Die Paketbranche boomt – und die Löhne der Paketzusteller sinken? Das darf doch gar nicht sein. Eigentlich

Erst vor kurzem konnten hier erfreuliche Nachrichten aus der Welt der Paketzusteller berichtet werden: Die Paketsparte der Deutschen Post beendet die umstrittene und seit vier Jahren andauernde Zweiklassengesellschaft in ihrem Haus, so der Beitrag Endlich mal eine gute Nachricht: Die Zweiklassengesellschaft wird beendet. Also bei der Deutschen Post und ihren Paketzustellern vom 28. März 2019. Und dort konnte man sogar den Vorstandschef der Deutschen Post, Frank Appel, mit den Worten zitieren, man wolle sich „bewusst von einem Niedriglohnwettbewerb in der Branche“ abgrenzen. 13.000 Mitarbeiter, die zuvor ausgelagert und nach den Tarifverträgen des Logistikgewerbes bezahlt wurden, kehren künftig unter den höheren Post-Haustarifvertrag zurück. Ein starkes Signal und längst überfällig.

Und nun erreichen uns solche Meldungen: Die Paketbranche boomt – die Löhne der Zusteller sinken, so haben Gregor Mayntz und Eva Quadbeck ihren Beitrag überschrieben. Bitte was? Mittlerweile müsste doch jeder mitbekommen haben, unter welchen Bedingungen viele Paketzusteller arbeiten müssen und dass in der Branche immer lauter über einen Mangel an Personal geklagt wird, mit dem man die wachsenden Paketberge abarbeiten kann. Laut Bundesnetzagentur wurden 2007 rund 1,6 Milliarden Standardpakete zugestellt, 2017 waren es eine Milliarde mehr. Zugleich wird allerorten Personal knapp. Bis zu 5000 zusätzliche Zusteller will in diesem Jahr allein die Deutsche Post anheuern.

»Der Markt der Paketdienste boomt, aber die Verdienste der Beschäftigten gehen trotz wachsender Nachfrage immer weiter zurück. Wie die Bundesregierung auf eine Anfrage der Linken mitteilte sank das mittlere Bruttomonatsentgelt in der Branche von 2007 bis 2017 von 2.859 auf 2.478 Euro. Das ist eine Abnahme um 13 Prozent. Zugleich stiegen die Vergleichsentgelte in der Gesamtwirtschaft um 23,7 Prozent.«

Grundlage der Berichterstattung ist die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage des Abgeordneten Pascal Meiser und der Fraktion DIE LINKE im Deutschen Bundestag: „Arbeitsbedingungen in der Branche der Paket-, Express- und Kurierdienstleistungen“.

In seiner Zusammenfassung der Antwort der Bundesregierung weist Pascal Meiser darauf hin, dass das mittlere Bruttomonatsentgelt in der Branche im Jahr 2007 noch signifikant höher (10,2%) als das in der Gesamtwirtschaft war. Nur zehn Jahre später, im Jahr 2017, lag die Zahl knapp 30% niedriger als in der Gesamtwirtschaft.

Laut der Beschäftigungsstatistik der Bundesagentur für Arbeit arbeiteten im Jahr 2018 427.000 Beschäftigte in der Post-, Kurier und Expressbranche. 2008 waren es 344.000 gewesen, also innerhalb der letzten zehn Jahren sehen wir eine Steigerung um 24,1 Prozent. 176.000 oder 41,2 Prozent der 427.000 Beschäftigten im Jahr 2018 arbeiteten in Vollzeit – gegenüber 2008 ist das eine Steigerung um mehr als 60 Prozent. Dennoch: Der Anteil von Teilzeitbeschäftigten an allen Arbeitsstunden lag in der Branche mit 42,3 Prozent deutlich höher als in der Gesamtwirtschaft (28,2 Prozent).

Laut Statistischem Bundesamt war das mittlere Bruttomonatsentgelt (Median) von sozialversicherungspflichtigen Vollzeitbeschäftigten in der Post-, Kurier und Ex- pressbranche im Jahr 2017 knapp 30% niedriger als das mittlere Bruttomonatsentgelt in der Gesamtwirtschaft. Im Jahr 2007 war das mittlere Bruttomonatsentgelt in der Post-, Kurier und Expressbranche noch signifikant höher (10,2%) als das in der Gesamtwirtschaft.

Es zeigen sich erhebliche Unterschiede zwischen tarifgebundenen und nicht-tarifgebundenen Unternehmen:

Im Jahr 2017 verdienten Vollzeitbeschäftigte in tarifgebundenen Unternehmen durchschnittlich 662 Euro brutto mehr als Vollzeitbeschäftigte in nicht-tarifgebundenen Unternehmen in der Branche. Im Jahr 2007 belief sich die Diskrepanz noch auf „nur“ 363 Euro. In tarifgebundenen Unternehmen in der Post-, Kurier- und Expressbranche ist der durchschnittliche Bruttomonatsverdienst von Vollzeitbeschäftigten zwischen 2007 und 2017 um 4,3% auf 3.244 Euro angestiegen. In nicht-tarifgebundenen Unternehmen ist die Zahl im gleichen Zeitraum um 6,0% auf 2.582 Euro gesunken.

Und auch das ist bezeichnend: 230.000 Beschäftigte in der Post-, Kurier- und Expressbranche oder 49,2 Prozent aller Beschäftigten in der Branche verdienten 2014 einen Niedriglohn von (damals) weniger als 10 Euro. Damit lag der Niedriglohnanteil in der Branche mehr als doppelt so hoch wie in der Gesamtwirtschaft (21,4 Prozent).

Die Daten sind mehr als aufschlussreich und man ist an dieser Stelle natürlich gespannt, wie darauf die „andere“ Seite reagiert – und die ihr zugeneigte Wirtschaftspresse, denn eigentlich sollte doch die Lohnentwicklung angesichts des vielbeklagten Mangels an Paketzustellern und einer boomenden Auftragslage ganz anders aussehen, auch und gerade nach den traditionellen Lehrbüchern. Also werfen wir einen Blick in die FAZ, die diese Funktion immer gut auszuüben versucht. In der Print-Ausgabe vom 9. April 2019 findet man diesen Artikel: „Aufregung um die Löhne der Paketboten“: »Der Medianlohn in der Wachstumsbranche Paketzustellung ist seit 2007 stark geschrumpft – Woher kommt das?«

»Fallen also die Löhne der Paketszusteller auf breiter Front, obwohl ihre Branche kräftig wächst und die Unternehmen händeringend Personal suchen?«, fragt die FAZ und man ist auf die Antwort, die sich eigentlich aus den vorliegenden Daten ergibt, gespannt, denn das darf nach allen Regeln der ökonomischen Kunst doch nicht sein. Eigentlich. Für die FAZ ist hingegen nur eines sicher: »Unzweifelhaft ist an der beschriebenen Entwicklung allerdings nur, dass das Geschäftsfeld Paketzustellung stark wächst.« Ach ja.

Aber warum sinken die mittleren Löhne? Das ist die offene Wunde. Also muss Salbe her: »Es liegt vor allem daran, dass die statistische Größe, der Median, wenig über individuelle Lohnentwicklungen sagt: Der Medianlohn ist der Lohn, der genau in der Mitte liegt; eine Hälfte der Beschäftigten verdient mehr, die andere Hälfte weniger. Ein niedrigerer Medianlohn im Zeitvergleich kann daher viele Ursachen haben – auch die, dass neben den bisherigen Mitarbeitern mit steigenden Löhnen neue Zusteller mit einem niedrigeren Lohnniveau dazugekommen sind.«

Das wird dann weiter abgefüttert: »Branchenvertreter sehen darin in der Tat eine zentrale Erklärung. Zum einen wächst das Volumen der Zustellung an Endverbraucher noch stärker als die Belieferung von Firmenkunden, wie der Bundesverband der Kurier- und Expressdienste betont. Da aber im Endkundengeschäft die Margen geringer seien, steige in der Paketbranche der Anteil an Beschäftigten im unteren Bereich der Lohnskala umso stärker. Zum anderen, betont der Bundesverband Paket- und Expresslogistik, führe das Wachstum schlicht dazu, dass der Anteil der Paketfahrer im Verhältnis zu kaufmännischen Mitarbeitern in den Zentralen steige. Da Ausliefern eine geringer qualifizierte und geringer entlohnte Tätigkeit ist, drückt dies den gemessenen Median.«

Und weitere Aspekte, so die FAZ, müssen bedacht werden: »Daneben hat die Suche nach Personal offenbar noch einen Effekt: Mitarbeiter, die zuvor als Minijobber unterwegs waren und von der Lohnstatistik nicht erfasst wurden, werden nun regulär, wenn auch zu unterdurchschnittlichen Löhnen angestellt. Laut Statistik ist die Zahl der Vollzeitbeschäftigten in der Branche binnen zehn Jahren um 70 Prozent auf 175 000 gestiegen, die Zahl der Minijobber dagegen um 10 Prozent auf 123 000 geschrumpft. Daneben hat aber wohl auch die vor vier Jahren von der Deutschen Post begonnene und nun beendete Ausgliederung ihrer Paketzusteller die Lohnstatistik gedrückt.«

Das alles sind an sich richtige Hinweise, nur ändert das nichts an der Ausgangsfrage: Warum sinken die mittleren Löhne in einer Branche, die von Rahmenbedingungen gekennzeichnet sind, die eher zu steigenden Löhnen auf breiter Front führen müssten? Es überrascht nicht, dass die FAZ diese Frage nicht erneut aufruft, sondern die zitierten Teilaspekte stehen lässt und den Artikel beendet.

So erfährt der FAZ-Leser auch nicht, dass die Löhne für einen überdurchschnittlich großen Teil der Beschäftigten so niedrig sind, dass die davon Betroffenen Anspruch haben auf aufstockende Hartz IV-Leistungen, also eine aus Steuermittel zu leistende Subventionierung des Niedriglohnsektor. Konkret sehen die Zahlen für das vergangene Jahr so aus: 2018 lag der Aufstockeranteil der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten (4,2 Prozent) in der Branche mehr als doppelt so hoch als in der Gesamtwirtschaft (1,8 Prozent). Und der Aufstockeranteil der ausschließlich geringfügig Beschäftigten (14,2 Prozent) in der Branche lag um mehr als die Hälfte höher als in der Gesamtwirtschaft (9,3 Prozent).

Sonst müsste der Bericht zugestehen, dass es den Arbeitgebern in dieser Branche offensichtlich gelungen ist, die Löhne in den vergangenen Jahren bei einer wachsenden Beschäftigtenzahl zu drücken – und zwar erheblich, wie wir gesehen haben. Und wir wissen alle, dass dies auch durch die Rekrutierung von Menschen aus anderen Ländern, beispielsweise aus Rumänien oder noch weiter ostwärts liegenden Staaten praktiziert wurde. Aber selbst bei denen spricht sich herum, was für Arbeitsbedingungen hier herrschen und wie die Vergütung aussieht.

Man kann nur vermuten, dass beispielsweise die Deutsche Post ahnt bzw. sicher davon ausgeht, dass die Zeit, in der man die Beschäftigten (oder neue von außen rekrutierte Kräfte) auf die Rutschbahn nach unten setzen und damit deutlich „günstiger“ haben kann als bislang, vorbei sind. Und man will sich im „oberen“ Segment gegenüber den anderen Mitbewerbe positionieren. Was bis vor kurzem eine „untragbare Last“ war, wandelt sich nun zu einem Pfund, mit dem man zu wuchern versuchen wird. Das wird für einige die individuelle Situation sicher verbessern helfen. Der Blick auf die Branche hat aber an harten Zahlen zeigen können, wohin so eine Rutschbahn eine ganz Branche führen kann und wird: nach unten.

Das muss nicht nur ein Ende haben, sondern die Arbeitsbedingungen, zu denen auch, aber nicht nur die Löhne gehören, müssen dringend verbessert werden.