Wasch mir den Pelz, aber mach mich möglichst wenig nass? Das „Fachkräfte“-Einwanderungsgesetz als Paradigmenwechsel mit eingebautem Bremsklotz

Die Pläne der Bundesregierung zur Einwanderung von Fachkräften aus Nicht-EU-Staaten stoßen bei den Oppositionsfraktionen im Bundestag auf scharfe Kritik. Dagegen verteidigten Redner der Regierungskoalition das Vorhaben in der ersten Lesung des Regierungsentwurfs eines „Fachkräfteeinwanderungsgesetzes“ (Bundestags-Drucksache 19/8285), der Fachkräftestrategie der Bundesregierung (Bundestags-Drucksache 19/6889) und des gleichfalls von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwurfs „über Duldung bei Ausbildung und Beschäftigung“ (Bundestags-Drucksache 19/8286). So beginnt der Bundestag seine Berichterstattung über die nach einiger Verzögerung dem hohen Haus zur ersten Lesung vorgelegten Gesetzentwürfe der Bundesregierung.

Ein an sich historischer Moment, wenn man bedenkt, wie lange und wie zäh man sich in Deutschland gegen ein Einwanderungsgesetz gewehrt hat. Und diese Abneigung schwingt auch heute mit. Dinah Riese hat in ihrem Artikel „Zaghaft“ und „uninspiriert“ diesen Eindruck zu Papier gebracht: Eher unmotiviert steht Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) an diesem Donnerstag vor den Abgeordneten des Bundestags. „Ein klares Bekenntnis“ sei der heute in erster Lesung beratene Gesetzentwurf der Bundesregierung, liest er von seinen Zetteln ab, und zwar zur „Fachkräfteeinwanderung aus Drittstaaten“. Die Betriebe in Deutschland suchten heute schon „händeringend“ nach Fachkräften, die demografische Entwicklung werde das noch verstärken, leiert Seehofer herunter.« Das klingt nicht nach der Verkündigung eines historisch zu nennenden Durchbruchs.

Und mit Blick auf das, was da heute auf den parlamentarischen Weg gebraucht worden ist, muss man dem Bundesinnenminister zugestehen, dass er die Wirklichkeit hinter dem mehr als voluminösen Titel „Fachkräfteeinwanderungsgesetz“ eigentlich ganz zutreffend beschreibt, wenn man sich die Details anschaut. Aber auch Horst Seehofer (CSU) spricht in seiner Rede von einer „historischen Weichenstellung“, da die Bundesregierung mit dem neuen Gesetz „ein klares Bekenntnis zur Fachkräfteeinwanderung aus Drittstaaten“ in den Raum stellt. Damit schaffe man die Voraussetzungen, dass dringend benötigte Fachkräfte „gesteuert und geordnet zu uns kommen können“.

Gesteuert und geordnet – das wird gleich noch eine Rolle spielen. Henrike Roßbach und Constanze von Bullion versuchen die Distanz von Seehofer zu dem Gesetzentwurf aus seinem eigenen Haus unter der vielsagenden Überschrift „Es geht nicht um eine Spielart des Asylverfahrens“ so einzuordnen: Die SPD hat Seehofer das Fachkräfteeinwanderungsgesetz »abgetrotzt während des erbitterten Koalitionsstreits im vergangenen Sommers. Sozialdemokratisches Beutegut, sozusagen.« Mit Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hat Seehofer monatelang ausdiskutiert, wie viel Einwanderung im Fachkräfteeinwanderungsgesetz stecken darf.

Das kann man vor diesem Hintergrund sehen: »Über Jahrzehnte wurde darüber gestritten, ob Deutschland ein Einwanderungsland ist oder nicht. Nein, befanden konservative Kräfte. Ja, hieß es bei Sozialdemokraten und Grünen, später auch bei der FDP. Wirtschaftsverbände fordern wegen des Fachkräftemangels längst, auch Bürgern aus Ländern jenseits der EU den Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt zu erleichtern.«

Wie kann man den Kern des neuen Gesetzentwurfs beschreiben? Vielleicht kompakt so: Mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz soll es Menschen aus Nicht-EU-Staaten ermöglicht werden, auch ohne akademischen Abschluss zum Arbeiten sowie zur Job- oder Ausbildungsplatzsuche nach Deutschland zu kommen.

Das hört sich ambitionierter an als es unterm Strich dann ist. Dazu Dinah Riese: »Seehofer ist schnell dabei, den Abgeordneten im Plenarsaal zu erklären, welche Einschränkungen man in das Gesetz eingebaut habe: Wer kommen will, muss Deutsch sprechen und beruflich qualifiziert sein, und zwar den deutschen Standards vergleichbar. Einmal im Land, sind Nebenjobs während der Jobsuche verboten. Noch höher sind die Hürden für Menschen, die einen Ausbildungsplatz suchen, sie müssen ihren Schulabschluss am besten an einer deutschen Auslandsschule erworben haben. „Wir werden jederzeit die Kontrolle darüber behalten, wer zu uns ins Land kommt“, sagt Seehofer. „Steuern“ und „ordnen“ – diese zwei Begriffe fallen immer wieder in seiner Rede.«

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) warnte in seiner Rede, der Fachkräftemangel sei in vielen Regionen und Branchen bereits eine „handfeste Wachstumsbremse“. Dieses Problem werde sich in den kommenden Jahren noch verschärfen. Man werde „ergänzende qualifizierte Fachkräftezuwanderung“ nicht nur aus dem europäischen Ausland brauchen. Zwar gebe es schon Zuwanderungsmöglichkeiten für akademisch Gebildete, aber „keine ausreichende Möglichkeiten für beruflich Qualifizierte“. Wenn man indes Fachkräfte nach Deutschland holen wolle, sei davon auszugehen, „dass viele von denen dauerhaft hierbleiben“. Deshalb müsse man „das Thema Integration mitdenken“ und im Ausland die Anstrengungen verstärken, „dass mehr Menschen die deutsche Sprache lernen könne“.

Irgendwie beschleicht einen das Gefühl – man will gerne „Fachkräfte“ aus dem Nicht-EU-Ausland gewinnen, aber die müssen nun ziemlich genau passen auf das, was hier vor Ort gewünscht ist und gleichzeitig soll bloß kein Anreiz gesetzt werden, dass die Öffnung an dieser Stelle „ausgenutzt“ wird von Menschen, die schlichtweg die Option auf ein irgendwie besseres Leben suchen. Dazu ein Blick in das, was denn nun mit dem neuen Gesetz auf den Weg gebracht werden soll.

Herbert Brücker, Philipp Jaschke, Sekou Keita und Regina Konle-Seidl vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit haben zu dem Gesetzentwurf eine Stellungnahme verfasst: Fachkräfteeinwanderung aus Drittstaaten: Zum Referentenentwurf des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat, so ist das Papier überschrieben. Sie bilanzieren: »Der Referentenentwurf des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat für ein Fachkräfteeinwanderungsgesetz enthält zahlreiche Änderungen des bestehenden Rechts, hält aber an der Systematik und den Grundsätzen des bestehenden Rechts fest.«

Und wenn man die folgenden Punkte aus ihrer Zusammenfassung liest, dann hat man nicht wirklich den Eindruck, dass hier der große Durchbruch ante portas steht:

»Die wichtigste Veränderung ist die Gleichstellung von Fachkräften mit beruflichen Abschlüssen und Fachkräften mit akademischen Abschlüssen. Diese beiden Gruppen sind die wichtigsten Zielgruppen des neuen Einwanderungsrechts. Darüber hinaus wird die Vorrangprüfung weitestgehend abgeschafft.
An dem Grundsatz der Anerkennung der Gleichwertigkeit von im Ausland erworbenen Abschlüssen wird mit wenigen Ausnahmen festgehalten. Damit bleibt die wesentliche Hürde für die Einwanderung qualifizierter Fachkräfte aufrechterhalten. Allerdings wurden die Möglichkeiten zur Anerkennung nach Einreise erweitert.
Der Referentenentwurf schlägt eine Reihe von Verfahrensänderungen vor, die zu einer Beschleunigung der Anerkennung und der Visumsverfahren führen können. Dies muss sich in der Praxis beweisen.
Die erweiterten und neu geschaffenen Optionen für die Arbeitsplatzsuche, die Ausbildungsplatzsuche und den Aufenthalt zur Anerkennung von beruflichen Abschlüssen sind recht restriktiv gestaltet. Es ist deshalb unwahrscheinlich, dass diese grundsätzlich sinnvollen Instrumente in größerem Umfang genutzt werden.
Der Referentenentwurf verzichtet auf die Möglichkeit eines Spurwechsels für Geduldete. Im Bereich der Ausbildung ergeben sich geringfügige Änderungen, durch die Beschäftigungsduldung über 30 Monate eine etwas höhere Rechtssicherheit. Sinnvoller wäre ein Spurwechsel in Verbindung mit einer Stichtagsregelung gewesen.«

Der Gesetzentwurf ist schlichtweg ein Kompromisspapier zwischen denen, die einen erheblichen Zuwanderungsbedarf aus arbeitsmarktlicher Sicht unterstellen und denen, die Angst davor haben, dass die legalisierte Variante der Migration vor allem Menschen anziehen wird, die man „nicht haben will“. Beide Seite haben im Bundestag ihre Positionierungen vorgetragen:

➞ Linda Teuteberg von der FDP monierte, das vorgelegte Fachkräfteeinwanderungsgesetz sei zaghaft und uninspiriert. Selbst nach Einschätzung der Bundesregierung kämen damit höchstens 25.000 Fachkräfte pro Jahr nach Deutschland, von denen tausende das Land wieder verlassen. Angesichts eines Fachkräftebedarfs, der in den nächsten Jahren in die Millionen gehe, sei das viel zu wenig. Dabei wäre es „höchste Zeit gewesen für einen großen Wurf“, um das „oft einfach nicht mehr handhabbare Aufenthaltsrecht neu zu ordnen“ sowie mehr legale Migration zu ermöglichen.

➞ Da darf als Gegenpol die AfD nicht fehlen: »Gottfried Curio (AfD) nannte den Regierungsentwurf eine „Mogelpackung“. Er sehe keine Beschränkung auf Mangelberufe vor, sondern „mehr fremdkulturelle Zuwanderung“. Auch solle es keine Vorrangprüfung geben, ob ein Deutscher oder anderer EU-Bürger „den Job machen könnte“. Ferner sei etwa kein Nachweis der Gleichwertigkeit einer Qualifikation vor der Einreise vorgesehen. Dabei seien von der Jugendarbeitslosigkeit in Europa mehr als 20 Millionen betroffen. Tatsächlich werde das Gesetz „die Armutsmigration Unterqualifizierter anheizen“. „Pseudo-Fachkräfte aus Afrika“ würden die Arbeitsmarktlage für deutsche Arbeitnehmer weiter verschlechtern. Die Folgen würden „Lohndumping im Niedriglohnbereich“ und ein Engpass am Wohnungsmarkt sein.«

Das große Spannungsfeld zwischen Theorie und Praxis kann man auch an der folgenden Regelung erkennen: Die Einreise zur Arbeitsuche für sechs Monate war bereits in der Vergangenheit für Personen mit akademischen Abschlüssen möglich. Sie wird jetzt auf Personen mit abgeschlossener Berufsausbildung ausgeweitet (§ 20 AufenthG-E). Hier stellt man sich Arbeitsuchende aus Ländern außerhalb der EU vor, die sich schnell einfügen könnten und dafür eine Suchphase brauchen – für die dann aber keine Kosten hier bei uns anfallen. Denn eine der Voraussetzungen für diese Form der befristeten Arbeitsuche lautet: Nachweis ausreichender Existenzmittel zum Bestreiten des Lebensunterhalts. Der Bezug von Sozialleistungen ist ausgeschlossen in den sechs Monaten und sind die erfolglos verstrichen, dann müssen die Menschen wieder zurück in ihre Heimatländer. Und noch eine Restriktion wurde eingebaut: Eine Beschäftigung während dieser Frist ist, mit Ausnahme von Probearbeiten, ausgeschlossen. Die Betroffenen müssen also von Luft, Liebe und dem Ersparten leben. Man kann sich vorstellen, dass diese für die Arbeitsuchenden aus fernen Ländern überaus asymmetrische Ausgestaltung dazu führt, dass (potenzielle) Arbeitgeber an einem ziemlich langen Hebel sitzen. Aber vielleicht muss man sich gar keine Gedanken über diese sehr einseitig zugunsten des Aufnahmelandes ausgestaltete Regelung machen, denn weitere Anforderungen für diese Personen sind: die Anerkennung oder Gleichwertigkeit der Abschlüsse sowie der angestrebten Tätigkeit entsprechende deutsche Sprachkenntnisse (in der Regel mindestens auf dem Niveau B1) – das Erfordernis der Sprachkenntnisse ist eine Erweiterung gegenüber den bisherigen Anforderungen an Hochschulabsolventen. Ganz offensichtlich orientiert man sich hier an der Wunschvorstellung einer eierlegenden Wollmilchsau aus fernen Ländern, die schon alles Notwendige im Gepäck hat.

Das IAB bilanziert in seiner Stellungnahme zum Gesetzentwurf: »Bisher ist die Zahl der Hochschulabsolventen, die zur Arbeitsplatzsuche einreisen, verschwindend gering. Das dürfte auf die Voraussetzung der Anerkennung der Abschlüsse vor der Einreise zurück- zuführen sein. Zudem wurde jetzt mit der Anforderung der angestrebten Tätigkeit entsprechender deutscher Sprachkenntnisse – was in der Praxis auf ein Niveau von mindestens B1 hinauslaufen dürfte – eine zusätzliche Hürde eingeführt. Um dieses Sprachniveau zu erreichen, sind rund 800 Unterrichtsstunden notwendig. Dies ist, da in den meisten Herkunftsländern Deutsch nicht als Fremdsprache zum Regelangebot in den Schulen gehört, eine hohe Hürde. Es ist schwer vorstellbar, dass jemand aus dem Ausland zunächst die deutsche Sprache erlernt und die Anerkennung seiner Abschlüsse betreibt, nur um sechs Monate für die Arbeitsplatzsuche einreisen zu dürfen. Insofern dürfte diese Regelung auch in Zukunft de facto wirkungslos bleiben.« (Brücker et al. 2019: 14)

Unabhängig von den Heilserwartungen, die manche mit der Zuwanderung hinsichtlich der Arbeitsmarktprobleme verbinden, sowie den generell ablehnenden Haltungen der anderen Seite muss man zur Kenntnis nehmen, dass die realen Auswirkungen des Gesetzes, sollte es denn verabschiedet werden, überschaubar bleiben werden (müssen). Denn die „Fachkräfte“, die man vor Augen hat und die tatsächlich ersetzt werden müssen, die gibt es den imaginierten Form vieler Apologeten des Gesetzes im Nicht-EU-Ausland schlichtweg nicht. Denn wie soll jemand in fernen Ländern eine deutsche dualen Berufsausbildung gemacht haben, die es eben nur bei uns gibt? Aber dann greift die Gleichwertigkeitsprüfung. Hört sich aber einfacher an, als es dann in praxi ist. Wo erkennt man an, wo nicht? Wie ist es mit den Qualifikationen in den gerade vom realen Fachkräftemangel betroffenen Berufen wie in der Pflege? Soll man da auch schneller und flexibler anerkennen, weil der Bedarf gerade so groß ist und noch weiter wachsen wird? Was ist mit dem Schutz der betroffenen Pflegebedürftigen?

Und man sollte sich keinen Illusionen hingeben: Eine der größten Hürden ist die Sprachbarriere. Wie würde es einem selbst ergehen, wenn wir in einem ganz anderen Land arbeiten sollen? Wie viele nicht oder nur etwas sprachbegabten Menschen gibt es unter uns? Und selbst wenn die mit irgendwelchen Sprachkursen auf ein Minimalniveau gebracht wurden, um sich hier zu verständigen: Was ist mit der kulturellen Distanz zu den Menschen bei uns, beispielsweise in einem Pflegeheim im Siegerland oder im Hunsrück?

Fazit: Wenn der Gesetzentwurf das parlamentarische Verfahren durchlaufen haben wird, wovon man ausgehen kann, dann wird es partielle Vereinfachungen und Klarstellungen und Öffnungen geben, aber keinesfalls einen Startschuss für eine größere Einwanderunsgwelle ausländischer „Fachkräfte“. Und viele von denen sind schon woanders untergekommen. Irgendwie bleibt erneut das Gefühl: Nicht Fisch, nicht Fleisch.