Das war eine dieser Meldungen, von denen man im ersten Moment annehmen muss, dass sie von der Satire-Fraktion im Netz veröffentlicht wurde: »Wegen einer schweren IT-Panne sind 1440 Lehrerstellen in Baden-Württemberg als belegt verbucht worden, obwohl sie gar nicht besetzt sind. Grund ist ein Softwarefehler, der auf das Jahr 2005 zurückgeht, wie das Kultusministerium einräumte. Dieser Fehler sei über all die Jahre unbemerkt geblieben«, konnte man am 16. Juli 2025 unter der Überschrift Panne in Baden-Württemberg – 1.440 unbesetzte Lehrerstellen entdeckt lesen. Immerhin wird uns Abhilfe versprochen: »Die Stellen sollen nun zügig besetzt werden.«
Das ist schon eine Story, die man erst einmal sacken lassen muss:
»Im Jahr 2005 wechselte die Kultusverwaltung das Programm zur Personal- und Stellenverwaltung der Lehrkräfte. »Derzeit gehen wir davon aus, dass bereits bei der Datenübertragung ein Fehler passiert sein muss«, heißt es aus dem Ministerium. Seitdem wurde die Stellenzahl stets fortgeschrieben, aber nie neu ermittelt. Hinzu kommen den Angaben zufolge mutmaßliche Programmierungsfehler durch das Landesamt für Besoldung und manuelle Nachbearbeitungen durch die Kultusverwaltung. Über die Jahre sei die Zahl der als belegt ausgewiesenen Stellen stetig gestiegen, obwohl sie tatsächlich frei geblieben seien. Das Kultusministerium nimmt derzeit an, dass die fehlerhafte Summe um 80 bis 100 Stellen pro Jahr wuchs.«
Und fast schon erheiternd: »Steuergelder seien aber nicht verloren gegangen, berichtet das Kultusministerium.« Ja wie auch, die Stellen waren ja nicht mit mehr oder weniger lebenden Lehrkräften besetzt und es ist folglich auch kein reales Geld abgeflossen. Da könnte doch der eine oder andere auf die Idee kommen, warum denn genau das nicht aufgefallen ist, dass also weniger Geld abgeflossen ist als nach den angeblich vorhandenen Lehrkräften hätte abfließen müssen. Die Antwort lässt einen etwas ratlos zurück:
Der Sprecher des baden-württembergischen Kultusministeriums »nannte einen Korridor von 110 bis 120 Millionen Euro, den so viele Stellen wohl pro Jahr kosten würden, die aber schlicht nicht abgeflossen seien. Das sei im milliardenschweren Haushalt aber nicht aufgefallen.«
Wenn mehr als 100 Millionen Euro im Jahr, die nicht abgeflossen sind, „nicht auffallen“, dann ist das auch mal eine Aussage, die hier nicht weiter kommentiert werden soll.
1.400 Stellen entsprechen circa 35.000 Deputatsstunden, die jede Woche nicht gehalten werden. Das sind pro Schule im Ländle etwa zehn Wochenstunden, die beispielsweise für individuelle Förderung, AGs oder Krankheitsvertretung vor allem den Kindern vorenthalten wurden.
Wie wäre es – mit einem Arbeitskreis?
Nachdem das Desaster nun öffentlich geworden ist, hat man energische Maßnahmen angekündigt: Man will einen Arbeitskreis gründen.
»Um solche IT-Fehler künftig zu vermeiden und ein deutlich verbessertes Controlling im Bereich der Kultusverwaltung zu ermöglichen, haben Kultusministerium und Finanzministerium eine Arbeitsgruppe gebildet, die auch vom Rechnungshof begleitet wird. Die Gruppe soll die Ursachen des Problems identifizieren und beseitigen. Man müsse dauerhaft sicherstellen, dass die Stellen korrekt den einzelnen Beschäftigten zugeordnet werden, heißt es aus dem Kultusministerium.«
Das klingt nicht wirklich nach einem entwickelten Stand der Digitalisierung.
Wo ist die denn, die Verwaltung 4.0?
Johanna Henkel-Waidhofer hat in ihrem Beitrag Ausmisten statt Sprüche klopfen das Thema aufgegriffen und etwas genauer ausgeleuchtet. Sie weist darauf hin, dass »der über viele Jahre unentdeckt gebliebene Software-Fehler – Stand heute vermutlich seit 2005 – noch ganz andere Mängel offenbart: Es hakt bei der Zusammenarbeit der unterschiedlichen Verwaltungsebenen, im Landesamt für Besoldung, nicht zuletzt im Haushaltscontrolling.« Das muss man auch vor diesem Hintergrund sehen: »Seit Jahren wälzen alle Parteien viele gute Vorsätze und Ideen, Baden-Württemberg mehr oder weniger rundum zu digitalisieren.« Wie hieß es schon im Koalitionsvertrag zwischen Grünen und CDU aus dem Jahr 2016? „Im Zeitalter der Digitalisierung werden wir eine moderne Verwaltung 4.0 einrichten, in der Mitarbeiter und Bürger gleichermaßen von den Möglichkeiten der Digitalisierung profitieren.“ Das Innenministerium wurde umetikettiert in „Ministerium des Inneren, für Digitalisierung und Kommunen“. Und Baden-Württemberg sollte gar zur „digitalen Leitregion in Europa“ werde, weil „nirgendwo so viel Innovationskraft steckt“.
Zurück zu den jahrelang gebuchten, aber nicht vorhandenen Lehrkräften. Ist das denn niemanden aufgefallen?
»Dem Landesrechnungshof schwante mehrfach, dass mit Blick auf die komplizierte Verwaltung der Lehrkräftestellen irgendwas nicht stimmen kann«, so Henkel-Waidhofer in ihrem Artikel. »Rund um die Bruchlandung, die 2018 die landesweite Bildungsplattform „ella“ hinlegte …, wurde auf Antrag der FDP vom Landtag eine umfangreiche Mitteilung auch zur Software „Allgemeine Schulverwaltung“ (ASVBW) in Auftrag gegeben. Die Karlsruher Behörde formulierte 2019 verschiedene Empfehlungen, die die Komplexität belegen.«
Hier das Original:
➔ Rechnungshof Baden-Württemberg (2019): Gutachtliche Äußerung zu den Vorgängen im Zusammenhang mit der Software Amtliche Schulverwaltung Baden-Württemberg (ASV-BW) nach § 88 Absatz 3 Landeshaushaltsordnung, Stuttgart 2019
Aber: »Konkret auf die Spur der fehlenden Stellen kam jedenfalls niemand.«
Man muss sich verdeutlichen, dass das Schulwesen aufgrund der Zuständigkeit der Länder angesichts der Datenkomplexität zum Kernbereich einer erfolgreichen Digitalisierung der Verwaltung gehören muss. Beispiel Baden-Württemberg: »Heute arbeiten auf 95.000 Stellen rund 130.000 Lehrkräfte in unterschiedlichsten Konstellationen: Teilzeit, Vollzeit, mit angerechneten Stunden für besondere Aufgaben, und in ihren jeweiligen Lebenssituation, krank, schwanger, in Elternzeit oder Pflegekarenz.«
Was sagt die Präsidentin des Rechnungshofs, Cornelia Ruppert, zu den aktuellen Vorgängen? »Mit der Erklärung, eine Computerpanne habe zur Nicht-Besetzung geführt, will sich die oberste Rechnungsprüferin jedenfalls nicht abfinden. Sie kritisiert die fehlende Relation zwischen dem Personalbestand und den Personalkosten. Auch als Verwaltung müsse man aber „wie in einer Bilanz wissen, was rechts und was links in den Büchern steht“.«
Und die Antwort aus dem Apparat?
»Das Finanzministerium wiederum kontert damit, dass in großen Teilen der Verwaltung stellenscharf besetzt wird, nicht aber bei den personalintensiven Ressorts Polizei, Hochschule und Schule. In diesen Fällen seien die tatsächlichen Personalausgaben des jeweils letzten Jahres die Grundlage für das Budget des jeweils nächsten. Das Beispiel zeigt: Gerade hier, wo Kontrolle also besonders wichtig ist, wird der Aufwand nicht betrieben – die Katze beißt sich in den Schwanz.«
Wenn das der normale Steuerzahler wüsste … Und es geht weiter:
Albrecht Schütte, praktischerweise Bildungs-, Finanz- und Digitalisierungsexperte in der CDU-Landtagsfraktion, wird mit diesen Worten zitiert:
»Weil die 1.440 Lehrkräfte nicht bezahlt worden seien, müsse irgendeines der vorhandenen IT-Systeme wissen, „dass sie nicht da waren, wo sie hätten sein sollen“. Diesem Fehler sei auf den Grund zu gehen, ebenso dem Umstand, „dass wir eine IT-Landschaft haben, die ein wenig divers ist und gerade nicht reibungslos und effizient“.«
Und hier kommt jetzt der bereits erwähnte Arbeitskreis wieder ins Spiel: Eingerichtet wurde eine »Arbeitsgruppe, vertreten sind darin laut der Ministerin alle Behörden, die mit den Stellenbesetzungen zu tun haben. Und die darf sich bis Weihnachten Zeit lassen, um Ergebnisse zu erarbeiten.«
Und vor dem Hintergrund, dass im kommenden Jahr Landtagswahlen im Ländle anstehen, muss man so eine Vermutung lesen, sicherlich völlig unbegründet: »Es soll auch Spitzenbeamte im Ministerium geben, die Zeit schinden, auf das Ende der Legislaturperiode schielen und Angst haben, sie könnten zum falschen Zeitpunkt das Falsche sagen.«
Jetzt ist um diesen Vorfall, der aber strukturelle Probleme auf dem offensichtlich holprigen Weg zur „Verwaltung 4.0“, zum einen eine Politisierung und sicher auch eine primär parteipolitische Instrumentalisierung zu erwarten – die Diskussion ist mit der Forderung nach einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss, den andere Interessierte gerne verhindern würden, bereits in vollem Gange.
Die bildungs- und sozialpolitische Dimension des Themas ist aber ganz woanders zu verorten – bei den Kindern und Jugendlichen, denn dort gab und gibt es offensichtlich erheblichen Bedarf, der bislang nur im virtuellen Raum gedeckt war. Bedarf hat das Schulsystem sicher überall mehr oder weniger, aber es ist schon interessant, wo offensichtlich der größte Bedarf identifiziert wird:
»Inzwischen ist immerhin klar, was mit den zusätzlichen Lehrkräften, wenn sie denn mal besetzt sind, passieren soll: Der größte Teil soll an die dramatisch unterbesetzten früheren Förderschulen gehen, die heute Sonderpädagogische Bildungs- und Beratungszentren (SBBZ) heißen.«