Ein Update zum Mangel an (bezahlbaren) Wohnungen in deutschen Großstädten

In Deutschland gibt es 77 Großstädte, in denen jeweils mehr als 100.000 Einwohner leben. Und in den vergangenen Jahren wird immer öfter von der gerade in den wachsenden Großstädten grassierenden Wohnungsnot berichtet … Eine neue Studie, gefördert von der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, hat das, was überall empfunden und wahrgenommen wird, in Zahlen gegossen – die zunehmende Wohnungsnot. Die Befunde sind beunruhigend: »In den 77 deutschen Großstädten fehlen gut 1,9 Millionen bezahlbare Wohnungen, darunter etwa 1,4 Millionen günstige Apartments unter 45 Quadratmetern für Einpersonenhaushalte … Gemessen an den finanziellen Möglichkeiten der lokalen Bevölkerung besteht ein besonders großer Mangel an bezahlbarem Wohnraum einerseits in einwohnerstarken Städten mit vielen Niedrigverdienern (etwa Berlin, Leipzig, Dresden), andererseits in Großstädten mit hohem Mietniveau (z.B. München, Stuttgart, Düsseldorf).«

So begann der Beitrag Der Mangel an (bezahlbarem) Wohnraum in trockenen Zahlen mit viel individueller Not und gesellschaftlichen Sprengsatz dahinter, der hier am 9. April 2018 veröffentlicht wurde. Darin ging es um eine von der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung geförderte Studie (Holm et al. 2018). Zu dieser Studie gibt es nun ein Update.

»49,2 Prozent der rund 8,4 Millionen Haushalte, die in Deutschlands Großstädten zur Miete wohnen, müssen mehr als 30 Prozent ihres Nettoeinkommens ausgeben, um ihre Miete (bruttowarm) zu bezahlen. Das entspricht mehr als 4,1 Millionen Haushalten, in denen etwa 6,5 Millionen Menschen leben. Dabei sind eventuelle Sozialtransfers und Wohngeld bereits berücksichtigt. Bei Sozialwissenschaftlern wie bei Immobilienexperten gilt eine Mietbelastungsquote oberhalb von 30 Prozent des Haushaltseinkommens insbesondere bei Haushalten mit niedrigerem Einkommen als problematisch, weil dann nur noch relativ wenig Geld zur sonstigen Lebensführung bleibt. Auch viele Vermieter ziehen hier eine Grenze, weil sie zweifeln, dass Mieter sich mit weniger Einkommen ihre Wohnung dauerhaft leisten können«, kann man diesem Bericht über die neuen Studienergebnisse entnehmen: Miete: Fast die Hälfte der Haushalte in Großstädten tragen eine prekär hohe Belastung – mehr als 1,5 Millionen leistbare und angemessene Wohnungen fehlen. »Gut ein Viertel (25,9 Prozent) der Haushalte in den 77 deutschen Großstädten, das entspricht knapp 2,2 Millionen Haushalten mit knapp 3,1 Millionen Bewohnerinnen und Bewohnern, müssen sogar mindestens 40 Prozent ihres Einkommens für Warmmiete und Nebenkosten aufwenden, knapp 12 Prozent oder fast eine Million Haushalte gar mehr als die Hälfte. Die mittlere Mietbelastungsquote (Medianwert) für alle Mieterhaushalte in Großstädten liegt bei 29,8 Prozent für die Bruttowarmmiete und damit knapp unter der Überlastungsgrenze.«

Die Zahlen stammen aus dieser Neuauflage der Studie:

➔ Andrej Holm, Valentin Regnault, Maximilian Sprengholz und Meret Stephan (2021): Die Verfestigung sozialer Wohnversorgungsprobleme. Entwicklung der Wohnverhältnisse und der sozialen Wohnversorgung von 2006 bis 2018 in 77 deutschen Großstädten. Forschungsförderung Working Paper Nr. 217, Düsseldorf: Hans-Böckler-Stiftung, Juni 2021
Die Entwicklung der Wohnversorgung im Zeitraum von 2006 bis 2018 zeigt in den 77 untersuchten Großstädten ein strukturell verfestigtes Defizit an leistbaren und angemessenen Wohnungen. Im Jahr 2018 lebten 4,4 Millionen Haushalte in zu kleinen oder zu teuren Wohnungen. Selbst unter Annahme einer optimalen Verteilung des vorhandenen Wohnraumes könnten 1,5 Millionen Haushalte nicht mit leistbaren und angemessenen Wohnungen versorgt werden. Dieser „harte Kern“ der Wohnungsnot entspricht über 18 Prozent aller Mieterhaushalte in den Großstädten. Das Versorgungsdefizit betrifft vor allem kleine Haushalte und Einkommensklassen mit geringen Einkommen.

In den vergangenen Jahren sind alle Belastungsquoten zwar etwas zurückgegangen, weil auch bei Großstadtbewohnern die Einkommen im Mittel stärker stiegen als die Wohnkosten. Das ist erst einmal eine positive Nachricht. Dabei zeigen sich aber große soziale Unterschiede.

»Vor allem für sehr viele ärmere Haushalte entspannte sich die Situation kaum, für sie ist die Miete weiterhin ein besonders großes finanzielles Problem. Obwohl sie im Schnitt spürbar weniger Wohnraum in älteren und schlechter ausgestatteten Wohnungen zur Verfügung haben, müssen Mieterinnen und Mieter mit geringen Einkommen einen überdurchschnittlichen Anteil davon für die Bruttowarmmiete aufwenden: In Haushalten an der Armutsgrenze, die maximal 60 Prozent des mittleren (Median-) Einkommens aller Großstädter zur Verfügung haben, beträgt die Mietbelastung im Mittel rund 46 Prozent. Dagegen müssen Mieterhaushalte mit einem hohen Einkommen von mehr als 140 Prozent des Medians im Mittel lediglich knapp 20 Prozent für die Warmmiete ausgeben.«

Im Untersuchungszeitraum verringerte sich die durchschnittliche Mietbelastungsquote von 31,2 Prozent auf 29,8 Prozent. Dieser überraschende Befund erklärt sich mit den Einkommen, die stärker gestiegen sind als die Wohnkosten. Die inflationsbereinigten mittleren Einkommen erhöhten sich in den 77 Großstädten um 16 Prozent, die ebenfalls inflationsbereinigten Bruttowarmmieten aber nur um 7,5 Prozent. Das ist doch eine gute Entwicklung – richtig, aber man muss hier genauer hinschauen, vor allem, wenn wie so oft mit Durchschnittswerten gearbeitet wird:

Die Stadtsoziologen sprechen von einer „weiteren Polarisierung“ der Wohnungssituation. Im zeitlichen Vergleich von 2006 bis 2018 zeige sich, „dass sich die sozialen Ungleichheiten im Bereich des Wohnens verschärft und hohe Mietkostenbelastungen verfestigt haben“.

➞ »Das zeigt sich etwa prägnant beim Vergleich der realen Einkommenszuwächse nach Abzug von Wohnkostensteigerungen zwischen 2006 und 2018 in unterschiedlichen Einkommensgruppen. So stiegen die monatlichen Nettoeinkommen der Haushalte, die weniger als 60 Prozent des Medianeinkommens haben, im Mittel um 90 Euro. Bei den Haushalten, die zwischen 60 und 100 Prozent des Medians zur Verfügung haben, waren die Zuwächse ebenfalls eher moderat und blieben unter 200 Euro. Dagegen fielen die Zuwächse in den höheren Einkommensgruppen auch nach Abzug von Mietanstiegen spürbar stärker aus. Mieterhaushalte mit mehr als 140 Prozent des Medians legten im Mittel sogar um 606 Euro an monatlichem Netto zu.«

Die Wohnungsnot in Großstädten wurde trotz verstärkter Bautätigkeit allenfalls geringfügig gelindert. »Laut Mikrozensus 2018 haben mehr als 7,5 Millionen Menschen in 4,4 Millionen Mieterhaushalten nur Wohnungen, die für sie zu klein oder zu teuer sind, gemessen an der im Sozialrecht pro Kopf eines Haushaltes als angemessen geltenden Quadratmeterzahl und dem 30-Prozent-Kriterium für die Warmmiete. Die Quote der damit … „real unterversorgten“ Mieterhaushalte in deutschen Großstädten ist zwar seit 2006 um über vier Prozentpunkte gesunken, nach wie vor sind aber mit knapp 53 Prozent mehr als die Hälfte betroffen.«

Im Zeitverlauf sogar leicht zugenommen hat der „harte Kern der Wohnungsnot“ in den Großstädten. Selbst wenn ein Teil der sozialen Wohnversorgungsprobleme durch eine bessere Verteilung des vorhandenen Wohnraums gelöst werden könnte, was eine eher theoretische Erwägung ist, blieben noch 1,5 Millionen Haushalte, die nicht mit bezahlbaren und angemessenen Wohnungen versorgt würden. Dieser ,harte Kern’ der Wohnungsnot betrifft über 18 Prozent aller Mieterhaushalte in den Großstädten – vor allem kleine Haushalte und Einkommensklassen mit geringen Einkommen.

Die in der Studie angesprochene „Polarisierung“, die man in den differenzierten Zahlen erkennen kann, spiegeln sich auch auf der Angebotsseite: »Die strukturell bedingten Versorgungslücken konzentrierten sich vor allem auf Einpersonenhaushalte und Haushalte mit geringen Einkommen: In den Mietpreisklassen bis zehn Euro je Quadratmeter (warm) – das entspricht Nettokaltmietpreisen von unter 7,35 Euro je Quadratmeter – reduzierte sich das Versorgungsangebot zwischen 2006 und 2018 um mehr als 500.000 Wohnungen. Das entspricht einem Rückgang von über 30 Prozent. Dagegen gibt es im oberen Preissegment (mehr als 15 Euro Warmmiete) einen Zuwachs des Angebots um 16 Prozent auf 535.000 Wohnungen«, so Alfons Frese in seinem Artikel Wenn Wohnen arm macht. Dieses Auseinanderlaufen ist betriebswirtschaftlich aus der Perspektive der einzelnen Investoren nachvollziehbar, aber verstärkt natürlich die auseinandergehende Schere, weil im unteren Bereich immer mehr halbwegs bezahlbare Wohnungen fehlen, während im Premium- sowie im Luxussegment mit einem Käufermarkt ein ganz anderes Ungleichgewicht entstanden ist.

Und mit Blick auf die „normalerweise“ ablaufenden Preisbildungsprozesse interessant ist dieser Befund: Auch in schrumpfenden Städten wurden erhebliche Mietbelastungen gemessen. Hohe »mittlere Mietbelastungsquoten nicht auf bestimmte Regionen oder Stadt-Typen begrenzt. Beispielsweise finden sich unter den Städten mit der höchsten Belastungsquote bei der Warmmiete im Verhältnis zum Einkommen (im Mittel über 32 Prozent) vergleichsweise wohlhabende und „teure“ Großstädte wie Düsseldorf, Wiesbaden oder Darmstadt oder die gefragte Uni-Stadt Aachen ebenso wie das wirtschaftlich eher schwache Bremerhaven, Recklinghausen oder Mönchengladbach, wo zwar die Mieten, aber auch die Einkommen niedriger sind.« In Großstädten, die stark schrumpfen, entspannt sich die Situation nicht, sie schneiden in der Tendenz sogar eher schlecht ab. Ein Erklärungsansatz wäre, dass durch Abwanderung die Einkommen offenbar oft noch stärker unter Druck geraten als die Mieten.

Mit Blick auf scheinbar Widersprüche Befunde bilanzieren Holm et al. (2021), »dass die übliche Erklärungskette, soziale Wohnversorgungsdefizite auf steigenden Bevölkerungszahlen und eine daraus resultierende Anspannung der Wohnungsmärkte zurückzuführen, nicht uneingeschränkt gilt. Die üblichen wirtschaftlichen Modelle der Preisbildung aus dem Verhältnis von Angebot und Nachfrage können die Zuspitzung oder Verbesserung der sozialen Wohnversorgungslage nicht hinreichend erklären. Neben den Mietpreisentwicklungen hat insbesondere die ungleiche Verteilung der Einkommen einen wesentlichen Einfluss auf die Lage der sozialen Wohnversorgung.«

Wenn das so ist, dann hätte das natürlich Konsequenzen für die Diskussion über mögliche Lösungsansätze bzw. über Maßnahmen, um das etwas abzumildern. Dazu wird Andrej Holm mit diesen Aussagen zitiert: »Neben mietrechtlichen Instrumenten zum Schutz der bestehenden Mietpreise und dem Ausbau von Belegungsbindungen für Haushalte mit geringen Einkommen sollte der soziale und gemeinnützige Wohnungsbau mit möglichst dauerhaften Mietbindungen erheblich gestärkt werden. Ein weiterer entscheidender Schlüssel zu einer sozialen Wohnversorgung sei jedoch die Einkommenssituation der Mieterinnen und Mieter. Ohne wirksame Maßnahmen zur Auflösung des weit verbreiteten Niedriglohnsektors sei eine soziale Wohnversorgung in den Großstädten nicht zu gewährleisten.«