Die CO2-Bepreisung wird erweitert – und das ist nicht nur eine klimapolitische Angelegenheit, sondern auch eine verteilungspolitische Frage

»Privatleute und Firmen zahlen 2021 insgesamt rund 6 Milliarden Euro mehr für Benzin, Gas und Heizöl. Gerecht verteilt werden die Kosten nicht«, meint Hannes Koch in seinem Artikel Heizen und tanken werden teurer. Die genannten 6 Mrd. Euro sind der ungefähre Preis, den die Privathaushalte und Unternehmen demnächst pro Jahr zusätzlich für Klimaschutz bezahlen werden – denn Deutschland startet am 1. Januar 2021 seinen Emissionshandel für das Verkehrswesen und die Heizenergie. Anfangs „wird jede Tonne Kohlendioxid aus Automotoren und Gebäudeheizungen 25 Euro kosten“, erklärte Christoph Kühl­eis, kommissarischer Abteilungs­leiter beim Umweltbundesamt, der den neuen Handel mit seinen Mit­ar­bei­te­rn in die Praxis umsetzt. Zu diesem Preis müssen Mineralölkonzerne und andere Energiehändler Verschmutzungszertifikate kaufen, deren Kosten sie an ihre Kun­den weiterreichen dürften. »An den Tankstellen macht das knapp 7 Cent pro Liter Benzin, 8 Cent bei Diesel. Bei Heizöl und Gas ist es ähnlich. Sinn der Prozedur: Fossile Energie zu verbrauchen, soll teurer werden, der Ausstoß klimaschädlichen Kohlendioxids damit sinken. Der Emissionshandel auf europäischer Ebene umfasst bisher nur die Stromgewinnung und die Industrie, obwohl auch der Verkehr und das Heizen entscheidend zu den CO2-Emissionen beitragen.«

Allerdings: Die entstehenden Kosten den Ver­brau­che­rn und Betrieben aufzubrummen, war eine politische Entscheidung von Union und SPD. Man muss wissen: Andere Modelle, bei denen die Bürger die Mehrkosten zurückerhalten hätten, »verwarf die Koalition bei den Verhandlungen über das Klimapaket vor einem Jahr. Vorschläge, besonders Leute mit niedrigen Einkommen zu entlasten, wurden ebenfalls ignoriert.«

»Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) hat in seiner Finanzplanung diese Zahlen auf der Einnahmenseite stehen: 7,4 Milliarden Euro für 2021 und 9 Milliarden für 2022.« Wieso dann aber „nur“ etwa 6 Mrd. Euro an Kosten, wie am Anfang des Beitrags berichtet? Parallel zur Einführung der CO2-Bepreisung bei Benzin, Gas und Heizöl hat die Koalition beschlossen, die Umlage zur Finanzierung der Ökoenergien zu senken, die die Strom­kun­den bezahlen müssen, was die entsprechend entlastet. Hinzu kommt: Leute, die längere Wege zur Arbeit zurücklegen müssen, erhalten außerdem eine höhere steuerliche Entfernungspauschale. Und für Bür­ge­r mit niedrigen Einkommen gibt es eine neue Mobilitätsprämie. Die drei Punkte sollen die Kostensteigerung infolge des Emissionshandels dämpfen.

Es gibt aber nicht nur generell eine höhere Belastung: Bestimmte „Bevölkerungsgruppen und auch individuelle Verbraucher können profitieren“. Wie das?

»Einerseits macht sich die höhere Entfernungspauschale bemerkbar, die die Steuerlast senkt. Andererseits lässt sich der Emissionshandelsaufschlag beispielsweise auf die Benzinkosten vermeiden, indem ein E-Auto erworben wird. Eine weitere Variante: „Fährt man mit öffentlichen Verkehrsmitteln, kann man die Pendlerpauschale trotzdem in Anspruch nehmen und bekommt mehr raus, als man zahlt“.«

Wie argumentiert die Regierung, warum die Mehrkosten nicht vollständig an die betroffenen Bürger zurückgegeben werden? Dazu erfahren wir:

»CSU-Energiepolitiker Andreas Lenz erklärt, warum sich die Koalition 2019 dagegen entschied, die Kosten des Emissionshandels eins zu eins zurückzugeben. „Einen Teil der Einnahmen wollten wir in gezielte Maßnahmen zum Klimaschutz investieren. Das passiert auch.“
Mit Zuschüssen unterstütze die Regierung beispielsweise den Ersatz alter Ölheizungen in Wohnhäusern durch moderne Anlagen. „Insgesamt geben wir bis 2023 mindestens 54 Milliarden Euro zusätzlich für den Klimaschutz aus“, so Lenz. Auch für soziale Entlastungen stünden auf diese Art Mittel zur Verfügung, etwa in Form des höheren Wohngeldes.«

»Trotzdem kommt die soziale Komponente zu kurz. Leute mit niedrigen Einkommen werden oft draufzahlen, weil sie etwa nicht genug Geld besitzen, den alten Diesel durch ein teures E-Auto zu ersetzen«, so Hannes Koch in seinem Artikel. Und das muss nicht so sein, denn: Grundsätzlich lässt sich die soziale Schieflage mildern oder beseitigen, indem die Einnahmen des Emissionshandels so zurückerstattet werden, dass alle Bür­ge­r dieselbe Summe erhalten. Folge einer solchen Ausgestaltung: Dann würden wohlhabende Viel­ver­brau­che­r draufzahlen, während ärmere We­nig­ver­brau­che­r profitieren.

Ein solches Modell hatte der Ökonom Ottmar Edenhofer vorgeschlagen, Chef des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK). Seine Berechnungen zeigten, dass es möglich ist, Klein­ver­die­ne­r und Mittel­schichts­fa­mi­lien zu entlasten, während Wohlhabende unter dem Strich höhere Energiekosten zu tragen hätten. Aber das wollte die Große Koalition nicht.

➔ Der Klima-Ökonom Ottmar Edenhofer ist ein großer Anhänger des Ansatzes einer umfassenden CO2-Bepreisung, dazu beispielsweise dieses Interview mit ihm aus dem Sommer 2020: „Eine CO2-Bepreisung stärkt den Bewusstseinswandel“(07.06.2020): »Ab 2021 gibt es in Deutschland eine CO2-Bepreisung für Verkehr und Wärme. Das verstärke den Anreiz, klimaschädliche Emissionen einzusparen, sagte der Leiter des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, Ottmar Edenhofer, im Dlf. Statt Vorschriften gebe es Wahlmöglichkeiten – und alle müssten mitmachen.«

Bereits 2019 hatte Edenhofer explizit für eine sozialverträgliche Ausgestaltung der CO2-Bepreisung plädiert (vgl. dazu „Der CO2-Preis ist wichtiger als Verbote“ vom 18.07.2019): „Nur der Preis führt am Ende zu sinkenden CO2-Emissionen“- einerseits. „Aber mindestens genauso wichtig ist, dass durch einen CO2-Preis Einnahmen entstehen, die man nutzen kann, um einkommensschwache Haushalte zu entlasten, die ansonsten durch einen hohen CO2-Preis überproportional belastet werden.“

Eine „soziale Zusatzkomponente“ sei notwendig, sagt Edenhofer. Außerdem müssten drei Dinge an die Menschen kommuniziert werden: Es handele sich nicht um eine Gängelei, sondern darum, Anreize zu schaffen, CO2-arme Technologien zu verwenden; die Nutzung von CO2-intensiven Technologien müsse stattdessen zurückgehen – unter anderen durch deren Bepreisung; die dadurch erwirtschafteten Einnahmen müssten zur Entlassung für Einkommensschwache genutzt werden. Dies sei unter anderem bei Dieselfahrverboten nicht der Fall, denn ärmere Menschen hätten nicht die Möglichkeit, einem solchen auszuweichen. Edenhofer gibt daher zu bedenken: „Wir wissen, dass Verbote, auch wenn sie harmlos aussehen, kleine Einkommen stärker belasten.“

Das Gutachten von Edenhofer et al. (2019) im Original:

➔ Ottmar Edenhofer et al. (2019): Optionen für eine CO2-Preisreform. Arbeitspapier 04/2019, Wiesbaden: Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Juli 2019

Dieses Gutachten – vom Sachverständigenrat als Arbeitspapier veröffentlicht – hat Eingang gefunden in das Sondergutachten der „fünf Wirtschaftsweisen“ im Auftrag der Bundesregierung:

➔ Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (2019): Aufbruch zu einer neuen Klimapolitik. Sondergutachten, Wiesbaden, Juli 2019

Auch wenn mit dem Jahr 2021 eine neue Phase der CO2-Bepreisung beginnt, sollte man berücksichtigen, dass es den Emissionshandel bereits gibt. Dazu beispielsweise diese Meldung: 2,7 Milliarden für CO2-Ausstoß: »Der deutsche Staat hat im Jahr 2020 knapp 2,7 Milliarden Euro mit dem Verkauf von Emissionsrechten für das Treibhausgas Kohlendioxid eingenommen. Das sind etwa eine halbe Milliarde Euro weniger als 2019. Das Umweltbundesamt ist mit dem Ergebnis dennoch zufrieden«, heißt es dort. Und weiter: »Kraftwerke und andere Industrieanlagen müssen pro Tonne ausgestoßenem CO2 ein Zertifikat bei der Emissionshandelsstelle abgeben. Erwerben können sie die Zertifikate unter anderem bei Versteigerungen an der Energiebörse in Leipzig. Dort sind die Preise in den vergangenen Jahren gestiegen. Kostete ein Zertifikat anfangs weniger als 10 Euro so wurden 2020 im Jahresdurchschnitt fast 25 Euro fällig.« Die Verknappung der Zertifikate zeigt offenbar Wirkung.

»Ablesbar ist die Wirkung der steigenden CO2-Preise an der Stromerzeugung: Nur noch knapp ein Viertel des deutschen Stroms wurde 2020 mit Kohle produziert. Der CO2-Preis habe viele Kraftwerke unrentabel gemacht, sagt Patrick Graichen, Direktor des Energie-Thinktanks Agora Energiewende. Neben den erneuerbaren Energien verdrängen auch Gaskraftwerke die Kohle aus dem Strommarkt, weil sie weniger Treibhausgas ausstoßen und deshalb billiger produzieren können. „Dieser Druck wird mit steigenden CO2-Preisen in den nächsten Jahren noch zunehmen“, so Graichen.«

Mit dem 1. Januar 2021 ist der Emissionshandel in Deutschland in eine neue Phase getreten. Auch fürs Autofahren und Heizen müssen jetzt Verschmutzungsrechte erworben werden. Erwerben müssen die Zertifikate die sogenannten Inverkehrbringer, etwa Gaslieferanten oder Mineralölunternehmen – die die Kosten aber wohl an die Kunden weiterreichen werden.

Angesichts der nicht nur generellen, sondern im wahrsten Sinne des Wortes existenziellen Bedeutung des Wohnens ist dann dieser abschließende Passus von besonderem Interesse:

Bei den Heizkosten ist die Kostenüberwälzung jedoch umstritten. »Die SPD-geführten Bundesministerien für Finanzen, Umwelt und Justiz haben vorgeschlagen, die zusätzlichen Heizkosten zu gleichen Teilen zwischen Mietern und Vermietern aufzuteilen. Der Deutsche Mieterbund fordert, dass der CO2-Preis vollständig von den Vermietern getragen wird.«