Die Erfolgswelle der Rechtspopulisten in Europa, die Flüchtlinge – und die Rolle der Medien

Der eine oder andere wird sich in dieser schnelllebigen Zeit noch erinnern an die Demonstrationen in Chemnitz. Die Folgen der Ereignisse werden von den meisten eher mit dem nunmehr nach einigem Gewürge dannn doch erfolgten Rausschmiss des Verfassungsschutzpräsidenten Maaßen verbunden. Es sollte aber auch an eine denkwürdige Formulierung des (Noch-)CSU-Parteivorsitzenden und Bundesinnenministers Horst Seehofer erinnert werden:

»Nachdem Horst Seehofer lange zu den teilweise gewaltsamen Protesten in Chemnitz geschwiegen hatte, verteidigte der Innenminister jetzt die Demonstranten in Sachsen. Der CSU-Vorsitzende sagte am Mittwoch am Rande einer Klausurtagung der CSU-Landesgruppe im brandenburgischen Neuhardenberg, er habe Verständnis, wenn sich Leute empören, das mache sie noch lange nicht zu Nazis«, konnte man dem Artikel „Mutter aller Probleme ist die Migration“ entnehmen. Für diese Formulierung hat er einerseits einen Sturm der Entrüstung geerntet, aber ihm wurde von Teilen der Medien auch beigesprungen, denn die Ablehnung der Formulierung „Mutter aller Probleme“ sei falsch , so beispielsweise Christoph Ernst, der in seinem Artikel in der Zeitschrift Cicero behauptet: »Hat er doch nur eingestanden, was die Politik bislang verschweigt: Orthodoxe Muslime sind nicht integrierbar, verändern unsere Gesellschaft aber immer mehr.« Und damit greift er ein gängiges Narrativ auf, das nicht nur in der AfD herumgereicht wird, sondern weite Kreise darüber hinaus gezogen hat. 

Gegen dieses Narrativ gibt es gewichtige Stimmen: „Die Frage der Migration ist wichtig, aber nicht Mutter aller Probleme“, so wird Hans Vorländer, der Direktor des interdisziplinären Mercator Forschungszentrums, in dem Artikel Flüchtlinge nicht Ursache für Rechtsruck, sondern Medien zitiert. Darin wird von einer neuen Studie berichtet:

➔ Mercator Forum Migration und Demokratie (MIDEM) (2018): Migration und Populismus. Jahresbericht 2018, Dresden

In weiten Teilen Europas verzeichnen rechtspopulistische Parteien seit einigen Jahren Wahlerfolge. Als Grund wird häufig der Zuzug von Flüchtlingen genannt. Eine Studie von Forschern der TU Dresden kommt zu einem anderen Ergebnis: Medien sorgen für stärkeres Augenmerk auf Einwanderung. Die Migration wirke nur als Auslöser für den wachsenden Erfolg rechtspopulistischer Bewegungen in Europa.

Neben Deutschland untersuchte das 14-köpfige Forscherteam acht weitere Staaten, darunter Italien, Großbritannien, Österreich, Polen, Ungarn, Tschechien und die Niederlande.

Oftmals seien es „eher kulturelle Konflikte wie unterschiedliche Vorstellungen von Identität, Zugehörigkeit und Fremdheit“, die Rechtspopulisten begünstigen, wird Vorländer zitiert. »Dabei spielten auch Vorbehalte gegenüber dem Islam eine Rolle. Die kulturelle Konfliktlinie zwischen ethnozentrisch-nationalen und liberal-kosmopolitischen Werten werde aber in einigen Ländern West- und Nordeuropas durch ökonomische Abstiegs- und Verlustängste überlagert … Die Studie zeige auch, dass der starke Anstieg der Zahl ein- und durchreisender Flüchtlinge und Migranten nur anfänglich entscheidend für die Mobilisierung einer rechtspopulistischen Anhängerschaft gewesen ist.« Heute profitierten rechtspopulistische Parteien vor allem von der nach wie vor großen Bedeutung des Themas Migration in der Öffentlichkeit. Diese stehe nicht mehr in direktem Zusammenhang zu der Zahl der ankommenden Asylsuchenden, sondern werde „durch starke Medialisierung und gezielte Politisierung beeinflusst“, so Vorländer.

Schauen wir in die Zusammenfassung der neuen Studie (MIDEM 2018: 9). Folgende differenzierte Ergebnisse werden dort präsentiert:

➔ Migration ist nicht die Ursache für den Aufstieg des Populismus in Europa. Die Ursachen liegen tiefer. Fakt ist aber: Migration hat bestehende Konfliktlinien in und zwischen den europäischen Gesellschaften offengelegt oder verschärft. Sie ist Auslöser, nicht Ursache.
➔ Die politische Auseinandersetzung über Migration verläuft in Europa entlang verschiedener Konfliktlinien. Manche sind kultureller, andere sozioökonomischer oder politischer Natur. Durch Migration werden auch regionale und landesspezifische Spaltungen sichtbar: etwa zwischen Ost und West in Deutschland, zwischen Norden und Süden in Italien und zwischen Zentrum und Peripherie in Großbritannien.
➔ Rein sozioökonomisch lässt sich der Zusammenhang zwischen Migration und Populismus nicht erklären. Oftmals sind es eher kulturelle Konflikte, wie unterschiedliche Vorstellungen von Identität, Zugehörigkeit und Fremdheit, welche die Rechtspopulisten begünstigen. Dabei sind Vorbehalte gegen den Islam von Relevanz.
➔ Die kulturelle Konfliktlinie zwischen ethnozentrisch-nationalen und liberal-kosmopolitischen Werten kann in einigen Ländern West- und Nordeuropas durch ökonomische Abstiegs- und Verlustängste überlagert werden. So werden in Wohlfahrtsstaaten wie Schweden Asylsuchende auch als Ursache für die Verschärfung des Wettbewerbs um Sozialleistungen angesehen.
➔ Kulturelle Begründungsmuster bei der Ablehnung von Migration sind in Ländern mit geringem Ausländeranteil besonders ausgeprägt. Dazu gehören mittel- und osteuropäische Länder, aber auch Ostdeutschland. Hier fördert die Angst vor einem Verlust von Identität und sozialem Zusammenhalt ablehnende Haltungen gegenüber Migration.
➔ Generell ist die Einstellung gegenüber Zuwanderung aus Nicht-EU-Staaten auch im Zuge der ‚Flüchtlingskrise‘ nicht negativer geworden. Eine Ausnahme stellen Länder Mittel- und Osteuropas dar. In diesen Ländern ist eine Tendenz zu negativeren Einstellungen deutlich sichtbar geworden.
➔ In der öffentlichen Meinung wird innereuropäische gegenüber außereuropäischer Migration, Arbeitsmigration gegenüber Fluchtmigration bevorzugt. Letzteres trifft insbesondere auf mittel- und osteuropäische Länder zu.
➔ Noch nie wurde das Thema Migration von so vielen Europäern als eines der wichtigsten Probleme betrachtet. Dabei steht die Bedeutung der Migrationsfrage nicht zwingend in Relation zu der Zahl der ankommenden Asylsuchenden – sie ist vielfach das Ergebnis starker Mediatisierung und gezielter Politisierung.
➔ Für rechtspopulistische Parteien ist die öffentliche Bedeutung (‚Salienz‘) des Themas Migration zentrale Voraussetzung für die Mobilisierung der eigenen Anhängerschaft beim Protest gegen die ‚herrschende Elite‘. Nimmt die Salienz zu, so können rechtspopulistische Parteien mit Zugewinnen bei Wahlen rechnen.
➔ Rechtspopulisten haben maßgeblich zu einer diskursiven Verschiebung in Richtung einer vornehmlich negativen bzw. problematisierenden Darstellung von Asylsuchenden beigetragen. Rechtspopulismus lebt von den Bedrohungsgefühlen, Feindbildern und negativen Emotionen, die Migration in Teilen der Bevölkerung erzeugt. Zu diesem Zweck wird Migration von Rechtspopulisten gezielt politisiert und skandalisiert.
➔ Zu den Gelegenheitsstrukturen für den Aufstieg des Rechtspopulismus gehören sowohl politische Faktoren (z.B. Regierungs- und Parteienkonstellationen) als auch ‚externe Schocks‘, die – wie im Falle der ‚Flüchtlingskrise‘ – in Teilen der Bevölkerung das Gefühl eines ‚Staatsversagens‘ oder ‚Kontrollverlusts‘ begünstigen.
➔ Ein weiterer begünstigender Faktor für den Aufstieg des Rechtspopulismus ist die empfundene Kluft zwischen einer überwiegend liberalen bzw. expansiven Migrationspolitik einerseits und der oftmals eher skeptischen öffentlichen Meinung zum Thema Migration andererseits. Diese Kluft wird von Populisten zum Zweck der Elitenkritik instrumentalisiert.
➔ Populistische Parteien werden nicht ausschließlich von ‚Abgehängten‘ und ‚Bildungsfernen‘ gewählt, wie oft vermutet wird. Zwar zeigen Untersuchungen, dass Bevölkerungsteile mit formal niedrigerer Bildung eher migrationskritische Einstellungen haben und mit höherer Wahrscheinlichkeit rechtspopulistische Parteien wählen. Allerdings profitieren Rechtspopulisten in manchen Ländern auch von einer Wählerschaft mit höherem Bildungsgrad und Einkommen.

Man erkennt an den Argumentationslinien, dass durchaus differenziert, aber doch sehr eindeutig der These gefolgt wird, dass der medialen Fokussierung eine Hauptschuld zugewiesen wird, sich die Rechtspopulisten also gleichsam im Windschatten der öffentlichen Berichterstattung nach vorne schieben und diese zugleich durch ihre Erfolge befeuern.

Entsprechend sind auch die Empfehlungen in der Studie (MIEDEM 2018: 11) ausgestaltet:

➔ Populismus beutet Ängste und Besorgnisse aus, die aus dem tatsächlichen oder vermeintlichen Verlust der Kontrolle und Steuerung von Migrationsbewegungen erwachsen. Politisches Entscheidungs- und Darstellungshandeln muss deshalb die Deutungshoheit über die Migrations- und Integrationsfragen, da, wo sie verloren gegangen ist, wiedererlangen. Dies bedeutet auch: Parteien sollten nicht den Skandalisierungsstrategien von Populisten aufsitzen, sondern das Thema Migration unaufgeregt und sachlich adressieren. Auf diesem Wege kann eine Kluft gegenüber Teilen der öffentlichen Meinung vermieden werden, von der populistische Parteien profitieren. Die Voraussetzungen für eine sachliche Diskussion über Migration sind günstig: In vielen europäischen Ländern überwiegen positive Einstellungen gegenüber Migration. Politik und Medien sollten diese Voraussetzungen nutzen.«

Man sollte bei aller Bedeutung dieser Sichtweise allerdings nicht dem Irrtum verfallen, dass man durch eine „rationale Medienstrategie“ die Wucht der politischen Veränderungen wie auch die – ob nun rational oder irrational begründeten – Emotionen in durchaus großen Bevölkerungsteilen wird einhegen oder gar umkehren können. Dafür haben die sich schon weitgehend verselbständigt und auch die Hoffnung auf generelle „überwiegend positive Einstellungen“ gegenüber Migration vernebelt eher die Wirkkraft ganz realer Konflikte vor Ort. Natürlich ist es einfacher, generell positiv auf Migration (und ihre Folgen) zu schauen, wenn man davon unmittelbar, beispielsweise in seinem Wohnumfeld, kaum oder gar nicht betroffen ist und ansonsten eher die vielen persönlichen Vorteile der eigenen partiellen und temporär befristeten Migrationsbewegungen gewichtet, also die Inanspruchnahme der Freizügigkeit beim Reisen oder die eigene Erfahrung von Auslandsaufenthalten in der Ausbildung, was alles im Regelfall positiv aufgeladen ist.

Und man sollte größere Teile der Bevölkerung selbst bei kritischer oder ablehnender Haltung gegenüber bestimmten Migrationsbewegungen nicht vorschnell in eine bestimmte Schublade einsortieren und etikettieren. Denn es gibt dort oftmals unbewusst sehr differenzierte Gerechtigkeits- bzw. Fairness-Vorstellungen, auf deren Verletzung man aber auch sehr emotional reagiert, was sich ab einem bestimmten Ausmaß durchaus wahlentscheidungsrelevant auswirken kann. Beispielsweise haben Umfragen im Umfeld der aufgeheizten Debatte über zahlenmäßige Obergrenzen bei der Aufnahme von Flüchtlingen zeigen können, dass es sehr wohl eine Mehrheit für die Aufnahme von Menschen gibt, die vor Krieg oder politischer Verfolgung flüchten – aber mit einer ziemlich klaren Erwartungshaltung, nämlich dergestalt, dass den Menschen hier vorübergehend Schutz gewährt wird, was auch bedeutet, dass nach dem Ende der Bedrohungslage erwartet wird, dass sie wieder zurückkehren.

Vor diesem Hintergrund werden dann schwere Verletzungen der Fairness-Erwartungen besonders negativ gewichtet, beispielsweise die in vielen Medienberichten immer wieder problematisierte offensichtliche Nicht-Abschiebung von straffällig gewordenen Geflüchteten in unserem Land. Auch wenn es dafür in vielen Fällen sicher „rationale“ Begründungen seitens der Administration geben kann, beispielsweise das Problem einer rechtlich und/oder praktisch begründeten Nicht-Abschiebemöglichkeit für die Behörden bei bestimmten Ländern – für die breite Öffentlichkeit markiert das ein Kontrolleur- bis hin zu einem Staatsversagen, wobei man dann immer Gefahr läuft, dass die vielen anderen in eine Art Kollektivhaftung genommen werden, wenn das oft genug passiert. Dass die meisten Menschen durchaus differenzieren können, zeigt das Kopfschütteln bis hin zur Ablehnung der Abschiebungen von Menschen, die man leicht greifen kann, die aber durch eigene Arbeit oder Ausbildung eigentlich alle Erwartungen erfüllen, die man an sie hinsichtlich der Integration gestellt hat.

Mit diesen wenigen Hinweisen soll nur angedeutet werden, dass die Rolle der Medien tatsächlich äußerst kritisch bewertet werden sollte, dass das aber kein ausreichender Ansatz sein kann, die Entwicklungen zu verstehen oder gar mit gezielten Gegenmaßnahmen eine Umkehrung der Entwicklung einleiten zu können. Dafür ist die faktische Druckwelle als ein weiterer Verteilungskonflikt neben den vielen anderen, die schon vorher und neben der Zuwanderungsfrage existiert haben und andauern, zu stark. Jedenfalls für die vielen Menschen, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen.