Die neue EU-Entsenderichtlinie: Weniger Konkurrenz und mehr Gerechtigkeit? Das Bundesarbeitsministerium hat Änderungen des Arbeitnehmerentsendegesetzes auf den Weg gebracht

»Ob auf Baustellen, in Gastronomie oder Pflege: Viele ausländische Arbeitskräfte wurden bislang schlechter bezahlt als ihre heimischen Kollegen. Das soll sich nun ändern«, so beginnt dieser Bericht. »Nach monatelangen Verhandlungen erzielten Unterhändler des Europäischen Parlaments, der EU-Länder und der EU-Kommission eine entsprechende Grundsatzeinigung. Sozialkommissarin Marianne Thyssen sprach von einem Durchbruch und einem ausgewogenen Kompromiss nach dem Prinzip: gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit am selben Ort.«

Das hört sich gut, vor allem im Lichte solcher Zahlen: Mehr als 2,3 Millionen entsandte Kräfte arbeiten nach offiziellen Angaben in einem anderen EU-Land, über 440.000 in Deutschland. Viele werkeln auf dem Bau, bei Speditionen, in Gaststätten oder in der Pflege.

»Die Debatte über die Folgen der Entsendungen von Arbeitnehmern wurde und wird nicht nur unter dem Schlagwort vom „Lohndumping“ geführt, das man nun tatsächlich erheblich eindämmen könnte, wenn die Richtlinie mit den Änderungen kommt und wenn sie auch eingehalten wird.« So wurde und musste das noch am 1. März 2018 in diesem Beitrag hier formuliert werden: Mit einer neuen Entsenderichtlinie gegen Lohndumping in der EU. Also in ein paar Jahren, mit Einschränkungen und Ausnahmen. Und wir können Vollzug melden, denn die neue EU-Entsenderichtline wurde im vergangenen Jahr verabschiedet (vgl. dazu beispielsweise EU-Parlament verabschiedet neue Vorschriften gegen Lohndumping) und muss nun in das jeweilige nationale Recht der Mitgliedstaaten der EU umgesetzt werden. Dafür haben die bis spätestens Mitte 2020 Zeit.

Bereits im Frühjahr 2019 hat der Bundesarbeitsminister erste Eckpunkte für Änderungen im Arbeitnehmergesetz der Öffentlichkeit vorgelegt, mit denen die neue EU-Entsenderichtlinie in deutsches Recht umgesetzt werden sollen:

➔ BMAS (2019): Gleicher Lohn für gleiche Arbeit – für alle in Europa: Lohndumping verhindern. Ordnung auf dem Arbeitsmarkt sichern. Mobilität fair gestalten. Eckpunkte des BMAS zur Umsetzung der EU-Entsenderichtlinie, Berlin, Mai 2019

Was gibt die neue EU-Entsenderichtlinie den Nationalstaaten mit auf den Weg? Ausländische Arbeitnehmer müssen künftig nach genau den gleichen Bedingungen beschäftigt werden wie ihre einheimischen Kollegen. Die EU will die entsandten Arbeitnehmer in Europa damit besser vor Sozial- und Lohndumping schützen.

Allerdings ist das mit dem Schutz vor Sozialdumping so eine Sache, wie ich bereits im vergangenen Jahr kritisch angemerkt habe, denn »neben dem „Lohndumping“ wurde und wird immer auch der Begriff „Sozialdumping“ verwendet – und hier gibt es eine Leerstelle zu vermelden auch bei dem nun erreichten Kompromiss auf europäischer Ebene: „Unterschiede bleiben bei der Sozialversicherung, … Die entsandten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind in der Heimat oft preiswert kranken- oder rentenversichert. So sind Lohnkosten unter dem Strich bei entsandten Arbeitnehmern nach wie vor günstiger als bei einheimischen“.«

Das angesprochene „Sozialdumping“ wird man nur verstehen, wenn man sich den Formenwandel der Entsenderichtlinie genauer anschaut: Die Richtlinie wurde ursprünglich geschaffen, um ins Ausland „entsandte Arbeiter“ zu schützen. So konnten beispielsweise Franzosen im EU-Ausland arbeiten, ohne die großzügige französische Sozialversicherung zu verlieren – denn die Richtlinie verschließt gerade den Zugang zu dem Sozialversicherungssystem des Ziellandes: Für entsandte Arbeitnehmer gelten hier während der ersten 24 Monate einer Entsendung die Bestimmungen des Herkunftslandes. Der EU-Beitritt der osteuropäischen Länder hat dieses Prinzip aber auf den Kopf gestellt. Jetzt wird mit Hilfe dieses Regelwerks schlicht und einfach krasses Lohn- und Sozialabgabendumping betrieben.

Der Kostenvorteil durch die teilweise ganz erheblich niedrigeren Sozialbeiträge in den Entsendeländern wird also auch in der neuen Welt perpetuiert. Wenn denn die niedrigeren Sozialbeiträge überhaupt abgeführt wird – hier berichtet Experten über erhebliche Zweifel, denen man aber nicht nachgehen kann, denn das liegt in der Autonomie der Behörden in den Entsendeländern. Man muss davon ausgehen, dass alles mit rechten Dingen zugeht. Und davon kann man in der wirklichen Wirklichkeit leider nicht automatisch ausgehen. Die Sozialabgaben werden also auch nach dem Inkrafttreten der Reform weiterhin in den Herkunftsländern fällig. Damit haben die ausländischen Firmen einen Wettbewerbsvorteil in Deutschland.

Immer wieder gab und gibt es Medienberichte, dass in den vergangenen Jahren Briefkastenfirmen mit Sitz im billigen EU-Ausland entstanden sind, die dann vorrangig in Deutschland ihre Mitarbeiter einsetzen.

Bei dem immer wieder kritisierten „Lohndumping“ hingegen wird es erhebliche Änderungen im Sinne einer Verbesserung geben. Bisher sah die über 20 Jahre alte Richtlinie vor, dass Arbeitnehmer, die auf Zeit zur Arbeit in ein anderes Land entsandt werden, den dort geltenden Mindestlohn erhalten. Nun soll „gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort“ auch für entsandte Arbeitnehmer gelten. Künftig sollen in allen Branchen allgemeinverbindliche und bundesweite Tarifverträge grundsätzlich auch auf entsandte Arbeitnehmer angewandt werden. Bislang galt dies nur in der Baubranche.

»Statt wie bisher sollen sie nicht „Mindestentgelte“ erhalten, sondern eine „Entlohnung“. Die Änderung des Begriffs bedeutet, dass ausländische Arbeitnehmer auf Zeit nicht nur Anspruch auf Lohn und Überstundensätze haben, sondern auch auf Zuschläge wie Schmutz- oder Gefahrenzulagen oder auf Sachleistungen des Arbeitgebers«, kann man diesem Artikel von Markus Dettmer entnehmen: Mehr Schutz für Dumpingarbeiter. Das hätte man gerne genauer. Dazu dann dieser Artikel von Frank Specht in der Online-Ausgabe des Handelsblatts: Arbeitsminister Heil plant Lohnaufschläge für entsandte Arbeitnehmer. Wie soll das umgesetzt werden?

»Bisher hatten entsandte Arbeitnehmer nur Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn oder bundesweit geltende, tarifliche Branchenmindestlöhne, wie es sie im Baugewerbe gibt. Künftig soll bei der Grundvergütung nach Tätigkeit und Qualifikation unterschieden werden – ein entsandter Arbeitnehmer kann also nicht einfach mit den Mindestsätzen abgespeist werden. Dabei kann die Differenzierung bis zu drei Stufen umfassen, also etwa zwischen Ungelernten, Fachkräften und Experten unterschieden werden.« Die gesetzlichen Urlaubs- oder Arbeitszeitbestimmungen gelten – wie auch schon in der alten Fassung – auch für entsandte Arbeitnehmer.

»Ausdrücklich ausgenommen sind Leistungen der betrieblichen Altersvorsorge.«

»Außerdem stellt der Referentenentwurf klar, dass sie künftig Anspruch auf Erstattung von Reise-, Unterbringungs- und Verpflegungskosten haben, wenn sie innerhalb Deutschlands abseits ihres Wohnortes eingesetzt werden. Definiert wird auch, wann vom ausländischen Arbeitgeber gezahlte Entsendezulagen auf die Entlohnung in Deutschland angerechnet werden dürfen.«

Und noch einen weiteren Punkt will der Bundesarbeitsminister bei den nun anstehenden und notwendigen Änderungen im Arbeitnehmerentsendegesetz „bereinigen“: »Das Arbeitsministerium will … eine vernünftige und menschenwürdige Unterbringung entsandter Arbeitnehmer sicherstellen. „Gerade in den deutschen Großstädten häufen sich die Berichte von miesen Unterkunftsbedingungen für Arbeitnehmer aus dem Ausland, teilweise sogar Bauwagenkolonnen“, hatte Heil in seinen schon im Mai veröffentlichten Eckpunkten für das Gesetz geschrieben. „Damit muss Schluss sein.“ Jetzt ist vorgesehen, dass Unterkünfte für ausländische Arbeitnehmer den in der Arbeitsstättenverordnung geregelten Mindeststandards genügen müssen.«

Zugleich soll erschwert werden, dass den entsendeten Arbeitnehmern, wie heute oft üblich, noch vom Lohn die Kosten für Unterbringung, Reisen oder Verpflegung abgezogen werden können.

»Erfasst werden künftig auch alle Leiharbeitskräfte, die grenzüberschreitend arbeiten – unabhängig davon, ob der Ausleiher im Inland oder im Ausland sitzt. Für alle Leiharbeiter sollen die besseren Arbeitsbedingungen des Staates gelten, in dem sie tatsächlich eingesetzt werden«, so Markus Dettmer.

Es gibt aber auch Ausnahmebestimmungen, die man in den Gesetzentwurf eingebaut hat: »Ausgenommen von den strengen Regelungen sind Montage- oder Einbauarbeiten im Rahmen eines Liefervertrags, wenn ein entsandter Beschäftigter damit in Deutschland nicht länger als acht Tage im Jahr zubringt. Dienstreisen für Vertragsverhandlungen, den Besuch von Messen und Fachveranstaltungen oder Weiterbildungen bei international tätigen Konzernen werden nicht erfasst, solange sie nicht länger als 14 Tage dauern.«

Und für die Lkw- und Busfahrer gibt es weiter (leider keine Überraschung: schlechtere) Sonderregelungen, dazu bereits der Beitrag Das „Nomadentum“ der Lkw-Fahrer auf den europäischen Straßen wird endlich beendet. Wirklich? vom 5. Dezember 2018.

Viele der vom BMAS nunmehr in das Gesetzgebungsverfahren geworfenen Punkte würden sicherlich, wenn sie denn nicht später wieder rausgenommen oder verwässert werden, zu einer Verbesserung der Lebensumstände der Betroffenen führen können, wenn sie dann auch realisiert werden.

Aber man kann zugleich plausibel auch davon ausgehen, dass der Unternehmens- und Wirtschaftsflügel der Union hier noch erheblichen Widerstand zu leisten versucht sein wird, denn natürlich wird das alles die Kosten für Inanspruchnahme der bislang auf erhebliche Personalkostenunterschiede basierenden Geschäftsmodelle nach oben treiben. Und schon hätten wir eine ganz neue Baustelle innerhalb der Konfliktlandschaft der GroKO.