Nein, das geht gar nicht. Das ist eine echte Schweinerei. Erst am 28. Oktober 2016 habe ich diesen Beitrag gepostet: Ran an die mit Steuermitteln gefüllten Futtertröge oder: Wir machen auch Flüchtlinge … Die Unternehmensberaterrepublik und ein sich verselbständigendes Staatsversagen. Darin wurde die gleichsam krakenhafte Durchdringung des Staates durch Unternehmensberater wie die von McKinsey beschrieben und ihr fortwährendes Eindringen in zentrale, hoheitliche Staatsaufgaben kritisiert. Und dann wird man mit so einer flapsig daherkommenden Überschrift konfrontiert: McKinsey gibt Merkel Abschiebetipps. Als ob es hier um irgendwelche Kochtipps geht oder Ratschläge, die kommende Grillsaison betreffend. Es geht hier zum einen um einen im wahrsten Sinne des Wortes existenzielle Angelegenheit, zum anderen um eine Sache, die den Kernbereich des hoheitlichen Handelns unseres Staates berührt. Selbst wenn eine Abschiebung gerechtfertigt und notwendig ist – sie bleibt immer etwas, das alle daran Beteiligten beschädigt. Das ist nicht wie der Rauswurf aus einer Eckkneipe oder der Ausschluss auf irgendeinem Verein. Und wenn das passieren muss, dann ist der Staat dazu verpflichtet, seine hoheitlichen Rechte als Staat mit seinen Beamten durchzusetzen unter der kritischen Begleitung der anderen Akteuere unseres Rechtssystems. Kann man darüber ernsthaft diskutieren?
Und dann erfahren wir, dass man offensichtlich die Dreistigkeit besitzen kann in den oberen Etagen dieses Landes, eine Truppe gut dotierter Unternehmensberater anzuheuern, um im Auftrag der Bundesregierung für viel Geld Probleme bei Abschiebungen zu analysieren. Nun ist der 14-Punkte-Plan für „konsequentere Rückführung“ vorab bekannt geworden. Und nein, das hier habe ich mir nicht ausgedacht: »Die Studie im Auftrag des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf) kostete gut 1,8 Millionen Euro.« Ja, richtig gelesen, 1,8 Millionen Euro, aber man muss jetzt ganz tapfer sein, wenn man erfährt, was die Beratungssöldner dafür abgeliefert haben sollen, folgt man der aktuellen Berichterstattung.
Zum Hintergrund: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) höchstpersönlich hatte die „Studie“ von McKinsey im Juli auf ihrer Sommer-Pressekonferenz angekündigt. Wobei der Strippenzieher im Hintergrund eindeutig Frank-Jürgen Weise war und immer noch ist, der schon die Bundesagentur für Arbeit mit den Beratertruppen durchzogen hat und in seiner Funktion als BAMF-Leiter auch hier die Scheunentore weit aufgemacht hat, um McKinsey & Co. an die Futtertröge der staatlich finanzierten Aufträge zu lassen. In der in Auftrag gegebenen Analyse sollen die Unternehmensberater die Probleme bei Abschiebungen identifizieren und Verbesserungsvorschläge machen. Die Arbeit sollte noch im August beginnen und bis November fertig sein. Man muss sich an dieser Stelle nur eines klar machen: Wir sprechen über einen Auftrag an eine Firma, die von dem komplexen Feld der Abschiebungen keine, ich betone: absolut keine Ahnung hat. Nicht einmal in molekularen Spurenelementen. Die also nur so vorgehen konnte, wie sie es auch in vielen Unternehmen gemacht hat und macht: Die eigene smarte Truppe reinschicken, alle für relevant gehaltenen Informationen von denen, die da die Arbeit machen, absaugen und daraus dann auf ganz vielen Powerpoint-Folien ein – offensichtlich immer noch vorhandene – „Führungskräfte“ und „Entscheidungsträger“ schwer beeindruckendes Paket an „Schwachstellenanalysen“, „Problemlösungsansätzen“ und „Optimierungsvorschlägen“ auf den Bürotisch zu legen. Das wären nur Behauptungen? Dann schauen wir uns mal den Output an, über den heute berichtet wird:
In dem bereits zitierten Artikel werden aus dem Entwurf des Abschlussberichts der Unternehmensberatung McKinsey, der der „Welt am Sonntag“ vorliegt, folgende Punkte genannt, die sich auf diesen Artikel stützen: So soll das „Rückkehrmanagement 2017“ funktionieren:
„Abschiebungshaft und Ausreisegewahrsam sollten so gestaltet werden, dass sie in der Praxis konsequent anwendbar sind. Dazu sind entsprechende Abschiebungshaft- und Gewahrsamsanstalten einzurichten“ – schon mal was von der Rechtsprechung gehört? Und das es die Abschiebeknasts schon mal gegeben hat? Und mit welchen grundrechtlichen Problemen man da konfrontiert wird? Egal, sind ja auch keine Verfassungsrechtler, die smarten Berater, von denen die meisten noch vor kurzem im Hörsaal gesessen haben.
Die Kosten für einen Ausreisepflichtigen betrügen 670 Euro im Monat. „Im Jahr 2017 werden die direkten Gesamtkosten damit bei rund drei Milliarden Euro liegen“ – ja Wahnsinn, rechnen können sie, die Berater.
Und jetzt wird es ganz arg kreativ und lösungsorientiert: »Angesichts dieser Kosten sei es ratsam, in die Rückführung und besonders in die freiwillige Rückkehr „zu investieren, um die Dauer ihres Aufenthaltes in Deutschland zu verkürzen“.« Da legt man sich nieder. Das wird in einigen Bundesländern, beispielsweise Rheinland-Pfalz, schon seit langem ganz intensiv betrieben. Das ist doch alter Wein in neuen Schläuchen und hat die gleiche Qualität wie etwa eine Empfehlung an die etablierten Parteien, sie sollten doch mehr „zuhören“, was das „einfache Volk“ so vor sich hin sagt. Wohlfeile Ratschlagslyrik. Denn natürlich ist das so bei den freiwilligen Rückführungen, aber das ist eben auch viel Arbeit im Hintergrund und die klappt in so manchen Fällen schlichtweg nicht.
Aber die Berater machen ja weiter und werden jetzt ganz konkret: »McKinsey schlägt vor an, ein finanzielles Anreizsystems mit höheren Fördersätzen zu schaffen, um die Zahl „freiwilliger Rückkehrer“ zu erhöhen.« Auch das wird schon praktiziert (und wenn dann darüber berichtet wird, gibt es auch viele Kritiker, die nicht einsehen wollen, dass man denen, die raus müssen, auch noch Geld gibt). Und was ist das für eine Empfehlung – natürlich könnte ich die Quote der „Freiwilligen“ noch ein wenig höher bekommen, wenn ich denen das Doppelte, das Dreifache oder das x-beliebige an Rückkehrprämie in Aussicht stellen kann. Die Berater sind fein raus, sie sprechen ja „nur“ von einem „finanziellen Anreizsystem mit höheren Fördersätzen“ und machen sich nicht die Hände schmutzig mit konkreten Euro-Beträgen, mit denen sich unser Land faktisch freikaufen soll.
Und diese tollen Vorschläge dienen ja einer bekannt-guten Sache, also dem Kosten reduzieren: »Die Kosten einer Rückführung durch die Polizei betragen demnach 1500 Euro im Schnitt, bei einer freiwilligen Rückreise 700 Euro.« Dass Abschiebungen unter Beteiligung der Bundespolizei, im Flieger, möglicherweise mit „Komplikationen“ auf Seiten der Abzuschiebenden teurer sind, als wenn die sich selbst auf dem Weg nach Hause machen, dazu muss man doch nicht ernsthaft irgendeine Untersuchung machen. Das hat die gleiche Qualität wie die Aussage, dass es im Winter kälter ist als im Sommer.
Und auch bei dem hier fragt man sich: Braucht man dafür eindeutig überbezahlte Unternehmensberater, um solche Erkenntnisse ans Tageslicht zu bringen? »Zwischen der Ausreisepflicht und der Ausreise „liegen bei vollzogenen Rückführungen durchschnittlich zwölf Monate, in manchen Fällen sogar rund 4,5 Jahre“. Nach Verurteilungen wegen einer Straftat benötige man im Schnitt 20 Monate für eine Ausweisung.«
Also bisher hatte das, was man so erfährt, wirklich den Charakter einer Seminararbeit hoffnungsloser Fälle. Aber dann werden sie Meckies doch noch richtig sozialpolitisch radikal und lassen die Sau raus:
»Zudem schlägt McKinsey schärfere Regeln für in Deutschland Geduldete vor, die drei von vier Ausreisepflichtigen stellen. Die Behörden sollten künftig nicht mehr als die gesetzlich vorgeschriebenen Geldzahlungen in Höhe von 135 Euro pro Monat ausgeben.
Geduldete Ausländer, die etwa krank sind oder keine Passpapiere vorlegen, sollen demnach für Essen oder Kleidung statt Geld nur noch Sachleistungen erhalten. Die „finanzielle Flexibilität“ könne so „verringert“ werden. Zudem empfiehlt McKinsey, denen Leistungen zu kürzen, die zur Klärung ihrer Identität oder zur Beschaffung von Passersatzdokumenten nicht beitrügen.«
Wollte man sie vielleicht wegen solcher „Empfehlungen“ haben, die man selbst schon längst im Kopf hat – analog der oftmals beschriebenen und von vielen auch erlebten Funktion, dass Unternehmen die Beratertruppen holen, damit die einen Stellenabbau von 40 Prozent ausrechnen, den man vollziehen müsse und natürlich auch könne, weil man überall Speck angesetzt habe, am Ende dann aber entschieden wird, man habe sich gegen den von den Beratern „geforderten Kahlschlag“ maximal gewehrt und es geschafft, den Stellenabbau auf 20 Prozent zu begrenzen? Man steht dann sogar noch als Retter von Arbeitsplätzen im Scheinwerferlicht, so lange das Publikum nicht merkt, dass man Zeuge einer ausgewachsenen Schmierenkomödie geworden ist.
Dankenswerterweise gibt es aber auch schon Stimmen, die an dem Wahnsinn zweifeln. In dem Artikel wird beispielsweise der (Noch-)CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach zitiert, es stelle sich die Frage, „warum man für so viel Geld externen Sachverstand einkauft, der auch in Bundesbehörden und Ministerien zweifellos vorhanden ist“. Und ja, die Liste, das kann hier ohne falsche Bescheidenheit gesagt werden, hätte man in einer Brainstorming-Sitzung an einem Tag locker zu Papier bringen können. Es muss in Wirklichkeit um etwas anderes gehen.
Und abschließend noch ein vergleichender Hinweis, der vielleicht verständlich macht, warum man sich gerade dann, wenn man im Feld der nun wirklich komplexen, zugleich aber die Lebenslagen von Millionen Menschen in grundsätzlicher Hinsicht beeinflussender oder gar bestimmender Sozialpolitik unterwegs ist, maßlos aufregen muss über diese Auftragsvergabe: Es wurde eingangs erwähnt, dass die Kosten dieser sogenannten „Studie“ mit 1,8 Millionen Euro angegeben werden. Um einen Vergleich herzustellen: Vor kurzem hat sich das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) nach längerem Drängen der Fachöffentlichkeit dazu durchgerungen, angesichts der mittlerweile völlig ausgedünnten Sozialpolitikforschung und der an den Hochschulen vor dem Ausbluten stehenden eigenständigen Sozialpolitiklehre ein Förderprogramm einzurichten mit hehren Absichten und Zielen, wie es einem Bundessozialministerium auch zustehen sollte:
»Mit dem Aufbau des Fördernetzwerks Interdisziplinäre Sozialpolitikforschung (FIS) will das Bundesministerium für Arbeit und Soziales einen Beitrag zur Stärkung von Forschung und Lehre im Bereich der Sozialpolitik an deutschen Hochschulen (Universitäten und Fachhochschulen) leisten … Zentrales Anliegen ist die Forschungsförderung mittels verschiedener, zeitlich begrenzter Fördervarianten (etwa Professuren, Projekte, Nachwuchsgruppen).«
Diese und weitere Informationen findet man auf der Website zum Fördernetzwerk Interdisziplinäre Sozialpolitikforschung (FIS). So wird einem das präsentiert. Das hört sich gewaltig an, relativiert sich aber, wenn man weiß, wie viel Geld für die Umsetzung dieses ambitioniert daherkommenden Unterfangens zur Verfügung gestellt wird. Das FIS startet mit einem Betrag, der nur geringfügig höher ist als das, was die Beratertruppe für diese bodenlose Frechheit namens Studie einsacken kann (vgl. dazu auch den Artikel Der Sozialstaat, das unbekannte Wesen von Thomas Thiel, der darauf hinweist, dass in einem Brandbrief von noch verbliebenen Sozialpolitik-Experten jährlich dreißig bis fünfzig Millionen Euro für fünf große Forschungszentren, zwanzig langfristig dotierte Stiftungslehrstühle und ein Förderprogramm für die universitäre Grundlagenforschung gefordert wurden. Das Arbeitsministerium hat reagiert und wird die Sozialstaatsforschung von 2017 an mit jährlich zwei Millionen Euro unterstützen. Das eigentlich adressierte Bundesbildungsministerium ist auf Tauchstation gegangen). Hier stimmen die Relationen wieder einmal vorne und hinten nicht. Ein gesellschaftspolitisch wichtiges Unterfangen wird unterhalb der Wasseroberfläche gehalten (so lange es noch genügend Leute gibt, die sichtbar zappeln) und die anderen bekommen wieder mal einen Logenplatz mit allen Annehmlichkeiten, die damit verbunden sind. Sinnvoll ist das alles nicht. Nicht die Spur.