Wenigstens in Bayern muss die Welt doch noch in Ordnung sein, mag der eine oder andere denken, wenn über soziale Probleme berichtet wird. Und wird verwundert den Kopf schütteln, wenn einem die „Süddeutsche Zeitung“ mit so einer Überschrift konfrontiert: Nach dem Arbeitsleben kommt die Armut. In Bayern? Da muss man genauer hinschauen. Dietrich Mittler und Ulrike Schuster beginnen mit diesen Worten ihren Beitrag über das Thema Altersarmut: 63,5 Prozent aller Rentner in Bayern liegen mit ihrer Rente unterhalb der Armutsgrenze. Und besonders hoch ist die Armutsgefährdungsquote bei Frauen ab einem Alter von 65 Jahren. Nun wird der eine oder andere durchaus berechtigt sogleich den Hinweis geben, dass eine Rente unterhalb der Armutsschwelle keineswegs automatisch bedeutet, dass die davon betroffenen Menschen auch tatsächlich in altersarmen Verhältnissen leben müssen, denn dafür muss man immer den ganzen Haushaltskontext betrachten und da gibt es oftmals noch weitere Einkommensquellen als „nur“ die gesetzliche Rentenleistung. Und wenn beispielsweise eine Frau mit einer dieser westdeutschen Mickerrenten, die ihre Erwerbsbiografie aus langen Familienarbeitszeiten und wenn, dann nur Teilzeiterwerbsarbeit, spiegelt, mit einem Ehemann zusammenlebt, der sein Leben lang gearbeitet und halbwegs ordentlich verdient hat, dann kommen die auf einen Betrag, der sie als Haushalt über die Armutsgefährdungsschwelle hebt, wie das die Statistiker so nennen. Und vielleicht hat der Mann auch noch eine Betriebsrente und wenn es gut gelaufen ist, hat man Eigentum erwerben können während der erwerbsaktiven Zeit.
Dietrich Mittler und Ulrike Schuster liefern in ihrem Artikel einen Beispielfall aus dem bayerischen Leben:
»Christine Lechner aus Coburg hat ihr Leben lang gearbeitet. Mit 14 begann ihre Lehre in einem Frisiersalon, später arbeitete sie sich in einem Versandbetrieb hoch zur Teamleiterin. Jetzt ist Lechner (alle Namen geändert) 67 Jahre alt, geht wieder arbeiten, weil ihre Rente in Höhe von monatlich 1100 Euro nicht reicht. Jeden Sonntag packt sie von 21 Uhr bis sechs Uhr morgens beim früheren Arbeitgeber Pakete. Für 450 Euro im Monat mehr im Portemonnaie. In der Vorweihnachtszeit tritt sie zudem Samstags von 5.30 Uhr morgens bis mittags zwölf Uhr an. Aber dennoch gibt es Situationen, in denen sie „am liebsten im Boden versinken würde“. Neulich musste sie ihrem Zahnarzt eingestehen: „Diese Rechnung in Höhe von 2500 Euro kann ich nicht zahlen – das geht nur in Raten.“«
Christine Lechner liegt mit ihrer Rente knapp über der Armutsschwelle – diese lag 2016 in Bayern bei 1.039 Euro im Monat für einen Einpersonenhaushalt, wobei sich die Autoren auf 60 Prozent des Landesmedians bei den Haushaltseinkommen in Bayern beziehen, bundesweit lag der Wert 2016 bei 969 Euro pro Monat.
„Im Rentenbestand für Altersrentner liegen 63,5 Prozent aller bayerischen Rentnerinnen und Rentner unter einer Rente von 1000 Euro monatlich, also unterhalb der Armutsschwelle“, wird Ulrike Mascher, die dem Sozialverband VdK sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene vorsteht zitiert. Vgl. dazu auch die Pressemitteilung des VdK Bayern: Arm im Alter: ganz normal? VdK Bayern fordert Trendwende für Rentner.
Auch bei dieser an sich nicht falschen Formulierung muss man aufpassen, dass nicht der falsche Eindruck erweckt wird – denn tatsächlich fallen nicht 63,5 Prozent der Rentnerinnen und Rentner in Bayern unter die Armutsschwelle. Um deren Größenordnung abzubilden, kann und muss man sich der Werte für die „Armutsgefährdungsquoten“ aus der Amtlichen Sozialberichterstattung der Statistischen Ämter bedienen, was in den Abbildungen in diesem Beitrag umgesetzt wurde.
Lag die so gemessene Armutsquote in Bayern bei 12,1 Prozent für die gesamte Bevölkerung, waren es 2016 bei den 65 Jahre und älteren Menschen deutlich mehr: 17,6 Prozent, wenn man die Armutsschwelle des Bundesmedians zugrunde legt und sogar 21,9 Prozent, wenn man den Landesmedian heranzieht.
Darauf beziehen sich auch Mittler und Schuster in ihrem Artikel: »Besonders hoch sei in Bayern die Armutsgefährdungsquote von Frauen im Altern von 65 Jahren und älter. Diese lag 2016 bei 24,5 Prozent. Mittlerweile ist knapp jede vierte Frau dieser Altersgruppe somit armutsgefährdet – Tendenz steigend.« Und erneut illustrieren sie das an einem Beispiel:
»Eine dieser Frauen ist Eleonore Listmann. Sie bekommt – ebenfalls nach einem ausgefüllten Berufsleben, unter anderem als Industriekauffrau – lediglich eine Brutto-Rente 1.118,11 Euro im Monat.
Mit 60 Jahren musste sie aufgrund einer lebensbedrohlichen Krankheit eine Erwerbsminderungsrente beantragen – das heißt: 10,8 Prozent weniger Rente bis zu ihrem Lebensende … Listmann zahlt allein für ihre Wohnung im Kreis Dachau 680 Euro Miete, Nebenkosten 160 Euro – hinzu kommen die Rechnungen für Strom, Rundfunk, Telefon, Versicherungen. Listmann musste zwei Jahre lang für eine neue Brille sparen. Trotz Augenbeschwerden trug sie solange die alte. „Ich habe viele Ehrenämter angenommen, damit ich nicht so viel zum Nachdenken komme“, sagt sie. Doch es fällt ihr schwer, nicht nachzudenken. Wenn ihr Untermieter, wie bereits angekündigt, nun tatsächlich auszieht, ist Listmann finanziell am Ende.«
Und schaut man sich die Werte der von Einkommensarmut betroffenen Älteren in Bayern im Vergleich zu den Werten für alle Ältere in Deutschland an, dann wird erkennbar, dass diese Personengruppe im Bayern überdurchschnittlich hohe Anteilswerte ausweisen. Armes an sich reiches Bayern, kann man bilanzieren.
Und nach allem, was auch in diesem Blog immer wieder ausgeführt wurde, ist das erst der Anfang einer unheilvollen Entwicklung hin zu einem weiteren Anstieg der Einkommensarmut im Alter, denn für die kommenden Jahre sind viele Neuzugänge zu erwarten, die aufgrund ihrer Erwerbsbiografien im Zusammenspiel mit rentenpolitischen Weichenstellungen Renten befürchten müssen, die vorne und hinten nicht reichen werden und die zugleich über nur wenige bis gar keine zusätzlichen Einkommensquellen nennenswerten Ausmaßes verfügen. Und die zugleich zumindest in vielen Teilen Bayerns in einem Umfeld leben müssen, in dem beispielsweise die Mietkosten erheblich angestiegen sind und weiter ansteigen werden aufgrund der Konkurrenz mit anderen wohnungssuchenden Gruppen.
Der offensichtlich und seit langem angemahnte rentenpolitische Handlungsbedarf lässt sich dann auch an solchen Meldungen ablesen: Rürup – Wir brauchen Mindestrente oberhalb der Grundsicherung, so ist ein Artikel im Versicherungsbote überschrieben: »So rutschen 50 Berufsgruppen mit einem Median-Einkommen von unter 1.854 Euro monatlich mit ihrer Rente unter das Grundsicherungs-Niveau – selbst nach 45 Beitragsjahren zur Deutschen Rentenversicherung (DRV). Das zeigt der kürzlich veröffentlichte ARD-Rentenreport … Wer weniger als ein mittleres Einkommen von 2.387 Euro brutto im Monat verdiene, würde selbst dann nur eine gesetzliche Rente von weniger als 950 Euro erhalten, wenn er 45 Jahre in die Rente eingezahlt habe … Dies markiert ziemlich genau die relative Armutsgefährdungsschwelle, die bei 60 Prozent des Medianeinkommens der Bevölkerung angesetzt wird.«
Selbst ein deutlich höheres Rentenniveau würde keinen ausreichenden Schutz gegen Altersarmut bieten, so Bert Rürup. Die eigentliche Risikogruppe »würde sich … aus Langzeitarbeitslosen, langjährigen Geringverdienern, Menschen mit schlechter Ausbildung oder etwa Erwerbsgeminderten zusammensetzen.« Und weiter: »Zudem kritisierte Rürup, dass die Renten von deutschen Geringverdienern genauso festgesetzt werden wie etwa von Normal- oder Besserverdienern. Hier sollte sich Deutschland an den Regelungen in anderen OECD-Ländern orientieren und separate Rentenberechnungen für Geringverdienern finden.«
Aber wir werden wohl weiterhin Geduld haben müssen, bis es zu diesen Herausforderungen irgendwelche Signale aus Berlin geben wird. Und wenn, dann besteht zu befürchten, dass man eine Kommission beauftragen wird, sich Gedanken zu machen für die Zeit nach 2030. Denn bis dahin sei – so Merkel – alles noch in Ordnung. Nicht nur ein Teil der Bayern wird sich bedanken für solche Wahrnehmungen der Nicht-Realität.