Eine sorgerechtliche Inschraubstocknahme der „Machtmütter“? Oder doch nur ein Anerkenntnis der Realitäten?

Gesellschaftliche Veränderungen und der Wandel der Familienformen müssen sich immer auch in der Gesetzgebung niederschlagen – meistens ist diese nachlaufend, oftmals zähneknirschend die neuen Realitäten Stück für Stück einverleibend. Hin und wieder – je nach Moment und rechtspolitischer Gestaltungsbereitschaft – läuft die Gesetzgebung auch gesellschaftlichen Veränderungen vor, versucht gar diese in eine bestimmte Fahrbahn zu bringen. Immer aber ist Gesetzgebung konfliktär hinsichtlich der damit verbundenen Folgen, sie kann es gar nicht anders sein.

Nehmen wir als Beispiel das Familienrecht. Die Sachen, die hier geregelt werden müssen, sind bestimmt durch hoch emotionalisierte Konfliktfälle, denn wenn es läuft, ist die familienrechtliche Ausgestaltung zumeist uninteressant. Aber im Fall der Trennung, der Scheidung wird es in aller Regel heftig – ganz besonders natürlich, wenn Kinder betroffen sind. „Das Ende der Machtmütter„, so provozierend haben Heide Oestreich und Simone Schmollack ihren Beitrag überschrieben, der sich mit der Neuregelung des Sorgerechts beschäftigt.

»Unverheiratete Väter bekommen jetzt ganz leicht das Sorgerecht für ihr Kind. Das klingt fortschrittlich. Aber ist es das auch? Wie ein Gesetz ganze Familienstrukturen verändern könnte.« Sie illustrieren die vielen konflikthaften Konstellationen am Beispiel von Lena und Markus, die sich häufig in Berliner Gerichtssälen treffen: Sie sind nicht verheiratet und seit drei Jahren getrennt. Und sie haben zwei gemeinsame Kinder – und das gemeinsame Sorgerecht für die Kinder. »Sowenig sie sich auch verstehen, müssen sie immer zusammen entscheiden, wenn es um den neun Jahre alten Sohn und die sechs Jahre alte Tochter geht. So schreibt es das Gesetz vor.« Und so, wie sich die beiden streiten, könnten sich bald viele andere auch bekriegen. Denn die gemeinsame Sorge für getrennte Paare soll in Zukunft der Normalfall sein. So hat es die Regierung beschlossen und ein entsprechendes Gesetz auf den Weg gebracht, das nunmehr das Licht der Wirklichkeit erblickt hat.

»Mütter haben nun kein Vetorecht mehr, wenn ihre Exfreunde bei den Entscheidungen zum Sorgerecht mitreden wollen. Bisher konnten die Mütter Partnern, mit denen sie nicht verheiratet sind, das Sorgerecht verweigern.«

Ursprünglich war das mal ein Fortschritt gewesen. Denn früher war es so, dass für uneheliche Kinder ein Vormund eingesetzt und die Mutter entsprechend entmündigt wurde. Automatisch. Das wurde mit der Einführung der Alleinsorge erst 1970 geändert zugunsten der Mütter – und getrennt lebende ledige Väter konnten das Sorgerecht nur bekommen, wenn die Mutter einverstanden war. Damit erhoffte man sich einen Anreiz, dass der Kindsvater die Mutter heiratet. Doch mit dem nun neuen, die gemeinsame Sorge als Normalfall normierenden Recht ist es damit vorbei. Die beiden Autorinnen schreiben bilanzierend: »Wenn man so will, ist damit das kurze Matriarchat im Familienrecht zu Ende gegangen.«

Die Neuregelung kommt progressiv daher – wie damals die gesetzlichen Veränderungen, die zur Alleinsorge der Mutter führten. Nicht mehr „Das Kind gehört zur Mutter“ ist das rechtspolitische Leitbild, sondern das Kind hat Anspruch auf beide Eltern. Damit reagiert das Recht auch auf die gesellschaftliche Entwicklung, dass immer mehr Väter Verantwortung für ihr Kind übernehmen wollen. Das Ernährungsmonopol des Vaters und das Erziehungsmonopol der Mutter werden als Ideale einer vergangenen Zeit nunmehr entsorgt, zumindestens im Sorgerecht.

Und schon geht es los mit den vielen Fragezeichen, die sich hier auftun: »Kindern, die glücklich mit einem neuen sozialen Vater, in einer großen Wohngemeinschaft oder mit zwei Müttern aufwachsen, bekommt im Zweifel nun plötzlich auch noch einen Vater – den biologischen. Kann das gut gehen? Ist die biologische Abstammung wichtiger als die soziale Vaterschaft?«, fragen Oestreich und Schmollack.  Was soll man sagen?

Bleiben wir dann lieber bei der Abbildung gesellschaftlicher Strukturen nicht nur im Recht, sondern auch auf der Bühne der Verbände: »Es gibt zwei Lobbyverbände, die um die Zukunft des Sorgerechts ringen. Der Verband alleinerziehender Mütter und Väter, kurz VaMV, vertritt eher die Mütter, der Väteraufbruch für Kinder, der VafK, eher die Väter. Ein bisschen geht es zwischen beiden Verbänden zu wie zwischen Lena und Markus.«

Der Verband alleinerziehender Mütter und Väter ist gegen die gesetzliche Neuregelung und auch gegen das damit verbundene „vereinfachte Verfahren“, nach dem Richter auch ohne Anhörung entscheiden können über eine gemeinsame Sorge, die z.B. ein Kindsvater beantragt. Ein Gericht sollte genau prüfen, was dieses gemeinsame Sorgerecht für das Kind bedeuten könnte.  Also »eine sorgfältige Ermittlung mit Anhörung der Mutter, des Vaters, Verwandter und Bekannter, und selbstverständlich auch des Kindes selbst, falls das Kind alt genug ist. Aber all das sieht das Gesetz nicht vor.«

Wie konnte es dazu kommen? Väter waren es, die den Stein ins Rollen gebracht haben, in dem sie bis zum Verfassungsgericht und zum Europäischen Menschenrechtsgerichtshof klagten – und gewonnen haben. »Was die Gerichte aber nicht vorschrieben, ist das „vereinfachte Verfahren“. Das hat das Justizministerium in den Gesetzentwurf geschrieben. Eine Erleichterung für die Väter, ein Teilsieg also der Väterlobby.«
Zurück zu den beiden Sprösslingen von Lena und Markus: »Die Kinder gehen jetzt zu einer Therapeutin.«

Interessant in diesem Kontext ein Interview mit der 80-jährigen Familienrechtlerin Lore Maria Peschel-Gutzeit. Sie wendet sich vor allem gegen das angesprochene „vereinfachte Verfahren“. Dazu sagt sie: »Ein Richter entscheidet künftig in einem vereinfachten Verfahren, ohne die Eltern und das Jugendamt gehört zu haben. Das geht nicht – gerade in einer Konfliktsituation. Es kann gut sein, dass das Gesetz deswegen vor dem Verfassungsgericht nicht hält. Meine Prognose ist: Wir werden das vereinfachte Verfahren nicht behalten.« Der Biologie werde ein absoluter Stellenwert zugewiesen, aber man kann sich die vielen Probleme vorstellen, beispielsweise Fälle kurzer Affären.
Der Väteraufbruch schlägt vor, die Konflikte der biologischen Eltern durch einen Kooperationsmanager zu lösen. Das ist eine dritte Person, die auch das Sorgerecht hat, so dass Mehrheitsentscheidungen möglich sind. Auch dazu hat Perschel-Gutzeit eine Meinung: »Ich halte das schlicht für unzulässig. Die elterliche Sorge ist ein Grundrecht der Eltern. Niemand kann es einem Dritten verleihen. Und stellen Sie sich vor, wie beide Seiten versuchen werden, diese Person zu beeinflussen. Wer wählt sie aus? Das halte ich für absurd.«

Ein Stück weit muss das Recht kapitulieren vor den heterogenen Realitäten der Familienwelt.