Das mehr als umstrittene „Intensivpflege-Stärkungsgesetz“: Zwischen existenzieller Bedrohung, den unterschiedlichen Betroffenen und einer Selbstverpflichtung etablierter Institutionen auf Landesebene

Was war – und ist – das für ein Aufruhr von Betroffenen und Aktivisten aus der Behindertenbewegung: Das geplante „Reha- und Intensivpflege-Stärkungsgesetz“ (RISG) des Bundesgesundheitsministers Jens Spahn (VDU) schlägt ziemlich hohe Wellen. Darüber wurde bereits ausführlich informiert in dem Beitrag RISGantes Vorhaben: Beatmungspatienten zukünftig (fast) immer ins Heim oder in eine Intensivpflege-WG? Von vermeintlich guten Absichten, monetären Hintergedanken und einem selbstbestimmten Leben vom 24. August 2019. Mit diesem Beitrag wurde versucht, über die soweit derzeit erkennbaren Intentionen des Gesetzentwurfs und die – sollte das Wirklichkeit werden – fatalen Folgen für einen Teil der betroffenen Menschen und ihrer Angehörigen aufzuklären. Es geht hier um „Beatmungspatienten“ und die Heftigkeit, Härte und Verbitterung, die dem umtriebigen Minister entgegenschlägt (vgl. dazu nur als ein Beispiel den Artikel „Dann will ich nicht mehr leben“), kann man nur verstehen, wenn man sich der existenziellen Einschränkung der Betroffenen, aber auch der für viele Außenstehende nicht vorstellbaren, tatsächlich aber gegebenen Vielgestaltigkeit der unterschiedlichen Lebenslagen der als „Beatmungspatienten“ zu einer irgendwie technokratisch daherkommenden und homogen erscheinenden Personengruppe aggregierten Menschen bewusst wird.

Über wen wird hier also gesprochen und was sind das für Menschen, deren Aufenthaltsort und Versorgung man meint, schematisch und typisierend regeln zu können?

Wir reden hier über schwer kranke Menschen jeden Lebensalters, »die dank intensivmedizinischer Interventionen akute, zuweilen lebensbedrohliche Erkrankungsphasen überlebt haben oder die sich in voranschreitenden oder späten Phasen schwerer chronischer Erkrankungen befinden. In Abhängigkeit von ihrer Grunderkrankung, der Art und Zahl der Begleiterkrankungen sowie des jeweiligen Gesundheitszustands sind sie zur Aufrechterhaltung ihrer Vitalfunktionen sowie zur Unterstützung der Behandlung zeitweise oder dauerhaft von implantierten, penetrierenden (z.B. Trachealkanüle, Port) und/oder externen, mit dem Körper verbundenen technischen Systemen abhängig (z. B. Beatmungsgerät, Zwerchfellstimulator, Infusions-/Spritzenpumpen, Ernährungspumpe, Dialysator, Kunstherz/VAD). Darüber hinaus besteht umfänglicher Bedarf an pflegerischer Unterstützung und alltagsnaher Fremdhilfe bei den Aktivitäten des täglichen Lebens, der hauswirtschaftlichen Versorgung sowie nicht zuletzt der individuellen Bewältigungsarbeit.« So die allgemeine, immer noch sehr abstrakt daherkommende Beschreibung von Michael Ewers und Yvonne Lehmann in ihrem Beitrag Pflegebedürftige mit komplexem therapeutisch-technischem Unterstützungsbedarf am Beispiel beatmeter Patienten, in: Jacobs, K. et al. (2017): Pflege-Report 2017, Stuttgart 2017, S.64. Geht es konkreter?

Verdeutlichen wir das, was hier angesprochen wurde, wenigstens an zwei Fallbeispielen. Die zugleich auch aufzeigen können und sollen, dass wir alle oftmals nur einen Schritt weit entfernt sind von der Situation der Menschen, auf die sich jetzt der neue Gesetzentwurf bezieht.

➔ Fallbeispiel 1: »Jürgen K. ist ehemaliger Bankangestellter, aber wegen Amyotrophen Lateralsklerose (ALS) seit geraumer Zeit nicht mehr arbeitsfähig. ALS ist eine nicht heilbare Erkrankung des motorischen Nervensystems. Sie geht mit voranschreitenden Nervenschädigungen einher, die zunehmend mehr Muskelfunktionen beeinträchtigen –darunter auch die Funktion der Atemmuskulatur. Inzwischen ist die Krankheit bei Jürgen K. so weit vorangeschritten, dass der 57-jährige seit knapp einem Jahr über ein Tracheostoma – eine operativ angelegte Öffnung der Luftröhre – künstlich beatmet werden muss. Neben dieser invasiven Beatmung wird er auch über eine Magensonde künstlich ernährt. Seine Bewegungsfähigkeit ist stark eingeschränkt, sodass er sich selbst nicht mehr bewegen kann. Für jeden Handgriff bei den Aktivitäten des täglichen Lebens ist er auf Unterstützung von anderen angewiesen. Trotz seiner hochgradigen Pflegebedürftigkeit und der Notwendigkeit einer kontinuierlichen Überwachung seiner invasiven Beatmung lebt Jürgen K. nicht in einer stationären Pflegeeinrichtung, sondern gemeinsam mit seiner Ehefrau und dem 16-jährigen Sohn in seinem eigenen Zuhause. Dort wird er rund um die Uhr von Pflegefachkräften eines ambulanten Intensivpflegedienstes versorgt.« (Quelle: Michael Ewers und Yvonne Lehmann (2018): „Und dann hängt man da dran …“. Langzeitversorgung von Pflegebedürftigen mit invasiver Beatmung, in: Nachrichtendienst des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge, Heft 8/2018, S. 417).

➔ Fallbeispiel 2: »Miriam Sachs hat Angst. Sie fürchtet sich davor, alles zu verlieren, was ihr wichtig ist. Ihr soziales Umfeld, ihre Wohnung, ihren Hund, ihre Arbeit, die Möglichkeit zu reisen. Eben alles „was ein Leben lebenswert macht“, sagt sie … Die 25-Jährige sitzt aufgrund einer Muskeldystrophie im Elektrorollstuhl. Um nachts genügend Sauerstoff zu bekommen, wird sie von einem Beatmungsgerät unterstützt. Mit einer Assistenz, die sie rund um die Uhr versorgt, kann die junge Frau dennoch in ihrer eigenen Wohnung in Minden leben und jederzeit das machen, was sie möchte. Sie ist frei und kann selbstbestimmte Entscheidungen treffen.« (Mindenerin zu Beatmung nur im Heim: „Jens Spahn weiß nicht, was das bedeuten würde“, 27.08.2019)

Und was die häusliche Intensivpflege – wohlgemerkt nicht in einer Intensivpflege-WG oder einem Pflegeheim – auch bedeutet, kann man an der Fortsetzung des Fallbeispiels 1, also des ehemaligen Bankangestellten Jürgen K, in Umrissen erkennen:

»Das Zuhause der Familie K. wurde an die Erfordernisse der häuslichen Beatmung und Pflegebedürftigkeit angepasst – soweit dies in der 3-Zimmer-Eigentumswohnung im Hochparterre eines Mehrfamilienhauses eben möglich war. Aus dem Wohnzimmer wurden Möbel entfernt und das Pflegebett mitten im Raum aufgestellt. Dies erleichtert zum einen Pflegehandlungen, zum anderen hat Jürgen K. so Sicht in den Garten und kann aus den Augenwinkeln auch die Geschehnisse durch die meist offenstehenden Türen in der Küche und im geräumigen Flur der Wohnung verfolgen. Dieser wird als Aufenthaltsraum der rund um die Uhr anwesenden Mitarbeiter/innen des ambulanten Intensivpflegedienstes genutzt. Die Pflegefachkräfte können Jürgen K. so leicht beobachten und in Notsituationen unmittelbar reagieren, ohne stets neben ihm sitzen zu müssen. Das hatte er – besonders in den ersten Monaten – als störend und unangenehm empfunden. Das gemeinsame Schlafzimmer hat Beate K. inzwischen so umfunktioniert, dass sie und ihr Sohn sich dort aufhalten, fernsehen oder sich einfach auch mal vor den Pflegenden zurückziehen können. Küche und Bad müssen sie aber mit den Fremden teilen – was nicht immer ganz einfach ist. Im Wohnzimmer, rund um das Pflegebett von Jürgen K., befinden sich auf dem Nachtschrank und den Rolltischen zahlreiche technische Geräte und Hilfsmittel, die durch Licht- und Tonsignale sowie Bedienungsgeräusche immer wieder Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Ein ehemaliges Bücherregal wurde für die Lagerung notwendiger Pflegehilfsmittel umfunktioniert. Damit die Wohnung nicht vollständig wie eine „Intensivstation“ aussieht, versucht Beate K. all das, was nicht unmittelbar und ständig benötigt wird, in Schränken zu verstauen oder mit geblümten Stoffen abzudecken. Für den lautstarken Sauerstoffkompressor hat sie aber noch keine geeignete Lösung gefunden.« (Ewers/Lehmann 2018: 420).

Und auch das darf nicht fehlen: »Damit er mit den Menschen in seinem Umfeld kommunizieren kann, muss die Trachealkanüle von Jürgen K. „entblockt“ werden. Dabei wird Luft aus dem sogenannten „Cuff“ entfernt. Das ist eine Art Luftballon, der die Kanüle umgibt und das Herausrutschen „des Schlauchs im Hals“ und das Eindringen von Sekret aus den oberen Atemwegen in die Lunge verhindern soll. Jürgen K. ist es wichtig, seine Sprechfähigkeit so lange wie möglich zu erhalten – auch wenn sie inzwischen auf ein fast tonloses Flüstern reduziert ist und ihn viel Kraft kostet. Mit seiner Frau, seinem Sohn und den Helfern verbal kommunizieren zu können, wenn auch nur unter erschwerten Bedingungen, bedeutet für ihn Lebensqualität. Gleiches gilt für die natürliche Nahrungsaufnahme. So verabreicht Beate K. ihrem Mann gelegentlich selbst gekochtes, passiertes Essen, um ihm eine Freude zu machen. Dabei wissen beide um die damit verbundenen Risiken eines Verschluckens mit möglicherweise folgender Pneumonie. Die Pflegefachkräfte sehen das kritisch und auch der betreuende Hausarzt hat davon abgeraten. Beate K. hält dennoch an dieser Praxis fest und ihr Mann signalisiert ihr Dankbarkeit dafür.« (Ewers/Lehmann 2018: 420f.).

Wenn man versucht, die Vielgestaltigkeit der Fälle dann doch wieder in Gruppen zu systematisieren, dann bietet sich dieser Ansatz von Ewers/Lehmann (2017: 65f.) an:

➔ »Eine erste Gruppe bilden Pflegebedürftige mit (seltenen) neuromuskulären Erkrankungen wie Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) oder Muskeldystrophie, die aus medizinischer Sicht ansonsten als „organgesund“ gelten. Sie nutzen seit längerem therapeutische Angebote und greifen bewusst auf Möglichkeiten der modernen Medizin(technik) zurück, um trotz schwerster Gesundheitsbeeinträchtigungen weiterleben und ihre Lebensqualität erhalten zu können. Viele dieser meist jüngeren Pflegebedürftigen sind gut informiert, entscheidungsfähig und um Autonomie bemüht. Sie bevorzugen daher eine häusliche Versorgung und eine kompensierend angelegte, alltagsnahe Unterstützung durch persönliche Assistenten gegenüber einer professionellen Pflege und der Unterbringung in stationären Einrichtungen.«

➔ »Eine zweite, stark wachsende Gruppe besteht aus Pflegebedürftigen, die meist aufgrund ihres fortgeschrittenen Alters, chronischer Krankheit und Multimorbidität, eines schlechten Allgemeinzustands, akuter Krankheitsepisoden oder infolge von Unfällen vorübergehend auf Intensivstationen behandelt und künstlich beatmet werden müssen. Dort können sie weder erfolgreich entwöhnt noch dauerhaft behandelt werden, weshalb sie in nachgeordnete Einrichtungen („Step-down-Units“) oder spezialisierte Pflegesettings weitergeleitet werden. Ein fragiler Gesundheitszustand, ausgeprägte Abhängigkeit von Fremdhilfe, begrenzte Autonomie und Entscheidungsfähigkeit sowie eine in vielen Fällen begrenzte Lebenserwartung stellen hohe Anforderungen an eine primär palliativ ausgerichtete qualifizierte Pflege und medizinische Versorgung

➔ »Auch in der dritten Gruppe finden sich Pflegebedürftige, die dank moderner Intensivmedizin lebensbedrohliche Krankheitsphasen überwunden haben, anschließend aber weiter von therapeutisch-technischen und medizinisch-pflegerischen Maßnahmen abhängig sind. Als problematisch erweist sich in diesen Fällen das komplexe Zusammenwirken mehrerer gleichzeitig auftretender Erkrankungen verschiedener Organsysteme (z.B. Atmungs-, Herz-Kreislauf-, Nervensystem). Nach mehr oder weniger langen Phasen der Rekonvaleszenz, unter günstigen gesundheitlichen Bedingungen und nach erfolgreich durchgeführter Entwöhnung können diese Pflegebedürftigen wieder ein weitgehend eigenständiges Leben führen. Voraussetzung dafür ist jedoch eine konsequent rehabilitativ-aktivierende Pflege und Therapie, die vorhandene Ressourcen der Patienten anregt, ihren Regenerationsprozess unterstützt und ihre Selbstversorgungsfähigkeit fördert.«

Eines sollte diese Kurzbeschreibung mehr als offensichtlich machen: Für das, was da am und mit den Betroffenen getan werden muss bzw. getan werden sollte, braucht man entsprechend qualifiziertes Pflegepersonal. Pflegefachkräfte. Das kann und darf man nicht delegieren an irgendwelche Hilfskräfte – genau aber das ist dann das Problem (gewesen), wenn Missstände in der ambulanten Intensivpflege bekannt geworden sind. Dass man fachlich nicht geeignetes Personal eingesetzt hat – und das bei Preisen, die deshalb so hoch sind, weil in der Kalkulation entsprechend qualifizierte Kräfte angenommen werden. Gegen diese Missstände will das RISG zu Felde ziehen. Aber wie bereits erörtert bleibt der Gesetzentwurf eigenartig unausgewogen, denn die Intensivpflege-WGs, aus denen in der Vergangenheit die meisten Probleme ans Tageslicht gekommen sind, sollen zwar höheren Qualitätsanforderungen unterworfen werden, zugleich aber werden diese „kleinen Heime ohne Heimerlaubnis“ neben den klassischen Pflegeheime als zukünftige Regelversorgungsformen festgeschrieben und die eigene Häuslichkeit jenseits des Kindesalters nur noch als möglicherweise von den Kostenträgern zu bewilligende Ausnahme auf eine Restgröße eingedampft.

Genau das ist der Punkt, an dem sich die Betroffenen und ihre Angehörigen existenziell von dem Gesetzentwurf bedroht fühlen. Dass sie ihre Selbstbestimmung entzogen bekommen und wenn, dann auf die Rolle eines Bittstellers reduziert werden, wo man um eine Ausnahmegenehmigung seitens der Krankenkassen betteln darf.

Nun gäbe es eine naheliegende Lösung, was diesen Passus im Referentenentwurf angeht: Man müsste das einfach streichen und neben den Pflege-WGs und den Pflegeheimen eben auch die eigene Häuslichkeit als Ort der Intensivpflege ermöglichen. »Spahns Entwurf sieht vor, dass nur „in Ausnahmefällen“ ein Anspruch auf Intensivpflege zu Hause besteht. Diese Passage muss einfach weg«, so auch die Schlussfolgerung von Barbara Dribbusch in ihrem Artikel Spahns Unheil. Mit einer großen Wahrscheinlichkeit sind wir genau hier an dem eigentlich kritischen Punkt des Entwurfs angekommen, der sich erschließt, wenn man etwas macht, was in der Sozialpolitik immer hilfreich ist: Dem Geld folgen. Denn die teuerste Form der ambulanten Intensivpflege ist natürlich die Versorgung des einzelnen Menschen in seiner Häuslichkeit. Die Pflege-WG kommt da schon billiger und noch preiswerter wäre sicher eine Unterbringung im Pflegeheim neben vielen anderen Bewohnern, die dort versorgt werden müssen.

Hinweise, dass wir hier beim Kern des eigentlichen Anliegens angekommen sind, findet man auch in diesen Ausführungen des Ministers selbst: »Spahn referiert … auch über die hohen Kosten der Intensivpflege. Bis zu 30.000 Euro im Monat könne eine häusliche 24-Stunden-Pflege mit Beatmung die Kassen kosten. Vier, fünf oder mehr Leute müssen rund um die Uhr im Schichtdienst eingesetzt werden. Spahn spricht von Problemen mit der „Qualität“ der Intensivpflege, die besser überwacht werden müsse.« So Barbara Dribbusch in ihrem Artikel „Dann will ich nicht mehr leben“, in dem sie über die Proteste der Menschen mit Behinderung am Tag der offenen Tür der Bundesregierung berichtet.

Und es gibt weitere Argumente für das Anliegen, den Bereich der ambulanten Intensivpflege in der eigenen Häuslichkeit der Betroffenen auszutrocknen und die Menschen in größeren Einheiten zu konzentrieren. Neben dem grundsätzlich betriebswirtschaftlichen Argument („Kostendegression“) ist es vor allem die Tatsache, dass die ambulanten Pflegedienste an sich schon erhebliche Probleme haben, überhaupt noch lebendes Personal zu finden. Und ein Beatmungspatient bei sich zu Hause – der Minister hatte darauf hingewiesen – verursacht einen deutlich höheren Personalbedarf als wenn er oder sie in einer WG oder gar in einem Heim leben würde/müsste. Und die Heimbetreiber könnten angesichts ihrer oftmals extremen Schwierigkeiten, Personal zu finden, auf die Idee kommen, dass der Wegfall der ambulanten Intensivpflege in den Wohnungen der Betroffenen für sie eine gute Sache sein könnte, weil es durchaus Pflegekräfte gibt, die bewusst aus dem Heim- in das ambulante Pflegesetting wechseln und somit nicht mehr für die Heime zur Verfügung stehen.

Aber neben dem Protest scheint sich nun auch auf einer anderen Ebene was zu tun. Auf Twitter erfährt man aus Rheinland-Pfalz:

Eine „deutliche Nachbesserung“ des RISG-Entwurfs wird gefordert? Und eine Ministerin, die mit den Worten zitiert wird, dass pflegebedürftige Menschen selbst wählen dürfen, wo sie intensivpflegerisch versorgt werden wollen? Ist das der große Gegentwurf zum Spahn’schen Vorstoß?

Auf der Seite des rheinland-pfälzischen Sozialministeriums findet man dann diese Pressemitteilung: Papier zur Steigerung der Qualität in der ambulanten Intensivbehandlungspflege verabschiedet. »Die rheinland-pfälzische Gesundheitsministerin Sabine Bätzing-Lichtenthäler und der Präsident der Landespflegekammer Rheinland-Pfalz, Dr. Markus Mai, haben gemeinsam mit den gesetzlichen Krankenkassen in Rheinland-Pfalz, der PflegeGesellschaft Rheinland-Pfalz, vertreten durch den Bundesverband privater Anbieter (bpa), dem Sozialverband VdK, der LAG Selbsthilfe Behinderter, der Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz, dem Landesamt für Soziales, Jugend und Versorgung und dem Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Rheinland-Pfalz ein „Papier zur Steigerung der Qualität in der ambulanten Intensivbehandlungspflege“ verabschiedet.« Das ist ja nun mit Blick auf die beteiligten Institutionen eine im wahrsten Sinne des Wortes konzertierte Aktion. »Die Entwicklungen auf Bundesebene werden wir verfolgen und uns in das Gesetzgebungsverfahren auch mit Ideen aus Rheinland-Pfalz einbringen«, so die angesichts der Brisanz des Themas irgendwie bemüht daherkommenden Worte der Sozialministerin Sabine Bätzing-Lichtenthäler (SPD).

»Im Rahmen mehrerer konstruktiver Fachgespräche wurden die 10 dringlichsten Handlungsfelder im Bereich der ambulanten Intensivbehandlungspflege identifiziert und mit konkreten Maßnahmen und Verantwortlichkeiten im Sinne einer Selbstverpflichtung aller Beteiligten versehen.«
Eine „Selbstverpflichtung“ also – da wird der eine oder andere sicher schon die Stirn runzeln. Ob das funktionieren kann? Und so etwas darf natürlich auch nicht fehlen: »Nach einem Jahr sollen die Ergebnisse der Maßnahmen evaluiert und gegebenenfalls weiterentwickelt werden.«

Aber was sind das für Maßnahmen genau? Dazu im Original:

➔ Ministerium für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie des Landes Rheinland-Pfalz et al. (2019): Papier zur Steigerung der Qualität in der ambulanten Intensivbehandlungspflege, Mainz, August 2019

»Alle Beteiligten fördern im Rahmen ihrer Möglichkeiten die Erhaltung und Wiedergewinnung der selbstbestimmten Teilhabefähigkeit bis hin zur Selbstständigkeit intensivbehandlungspflegebedürftiger Menschen, insbesondere im Hinblick auf die Entwöhnung von Beatmungsgeräten.« Mit diesen salbungsvollen Worten beginnt das Papier. Dann aber wird es konkreter:

➞ »Das Land setzt sich auf der Bundesebene dafür ein, dass MDK und Prüfdienst der
PKV künftig ein Prüf- und Begehungsrecht für ambulante Intensivpflegewohnformen erhalten.«
➞ »Das Ministerium und das Landesamt für Soziales, Jugend und Versorgung schärfen auf der Grundlage der Regelungen im Landesgesetz über Wohnformen und Teilhabe (LWTG) die Anforderungen, die an die Konzepte von Intensivpflegewohnformen gestellt werden … Die Landesregierung prüft den Bedarf für weitergehende Regelungen zum Schutz von intensivbehandlungspflegebedürftigen Bewohnerinnen und Bewohnern, die in Intensivpflegewohnformen leben.«
➞ »Im Hinblick auf die Einhaltung der geltenden Hygienevorschriften tragen die Träger von Intensivpflegewohnformen die Verantwortung zur Umsetzung des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) und sie setzen sich wegen der Umsetzung der entsprechenden Anforderungen mit dem jeweils zuständigen Gesundheitsamt in Verbindung.«
➞ Es sollen Gespräche „über einen Rahmenvertrag“ geführt werden.
➞ »Die Beteiligten sprechen sich dafür aus, dass das eingesetzte Pflegepersonal zwingend über die erforderlichen beruflichen Qualifikationen, Erfahrungen sowie persönlichen, fachlichen und sprachlichen Kompetenzen verfügen muss, die für die hochsensible Versorgung von intensivbehandlungspflegebedürftigen Menschen unerlässlich sind.«

Das war es schon. Nicht wirklich aufregend. Die einzelnen Punkte stehen nun auch im Gesetzentwurf des Bundesministers und an anderen Stellen haben wir es nur mit appellativen Statements zu tun: In dem Papier findet sich hingegen kein einziger Hinweis auf Maßnahmen, mit denen beispielsweise die so umstrittenen Fragen des Wahlrechts und der selbstbestimmten Entscheidung der Betroffenen adressiert werden. Wirklich überzeugend kommt das nicht rüber.

Da kann man nur auf das tatsächliche parlamentarische Verfahren hoffen, in dem dann über das bislang nur als Referentenentwurf vorliegende RISG nicht nur entschieden, sondern dieses hinsichtlich der strittigen und problematischen Punkte diskutiert sowie (möglicherweise) auch verändert werden kann.