und gleichsam eine zweite Fliege erschlagen mit diesem Streich: Den manifesten Mangel an Pflegekräften vor allem in der Altenpflege, denn – aufgepasst liebe Deutsche – bei uns ist es doch so, dass für den schwierigen Dienst, um den es hier geht, „offensichtlich zu wenige deutsche Frauen“ gefunden werden, weil die sich dem entziehen.
Da bleibt einem die Spucke weg. Solche Worte sprechen für sich und müssen nicht weiter durch eine Kommentierung aufgewertet werden.
Aber selbst bzw. gerade wenn der Kommentator das alles gar nicht bewusst frauen- und pflegefeindlich gemeint hat – dann wäre das vielleicht noch schlimmer als ein explizit menschen- und professionszynischer Wurf von einem Schreibtisch aus, würden sich in solchen Konstruktionen die unbewussten Bilder spiegeln, die wahrscheinlich nicht nur ein einzelner Kommentator von Altenpflege und von denen, die das „erledigen“ sollen, hat.
Immerhin – folgt man dem Kommentator – steht die Arbeit in einem deutschen Pflegeheim über dem Status der Dienerinnen für Taliban-Männer. Das kann man dann auch noch als „Barmherzigkeit“ zu verkaufen versuchen.
Man möchte mehr, als nur den Kopf schütteln.