Doppelt verbeitragte Betriebsrentner und ein (nicht nur) Merkel-Basta-Nein

Die Politik wird sie nicht los, die zahlreichen frustrierten Betriebsrentner, die vor vielen Jahren Opfer einer der in der Sozialpolitik so bekannten und beliebten Verschiebebahnhof-Operationen geworden sind. Blicken wir zurück in die Zeiten der rot-grünen Bundesregierung unter Gerhard Schröder, konkret in das Jahr 2004. Zu Beginn dieses Jahres trat das „Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung“ in Kraft. Seinerzeit waren die Sozialkassen klamm und die rot-grüne Bundesregierung suchte fieberhaft nach neuen Einnahmequellen. Unter der damals zuständigen Ministerin Ulla Schmidt (SPD) wurde auf der Suche nach zusätzlichen Geldern für die Gesetzliche Krankenversicherung die volle Beitragspflicht für Einkünfte aus der betrieblichen Altersvorsorge eingeführt – und das auch rückwirkend für alle Altverträge. Dass das als ein massiver Vertrauensbruch von den dadurch Betroffenen wahrgenommen wurde und wird, überrascht jetzt nicht wirklich. Die von den Betroffenen als kalte Enteignung wahrgenommene Doppelverbeitragung wird von ihnen – und beispielsweise vom Verein Direktversicherungsgeschädigte – seit Jahren immer wieder kritisiert und eine Korrektur eingefordert.

Wenn man die Berichterstattung in den Medien zu diesem Thema seit Jahren verfolgt, dann stößt man immer wieder auf solche Fälle: »Carmen Schibath fühlt sich von der Politik betrogen. Die 64-jährige aus Hamburg ist seit Kurzem im Ruhestand und eine von Millionen Bürgern, die eine oder mehrere Direktversicherungen abgeschlossen haben, um für den Ruhestand vorzusorgen. Nun wird sie von ihrer Krankenversicherung zur Kasse gebeten. „Ich habe alles getan, was der Staat einem empfohlen hat. Ich habe in gutem Glauben für mein Alter vorgesorgt und werde abgezockt bis zum Gehtnichtmehr“, sagt Schibath … Der Grund für Schibaths Ärger trägt den Namen Gesundheitsmodernisierungsgesetz (GMG) und trat bereits 2004 in Kraft. Um die Finanzen der damals hoch defizitären Krankenkassen zu sanieren, bat die damalige rot-grüne Koalition mit Zustimmung der Union die Betriebsrentner zur Kasse. Seither müssen Betriebsrentner in der Auszahlungsphase nicht mehr nur den Arbeitnehmerbeitrag an die Krankenkasse abführen, sondern auch den Beitrag, den im Berufsleben der Arbeitgeber zahlt. Zusammen mit dem Beitrag zur Pflegeversicherung kommt so eine Belastung von fast 20 Prozent zusammen. Die Problematik wird unter dem Stichwort Doppelverbeitragung von Betriebsrenten disktutiert.« So der Artikel Wenig Hoffnung für Direktversicherte und Betriebsrentner von Manuel Glasfort, der am 20.03.2019 veröffentlicht wurde.

Er weist auf einen weiteren Aspekt hin: »Die Betroffenen empören sich aber vor allem über eines: Die Gesetzesänderung galt auch rückwirkend – und das auch für Menschen, die gar keine Betriebsrente abgeschlossen hatten, sondern eine Direktversicherung. So wie Carmen Schibath. Direktversicherungen sind eine Form der privaten Altersvorsorge, die im Prinzip wie Lebensversicherungen funktionieren. Beliebt waren sie bis 2004 nicht nur wegen einer steuerlichen Förderung, sondern auch weil sie in der Auszahlungsphase vollkommen beitragsfrei waren. Anders als eine privat abgeschlossene Lebensversicherung laufen Direktversicherungen allerdings über den Arbeitgeber. Letzteres erlaubte es Politik und Justiz, Direktversicherungen zu Betriebsrenten zu deklarieren, obwohl es sich nicht um „echte“ Betriebsrenten handelt.« Dazu ach Tina Groll mit ihrem Beitrag Und plötzlich hält die Krankenkasse noch mal die Hand auf: »Millionen Betriebsrentner müssen zweimal Sozialbeiträge zahlen. Viele Betroffene fühlen sich betrogen – weil sie gar keine betriebliche Altersvorsorge vereinbart hatten.«

➔ An dieser Stelle ein nicht nur begrifflich differenzierender Exkurs zur „Doppelverbeitragung“, denn mit dessen Verwendung werden die Sachverhalte manchmal durcheinander gebracht. Im Grunde gibt es zwei Formen der „Doppelverbeitragung“, die eine durchaus unterschiedliche Qualität haben. Dazu die Hinweise der Arbeitsgemeinschaft für betriebliche Altersversorgung (aba):
➞ Zum einen wird mit „Doppelverbeitragung“ die Tatsache bezeichnet, dass Betriebsrenten seit dem 1. Januar 2004 nicht mehr mit dem ermäßigten Beitragssatz zur Krankenversicherung der Rentner verbeitragt werden, sondern mit dem vollen Beitragssatz. Da der Beitragssatz sich vom ermäßigten, halben Beitragssatz auf den vollen verdoppelt hat, wird vereinzelt von einer Doppelverbeitragung gesprochen. Technisch korrekt ist von der Verbeitragung mit dem vollen Beitragssatz zur KVdR zu sprechen.
➞ Zum anderen wird von Doppelverbeitragung gesprochen, wenn sowohl auf die Finanzierung der betrieblichen Altersversorgung in der Ansparphase als auch auf Betriebsrenten Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung erhoben werden. Dazu kann es a) bei pauschalversteuerter Entgeltumwandlung nach § 40b EStG aus laufendem Einkommen, b) bei der Fortführung einer Pensionskassenzusage mit eigenen Beiträgen, c) bei echten Eigenbeiträgen nach § 1 Abs. 2 Nr. 4 BetrAVG und d) bei Beiträgen zu einer Pensionskasse, einem Pensionsfonds oder einer Direktversicherung von mehr als 4% der Beitragsbemessungsgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung (West) kommen.

Der Verein Direktversicherungsgeschädigte (DVG) beziffert die Zahl der Betroffenen auf 6,3 Millionen Menschen, von denen viele die Rentenphase noch gar nicht erreicht haben. Hinzu kommen die Millionen „echter“ Betriebsrentner.

Aber der aufmerksame Leser dieses Blogs weiß, dass da doch auf der politischen Bühne nach einer Lösung für die für viele Menschen frustrierende Belastungssituation gesucht wird. Denn das ursprünglich von den Betroffenen erhoffte Einschreiten der höchsten Gerichte wurde in der Vergangenheit enttäuscht – sowohl das Bundessozialgericht wie auch das Bundesverfassungsgericht haben die bestehende Rechtslage abgesegnet.

So konnte man im Oktober 2018 hier diesen Beitrag lesen: Alle sind gegen einen „staatlich organisierten Raub“. Also eigentlich. Wenn da nicht das Beutegut wäre. Die Doppelverbeitragung der Betriebsrenten als Murmeltier im Bundestag. Der begann mit einem Zitat des Pressedienstes des Deutschen Bundestages: »Der Bundestag hat sich am Donnerstag, 11. Oktober 2018, zum wiederholten Mal mit der sogenannten Doppelverbeitragung von Betriebsrenten befasst und einhellig die Auffassung vertreten, dass die hoch umstrittene Regelung reformiert werden sollte. Allerdings ist unklar, in welcher Form die seit 2004 geltende Regelung verändert werden soll und wie das zu finanzieren ist.« Grundlage für die Debatte damals war ein schon vor vielen Monaten eingebrachter Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Ziel, „die doppelte Beitragszahlung auf Direktversicherungen und Betriebsrenten in der Anspar- und Auszahlungsphase“ abzuschaffen (vgl. Bundestags-Drucksache 19/242 vom 12.12.2017). Normalerweise werden die Anträge dieser Oppositionspartei gleich im Altpapier entsorgt, aber hier war es anders: Redner aller Fraktionen machten in der Debatte deutlich, dass sie gewillt sind, die Regelungen im Sinne von mehr Gerechtigkeit zu ändern. Aber dann musste man gleich wieder kübelweise Wasser in das Gläschen Wein kippen: »Allerdings ist in jedem Fall mit erheblichen Kosten zu rechnen, weshalb um das beste Konzept noch gerungen wird. Wann eine Lösung auf dem Tisch liegen könnte, ist unklar«, berichtete das Handelsblatt.

Und weiter in der unendlichen Geschichte: Am 22. Januar 2019 wurde unter der Überschrift Schwarzer-Peter-Spiel oder das Hoffen auf den Reise-nach-Jerusalem-Effekt? Die Große Koalition und die Entlastung der doppelverbeitragten Betriebsrentner berichtet: Nachdem die SPD bereits eine Abkehr von der 2004 eingeführten doppelten Beitragspflicht versprochen hatte, zog die CDU mit einem Beschluss auf ihrem Parteitag Anfang Dezember nach.

Eine rückwirkende Entschädigung gilt angesichts der geschätzten Kosten von rund 40 Milliarden Euro als unrealistisch. Doch über die Parteien hinweg ist der Wille groß, zumindest für künftige Betriebsrentner etwas zu tun. Und der Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat dann sogar einen Gesetzentwurf in die Welt gesetzt, um wenigstens die zukünftigen Fälle besser zu stellen. Dazu der Beitrag Am Gelde hängt es, wie so oft. Die eigentlich von allen gewollte Entlastung doppelverbeitragter Betriebsrentner im Schwebezustand vom 30. Januar 2019. Nicht verwunderlich: Es geht wieder einmal nur noch um die finanziellen Auswirkungen – aber genau daran hat sich eine bis heute anhaltende Blockade entwickelt: Der Bundesgesundheitsminister hat einen – gerade aufgrund der hier im Mittelpunkt stehenden Finanzierungsfrage noch nicht abgestimmten – Referentenentwurf auf den Weg gebracht, in dem die Kosten auf drei Milliarden Euro im Jahr taxiert werden. 500 Millionen könnten von den Beitragszahlern aufgebracht werden, schlägt Jens Spahn (CDU) vor. Der Rest von 2,5 Milliarden solle aber aus dem Steuertopf kommen – mittels Erhöhung des Bundeszuschusses für versicherungsfremde Kassenleistungen von 14,5 auf 17 Milliarden Euro. Die den einen oder anderen möglicherweise irritierende Konstellation beschrieb Rainer Woratschka so: »Während der CDU-Politiker und Gesundheitsminister Jens Spahn dafür den Steuerzahler zur Kasse bitten möchte, warnen die Sozialdemokraten vor Steuererhöhungen und Gefährdung der Schwarzen Null. Sie drängen darauf, das nötige Geld aus Sozialbeiträgen abzuzwacken.« Genau das blieb nicht unwidersprochen: »Finanzminister Olaf Scholz (SPD) lehnt das ab. Spahns Finanzierungsvorschlag sei „nicht überzeugend“, ließ er einen Sprecher mitteilen. Das Projekt sei im Koalitionsvertrag „nicht als prioritär hinterlegt“. Deshalb seien im Bundeshaushalt dafür keine zusätzlichen Mittel vorhanden.«

Nun könnte man vermuten, dass der CDU-Minister Spahn gegen die Blutgrätsche des SPD-Finanzministers Scholz Unterstützung erfährt von der CDU-Bundeskanzlerin. Aber weit gefehlt. Merkel gat etwas getan, was normalerweise nicht zu ihrem Standard-Repertoire gehört: Sie hat Nein und Basta gesagt. Unter der wie üblich wenig feinfühligen Botschaft „Klatsche für Spahn“ titelte die BILD-Zeitung: Merkel lehnt Entlastung von Betriebsrentnern ab. »Die zitierte Äußerung der Kanzlerin zum Entwurf ist hierbei ziemlich vage, gedacht war sie zunächst wohl kaum für die Öffentlichkeit. Laut Bild nämlich fiel sie auf einer Sitzung der Unionsfraktion. Bezug nehmend auf Spahns Entwurf sagte die Kanzlerin laut Bericht, „das ginge nicht“. Gescheitert sind Spahns Pläne allerdings bereits, bevor diese schlechte Botschaft auf einer internen CDU-Sitzung verkündet wurde – und zwar am Geschacher der Ressorts um die Kosten«, so Sven Wenig in seinem Artikel Beitragsentlastung bei Betriebsrenten: Das war dann wohl nichts! Nun hat bekanntlich schon Gerhard Schröder seine Erfahrungen machen müssen, dass Basta-Politik aus der Zeit gefallen ist. Vor allem, wenn sich zum einen in den Büros der Abgeordneten die Protestschreiben stapeln, zum anderen hatte die CDU doch gerade erst Ende des vergangenen Jahres sogar einen Parteitagsbeschluss gefasst, um eine Entlastung auf den Weg zu bringen.

Und so kann so ein Artikel nicht überraschen: „Das mache ich nicht mit“ – So reagieren Politiker auf Merkels Nein zur Entlastung von Betriebsrentnern. Darin berichtet Gregor Waschinski über die Statements von Politikern auf der Handelsblatt-Jahrestagung zur betrieblichen Altersversorgung. Mit ihrem Machtwort hat sich die Kanzlerin gegen einen Parteitagsbeschluss der CDU gestellt und einen gerade vorgelegten Gesetzentwurf von Gesundheitsminister Jens Spahn, bevor dieser im Kreis der Kabinettskollegen überhaupt richtig diskutiert werden konnte, beerdigt. »Die Autorität der Kanzlerin scheint seit ihrem Abgang als CDU-Chefin allerdings angekratzt. Unionsfraktionsvize Carsten Linnemann, der sich für eine Entlastung der Betriebsrentner starkmacht, will die Ansage von Merkel jedenfalls nicht hinnehmen … Die CDU habe auf ihrem Parteitag einen „klaren Beschluss“ gefasst. „Wenige Monate später wird dieser Beschluss dann vom Tisch gewischt. Das mache ich nicht mit.“ Die Unionsfraktion wolle schließlich „selbstbewusster“ werden. Linnemann sagte, er sei mit Fraktionschef Ralph Brinkhaus im Kontakt, um das Thema erneut auf die Tagesordnung zu setzen. „Ich werde es bei dem Nein von Angela Merkel nicht belassen.“«

Man müsse in Rechnung stellen: »… über die Parteien hinweg ist der Wille groß, zumindest für künftige Betriebsrentner etwas zu tun. Der FDP-Rentenexperte Johannes Vogel kritisierte auf der Handelsblatt-Tagung, dass die bisherige Regelung das Vertrauen in kapitalgedeckte Zusatzrenten untergrabe.« Damit spricht Vogel eine wichtige strategische Dimension an, denn der Ausbau der kapitalgedeckten betrieblichen Altersvorsorge ist ein gewichtiges Anliegen nicht nur der FDP, sondern auch der Union und der SPD (Stichwort Betriebsrentenstärkungsgesetz) – aber der Vertrauensverlust vieler Menschen in die kapitalgedeckte Altersvorsorge (Stichwort Riester-Rente) ist mehr als offensichtlich und das Gezerre um die „Doppelverbeitragung“ lastet wie ein Mühlstein auf den Schultern der Apologeten einer weiteren Stärkung der Altersvorsorge neben der umlagefinanzierten gesetzlichen Alterssicherung.

Und welche Signale werden nun ausgesendet? Ausgangspunkt war und ist ja der Spahn’sche Entwurf, zum halben Beitragssatz auf Betriebsrenten zurückzukehren. Die Kosten für die Krankenkassen bezifferte der Minister auf rund drei Milliarden Euro jährlich. Davon sollten 2,5 Milliarden durch Steuergeld ausgeglichen werden und der Rest aus dem Gesundheitsfonds kommen, der das Krankenkassengeld verwaltet.

Die SPD und ihr Finanzminister Olaf Scholz haben sich gegen eine Steuerfinanzierung ausgesprochen und verweisen auf die hohen Rücklagen in der gesetzlichen Krankenversicherung. Der Herr der Bundesschatulle wird unterstützt vom Staatssekretär des für Rentenfragen zuständigen Bundesarbeitsministeriums.

»Der Staatssekretär im SPD-geführten Arbeitsministerium, Rolf Schmachtenberg, erinnerte auf der Handelsblatt-Tagung daran, dass die Krankenkassen seit 2010 durch die Zunahme der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung ein erhebliches Einnahmeplus verbuchen konnten. „Das Geld ist da. Es muss nur freigelegt werden“, sagte er zur Gegenfinanzierung einer Entlastung bei den Betriebsrenten.«

Nun such man nach Auswegen aus der verfahrenen Situation: Carsten Linnemann von der CDU »machte deutlich, dass er sich neben einer Halbierung des Beitragssatzes auf Zahlungen aus der betrieblichen Zusatzvorsorge auch andere Entlastungswege vorstellen könne. Der CDU-Wirtschaftspolitiker nannte die Möglichkeit, die bisher bestehende Freigrenze bei den Betriebsrenten von gut 150 Euro im Monat in einen Freibetrag umzuwandeln.Ein Freibetrag bleibt immer abgabenfrei, bei einer Freigrenze werden bei Überschreiten auf die gesamte Summe Beiträge fällig.«

Auch das würde kosten, aber weniger als die bisherigen Modelle – der Einnahmeausfall für die Krankenkassen läge hier nur bei 1,1 Milliarden Euro pro Jahr, so das Bundesgesundheitsministerium.

Man wird abwarten müssen, ob es sich nur um einen Sturm im Wasserglas handelt – oder ob am Ende des Tages doch noch eine eingedampfte Entlastung herauskommt. Eines aber ist sicher: Die „Altfälle“ werden weiterhin enttäuscht sein. Für sie wird es nichts geben.