Es ist unbestritten und mehr als offensichtlich – die verhärtete Langzeitarbeitslosigkeit ist eines der drängten Probleme auf dem Arbeitsmarkt. Und jeder Akteur auf dem Arbeitsmarkt sollte seinen Beitrag leisten, um den betroffenen Menschen Chancen auf Teilhabe über Erwerbsarbeit zu ermöglichen. Und es ist ohne Zweifel von großer, wenn nicht zentraler Bedeutung, dass die Arbeitgeber mitziehen bei der Integration erwebsloser Menschen. Vor diesem allgemeinen Hintergrund freut man sich angesichts der ebenfalls zu konstatierenden Verdrängung des Problems der Langzeitarbeitslosigkeit sowie einer an vielen Orten und bei vielen Menschen anzutreffenden Distanz gegenüber Hartz IV-Empfänger erst einmal, wenn sich die Vereinigung der hessischen Unternehmensverbände (VhU) zu Wort meldet mit einem Plan, der überschrieben ist mit 15 Punkte für weniger Langzeitarbeitslosigkeit in Hessen. „Die verfestigte Zahl der Langzeitarbeitslosen ist jedoch weiterhin Grund zur Sorge. In Hessen gibt es immer noch rund 64.000 Langzeitarbeitslose, davon die meisten im Arbeitslosengeld-II-Bezug. Trotz der guten Lage am Arbeitsmarkt sind dies immer noch genauso viele wie im Jahr 2012″, so wird Volker Fasbender, Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der hessischen Unternehmerverbände (VhU), zitiert. Dann aber stutzt man, was der Vereinigung bzw. dem Herrn Hauptgeschäftsführer offensichtlich besonders wichtig ist bei den Maßnahmen im Kampf gegen die Langzeitarbeitslosigkeit.
Grundsätzlich wird anerkannt, dass Menschen, die ihre Existenz nicht aus eigenen Mitteln sichern könnten, zu Recht von der Allgemeinheit mit Arbeitslosengeld II unterstützt würden. Dann aber kommt das hier:
»Im Gegenzug müssen Leistungsbezieher aber auch alles in ihrer Kraft stehende tun, um ihre Hilfsbedürftigkeit und die ihrer Familie so schnell wie möglich durch Arbeit oder Weiterbildung zu beenden. Der Besuch von Spielhallen und das Verschwenden von Zeit und Hilfsleistungen beim Glücksspiel sind hiermit absolut unvereinbar. Betreiber von Spielhallen in Hessen sind bereits jetzt gesetzlich verpflichtet, spielsuchtgefährdete oder überschuldete Personen auszusperren und dies in eine Datei einzutragen. In diese Sperrdatei sollten auch arbeitslose Arbeitslosengeld-II-Empfänger eingetragen werden. Wir fordern die hessische Landesregierung und den Landtag auf, die Jobcenter hierzu zu verpflichten und das hessische Spielhallengesetz entsprechend zu ändern. Dies wäre ein wichtiges Signal dafür, dass Arbeitslosengeld II den Empfänger verpflichtet, mit ganzer Kraft selbst nach einer Beschäftigung zu suchen, mit der er sobald wie möglich wieder auf eigenen Füßen steht«, so Volker Fasbender.«
Warum, wird der eine oder andere fragen, soll eine ganz bestimmte Gruppe herausgegriffen und mit einem Spielhallenverbot belegt werden? Wenn man schon auf solche Gedanken kommt, warum dann nicht auch andere Gruppen? Wie wäre es mit Vätern, die unterhaltspflichtig sind und das Geld verpulvern, ohne dem Kind seinen Anteil zukommen zu lassen? Oder oder oder.
Was sagen die Praktiker aus den Jobcentern dazu? In seinem Artikel Kasinoverbot für Hartz IV-Empfänger? zitiert Rainer Hahne einen hessischen Jobcenter-Geschäftsführer, der die Sichtweise vieler auf den Punkt bringt:
Mit Unverständnis reagierte Stefan Schäfer, Geschäftsführer Jobcenter Stadt Kassel, auf die Forderung, seine Kunden automatisch in die Sperrdatei eintragen zu lassen. „Wir haben keine Erkenntnisse darüber, dass Spielsucht und dadurch eine Verschuldung zu den großen Problemen der Kunden unsers Jobcenters gehören. Außerdem gibt es bei uns in Deutschland das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit. Das sollte man beibehalten und die Menschen nicht bevormunden. Rechtlich ist das meiner Meinung nach derzeit sowieso völlig ausgeschlossen. Und wie sollte man das praktisch durchsetzen? Das Wort Datenschutz will ich hier gar nicht nennen.“
Unabhängig von diesen richtigen Einwänden – der Vorschlag aus den Reihen der hessischen Unternehmerverbände ist ein weiterer trauriger Höhepunkt der gruppenbezogenen Stigmatisierung und öffentlichen Etikettierung „der“ Hartz IV-Empfänger. Vgl. dazu beispielsweise diesen Beitrag vom 2. September 2016: Wo soll das enden? Übergewichtige und Ganzkörpertätowierte könnte man doch auch … Ein Kommentar zum „sozialwidrigen Verhalten“, das die Jobcenter sanktionieren sollen.
Und besonders zu beklagen ist die Tatsache, dass mit solchen Vorschlägen wie einem „Spielhallenverbot für Hartz IV-Empfänger“ und den mit diesem Vorschlag ausgelösten Assoziationen bei vielen Menschen, die nur das lesen oder hören, eine hoch problematische Entwicklung befördert wird, die bereits in dem Beitrag Irrungen und Wirrungen der Diskussion über „den“ Arbeitsmarkt, „die“ Arbeitslosen – und natürlich darf „die“ Armut nicht fehlen vom 7. April 2015 angesprochen wurde – mit erschreckenden Zahlen aus einer Studie:
Im Jahr 2014 wurde die die folgende Studie veröffentlicht: Andreas Zick und Anna Klein: Fragile Mitte – Feindselige Zustände. Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2014. Bonn 2014.
In der Zusammenfassung dieser Studie findet man eine Abbildung mit der Darstellung der Zustimmungswerte zu einzelnen Facetten gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. Die gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit ist in der Gesellschaft und deren Teilgruppen weit verbreitet. Schaut man sich die konkreten Ausprägungen innerhalb der Bevölkerung genauer an, dann überraschen auf den ersten Blick sicher nicht solche Anteilwerte: 44 Prozent hinsichtlich der Abwertung asylsuchender Menschen oder 26,6 Prozent hinsichtlich der Abwertung von Sinti und Roma. Das was irgendwie zu erwarten. Aber dass der absolute Spitzenreiter hinsichtlich der Abwertung einer Gruppe mit 47,8 Prozent die langzeitarbeitslosen Menschen betrifft, wird sicher viele überraschen und erschrecken. Anders ausgedrückt: Nach dieser Studie sind es die langzeitarbeitslosen Menschen, denen die meisten Abwertung und Abneigung entgegenschlägt – noch vor den Asylsuchenden oder den Sinti und Roma. Das ist ein erschütterndes Ergebnis. Es verdeutlicht, wie weit fortgeschritten und radikalisiert das ist, was als Individualisierung, Personalisierung und Moralisierung von Arbeitslosigkeit bezeichnet wurde.
Dazu wurde nun einer weiterer Beitrag geleistet unter dem scheinbar hehren Ziel, Langzeitarbeitsarbeitslosigkeit bekämpfen zu wollen.
Nachtrag (11.11.2016): Wie viele Menschen sind eigentlich „spielsuchtgefährdet“ bzw. „glückspielsüchtig“, denn der Hinweis darauf taucht ja bei der Begründung für die Forderung nach einem Spielhallenverbot für Hartz IV-Empfänger auf. Eine wissenschaftliche fundierte Antwort versucht diese Studie zu geben:
Haß, Wolfgang und Lang, Peter (2016): Glücksspielverhalten und Glücksspielsucht in Deutschland. Ergebnisse des Surveys 2015 und Trends. Forschungsbericht der BZgA. Köln: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, Januar 2016.
Aus der Zusammenfassung der Ergebnisse:
»Wie auch in den vorangegangenen Befragungen der BZgA zum Glücksspielverhalten wird mit der South Oaks Gambling Screen (SOGS) ein international verbreitetes Verfahren zur Klassifizierung des Schweregrades glücksspielassoziierter Probleme bzw. Symptome eingesetzt … Die Befragung 2015 kommt für die 16- bis 70-Jährigen bevölkerungsweit auf eine Schätzung der 12-Monats-Prävalenz des pathologischen Glücksspiels von 0,37 % (männliche Befragte: 0,68 %, weibliche: 0,07 %) und des problematischen Glücksspiels von 0,42 % (männliche Befragte: 0,66 %, weibliche: 0,18 %). Gegenüber der Befragung 2013 finden sich damit nur geringe, statistisch nicht signifikante Rückgänge sowohl des problematischen als auch des pathologischen Spielverhaltens. Am stärksten mit glücksspielassoziierten Problemen belastet erweisen sich im Jahr 2015 Männer mit einer Quote von 2,69 % bei den 21- bis 25-Jährigen und 2,43 % bei den 36- bis 45-Jährigen. Der Anteil Jugendlicher mit problematischem Glücksspielverhalten ist gegenüber 2013 nur geringfügig und statistisch nicht signifikant von 0,13 % auf 0,37 % angestiegen. Dies ist auf einen Anstieg bei den Jungen zurückzuführen; im Jahr 2015 ist bei keinem der befragten Mädchen ein problematisches Glücksspielverhalten festzustellen … Männliches Geschlecht, ein Alter bis 25 Jahre, ein niedriger Bildungsstatus und ein Migrationshintergrund erhöhen das Risiko für mindestens problematisches Glücksspielverhalten. Wird die Nutzung verschiedener Glücksspielformen betrachtet, finden sich bei Keno und Geldspielautomaten die höchsten Risiken.«