Vom Tauziehen um Werkverträge und Verantwortung für Menschen in der Fleischindustrie. Und von den Kriegsgewinnlern, die ihre Einkaufspreise optimieren

Eigentlich sollten Maßnahmen gegen die seit langem existierenden Missstände in der Fleischindustrie, die in diesen Tagen durch die zahlreichen Corona-Infektionen von osteuropäischen Werkvertragsarbeitnehmern für einen Moment lang an die Oberfläche der medialen und politischen Aufmerksamkeit geschwemmt worden sind, am Montag dieser Woche im „Corona-Kabinett“ der Bundesregierung beschlossen werden. So die Absicht des Bundesarbeitsministers Hubertus Heil (SPD). Aber daraus wurde vorläufig erst einmal nichts. Entscheidung über Schlachthöfe verschoben, so ist einer der Meldungen dazu überschrieben: »Höhere Strafen bei Verstößen gegen Arbeitsschutzregeln – oder gar ein Verbot von Werkverträgen in der Fleischindustrie? Angesichts der Corona-Fälle in Schlachtbetrieben ringt die Koalition um eine Linie – bislang offenbar erfolglos.«

»Das Corona-Kabinett der Bundesregierung hat die Beratungen über Konsequenzen aus den Coronavirus-Ausbrüchen in deutschen Schlachtbetrieben auf Mittwoch verschoben. Arbeitsminister Hubertus Heil will bis dahin noch offene Fragen für eine stärkere Regulierung der Fleischindustrie ausräumen.« Angeblich strebt der Bundesarbeitsminister ein weitgehendes Verbot von Werkverträgen in Schlachthöfen an und fordert, dass nur noch Festangestellte in den Schlachthöfen arbeiten dürfen. Das aber stößt auf der anderen Seite auf enormen Widerstand: »Heils Pläne dürften damit … deutlich über die Vorstellungen von Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner hinausgehen. Die CDU-Politikerin sprach sich zuletzt dafür aus, den Bußgeldrahmen für Verstöße gegen die Arbeitszeit deutlich anzuheben – von 15.000 Euro auf bis zu 30.000 Euro … Zunächst hatte sie für eine Art Selbstreinigung der Industrie plädiert.«

Das nennt man ordentlich auf die Bremse treten, denn natürlich weiß die Ministerin, dass sich eine Verdoppelung des Bußgeldrahmens bei Verstößen gegen die Arbeitszeit nett anhören – allerdings wenn man um die desaströs wenigen und praktisch in den riesigen, von zahlreichen Subunternehmen durchsetzten Fleischfabriken schwer durchführbaren Kontrollen weiß, dann ahnt man schon, was das ist: eine Luftblase, um anderes zu vermeiden. Und Julia Klöckner spielt nur die Rolle der Bauernfigur, die auf dem politischen Schachbrett hin- und hergeschoben werden. »Vor allem die Pläne von Arbeitsminister Heil sorgen für Unmut beim Bauernverband und der Industrie … Der Verband der Deutschen Fleischindustrie nannte Heils Pläne unverhältnismäßig.« Die drücken jetzt.

Es geht jetzt zum einen um die Werkverträge (dazu beispielsweise dieser Beitrag: Wie funktionieren Werkverträge?), die man (nicht nur) in der Fleischindustrie in einem seit langem kritisierten Umfang instrumentalisiert und missbraucht hat für ein flächendeckendes Lohn- und Kostendumping auf dem Rücken der aus dem Ausland importierten Arbeiter, die aufgrund des enormen Wohlstandsgefälles ihre Haut im wahrsten Sinne des Wortes zu Markte tragen müssen. Dabei muss man sich klar machen, dass es gerade in den Schlachthöfen nicht um Werk- oder Dienstverträge geht, die völlig in Ordnung sind und die jeden Tag massenhaft in Deutschland Anwendung finden (z.B. wenn man sein Wohnzimmer neu streichen lässt von einem Maler, dann schließt man einen Werkvertrag). Letztendlich haben wir es angesichts der Tatsache, dass in den meisten Fleischfabriken Kernfunktionen dieser Betriebe wie das Schlachten und Zerlegen der Tiere fast vollständig an Subunternehmen ausgelagert und zugleich in den betrieblichen Alltag integriert werden, mit dem Tatbestand der illegalen Arbeitnehmerüberlassung zu tun. Nur wissen wir und auch die Profiteure in den deutschen Fleischfabriken, dass man das in jedem Einzelfall gerichtsfest beweisen muss, also nicht nur ent- und aufdecken, sondern auch gerichtsfest belegen können muss, dass hier die Werkverträge missbräuchlich instrumentalisiert werden.

Wir werden sehen, ob und was in der auf Mittwoch verschobenen Befassung des Corona-Kabinetts mit möglichen härteren Auflagen für die Fleischindustrie herauskommt und ob überhaupt etwas herauskommen wird.

In der Zwischenzeit versuchen ganz andere Akteure, Profit zu schlagen aus der offensichtlichen Schwäche vieler fleischverarbeitender Betriebe. Unter völliger Ignoranz der in der Öffentlichkeit geführten Debatte, ob es eben nicht auch an den Billigpreisen liegt, die wir im Fleischbereich zur Kenntnis nehmen müssen. »Derzeit sei Fleisch teilweise so billig, weil unfaire Löhne gezahlt und Umweltschäden nicht eingepreist seien,« so wird Robert Schmidt, Professor für Mikroökonomie an der Fernuniversität Hagen, in diesem Artikel zitiert: Was sich in Schlachthöfen ändern könnte. Höhere Preise würden den Bauern und den Schlachhof-Mitarbeitern zugute kommen. „Wenn man den Mindestpreis einführt, würde man den Preiswettbewerb künstlich ausschalten und in einen Qualitätswettbewerb überführen“, so Robert Schmidt. Darüber kann man an der einen oder anderen Stelle überaus skeptisch diskutieren bzw. die Voraussetzungen benennen, die erfüllt sein müssten, dass das Geld auch da landet, wo es sich Schmidt und viele andere wünschen.

Mit Preisen kennen sich die „Big Four“, also die vier Großen (Edeka, Rewe, Lidl und Aldi), die den Lebensmitteleinzelhandel in Deutschland zu über 80 Prozent beherrschen, nun wirklich aus. Aber das meint hier gerade nicht die Anerkennung und die Umsetzung eines höheren Fleischpreises zugunsten der geschundenen Arbeitnehmer und der bäuerlichen Produzenten, sondern die zahlreichen Strategien, mit denen man die Preise für diejenigen, die in die Filialen von Aldi & Co. strömen, auf dem gegebenen niedrigen Niveau halten oder „idealerweise“ sogar noch weiter senken kann.

Und wie in einem Lehrbuch werden wir nun konfrontiert mit einem Vorgehen, das zum einen die gesamten Debatten, die derzeit um das Thema Fleisch geführt werden, einfach mal konsequent ausblendet, zum anderen werden (betriebswirtschaftlich gesehen „rational“) die Preise für die Produzenten und Lieferanten gefoltert, bis sie gestehen. Nehmen wir als aktuelles Beispiel Aldi.

Aldi Nord und Aldi Süd setzen die Fleischindustrie gerade in dieser Lage erheblich unter Druck (und zugleich die Mitbewerber, also die anderen großen Konzerne wie Edeka, Rewe und Lidl): »Der Discounter Aldi will offenbar die Preise für Schweinefleisch und Wurst senken – trotz der derzeitigen Diskussionen um die Missstände in der Fleischindustrie. Die „Lebensmittelzeitung“ berichtet, dass Aldi Nord und Aldi Süd eine Verkaufspreissenkung von Schweinefleisch ab dem 29. Mai von ihren Zulieferern einfordern. Das geht dem Bericht zufolge unter anderem aus einem Schreiben von Aldi Süd an die Anbieter hervor«, so der Artikel Markt unter Druck: Aldi will wohl Fleischpreise senken. Und wie begründen die das?

»… der Discounter (verweist) dem Bericht zufolge auf den geschwächten Fleischmarkt in Folgen der Corona-Krise. Wegen verlangsamter Lieferungen in Europa und dem fehlenden Restaurant-Geschäft wurde unter den Anbietern zuletzt weniger Schweinefleisch verkauft. Die Folge: ein sinkender Preis, auf den Aldi nun offenbar reagieren will.« Übrigens: »Die offenbar geplanten Preissenkungen könnten auch Folgen für die Kunden anderer Supermarktketten haben. Drückt Aldi die Preise, folgen oft auch die großen Wettbewerber Edeka, Lid und Rewe mit Preissenkungen.«

Also, die Produzenten und Lieferanten sind unter erheblichen Druck in diesen Zeiten und Aldi beißt vor diesem Hintergrund auch noch einmal richtig zu.

Woran erinnert einen das?

Als Kriegsgewinnler werden Personen oder Organisationen bezeichnet, welche tatsächliche oder vermeintliche Notsituationen ausnutzen, um einen überproportional hohen Gewinn zu erwirtschaften. Ganz offensichtlich geht es um die Ausnutzung einer Schwächesituation eines Vertragspartners, wenn diesem Vertragspartner keine Alternativen zur Verfügung stehen. Nichts anderes macht Aldi derzeit. Den wahren Preis müssen wieder einmal andere zahlen.