Das mit der Expertise ist ja immer so eine Sache. Die einen haben sie und arbeiten mit ihr. Tagtäglich, im sozialen Bereich zumeist und sehr eng gestrickten Rahmenbedingungen, häufig selbst prekär und in der Nähe zu denen, für die man die Expertise einzusetzen versucht.
Und anderen schreibt man Expertise zu, weil sie in ihrer Funktion – beispielsweise als langjähriger Bürgermeister eines Stadtteils in Berlin – laut auf sich und dann auf die Sache aufmerksam gemacht haben, von den Medien entdeckt und eingesetzt wurden als irgendwie geerdet daherkommende Bereicherung der Talkshow- und nach Dienstende auch der Bild-Zeitungslandschaft. Wir sprechen hier also von dem stimmgewaltigen Heinz Buschkowsky (68), ehemaliger Bürgermeister von Berlin-Neukölln und mittlerweile offensichtlich im Unruhestand. Er polarisierte mit Thesen wie beispielsweise „Multikulti ist gescheitert“. Der Fernsehsender RTL beschreibt seine Expertise in der Pressemitteilung Mit Heinz Buschkowsky raus aus Hartz IV: „Deutschlands bekanntester Bürgermeister“ sucht bei RTL Teilnehmer für TV-Experiment! so: » Er hat in über 15 Jahren als Bezirksbürgermeister im Berliner Bezirk Neukölln etliche Hartz IV-Empfänger persönlich kennengelernt.« Und was soll der jetzt für RTL machen?
Der Fernsehsender plant ein – natürlich – „außergewöhnliches TV-Experiment, für das man Buschkowsky gewonnen habe:
»Ab 2017 bietet RTL in einem außergewöhnlichen TV-Experiment Sozialhilfeempfängern die Chance, sich mit einem Koffer voller Bargeld aus der Sozialhilfefalle zu befreien … Rund 25.000 Euro als finanzielle Sofort-Starthilfe stehen pro Familie bereit … Bei „Zahltag – Ein Koffer voller Chancen“ bekommen Langzeitarbeitslose und ihre Familien eine finanzielle Sofort-Starthilfe für ein Leben ohne Hartz IV. Für die Laufzeit des sechsmonatigen Experiments verdoppelt RTL die kompletten staatlichen Bezüge und zahlt sie auf einen Schlag in bar aus. Das wären bei einer vierköpfigen Durchschnittsfamilie abhängig vom Wohnort rund 25.000 Euro. Mit diesem Geld können die teilnehmenden Familien ihre eigene kleine Geschäftsidee umsetzen oder intensiv in Bewerbungsmaßnahmen investieren. Das Ziel ist es, dauerhaft die eigene Existenz zu sichern, ohne auf Kosten des Staates zu leben.«
Beraten werden die Teilnehmer dabei von einem Expertenteam. Als Kopf dieses Expertenteams konnten RTL und Endemol Shine Heinz Buschkowsky gewinnen. »Für das TV-Experiment war er sofort Feuer und Flamme: Er sieht darin eine realistische Möglichkeit, perspektivlosen Menschen unter die Arme zu greifen, damit sie einen Ausweg aus dem Teufelskreis der Resignation finden. Heinz Buschkowsky ist ein echter Macher unter den Politikern und passt deshalb perfekt zu dem Projekt.«
RTL hat das neue Format nicht „erfunden“, sonder auf der Insel geklaut: »Wie gut dieses Experiment funktionieren kann, haben bereits die Engländer bewiesen. Der britische Sender Channel 5 hat im vergangenen Frühjahr gemeinsam mit der Endemol Shine – Tochter Dragonfly in dem Primetime-Doku-Experiment „The Great British Benefits Handout“ drei Familien nachhaltig aus der Sozialhilfe befreit. Diese Teilnehmer leben heute nicht mehr auf Staatskosten.«
Natürlich ahnt der alte Fuchs Buschkowsky, dass es Kritik geben wird, dass er sich an so einem Unterfangen beteiligen wird. Deshalb zitiert ihn die RTL-Pressemeldung mit diesen Worten: »Wir werden mit meinem Gesicht keinen TV-Zoo veranstalten. Die Menschen sollen nicht vorgeführt oder verheizt werden. Sie sollen ihre Entscheidungen selbstständig fällen, um wieder zu lernen für sich selbst zu sorgen. Natürlich ist die Verlockung groß, das plötzlich vorhandene Bargeld für die langgehegten und bisher unerreichbaren Träume auszugeben. Aber wir werden ihnen Wege aufzeigen, wie sie geschickt in ihre eigenen Ideen investieren können, um mit ihren Mitteln ein dauerhaftes Einkommen zu schaffen.«
Natürlich wird der eine oder andere jetzt an einen ähnlich beauftragten Experten aus den Tiefen und Untiefen der Lebenslagen denken, an Peter Zwegat und seine langjährige Thematisierung von Überschuldung und Schuldnerberatung. Auch Zwegat musste viele Kritik einstecken, aber es gab auch immer Stimmen, die darauf hingewiesen haben, dass es ihm gelungen sei, die Schuldnerberatung als eine wichtige personenbezogene soziale Dienstleistung zu popularisieren und Menschen einen Zugang dazu zu eröffnen, die ansonsten nicht in die Nähe einer klassischen Beratung gekommen wären. Offensichtlich will Buschkowsky auf dieses Image aufspringen.
Insofern ist diese Artikel-Überschrift konsequent: Heinz Buschkowsky: „Ich werde ein Bonsai-Zwegat sozusagen“:
Das Schlimmste, was passieren könne, erklärt Buschkowsky, sei, dass die Teilnehmer der Sendung wieder auf Hartz-IV-Niveau zurückfielen. „Mehr als ein bisschen in die Töpfe schauen kann nicht passieren“, versichert der Ex-Politiker. Auch den folgerichtigen Vergleich mit Peter Zwegat, dem alteingesessenen TV-Schuldenberater von RTL, lässt sich der frühere Bezirksbürgermeister gerne gefallen. „So in etwa. Ich werde ein Bonsai-Zwegat sozusagen.“
Und er kann es natürlich nicht lassen, das gesellschaftspolitisch aufzuladen: „Wir wollen ein Impuls geben, auch in die Politik, dass es zwar aufwendiger ist, aber nachhaltiger, die Menschen mit gezielter Starthilfe zu motivieren, als den Hartz-IV-Check jedes Jahr um 7,50 Euro zu erhöhen.“
Mit einem Koffer voller Geld an einige wenige, die sich jetzt bei RTL für das „Casting“ bewerben können.
Ob die es schaffen oder nicht – es wird sicher einige Zuschauer geben, denen es gefallen wird, den Betroffenen „in die Töpfe zu blicken“ und dann ist es auch egal, ob sie es schaffen, sich zu „befreien“ aus Hartz IV oder aber scheitern und in ihre Transferleistungsabhängigkeit zurückfallen. Der voyeuristische Charakter des Unterfangens ist offensichtlich und man kann das einfach trotz aller Klimmzüge, dem auch noch ein irgendwie fortschrittliches Antlitz zu verleihen, schäbig und unwürdig finden. Nicht zum ersten Mal, sondern erneut wird der TV-Zoo aufgebaut, damit die „moderne“ Fassung von „Brot und Spiele“ wieder einmal angerichtet werden kann. Man kann sich schon vorstellen, welche Unternehmen und Produkte die Werbeblöcke bestücken werden. Damit die Kasse klingelt, nicht bei den Betroffenen, sondern bei RTL.