Man kann nur hoffen, dass die Verhandlungsgruppen in Berlin, die (angeblich) um eine große Koalition ringen, sich derzeit nur warmlaufen und die eigentlich zu lösenden Probleme unseres Landes lediglich vorerst auf Halde gelegt sind, damit man diese am Ende ganz konzentriert abarbeiten kann und wir alle ganz doll überrascht sind.
Sollte es allerdings anders sein, dann besteht tatsächlich Anlass, zunehmend unruhig zu werden. Immer öfter bekommt man den Eindruck vermittelt, dass die große Koalition Themen behandelt und sich gar über solche streitet, deren wirkliche Bedeutung in einem umgekehrt proportionalen Umfang zu den Gestaltungsmöglichkeiten des gewaltigen Stimmengewichts steht, was der wahrscheinliche 80%-Stimmen-Gigant GroKo auf die Waagschale werfen könnte. Mega-Mehrheit und kleine Brötchen, die da in Berlin derzeit aus dem Backofen geholt werden.
Auf dieser Seite wurde das schon kommentiert an den Beispielen Wohnungspolitik („Wohnst Du schon oder hoffst Du noch? Wohnen als soziale und ökonomische Frage. Und wie die Große Koalition damit umzugehen beabsichtigt„), Gesundheitspolitik („Placebo-Politik im Gesundheitswesen – dafür braucht man nun wirklich keine Große Koalition„) oder auch Arbeitszeitpolitik („Entsetzte Arbeitgeber(funktionäre), wenn Sonntagsreden Wirklichkeit zu werden drohen, zugleich aber auch betriebliche Realitäten eigener Art und Frauen, die sich selbst schädigen„). Der anfangs sicher interessierte, nunmehr aber zunehmend irritierte Beobachter könnte bei einer nüchternen Analyse des bisher vorgelegten Gedankenguts aus den Koalitionsverhandlungsgruppen zu dem Befund kommen, dass hier überwiegend Placebos unters Volk geworfen werden. Bislang ist kaum eine wirklich fundamentale gemeinsame Idee der beiden Lager bekannt geworden – also beispielsweise eine umfassende Neuordnung der Bildungsfinanzierung, eine mutige und vorauseilende Pflegereform oder ganz zu schweigen von einem Umbau der Finanzierungsarchitektur des Sozialsystems im Sinne des Aufbrechens der einseitig den Faktor sozialversicherungspflichtige Arbeit und die dann auch noch gedeckelt bis zur Beitragsbemessungsgrenze belastenden Beitragsfinanzierung (auf die man sogar ganz im Gegenteil wieder einmal stärker zugreifen will, um Steuererhöhungen zu vermeiden).
Der nächste Akt in diesem irritierenden Spiel betrifft ein wichtiges Anliegen: Die immer wieder beklagte Ungleichheit bei den Löhnen zwischen Männern und Frauen. Hier will die im Geburtskanal befindliche GroKo „Frauen besser bezahlen lassen“, so die Formulierung in dem Artikel „Kommen Lohnlisten ans schwarze Brett?“ von Alfons Frese und Heike Jahberg.
Bevor wir uns nun den angekündigten Maßnahmen zuwenden, müssen einige notwendige Anmerkungen zu den immer wieder in den Raum gestellten Zahlen zu der so genannte „Lohnlücke“ zwischen den Geschlechtern gemacht werden. In dem Artikel von Frese und Jahberg wird ausgeführt: »Jedes Jahr rechnet der Verein „Business and Professional Women“ aus, wie lange Frauen über das Jahresende hinaus arbeiten müssen, um auf das Jahresgehalt ihrer männlichen Kollegen zu kommen. Der „Equal Pay Day“ für das laufende Jahr 2013 wäre der 21. März 2014. Denn weibliche Beschäftigte verdienen hierzulande im Schnitt 22 Prozent weniger als die Männer, hat das Statistische Bundesamt ausgerechnet.« So weit, so oft gelesen. Schauen wir einmal genauer hin. Ein Blick in die Pressemitteilungen des hoch seriösen Statistischen Bundesamtes hilft einem weiter, sogar mit einer genauen Quantifizierung der Lohnlücke zwischen den Geschlechtern – auch „Gender Pay Gap“ genannt, z.B. hier: „Verdienstunterschiede von Frauen und Männern bleiben weiter bestehen„. »Im Jahr 2012 war der durchschnittliche Bruttostundenverdienst von Frauen mit 15,21 Euro um 22 % niedriger als der von Männern (19,60 Euro).« Weiter erfahren wir, dass sich der Verdienstabstand zwischen Männern und Frauen in den vergangenen Jahren nicht verändert habe. Und noch etwas kann man der Pressemitteilung der Statistiker entnehmen – eine große West-Ost-Differenz tut sich auf, folgt man den Daten der Bundesstatistiker: »So betrug 2012 der unbereinigte Gender Pay Gap im früheren Bundesgebiet 24 %, in den neuen Ländern lag er bei 8 %.« Frauen haben es in Ostdeutschland lohnlückenmäßig offensichtlich erheblich besser als im Westen unseres Landes. Aber die Bundesstatistiker sind korrekte Wesen, sie sprechen von einem „ungereinigten“ Gender Pay Gap – also müsste es auch einen „bereinigten“ geben. So ist es natürlich auch. »Dieser sogenannte bereinigte Gender Pay Gap lag 2010 bundesweit bei 7 % (unbereinigter Gender Pay Gap 2010: 22 %).« Da schmilzt die Lohnlücke schon recht stark. Wie kommt diese doch nicht ganz unerhebliche Differenz zustande? Dazu das Statistische Bundesamt: »Demnach lassen sich gut zwei Drittel des unbereinigten Gender Pay Gap auf strukturelle Unterschiede zurückführen: Die wichtigsten Gründe für die Differenzen der durchschnittlichen Bruttostundenverdienste waren Unterschiede in den Branchen und Berufen, in denen Frauen und Männer tätig sind, sowie ungleich verteilte Arbeitsplatzanforderungen hinsichtlich Führung und Qualifikation. Darüber hinaus sind Frauen häufiger als Männer teilzeit- oder geringfügig beschäftigt.«
Wenn man das berücksichtigt, dann stößt man vor in den eigentlichen Kernbereich des Problems: Und weiter: „Das verbleibende Drittel des Verdienstunterschiedes kann nicht durch die arbeitsplatzrelevanten Merkmale erklärt werden … Das heißt, dass Frauen bei vergleichbarer Qualifikation und Tätigkeit pro Stunde durchschnittlich 7 % weniger als Männer verdienten.“
Aber die Bundesstatistiker sind sehr genau, gleichsam exakte Menschen, die korrekterweise einen methodisch interessanten und relevanten Hinweis geben: Es gelte „… jedoch zu berücksichtigen, dass der bereinigte Gender Pay Gap möglicherweise geringer ausgefallen wäre, wenn weitere lohnrelevante Einflussfaktoren für die Analysen zur Verfügung gestanden hätten. So lagen beispielsweise zum individuellen Verhalten in Lohnverhandlungen oder zu familienbedingten Erwerbsunterbrechungen keine Angaben vor.“
Und wenn wir jetzt noch Jutta Allmendinger, die Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB) in die Debatte einschleusen, dann wird es richtig interessant. Denn die hat bereits im Februar dieses Jahres in einem Artikel in der taz wie folgt argumentiert: »Frauen sind zwar viel häufiger erwerbstätig als früher, aber die Quote der in Vollzeit berufstätigen Frauen ist von 1985 bis 2011 zurückgegangen – von 68 auf 54 Prozent aller erwerbstätigen Frauen. Frauen arbeiten mehr als dreimal so häufig in Teilzeit wie Männer. Und das häufig auch noch in Kleinst-Teilzeit. Diese bringt kaum Geld, verhindert jeden beruflichen Aufstieg und führt selten zurück zu 80 Prozent oder zur Vollzeitarbeit … Frauen arbeiten eher in Berufen, die als Frauenberufe gelten und daher schlechter entlohnt werden: in der Bildung, dem Gesundheitswesen, der Pflege, im Service. Frauen machen real viel längere Pausen als die Männer …«. Und ihre Fazit: »Kleine Teilzeit, geringer entlohnte Berufe, strukturell erzwungene Pausen – all das heißt: weniger Aufstiegschancen, geringere Erwerbszeiten, weniger Lohn im Laufe der Jahrzehnte. Das ist die Welt der realen Frauen.«
Und dann kommt sie zu einer unser Thema hier so richtig anheizenden Schlussfolgerung:
»Auch alle, die sich für eine geschlechtergerechte Entlohnung einsetzen, sollten mal aus dem Trott geraten. Der Gender Pay Gap Day gehört abgeschafft – und neu eingeführt, und zwar als Gender Income Gap Day. Denn die entscheidende Größe ist das Erwerbseinkommen am Ende jeden Monats und im gesamten Lebensverlauf. Wenn man das für die beiden Geschlechter berechnet, liegt das monatliche Einkommen von Frauen im Schnitt weit unter der Hälfte dessen, was Männer im Monat verdienen. Die Differenz ist nicht kleiner, sondern in Wirklichkeit doppelt so hoch wie die oft zitierten 23 Prozent.«
Also so gesehen haben wir es mit einer richtig großen Baustelle zu tun. Und was sind nun die aktuellen Ideen und Planungen der GroKo in Gründung?
Die typischen Frauenberufe sollen nun aufgewertet werden, haben jedenfalls die Verhandlungsführerinnen Manuela Schwesig (SPD) und Annette Widmann-Mauz (CDU) beschlossen. Gemeinsam mit den Tarifpartnern will die Politik an einer Gehaltsaufbesserung für Alten- oder Krankenpfleger, Erzieher oder Betreuer arbeiten. Zudem möchte die Arbeitsgruppe die Tarifpartner verpflichten, Gehaltsunterschiede abzubauen. Da wird man schon wieder unruhig.
Frese und Jahberg berichten uns:
»In Unternehmen ab 500 Beschäftigten sollen darüber hinaus – anonymisierte – Entgeltberichte verfasst werden, um Ungleichgewichte zu finden und dann dagegen vorzugehen. Aber nicht nur in großen Firmen, sondern in allen Betrieben wollen die Koalitionäre jedem einzelnen Arbeitnehmer zudem einen individuellen Auskunftsanspruch verschaffen. Unklar ist aber noch, wie der aussehen soll. Ob künftig jeder Mann und jede Frau ganz konkret das Gehalt des Kollegen oder nur betriebliche Durchschnittswerte erfragen kann, ist genauso so offen wie die Frage, ob die Tarifparteien oder der Gesetzgeber dafür sorgen, dass Erzieherinnen oder Krankenschwestern künftig mehr in der Lohntüte haben.«
Interessant an dieser Stelle sind die Reaktionen der Tarifvertragsparteien, die zwischen Verwunderung und Verärgerung schwanken. Die Arbeitgeber bezeichnen die Vorschläge der Arbeitsgruppe als „Koalitionsvertragsprosa“. Und die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi kommentiert, »die Tarifparteien würden das Problem kaum lösen können, weil zum einen da, wo es Tarifverträge gibt, bereits jetzt überhaupt nicht zwischen Männern und Frauen differenziert werde. Und zum anderen laufe in den Unternehmen, die keine Tarifgehälter zahlen und in denen es auch keine Betriebsräte gibt, der Ansatz über die Tarifparteien ins Leere.«
Simone Schmollack kommentiert dazu in der taz unter der Überschrift „Worte, die sich gut anhören„:
»Wer wirklich etwas gegen Lohnungleichheit machen will, muss die unsäglichen Minijobs abschaffen, Teilzeit reduzieren, das Rückkehrrecht auf eine Vollzeitstelle nach der Familienphase gesetzlich festklopfen. Der muss für genügend Kitaplätze sorgen und in sogenannten Frauenberufen das Lohnniveau anheben. Die vielfach als minderwertig angesehenen Jobs in Pflege und Erziehung sowie die Teilzeitarbeit, die Frauen bis heute häufig sogar freiwillig akzeptieren, sorgt für die größte Lohnlücke. Das zu ändern käme einem Kulturbruch, einem Paradigmenwechsel gleich – der nicht so leicht zu machen ist, wie die Koalitionäre das gerade verkaufen.«
Ups, das hört sich nach deutlich mehr an als das, was uns hier gerade vorgelegt worden ist. Immer mehr deutet sich an, dass wir eine Koalition bekommen könnten, die sich im Wesentlichen auf eine Symbolpolitik reduziert, um den großen Konfliktlinien auszuweichen – und das mit einer unfassbar großen Mehrheit im Parlament gepampert. Damit stellt sich natürlich immer mehr auch die Frage: Dafür eine Große Koalition?
Dafür nicht.