Ein Grunddilemma in der Sozialpolitik ist – neben der Tatsache, dass schlichte Abbau- und Kostensenkungsprogramme als „Reform“ verkauft werden, um die früher einmal weit verbreitete positive Konnotation mit dem Reformbegriff zu instrumentalisieren – die immer wieder zu beobachtende Lücke zwischen dem Versprechen einer Verbesserung und den Niederungen der Umsetzung in der Wirklichkeit. Da werden gut gemeinte Ansätze, die zu einer Verbesserung der Lebenslage führen sollen und können, beschlossen und natürlich auch als Erfolg gegenüber den Menschen verkauft – bis dann ans Tageslicht kommt, dass die Realisierung auf sich warten lässt, dass zahlreiche praktische Hindernisse einer Umsetzung der Versprechen entgegen stehen.
Um das gleich am Anfang dieses Beitrags hervorzuheben: Die angesprochene Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit ist kein Argument gegen den Anspruch, die Bedingungen zu verbessern. Aber man muss sich der Umsetzungsproblematik bewusst sein und darf nicht den Fehler machen, Lorbeeren haben zu wollen für eine gut gemeinte Maßnahme, die sich dann aber nicht oder nur mit ganz erheblichen Zeitverzögerungen in die Wirklichkeit hieven lassen. Das führt bei vielen Menschen zu weiteren Frustrationsprozessen.
Nehmen wir als Beispiel eine an sich gute Tat in Berlin: Ab dem Sommer 2019 sollen Familien nicht mehr für das Schulessen in Klasse 1 bis 6 zahlen müssen. Auf den ersten Blick kann man einer solchen Maßnahme nur zustimmen, wenn man weiß, dass es tatsächlich viele Kinder gibt, die es ausbaden müssen, dass ihre Eltern auch kleine Zuzahlungen nicht leisten können, aber auch nicht selten nicht zahlen wollen. Im Interesse der Kinder macht es Sinn, allen unabhängig von solchen Widrigkeiten ein Schulessen zu ermöglichen. Die Entscheidung des Senats lässt uneingeschränkte Freude aufkommen – etwa bei den Brennpunktschulen, die endlich alle Kinder mit Essen versorgen können und nicht mehr säumigen Eltern hinterherjagen müssen: „Für mich werden Träume war“, kommentierte eine Lehrerin die neue Lage. Zu dieser Problematik vgl. bereits aus dem Jahr 2016 den Artikel: Wenn die Eltern nicht fürs Essen zahlen.
Insofern ist es auch verständlich, dass gerade die SPD in Berlin die Entscheidung des Senats als großen Erfolg ihres Tuns feiern möchte. Aber das muss natürlich auch umgesetzt werden und man ahnt schon, dass das weniger einfach ist als so einen Beschluss zu fassen, denn wir reden hier nicht über eine kleine zu versorgende Gruppe, sondern über die tägliche Speisung von tausenden Schulkindern. In ihren Schulen.
Bereits im Januar 2019 wurde in dem Artikel Kostenloses Essen mit Nebenwirkungen die Frage aufgeworfen: Was bedeutet das für die Schulen? „Für viele Schulen wird es schwierig“, mahnt Lydia Sebold vom Grundschulverband: „Wo soll man den Platz hernehmen, wenn mehr Kinder als bisher essen?“, ist eine der Fragen, die sie stellt. Schon jetzt reichten vielerorts die Räumlichkeiten wegen der steigenden Schülerzahlen nicht aus.
Und bereits damals wurde auf eine unsichere Größe auf der Nachfrageseite hingewiesen, die nicht nur, aber auch mit einer weiteren Verbesserungsmaßnahme zusammenhängt: »Die Sorgen der Schulleiter sind umso größer, als dass niemand zu sagen vermag, wie stark die Nachfrage wachsen wird. Zwar gibt es eine Schätzung der Bildungsverwaltung, wonach mit einer 14- prozentigen Steigerung gerechnet wird. Dies allerdings bezieht sich nur auf die Kinder, die neu hinzukommen werden, weil der Hort künftig ohne Bedarfsprüfung allen Erst- und Zweitklässlern offen steht. Wie viele Kinder darüber hinaus zusätzlich zum Essen angemeldet werden – einfach weil es umsonst sein wird – , ist unklar.« Nur der Verband der Caterer wagt eine Prognose: „Wir rechnen damit, dass 60 Prozent mehr Kinder als bisher essen werden“.
Diese Frage ist weiß Gott nicht trivial, denn sie hat Auswirkungen auf den Berliner Nachtragshaushalt: »Dort stehen 25 Millionen Euro bereit, um von August bis Dezember 2019 den Einstieg in das kostenlose Mittagessen zu finanzieren. Allerdings basiert dieser Millionenbetrag angeblich auf besagter 14-Prozent-Schätzung, würde also nicht reichen, falls wesentlich mehr Eltern als bisher zum verlockenden Essensangebot greifen würden.«
Und man kann das auch noch auf die Spitze treiben, denn das – möglicherweise viel zu niedrig angesetzte – Geld soll gleichzeitig nicht nur ein quantitatives Mehr abdecken: »Die Verwirrung wird komplett angesichts der Tatsache, dass die 25 Millionen Euro nicht nur entfallende Elternbeiträge mitsamt Nachfragesteigerung abdecken sollen, sondern auch eine Qualitätssteigerung. Die Grünen hatten in Form einer „verbindlichen Vereinbarung“ im Haushalt festschreiben lassen, dass „zukünftige Verträge mit den Dienstleistern auf der Grundlage höherer qualitativer Mindeststandards erfolgen müssen“.« Auch hier ahnt man schon, was die Grünen gerne wollen: beispielsweise einen höheren Bioanteil.
Allerdings kann man aus haushälterischer Sicht gleich wieder beruhigen, denn: Im Jahr 2019 werden überhaupt keine neuen Verträge mit Caterern geschlossen, sondern erst ab Sommer 2020. Insofern ist die Forderung der Grünen irgendwie ein Gute-Absicht-Platzhalter.
Apropos Kosten: Es wird nicht wirklich überraschen, wenn man außerdem zur Kenntnis nehmen muss: Was es kosten wird, die Mensen und Ausgabeküchen zu erweitern, das zusätzliche Mobiliar und Geschirr zu kaufen und die zusätzliche Betreuung beim Essen und im Hort zu organisieren, ist noch völlig unklar.
Aber um die zunehmende Verwirrung angesichts der sich ausbreitenden offenen Fragen weiter zu verstärken: »Die Kostenfreiheit für das Schulessen wirft … noch eine weitere Frage auf, nämlich die, wie künftig verhindert werden soll, dass vermehrt Essen weggeworfen wird – nach dem Motto: Was nichts kostet, ist nichts wert. Aus den ersten Schulen ist bereits diese Befürchtung zu hören. „Eltern werden das Essen dann einfach für alle Fälle bestellen, auch wenn ihr Kind nur selten in der Schule essen wird“, heißt es.«
Dieser Aspekt taucht dann auch an anderer Stelle wieder auf: Wurde in Berlin das kostenlose Schulessen übereilt eingeführt? Der Grundschulverband warnt mit einem offenen Brief vor negativen Folgen, berichtet Susanne Vieth-Entus in ihrem Artikel „Dann wird das Schulessen weggeworfen“ aus dem April 2019: Der Grundschulverband hat die Koalitionäre eindringlich aufgefordert, das Schulessen nur schrittweise beitragsfrei zu machen. Bereits der Einstieg in die „grundsätzlich begrüßenswerte“ kostenlose Ganztagsbetreuung sei an vielen Schulen aufgrund der steigenden Schülerzahlen und der fehlenden Pädagogen nur um den Preis einer verschlechterten Betreuungsqualität umsetzbar, lautet die Analyse der Schulleiter.
Die Schulleiter nennen vier unerwünschte Begleiterscheinungen der „überstürzt“ eingeführten Kostenfreiheit:
➞ die Verschlechterung des pädagogischen Ganztagsangebots, da die ohnehin knappen Mitarbeiter über einen langen Zeitraum mit der Essensbetreuung beschäftigt sein werden;
➞ überdehnte Essenszeiten, weil die Kinder in mehreren Schichten essen müssen
➞ sowie die Vernichtung von sehr viel Essen, da Kinder – selbst bei Anmeldung – nicht zum Essen erscheinen müssen, „so dass dann große Mengen an Nahrungsmitteln weggeworfen werden müssen“.
Und:
➞ Eine weitere Befürchtung besteht darin, „dass kleinere Caterer, die bekannt sind für ein qualitativ gutes Essensangebot, diese Essensmengen aufgrund fehlender Kapazitäten nicht bewältigen können, so dass die Gefahr einer Monopolbildung besteht“.
Das sind zwar gewichtige kritische Hinweise, aber sie werden nicht auf fruchtbaren Boden fallen, wenn man dem Artikel folgt: »Insbesondere SPD und Linke beharren auf ihrer Einschätzung, dass die Kostenbefreiung wichtiger sei als das „Umsetzungschaos“ vor Ort, vor dem die Betroffenen warnen. Man könne jetzt auch nicht mehr zurück, weil die Eltern sich finanziell darauf eingestellt hätten, meine Regina Kittler (Linke).«
Und nun gibt es weitere Warnmeldung von der Umsetzungsfront der guten Absichten: Viele Berliner Schulen haben nicht genügend Platz für Schulessen, berichtet Susanne Vieth-Entus: »Auslöser der Raumnot ist der Beschluss der rot-rot-grünen Berliner Koalition, zum Schuljahr 2019/20 auf Elternbeiträge für das Schulessen der Erst- bis Sechstklässler zu verzichten. In der Folge könnten – zumindest zu Anfang – bis zu 100 Prozent der Familien Essensverträge abschließen, lautet die Erwartung. Bisher essen nur rund 60 Prozent der Kinder.«
Um das mal in absoluten Zahlen auszudrücken: Derzeit werden täglich rund 120.000 Schulessen geordert „Bis zu 170.000 könnten es werden“, so die Prognose des Verbandes der Caterer.
Ein konkretes Beispiel mag die Herausforderungen illustrieren:
»Was auf die Schulen zukommt, lässt sich am Beispiel der Andersen-Schule im Wedding zeigen: Sie hat 400 Schüler, bisher isst nur ein Bruchteil von ihnen in der Schule. Keiner weiß, wie alle Kinder mit Essen versorgt werden sollen: Wegen der Kostenfreiheit wird damit gerechnet, dass zunächst die meisten Familien dieses Angebot nutzen werden. Erschwerend kommt hinzu, dass der marode Hort abgerissen wird. In der Aula wird geturnt, weil die Sporthalle zu klein ist. Das Platzproblem verschärft sich noch dadurch, dass berlinweit für die Erst- und Zweitklässler die Bedarfsprüfung für den Hort wegfällt. Dadurch steigt die Nachfrage nochmals.«
In vielen Grundschulen reicht der Platz nicht aus, um mehr Kinder als bisher zu beköstigen: Die Kantinen sind nur für einen Bruchteil der Schüler ausgelegt. Aus allen Bezirken kommen die gleichen Signale: Niemand weiß, wie es bis zum Sommer möglich sein soll, die Hort- und Kantinenräume entsprechend auszubauen, zumal vielerorts der Platz noch nicht einmal reicht, um die Schüler zu unterrichten, konnte man schon im März 2019 zur Kenntnis nehmen: Furcht vor übereilter Einführung des kostenlosen Schulessens. Der Grund: Dies sei weder räumlich noch personell zu schaffen, weil durch die Kostenfreiheit „im Hauruckverfahren mehrere zehntausend zusätzliche Mittagesser“ auf die Schulen zukämen.
Dort wurde ein weiteres Problem neben den (nicht vorhandenen) Räumlichkeiten angesprochen: Man braucht auch Personal für die Umsetzung der guten Absicht. Und da könnte der eine oder andere an solche Meldungen bereits aus dem vergangenen Jahr denken: Auch in Berlins Horten werden die Erzieher knapp: »Die rasant wachsende Erzieher-Nachfrage an den Kitas führt dazu, dass es für die Schulen schwierig werden dürfte, die freien Stellen zu besetzen.« Da türmen sich die Herausforderungen in gebirgshafter Größe: »(Viele) Erzieher gehen mittelfristig in Rente: Allein zwischen 2017/18 und 2022/23 verlieren die Schulen rund 1.400 Kräfte … Und gleichzeitig steigt der Bedarf rasant um 700 Erzieher in den staatlichen Horten sowie um rund 1.400 bei den freien Trägern.«
Abschließend noch ein Blick auf das schon mehrfach angesprochene liebe Geld. Im November 2018 wurde dieser Artikel veröffentlicht: Berliner Schulessen: Preis vor Qualität? »Alles wird teurer, nur das Schulessen nicht: Trotz gestiegener Mindestlöhne und Lebensmittelkosten will die Senatsverwaltung für Bildung „mindestens bis 2020“ an den Preisen für das Schulessen festhalten, die 2012 als angemessen ermittelt worden waren und in Berlin seit 2014 gelten.«
Wir reden hier über einen stabil zu haltenden Preis in Höhe von 3,25 Euro pro Essen.
Kein Wunder, dass sich die Zweifel mehren, dass mit einem Preis von 2012 die Qualität zu halten ist. »In den 3,25 Euro sei zwar der Mindestlohn von 2015 mit eingerechnet gewesen – nicht aber alle weiteren Kostenerhöhungen. Dazu gehört etwa die Mindestlohnsteigerung von 2017, als der Stundenlohn von 8,50 auf 8,87 Euro erhöht wurde. Zudem sind die Lebensmittelpreise seit 2012 um etwa 15 bis 20 Prozent gestiegen, berichtet der Sprecher der Berliner Schulcaterer, Rolf Hoppe. Worin die Preisentwicklung infolge der Dürre in 2018 noch nicht enthalten sei: Allein die Ausgaben für Kartoffeln hätten sich verdoppelt. Hoppe rechnet vor, dass der Lebensmitteleinkauf etwa 30 bis 35 Prozent der Ausgaben ausmacht und die Löhne etwa 40 bis 45 Prozent.«
Fast schon putzig ist dann die Antwort des Bildungsstaatssekretärs Mark Rackles (SPD) auf eine parlamentarische Anfrage zu dem Thema und Problem: Die Caterer müssten – bevor sie sich für eine Ausschreibung bewerben – „als Unternehmer überlegen, ob sie zu den in der Ausschreibung verankerten Konditionen die Leistung übernehmen können“. Alles klar.
Und nicht nur die Anbieter melden sich verständlicherweise kritisch zu Wort. So wird Sebastian Riesner, der Geschäftsführer der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG), mit diesen Worten zitiert: „Die Situation ist vollkommen unbefriedigend“. Hier sieht man nicht nur die witterungsbedingten Preissteigerungen, die 2019 weiter durchschlagen dürften, sondern auch bereits feststehenden Personalkostensteigerungen: Der neue bundesweite Mindestlohn von 9,19 Euro pro Stunde gilt seit dem 1. Januar 2019. Hinzu komme, dass Berlin sogar auf zwölf Euro erhöhen wolle – auch so ein Beispiel für eine gerne in der Öffentlichkeit präsentierten guten politischen Absicht. Vor diesem Hintergrund hält es der Gewerkschafter Riesner für absehbar, dass ein Schulessen nicht mehr 3,25 Euro, sondern um fünf Euro herum kosten müsse. Es sei zu erwarten, dass sich Caterer an künftigen Ausschreibungen nicht mehr beteiligen werden, wenn der Preis sich nicht verändere.
Das Land müsse sich darüber im Klaren sein, dass die Caterer nur zwei Stellschrauben hätten: Löhne und Warenqualität. Bei den Löhnen sei wegen des Mindestlohnes nicht viel zu machen. Bliebe nur die Warenqualität, so der Gewerkschafter Riesner.
Über welche Größenordnungen wir bei den Schulessen – auch über Berlin hinaus – reden, verdeutlicht die folgende Abbildung:
Die verantwortlichen Politiker werden sicher mit Blick auf die Qualität darauf verweisen, dass man die doch auch im Blick habe. »Berlin ist das einzige Bundesland, das die Qualität von Schulessen streng kontrolliert. Trotzdem darf ein Essen nur 3,25 Euro kosten. Kann diese Rechnung aufgehen?« So die Fragestellung von Zacharias Zacharakis in seinem Artikel Immer schön die Nudeln wiegen, der am 26. Februar 2019 veröffentlicht wurde. Auch hier werden wir wieder mit unbestreitbar guten Absichten konfrontiert: »Im Jahr 2014 hat Berlin deshalb die Verträge für das Mittagessen an den 360 öffentlichen Grundschulen neu ausgeschrieben. Wer als einer von rund 20 Caterern einen Zuschlag erhalten wollte, musste sich verpflichten, die Standards der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) einzuhalten. Und die haben es in sich. Täglich frisches Rohgemüse, mindestens zehn Prozent Bioanteil, keine Geschmacksverstärker, kein Formfleisch, keine gentechnisch veränderten Lebensmittel, keine künstlichen Farbstoffe und Aromen. Der Speiseplan muss innerhalb eines Monats eine hohe Varianz aufweisen: viel Vollkorn, weniger Fett, höchstens achtmal Fleisch und mindestens viermal Seefisch. Es gibt genaue Vorgaben für die Mengen an Milchprodukten, Obst, Gemüse und Hülsenfrüchten.«
Und man muss fairerweise für Berlin anmerken: »Die Vorgaben sind aber außer in Berlin nur in Bremen und im Saarland für die Anbieter verbindlich, kontrolliert wird die Einhaltung zudem bisher nur in der Hauptstadt.«
Letztendlich geht es um diese Optimierungsfrage: Gesund, lecker, günstig – geht das?
Dazu ein Blick auf die Anbieter-Seite: »Als in Berlin die strengeren Regeln für das Schulessen vorbereitet wurden, gründete sich Deutschlands bisher einziger Verband der Schulcaterer. Ihr Vorsitzender heißt Rolf Hoppe, er ist gleichzeitig der Gründer und Geschäftsführer des Unternehmens Luna, das Essen für Schulen und Kitas anbietet. Hoppe spaziert im weißen Kittel durch die Großküche am Standort in Berlin-Spandau, einen von mehreren seiner Firma. 400 Mitarbeiter beschäftigt der Unternehmer, 70 Schulen beliefert er und ist damit einer der größeren Anbieter der Stadt.«
Und die Ökonomie schlägt die Wünsche: »Ginge es nach den Vorstellungen vieler Eltern, müsste in Küchen direkt in den Schulen gekocht werden, mit viel Auswahl und möglichst individuell auf jedes Kind abgestimmt. Doch wirtschaftlich können so nur sehr wenige Betriebe arbeiten. Zwar subventioniert der Staat die von den Caterern betriebenen Kantinen in den öffentlichen Schulen, doch die Preise pro Mahlzeit sind so gering, dass es sich für die Unternehmen nur lohnt, wenn sie mehrere Schulen durch eine Großküche versorgen. Ein oder zwei Menüs pro Tag für Tausende Kinder, zubereitet von wenigen Fachkräften. Außerdem sinken die Preise für die eingesetzten Lebensmittel, je mehr die Caterer davon einkaufen.«
Interessant auch: Der Vertreter der Schul-Caterer lobt den 2014 eingeführten Einheitspreis von 3,25 Euro brutto: „Der Wettbewerb wird jetzt nicht mehr über den billigsten Preis ausgetragen, sondern über die beste Qualität.“ Inzwischen aber sind vier Jahre vergangen und nicht nur die Lebensmittel wurden teurer. Auf das Personal entfallen etwa 50 Prozent der Kosten – und über die Mindestlohnanhebungen wurde hier schon berichtet. Hinzu kommen wieder einmal diskussionsbedürftige Effekte in unserem Steuersystem: „Warum entfällt auf den gezahlten Preis pro Mahlzeit die normale Mehrwertsteuer von 19 Prozent“, fragt Hoppe, „wenn für Tiernahrung und Schnittblumen der ermäßigte Satz von sieben Prozent gilt?“ Das ließe sich doch leicht ändern und die Schulcaterer hätten pro Essen netto rund 20 Cent mehr.
Wenn man alle Aspekte addiert, dann wird klar, wo das enden muss: In einem Umsetzungschaos und einer weiteren frustrierenden Erfahrung, dass die Kluft zwischen Schein und Sein ziemlich groß sein kann.
Aber – um an dieser Stelle die Berliner Untiefen zu verlassen – in der Politik scheint man aus solchen Erfahrungen nicht wirklich lernen zu wollen oder vielleicht auch nicht zu können. Denn die nächste große Gute-Absicht-Baustelle soll demnächst eröffnet werden. Die anstehenden Bauarbeiten dort haben sehr große Frustrationspotenziale: »Die große Koalition plant, dass Kinder ab 2025 ein Recht auf Ganztagsbetreuung bekommen«, kann man dieser Meldung entnehmen: Giffey will Recht auf Ganztagsbetreuung durchsetzen. „Ich möchte spätestens Anfang 2020 einen Gesetzentwurf vorlegen“, so wird die Ministerin zitiert. Der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung solle zuerst „für die Kleinsten“ in der ersten und zweiten Klasse eingeführt werden.
„Bei der Ganztagsbetreuung von Kindern in der Grundschule geht es immer um zwei Dinge: Vereinbarkeit von Familie und Beruf und Bildungsgerechtigkeit“, so Giffey. „Unter verlässlicher Ganztagsbetreuung verstehe ich die Absicherung der Betreuung an fünf Tagen in der Woche von acht bis mindestens 16 Uhr.“ Außerdem sollten eine gute Hausaufgabenbetreuung und ein Mittagessen in der Schule möglich sein, stellt die Ministerin in Aussicht.
Wie gesagt, eine nachvollziehbare gute Absicht. Wollen wir wetten, wie das ausgeht? Erinnert sich der eine oder andere noch an einen anderen Rechtsanspruch, der seit 2013 scharf gestellt ist? Da war doch was? Genau, der Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für Kinder ab dem vollendeten ersten Lebensjahr.