Das ist nun wirklich nicht zu bestreiten: Die Wohnungsfrage ist und wird eine der großen sozialen Fragen in unserer Gesellschaft, deren Brisanz man angesichts des existenziellen Charakters von Wohnen auf keinen Fall unterschätzen darf und sollte. Immer mehr Menschen suchen vor allem in den (groß)städtischen Räumen nach halbwegs bezahlbaren Wohnraum. Daneben gibt es weiterhin einen nicht unerheblichen Leerstand in ländlichen Regionen, aber auch in einigen altindustrialisierten, sagen wir besser: entindustrialisierten Räumen. Dort kommen dann oft noch die Probleme sich verfestigender Armutsspiralen auf der Ebene von Stadtteilen hinzu. Neben der bereits bestehenden Grundproblematik wäre der zusätzliche Bedarf an günstigem Wohnraum durch die Zuwanderung in Rechnung zu stellen. Nun beginnt auch die Politik auf diese Entwicklungen zu reagieren und stellt eine Menge Geld für eine Neubelebung des sozialen Wohnungsbaus zur Verfügung bzw. kündigt dies an.
In seinem Artikel Baugrube sozialer Wohnungsbau wirft Michael Psotta diese Frage auf: »Hunderttausende Wohnungen fehlen, und zwar vor allem günstige Mietwohnungen. Der Mangel wird durch die Zuwanderung der Flüchtlinge verschärft. Berlin reagiert jetzt mit der Ausweitung des sozialen Wohnungsbaus. Was bringt das?«
Weitgehende Einigkeit besteht darüber, dass der gegenwärtige Neubau – 270 000 Wohnungen im vergangenen Jahr – nicht ausreicht, um den Bedarf zu decken. Aber dahinter verstecken sich ganz unterschiedliche Entwicklungen, denn es macht offensichtlich einen Unterscheid, ob die Neubauten im unteren oder oberen Preissegment erfolgen, insofern sind solche Globalzahlen immer mit Vorsicht hat zu genießen.
»Wie viele Wohnungen genau fehlen, ist umstritten. Bundesbauministerin Barbara Hendricks hält einen jährlichen Neubau von 350.000 Wohnungen für notwendig. Eine ähnliche Größenordnung nennt das Forschungs- und Beratungsunternehmen Empirica mit 361.000 Wohnungen, weist aber darauf hin, dass der Bedarf gesenkt werden könnte, wenn Flüchtlinge verpflichtet werden, in leerstehende Wohnungen etwa auf dem Lande zu ziehen. Das Forschungsinstitut IW Köln dagegen hat einen jährlichen Neubaubedarf von 430.000 Wohnungen ermittelt.«
Gleichzeitig geht die Zahl der Sozialwohnungen immer stärker zurück:
»Da bisher jährlich etwa 80.000 geförderte Wohnungen in den normalen Markt wechseln und nur rund 15.000 neu hinzukommen, hat sich die Gesamtzahl der Sozialwohnungen, zu Beginn der neunziger Jahre noch 3 Millionen, inzwischen mehr als halbiert. Damit stellen sie nur noch einen kleinen Anteil an den mehr als 20 Millionen Mietwohnungen in Deutschland.«
Was also liegt näher, als wieder stärker in diesem Bereich zu investieren?
Genau so reagiert auch die Politik. Die Bundesbauministerin »Hendricks schlägt jetzt vor, die Bundesmittel für den sozialen Wohnungsbau bis 2020 auf 2 Milliarden Euro zu verdoppeln, nachdem sie schon im Herbst von 518 Millionen auf eine Milliarde erhöht worden waren. Stimmt das Kabinett auch diesmal zu, fließen also innerhalb von fünf Jahren 10 Milliarden Euro in den sozialen Wohnungsbau.«
Und die dahinter stehende Logik ist ja auch bei erster Inaugenscheinnahme überzeugend:
»Die klassische Sozialwohnung wird von privaten oder kommunalen Gesellschaften mit öffentlichen Zuschüssen und verbilligten Darlehen errichtet unter der Bedingung, dass ihre Mieten deutlich unter den örtlichen Vergleichsmieten liegen. In Frankfurt beispielsweise betragen diese Mieten 5 bis 5,50 Euro je Quadratmeter und damit knapp die Hälfte der freien Neubaumieten, in Hamburg etwa 6 Euro. Durch die öffentliche Förderung werden die Vermieter aber dennoch in die Lage versetzt, mit Gewinn zu arbeiten.«
Was könnten die zusätzlichen Mittel erreichen?
»Der Eigentümerverband Haus & Grund hat berechnet, dass nach den Hamburger Regelungen eine Milliarde Euro für 20 000 neue Sozialwohnungen reicht. Bis 2020 könnten also mit den Bundesmitteln 200 000 Sozialwohnungen errichtet werden.«
Das hört sich viel an, wäre aber leider nur ein Tropfen auf en heißen Stein.
Warum das? Ein Blick auf die Zahlen klärt auf:
»Das Pestel-Institut aus Hannover hat vor wenigen Jahren errechnet, dass rund 4 Millionen Sozialwohnungen fehlen, wenn man Alleinstehende und alleinerziehende Haushalte mit einem Nettoeinkommen von 900 Euro im Monat oder Paarhaushalte mit weniger als 1500 Euro zum Maßstab nimmt. Durch die Flüchtlingskrise dürfte sich der rechnerische Fehlbedarf noch einmal deutlich erhöhen.«
Die gewaltigen öffentlichen Milliardenbeträge, die notwendig wären, um allen Bedürftigen auf diesem Weg zu helfen, stünden schlicht nicht zur Verfügung, so die Einschätzung von Haus & Grund-Präsident Rolf Kornemann.
Aber der geht noch weiter: Von Kapitalmangel jedenfalls könne heute nicht die Rede sein – und der war nach dem Krieg die Ursache für die historische Sinnhaftigkeit des sozialen Wohnungsbaus.
Hat er eine Alternative? Natürlich:
»Er empfiehlt, wie auch die überwiegende Schar der Ökonomen, öffentliche Förderung nicht an den Wohnungen zu orientieren (Objektförderung), sondern an den Mietern etwa durch Wohngeld (Subjektförderung).«
An dieser Stelle muss man einige Fragezeichen anbringen. Natürlich ist die Anbieterseite für das Instrument der Nachfragesubventionierung – denn über eines muss man sich im klaren sein: Dieses Instrument ermöglicht es den Vermietern natürlich, bei einem Nachfrageüberhang – und mit einem solchen haben wir es zu tun, wenn es um die günstigen, sagen wir besser: halbwegs finanzierbaren Wohnungen geht – die Mieten nach oben zu hieven, denn die Betroffenen werden ja subventioniert und die höheren Einnahmen fließen direkt in die Taschen der Wohnungsbesitzer, während sie im Gefüge des sozialen Wohnungsbaus erheblich stärker reguliert sind, zumindest für die Zeit der Sozialbindung. Insofern kann es nicht überraschen, wenn diese Seite eine ausgesprochene Präferenz hat für eine Subjektförderung und weniger für eine Objektförderung, die ja das Angebot an sich erhöhen kann und wird.
Und angesichts des enormen Bedarfs kann im Grunde auch kein wirklich schlagkräftiges Argument gegen eine massive Renaissance des sozialen Wohnungsbaus vorgebracht werden – im Grunde heißt aber nicht, dass es deshalb auch einfach funktioniert. Dabei geht es nicht nur um die konkrete Art und Weise der Subventionierung, sondern angesichts der eben nicht bleichverteilten, sondern in bestimmten Regionen bzw. Städten konzentrierten Bedarfe nach sehr vielen zusätzlichen Wohnungen muss man eben auch praktische Begrenzungen anerkennen, beispielsweise hinsichtlich des Baulands und planungsrechtlicher Implikationen. Das formt sich in der Wirklichkeit dann zu weitaus größeren Problemen aus als man es auf dem Papier auch nur anzureißen in der Lage ist.
Und was passiert in der Realität? In dem Artikel von Michael Psotta wird das Beispiel Hamburg erwähnt, an dem man erkennen kann, dass man in der Praxis Mittelwege zu gehen versucht:
»Für Hamburg besteht die Herausforderung nach den Worten des Ersten Bürgermeisters Olaf Scholz darin, dass die freien Neubaumieten bei 10 bis 12 Euro je Quadratmeter liegen. Normalverdiener könnten sich aber nur Kaltmieten bis 8 Euro leisten, viele nicht einmal dies. Die Hälfte der Hamburger Bewohner erfüllen nach Scholz’ Worten die Einkommenskategorien, um in den Genuss des sozialen Wohnungsbaus zu kommen. Doch wie soll Hamburg dies leisten? Die Antwort von Scholz lautet Drittelmix: Private Investoren erhalten städtische Grundstücke unter der Bedingung, dass sie darauf Gebäude mit je einem Drittel Eigentumswohnungen, frei finanzierte Wohnungen und Sozialwohnungen mit Mieten bis 6 Euro errichten – ohne weitere Subventionen. Die Grundstücke seien inzwischen so attraktiv, dass sich Investoren darauf gerne einließen, sagt Scholz. So komme man auf 2000 neue Sozialwohnungen in jedem Jahr.«
Hamburg ist da nicht allein. Beispiel Frankfurt:
»Auch Frankfurt geht hier neue Wege: Wenn neue Bebauungspläne für Gebäude mit mindestens 50 Wohnungen aufgestellt werden, dann müssen mindestens 30 Prozent geförderte Wohnungen dabei sein, erläutert Mark Gellert, der Sprecher des Planungsdezernats. Der Investor erhält günstige Darlehen, so dass er zwanzig Jahre lang eine Sozialmiete von derzeit 5 bis 5,50 Euro nehmen kann und trotzdem Gewinn erwirtschaftet. Wenn die Wohnungen aus dem Programm fallen, erwirbt Frankfurt Belegungsrechte, um sie weiterhin als Sozialwohnungen vergeben zu können.«
Was verdeutlichen diese Beispiele? Es ist bzw. wird nicht einfach, die an sich logische Schlussfolgerung – mehr Geld für den sozialen Wohnungsbau und dann werden die Engpässe beseitigt werden können – auch Wirklichkeit werden zu lassen. Wir können und müssen davon ausgehen, dass die Wohnungsfrage auf der einen Seite intensiver angegangen wird, auf der anderen Seite wird man dem bereits vorhandenen und sich weiter entwickelnden Bedarf nur hinterherlaufen können. Also in den Großstädten. Und damit wird sich die Wohnungsfrage dort weiter als soziale Frage mit hoher Brisanz ausdifferenzieren.
Vor diesem Hintergrund könnte man geneigt sein, die Frage aufzuwerfen, ob es denn nicht auch positive Nachrichten für die Mieter zu vermelden gibt. Doch, sollte man meinen, wenn man beispielsweisen diesen Artikel zur Kenntnis nimmt: Mieter könnten von einem neuen Mietspiegel stark profitieren: »Die ortsübliche Miete würde in fast allen Großstädten deutlich sinken, lägen den Mietspiegeln Verträge der vergangenen zehn Jahre statt der letzten vier Jahre zugrunde. Zu diesem Ergebnis kommt der Immobilienverband Deutschland (IVD). Justizminister Heiko Maas hatte eine entsprechende Reform vorgeschlagen.«
Der eine oder ahnt oder weiß an dieser Stelle bereits, warum das eine höchst relevante Information ist, spielen die Mietpreisspiegel doch eine wichtige Rolle beispielsweise bei der Mietpreisbremse (vgl. dazu den Beitrag Der „Wohnungsmarkt“. Von ungebremsten Preisspiralen über Schlupflöcher in einem vielleicht gut gemeinten Gesetz bis hin zur neuen Konkurrenz ganz unten vom 04.11.2015).
Beispiel München: Auf dem Münchner Wohnungsmarkt läuft gerade eine wichtige Umfrage: Die Stadt lässt bei bis zu 30.000 Haushalten erheben, ob sich deren Mietverträge in den vergangenen vier Jahren verändert haben, berichtet Benedikt Müller in seinem Artikel. »Alle zwei Jahre erfassen Städte wie München diese Daten als Basis für den Mietspiegel. Der zeigt dann, welche Miete für eine bestimmte Lage und Ausstattung „ortsüblich“ ist. Sowohl für Mieter als auch für Eigentümer ist das ein wichtiger Richtwert.« So bei der Mietpreisbremse, denn da, wo die gilt, darf die Miete bei neuen Verträgen höchstens zehn Prozent darüber liegen – es sei denn, eine Ausnahmeregel greift. Auch in einem bestehenden Mietverhältnis darf der Eigentümer die Miete nicht über das ortsübliche Niveau hinaus erhöhen.
Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) hatte Ende November des vergangenen Jahres vorgeschlagen, die Erhebungsmethode zur Erstellung der Mietpreisspiegel dahingehend zu reformieren, dass man nicht die letzten vier, sondern die vergangenen zehn Jahre als Maßstab heranzieht.
Folgt man der IVD-Studie, dann würde die ortsübliche Miete in fast allen Großstädten deutlich sinken, wenn die Pläne des Justizministers sofort umgesetzt würden. Wie das?
»Denn dann würden Mietspiegel nicht nur die teuren Neuverträge und Mieterhöhungen der letzten vier Jahre heranziehen – sondern auch die sechs Jahre davor, in denen die Mieten in den meisten Großstädten niedriger waren. Für eine Bestandswohnung mittlerer Klasse wäre dann in München beispielsweise eine Kaltmiete von 10,58 Euro pro Quadratmeter ortsüblich – statt 11,93 Euro gemäß der bisherigen Rechenart. Ein Unterschied von elf Prozent … Am stärksten würde das Mietspiegel-Niveau demnach mit 18 Prozent in Hannover sinken.«
Es leuchtet sofort ein, dass die Mieterverbände für eine solche Reform sind angesichts dieser Wirkungen, vor allem angesichts der Erwartung, dass dadurch die Dynamik bei Preissteigerungen in bestehenden Mietverhältnissen eingegrenzt wird.
Die Immobilienverbände hingegen kritisieren, durch ein solches Vorgehen würden die Mietspiegel-Niveaus in den Großstädten künstlich abgesenkt, was wiederum einen Wertverlust der vermieteten Immobilien und abschreckende Effekte bei Investoren und Vermietern auslösen würde. Würden die ortsüblichen Mieten vielerorts auf der aktuellen Höhe eingefroren durch diese Veränderung, dann – so die Befürchtung in diesem Lager – würden die Vermieter auf Investitionen verzichten.
Auch Karsten Seibel setzt sich in seinem Artikel Mietspiegel erhitzt Gemüter mit der Thematik auseinander. Auch er sieht den Effekt, dass die offiziellen Preise nach der diskutierten Reform sinken würden, warnt aber zugleich davor, dass die Mieter sich nicht zu früh freuen sollten. Neben den bereits erwähnten Gegenargumenten der Vermieterseite weist er darauf hin, dass man derzeit beobachten müsse, dass sich auch die von der Mietpreisbremse erhofften Wirkungen vielerorts nicht einstellen würden. »Der Preisauftrieb geht zumindest in den Ballungszentrum nahezu unverändert weiter. Der Punkt ist: Viele Mieter prüfen angesichts des geringen Wohnungsangebots und der entsprechend hohen Nachfrage nicht, ob der aufgerufene Preis erlaubt ist – schon gar nicht fechten sie bereits unterschriebene Verträge an.«
Auf einen weiteren Aspekt, der in der bisherigen Berichterstattung noch gar nicht explizit thematisiert worden ist, sei an dieser Stelle hingewiesen: Welche Auswirkungen hätte eigentlich die für Mieter auf den ersten Blick ja erfreuliche Preisabsenkung in den Mietspiegeln bei den Kosten einer „angemessenen“ Unterkunft für die vielen Hartz IV-Empfänger? Vgl. zu deren Problemen beispielsweise den Beitrag Und wieder einmal grüßt täglich das Murmeltier: Hartz IV und die Wohnungsfrage vom 20.12.2015. Dort könnte es negative Auswirkungen geben.
Schaut man also genauer hin, dann ist es wie so oft im Leben – grau mit vielen Schattierungen und eben nicht schwarz oder weiß.
Aber noch ist das alles nicht Gesetz. Das Justizministerium arbeitet zurzeit an einem Referentenentwurf, bekommt aber schon aus den Reihen des Koalitionspartners CDU/CSU kräftig Gegenfeuer. Man wird abwarten müssen, was am Ende dabei herauskommt.