Das Handwerk mit goldenem Boden, aber ohne Personal? Was man tun könnte und müsste

Man muss nun wirklich nur sehenden Auges durch die Lande laufen: Es fehlt vorne und hinten an Handwerkern. Das merkt man nicht nur, wenn man derzeit zu bauen versucht. Auch bei vielen alltäglich anfallenden Arbeiten dauert es immer länger, bis man einen Handwerker auftreiben kann, zuweilen läuft man auch ins Leere. Und man kann sich eben nicht entspannt zurücklehnen und davon ausgehen, dass sich das schon wieder einpegeln wird, es kommen ja auch wieder bessere Zeiten für die Nachfrager Die werden kommen. Aber wie die aussehen werden, kann man sich selbst verdeutlichen: Wenn man das Alter vieler heute noch erwerbsaktiven Handwerker berücksichtigt und zugleich die Zahl der unten nachwachsenden Fachkräfte in Rechnung stellt, dann liegt man nicht falsch, wenn man davon ausgeht, dass es in handwerklichen Berufen einen gravierenden Fachkräftemangel geben muss. Der ist demografisch bedingt, wird aber teilweise eben auch durch unterlassene, zu gering dimensionierte Ausbildungszahlen in der Vergangenheit vorangetrieben. Verstärkt wird das am aktuellen Rand durch eine erhebliche Probleme, bei vielen Handwerksberufen überhaupt genügend Auszubildende finden zu können.

»Von 2009 bis 2017 hat sich die Zahl der unbesetzten Lehrstellen im Handwerk verdreifacht. In einigen Regionen und Berufen blieben 2017 bereits mehr als 20 Prozent der angebotenen Ausbildungsplätze offen; die Spitzenwerte lagen bei über 30 Prozent. Ursachen sind neben der demografischen Entwicklung und dem verstärkten Trend zum Hochschulstudium die großen Veränderungen in der schulischen Vorbildung ausbildungsinteressierter Jugendlicher. Viele sind inzwischen studienberechtigt, während deutlich weniger über einen Hauptschulabschluss verfügen«, berichtet das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB).

Natürlich stellt sich die Frage, ob man diese Entwicklung im Berufsausbildungsbereich irgendwie umkehren kann. Dazu hat das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) in Bonn eine neue Studie veröffentlicht:

➔ Till Mischler und Joachim Gerd Ulrich (2018): Was eine Berufsausbildung im Handwerk attraktiv macht. Ergebnisse einer Befragung von Jugendlichen. BIBB-Report Nr. 5/2018, Bonn

Das Bundesinstitut für Berufsbildung selbst berichtet über die Studie von Tischler und Ulrich unter dieser aufschlussreichen Überschrift: Soziales Umfeld entscheidend für Berufswahl von Jugendlichen. Neue Erkenntnisse zu Ursachen des Lehrlingsmangels im Handwerk. »Stehen Jugendliche vor der Frage, ob sie einen Handwerksberuf erlernen sollten, geht es für sie nicht nur darum, ob die Arbeit interessant ist, was sie einbringt und unter welchen Bedingungen sie zu verrichten ist. Noch wichtiger ist für die Jugendlichen, ob ihnen die Wahl des Berufs hilft, in ihrem sozialen Umfeld zu punkten. Ist dies nicht der Fall, nehmen viele vom betreffenden Beruf Abstand, selbst dann, wenn ihnen die Arbeit darin gefallen würde. Dies sind Ergebnisse einer Befragung von rund 1.700 Schülerinnen und Schülern«, kann man dort lesen.

Das ist für das Handwerk und seine vielen Berufe ein echtes Problem: »Denn immer mehr Schülerinnen und Schüler stammen aus Elternhäusern, die selbst keine Verbindung zum Handwerk mehr haben und von ihren Kindern das Abitur oder einen Hochschulabschluss erwarten. Die Folgen: Viele dieser Kinder verlieren nicht nur das Interesse, an eine Berufsausbildung im Handwerk überhaupt noch zu denken. Sie wissen auch über Handwerksberufe und ihre Tätigkeitsanforderungen weniger Bescheid .«

Wenn es stimmt, dass »für die Jugendlichen aber die entscheidende Frage (ist), ob ein Beruf ihr Ansehen beziehungsweise ihre Stellung in ihrem sozialen Umfeld stärkt«, dann ist das zugleich ein Hinweis, das ein klassischer Ansatz der Berufsorientierung, über die Berufe zu informieren, wenn überhaupt nur sehr begrenzt wirksam sein kann. Der Präsident des BIBB, Friedrich Hubert Esser, sieht denn auch die Notwendigkeit, „Identifikationspotenziale für junge Menschen“ anzubieten, beispielsweise dadurch, Auszubildende als Ausbildungsbotschafter in die Schulklassen zu schicken.

Aber nicht vergessen werden sollte die Rolle der Eltern. Dazu der BIBB-Präsident: »Es bleibt eine besondere Herausforderung, die Eltern zu erreichen, um dem Lehrlingsmangel im Handwerk wirksam zu begegnen.“ Dass dies erforderlich sei, habe die Studie deutlich gemacht. „Eltern muss die Gleichwertigkeit von allgemeiner und beruflicher Bildung noch stärker als bislang vor Augen geführt werden. Dazu sind kommunikationspolitische Initiativen notwendig, die Karrierewege beschreiben, wie im Handwerk attraktive Beschäftigungsmöglichkeiten bis hin zur Selbstständigkeit erreicht werden können. Das Berufsziel ‚Unternehmer‘ müsste dabei besonders hervorgehoben werden.«

In der Studie selbst werden bei der Frage, was zur Attraktivitätssteigerung einer Berufsausbildung im Handwerk getan werden könne, ganz unterschiedliche Vorschläge referiert (vgl. Tischler/Ulrich 2018: 17 f.):

➞  So beispielsweise den von Nida-Rümelin vorgetragenen Vorschlag, den Fächerkanon in den Gymnasien um ein Fach zu ergänzen, in dem gestalterische und handwerkliche Fähigkeiten gelehrt werden. Dieser Ansatz wird von anderen unterstützt, vor allem auch deshalb, weil dem Fächerkanon in den vermeintlich höheren Schulen eine beträchtliche symbolische Bedeutung in Hinblick darauf zukomme, was zur „wesentlichen“ Bildung des Menschen zähle und was nicht. Der Ausschluss gestalterischer und handwerklicher Fähigkeiten entspreche einem veralteten Bildungsverständnis, das letztlich noch vom platonischen Geist-Körper-Dualismus geprägt sei.
➞  Außerdem wird dafür plädiert, auch indirekte Signale vermeintlicher Ungleichwertigkeit von hochschulischer und beruflicher Ausbildung abzubauen. Studierendenwohnheime müssten deshalb in Bildungswohnheime umgewandelt werden, die Auszubildenden gleichermaßen offenstehen. Und auch die Einführung von Azubi-Tickets analog zu den Semestertickets sei als ein wichtiges Zeichen dafür zu etablieren, dass der Gesellschaft die Förderung der Mobilität junger Menschen nicht weniger wert sei, wenn es um Auszubildende gehe. Das ist ein durchaus praktikabler und wichtiger Ansatz.
➞  Die Qualitätssteigerung der Ausbildung, so die Sicht von Berufsbildungsfachleuten, stellt einen wichtigen Ansatzpunkt dar, um Berufe mit Besetzungsproblemen attraktiver zu machen.
➞  Vieles spricht für den intensivierten Einsatz von Auszubildenden, die als „Ausbildungsbotschafter/-innen“, die in Gymnasien und sonstigen Schulen engagiert und offen über ihre Ausbildungsmotive, -erfahrungen und weiteren beruflichen Pläne berichten.

Nun wird der eine oder andere einwenden, dass es da doch auch noch andere Bestimmungsfaktoren gibt, die die (Nicht-)Attraktivität von Berufen bestimmt oder beeinflusst. Wie wäre es beispielsweise mit der Bezahlung? Da liegt nun durchaus einiges im Argen. Das und mehr wurde bereits in diesen beiden Beiträgen ausführlich und mit Bezug auf entsprechende neue Studien analysiert:

➔ „Goldener Boden“ – aber für wen? Das Handwerk zwischen Boom, Handwerkermangel und immer noch stagnierenden Löhnen mit einer strukturellen Lücke zu anderen Betrieben und Branchen (14.03.2018)

➔ Handwerk auf brüchigem goldenen Boden? (11.03.2017)

In dem zuletzt genannten Beitrag aus dem Jahr 2017 findet man am Ende diesen Hinweis, der heute genauso gut passt: »Es steht also durchaus eine Menge auf dem Spiel, wenn der handwerkliche Bereich nicht gefestigt werden kann. Und vieles, was ansonsten verloren gehen wird, könnte in Zukunft schmerzlich vermisst werden. Vor allem aber sollte uns der Blick ins Ausland sensibilisieren, dass es keine wirklich guten Alternativen für einen Teil der jungen Menschen geben wird in einer Welt, in der das, was hier bei uns über viele Jahrzehnte, im Handwerk sogar über Jahrhunderte gewachsen ist.«