Immer diese Arbeitsbedingungen. Man kommt schon gar nicht hinterher mit dem Sammeln, geschweige denn Bewerten der vielen Berichte aus den Tiefen und Untiefen des Arbeitsmarktes. Aber beginnen wir mit einer positiven daherkommenden Meldung, die überrascht hat: Ab August 2015 ist für einen großen Teil der deutschen Friseursalons ein Mindestlohn von 8,50 Euro Vorschrift. Darauf haben sich die Gewerkschaft Ver.di und die Arbeitgeber geeinigt. Noch gilt der Tarifvertrag aber nicht für die gesamte Branche. Dieser Durchbruch – aber auch die noch offenen Fragen – wurden auf der Facebook-Seite von „Aktuelle Sozialpolitik“ kommentiert.
Diese Einigung auf den Einstieg in einen Mindestlohn bei den Friseuren hat auch deshalb eine so große Bedeutung, weil in diesem Bereich die Voraussetzungen für die Einführung eines Mindestlohnes äußerst schwierig sind. Denn aufgrund des Überangebots an Friseuren besteht die große Gefahr, dass es zu Ausweichreaktionen kommt, beispielsweise in die Schwarzarbeit, die bereits heute in diesem Bereich eine nicht unerhebliche Rolle spielt. Und besonders relevant wird hier die Bereitschaft oder eben auch Nicht-Bereitschaft der Kunden sein, das mit dem Mindestlohn notwendigerweise verbundene höhere Entgelt auch zu zahlen, damit die Friseurgeschäfte die höheren Lohnkosten ausgleichen können.
Sollte ein Teil der Friseure aufgrund der mit dem nunmehr vereinbarten Mindestlohn zumindest in einigen Regionen in Ostdeutschland doch erheblichen Anhebung der Lohnkosten in die Arbeitslosigkeit rutschen, dann bestehen für die Betroffenen keine guten Aussichten: Deutsche Arbeitslose sind die ärmsten in Europa, so titelt Stefan von Borstel plakativ in der Online-Ausgabe der „Welt“. Der Bericht stützt sich auf Daten des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Gewerkschaften. 2010 waren in Deutschland 67,7 Prozent der Arbeitslosen von Armut bedroht. Damit blieb die Quote aber weit über dem EU-Durchschnitt von rund 46 Prozent.
»… WSI-Forscher Seils führt den Anstieg der Armut unter den Arbeitslosen nicht allein auf Hartz IV zurück. „Der Anstieg des Armutsrisikos unter Arbeitslosen stellt gewissermaßen die Schattenseite der in den vergangenen Jahren gesunkenen Arbeitslosigkeit dar“, erklärte Seils. Da die Langzeitarbeitslosen vom Beschäftigungsaufbau am wenigsten profitiert hätten, fielen sie statistisch zunehmend ins Gewicht.«
32-Jähriger fällt durch alle sozialen Raster – so ist ein Artikel überschrieben, der in der „Rheinpfalz“ erschienen ist: »Mittellos, mangelernährt, von Zwangsräumung bedroht: Das ist die Geschichte eines 32-Jährigen, der durch alle sozialen Raster fällt, weil er eine Ausbildung macht. Immer wieder läuft er gegen die Wand. Würde er die Schule hinwerfen, bekäme er Hartz IV. Aber er macht weiter.« Man muss sich diese Geschichte einmal verdeutlichen, wie sie in dem Artikel geschildert wird:
Mahmut Yildirim hat keine Berufsausbildung. Die Hauptschule hat der 32-Jährige abgeschlossen, danach sechs Jahre im Verkauf gearbeitet, ist zum Abteilungsleiter aufgestiegen, dann der Absturz. Er wurde arbeitslos, weil die Firma Insolvenz anmelden musste. Bis hierhin klingt alles (fast) normal.
Und es geht fast normal weiter: Yildirim ging auf Anraten der Bundesagentur für Arbeit, bei der er sich arbeitslos gemeldet hatte, als Hotel- und Tourismusanimateur auf die Balearen. Von 2003 bis 2007 machte er den Job in der Saison, von März bis November. Seitdem ist er arbeitslos, hat nur immer mal wieder gejobbt. Alle Schulungen und Umschulungen, die er bei der Arbeitsagentur beantragt hat, wurden abgelehnt, so erzählt er: ”Weil ich keine Erstausbildung hatte.” Ihm wurde geraten, eine Ausbildung zu machen. Im August 2012 hat er damit begonnen. Yildirim besucht die dreijährige Berufsfachschule der Meisterschule für Handwerker und lernt dort den Beruf des Goldschmieds. Jetzt raten ihm die Arbeitsberater, er soll die Ausbildung abbrechen, dann könne er wieder Arbeitslosengeld II beziehen. Das will Yildirim nicht, er will die Ausbildung beenden. Da bleibt er stur.
Gibt es denn keine Hilfeleistungen in seinem Fall? Offensichtlich nicht:Bafög, die staatliche Unterstützung für die Ausbildung von Schülern und Studenten, kriegt Yildirim nicht: zu alt. Wird nur bis 30 Jahre gewährt. Ausnahmeregelungen, die es gibt, erfüllt er nicht. Eine Ausnahme wäre etwa, wenn er eine Familie hätte mit einem Kind, das bei ihm lebt. Yildirim hat zwar einen achtjährigen Sohn, für den allerdings seine von ihm getrennt lebende Partnerin das Sorgerecht hat. Das ALG II greift bei ihm sowieso nicht …, weil er wegen seiner Ausbildung nicht dem Arbeitsmarkt zur Verfügung steht. Auch hier gibt es eine Ausnahme: Azubis können vom Job-Center eine Förderung als Darlehen bekommen, wenn die Ausbildung nach der Berufsausbildungsbeihilfe förderungsfähig ist. Das ist sie nicht, denn Yildirims Ausbildung ist rein schulisch. Abgelehnt.
Und was sagt die offizielle Seite? »Günter Andes, Geschäftsführer des Job-Centers Kaiserslautern und Leiter des Referats Soziales der Stadt, stellt fest, dass Yildirim „etwas durch die Raster fällt“, doch helfen kann er nicht.«
So ist das also, wenn man „etwas durch die Raster fällt“.
Der Mann könnte es ja mal im Einzelhandel versuchen. Diese Branche ist ja seit Jahren und auch aktuell wieder Gegenstand der kritischen Berichterstattung in den Medien über die dort vorfindbaren Arbeitsbedingungen. Vermittlung in Dumpingjobs, so einer der Artikel, der sich mit den neuesten Erkenntnissen über den Verbleib der ehemaligen Schlecker-Beschäftigten auseinandersetzt. Von den mehr als 23.000 neuen „Klienten“ der Arbeitsagenturen aus den beiden Entlassungswellen im Zuge der Schlecker-Insolvenz haben immer noch die Hälfte keinen neuen Job gefunden. Hintergrund der Berichterstattung ist eine Studie des IAB, in der unter anderem auf die „Lohndiskrepanz“ zwischen dem, was die Frauen bei Schlecker bekommen haben und was ihnen jetzt im Einzelhandel geboten wird, wenn ihnen was geboten wird. Und dann findet man jetzt solche Überschriften, hier nur eines der vielen Beispiele: „Hoher Lohn erschwert die Vermittlung“. Das bedeutet, wenn man sich das einmal genau auf der Zunge zergehen lässt, dass die Zahlung von Tariflohn ein „Vermittlungshemmnis“ darstellt. So weit ist es also gekommen. Aber es geht noch weiter. Wenn man in die erwähnte IAB-Studie schaut, dann wird man dort auch mit der Sichtweise von „Fachkräften“ der Bundesagentur für Arbeit konfrontiert, die einen mehr als nachdenklich stimmen sollten:
»Zumindest teilweise würden die Arbeitslosen noch in einer „Schlecker-Parallelwelt“ leben, es fehle ihnen also der „Bezug zur Realität“ des Arbeitsmarktes, seinen Anforderungen und Bedingungen … Dabei würden sie verkennen, dass das heute nicht mehr funktioniert […], dass man sich selbst um Acht-Euro-Stellen mit anderen prügeln muss“.«
Alles klar? Das ist doch mal eine Ansage. Also man darf schon erwarten, dass die sich um 8-Euro-Jobs prügeln mit den anderen in der Schlange – so meine Anmerkung auf der Facebook-Seite von „Aktuelle Sozialpolitik“.
Da passt es dann schon irgendwie, dass die Arbeitgeber im Einzelhandel alle Tarifverträge gekündigt haben, auch die Manteltarifverträge: »Die Branche steht vor der härtesten Tarifauseinandersetzung seit Jahren – die Arbeitgeber stellen die gesamte Lohnstruktur in Frage«, so Eva Völpel unter der Überschrift Gretchenfrage Billiglohn in der „taz“. Also in dem Artikel hat mir ganz besonders das folgende Zitat gefallen, das von Heribert Jöris, Geschäftsführer des HDE: „Einfache Tätigkeiten müssen sich in eine vernünftige Zahlungshierarchie einordnen.“ Ein Schelm, der böses bei einer solchen Formulierung denkt.
Über den sich hier aufbauenden Großkonflikt berichtet auch „Spiegel Online“ unter der Überschrift: Abschied von der Kaltmamsell: »Im Jahr 2013 ist der Fahrstuhlführer in Kaufhäusern ausgestorben. Im Tarifvertrag des Einzelhandels aber lebt er weiter. Genau wie die Kaltmamsell, die Pelznäherin oder auch der Kaffeebeleser. Schon mal davon gehört? Bestimmt nicht, meint der Handelsverband HDE. Kaum jemand wisse heute noch, was sich hinter diesen Begriffen verberge, moniert der Verband und kündigte Anfang des Jahres den Manteltarif, der die Strukturen in der Branche mit fast drei Millionen Beschäftigten regelt … Die Arbeitgeber stören sich in Wahrheit an viel mehr als an den verstaubten Berufen und Begriffen … Die Arbeitgeber fordern daher seit langem, dass die alten Berufe aus dem Vertragswerk gestrichen und neue aufgenommen werden. Allerdings: Mit der Reform der Berufe hängt unmittelbar auch die Bezahlung zusammen, die neu geregelt werden müsste. Und genau das ist der Knackpunkt. Die Gewerkschaft Ver.di warnt davor, dass die Arbeitgeber vor allem deshalb grundlegend an die Verträge wollten, um das Lohnniveau und die Standards im Einzelhandel zu drücken. So könnten Zuschläge für Nachtarbeit, Urlaubs- oder Weihnachtsgeld in Frage gestellt werden …« Das die Gewerkschaft echte Bauchschmerzen hat kann man verstehen: »Aus Sicht von Experten steckt der Einzelhandel in einem großen Dilemma: Um Fachkräfte oder überhaupt Nachwuchs anzuziehen, müssten die Löhne für manche Berufe dringend erhöht werden. Zugleich dürften die Kosten insgesamt nicht steigen. „Es wird Berufe geben, die in Neuverträgen billiger werden müssen“, sagt Thomas Roeb von der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg.« Vor diesem Hintergrund ist die folgende Information hoch problematisch – und die Arbeitgeber wissen davon und setzen darauf: »Die Gewerkschaft ist zunehmend geschwächt, weil Werkverträge, die Zahl befristeter und geringfügiger Jobs im Einzelhandel, bereits stark zugenommen haben. Entsprechend wenig Drohpotential für einen möglichen Streik hat Ver.di.« Keine guten Aussichten für die Arbeitnehmerseite.
Apropos Einzelhandel – sie können es einfach nicht lassen, wird der eine oder die andere denken, wenn man sich die neuesten Eskapaden in dieser Branche anschaut: »Deutschlands zweitgrößtem Lebensmittelhändler droht ein Spitzelskandal. Laut ZDF-Magazin „Frontal 21“ soll die Rewe-Gruppe flächendeckend Mitarbeiter ausspionieren. Das Unternehmen spricht von begründeten Einzelfällen – bis heute gibt es in Rewe- und Penny-Filialen versteckte Kameras«, berichtet „Spiegel Online“. Der Beitrag des ZDF-Politikmagazins „Frontal 21“ kann als Video abgerufen werden: REWE-Gruppe bespitzelt Mitarbeiter. Kameraanlagen über Wochen in Filialen installiert.
Auch das Sonderrecht der Kirchen in den von ihnen betriebenen Einrichtungen hinsichtlich der arbeitsrechtlichen Sonderstellung der dort beschäftigten Menschen ist erneut zum Thema geworden: Kirchenaustritt rechtfertigt Kündigung, so kurz und knapp die „Süddeutsche Zeitung“: Die zahlreichen Missbrauchsfälle hatten einen Sonderpädagogen zum Austritt aus der katholischen Kirche bewogen. Daraufhin verlor der Mann seinen Job in einer Caritas-Einrichtung in Mannheim. Jetzt hat das Bundesarbeitsgericht über die Rechtmäßigkeit der Kündigung entschieden. Der 60-jährige Caritas-Mitarbeiter, der in einem Hort arbeitet, »war … 2011 aus der katholischen Kirche ausgetreten. Daraufhin kündigte ihm sein Arbeitgeber. Zu Recht, wie jetzt das Bundesarbeitsgericht urteilte. Der Austritt sei ein schwerer Loyalitätsverstoß, der die Entlassung aus dem kirchlichen Dienst rechtfertige, entschied das Gericht in Erfurt (2 AZR 579/12).« Weitere Informationen gibt es in einer Pressemitteilung des Bundesarbeitsgerichts.