»Jo Lücke und Franzi Helms haben die erste Gewerkschaft für Care-Arbeit gegründet«, meldet die Tageszeitung taz und hat ein Interview mit den beiden unter der Überschrift „Sorgearbeit in der Verfassung schützen“ veröffentlicht. Angesichts der (in Sonntagsreden) unbestrittenen existenziellen Bedeutung dessen, was im modernen Diskurs als Care- oder Sorge-Arbeit bezeichnet wird, lässt das aufhorchen. Care- oder Sorge-Arbeit bezeichnet Tätigkeiten, die auf die Versorgung, Pflege, Erziehung und Unterstützung von Menschen ausgerichtet sind – insbesondere solcher, die auf Hilfe angewiesen sind, etwa Kinder, Kranke, ältere Menschen oder Menschen mit Behinderungen. Care- oder Sorge-Arbeit umfasst unbezahlte und bezahlte Tätigkeiten
Bekommen wir endlich eine Stimme für diejenigen, die als „Unsichtbare“ und im Schatten der erwerbsarbeitszentrierten Politik tagtäglich den Laden buchstäblich am Laufen halten? Und der eine oder andere wird aufgeregt die Frage stellen: Wann gibt es den ersten Arbeitskampf der Sorge-Arbeiterinnen?
Bevor wir einen Blick werfen auf die angezeigte Gründung der „ersten Gewerkschaft für Care-Arbeit“ sollten wir in den Rückspiegel schauen. Der eine oder andere vor allem der älteren Semester wird an dieser Stelle vielleicht in Bruchstücken der Erinnerung daran denken, dass es doch schon mal den Versuch gab, in diesem Bereich so etwas wie eine Gewerkschaft ins Leben zu rufen.
An dieser Stelle sollte man den 9. Februar 1979 in Erinnerung rufen. An diesem Tag wurde die Deutsche Hausfrauengewerkschaft gegründet. Zum Hintergrund: Kochen, putzen, Kinder pflegen: Noch das sogenannte „Gleichberechtigungsgesetz“ von 1957 sah darin die „vornehmste Aufgabe“ der Frau.
Exkurs: Der holprige Weg zur (formalen) Gleichberechtigung: Am 3. Mai 1957 beschloss der Deutsche Bundestag das „Gesetz über die Gleichberechtigung von Mann und Frau auf dem Gebiet des bürgerlichen Rechts“, das sogenannte Gleichberechtigungsgesetz.1 Die neuen Regelungen hatten zum Ziel, die in Artikel 3 Absatz 2 des Grundgesetzes festgeschriebene Gleichberechtigung von Mann und Frau im Bundesrecht umzusetzen. „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ – darauf hatten sich die vier Mütter und 61 Väter des Grundgesetzes 1949 geeinigt. Bestimmt wurde die Realität der jungen deutschen Bundesrepublik jedoch noch von einem patriarchalischen Ehe- und Familienverständnis, das sich auf Regeln des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) von 1896 stützte: der Mann war das Oberhaupt der Familie, der in allen ehelichen Angelegenheiten in letzter Instanz entschied. Die Ehefrau war dagegen verpflichtet, den Haushalt zu führen. Das noch geltende bürgerliche Recht, insbesondere auf dem Gebiet von Ehe und Familie, stand den Zielen der Gleichberechtigung im neuen Grundgesetz entgegen. Doch auch daran hatte man 1949 gedacht. Artikel 117 des Grundgesetzes sollte den rechtlichen Übergang regeln: Bis der Gesetzgeber eine neue Lösung findet, bleibt das alte Gesetz in Kraft. Eine beachtliche Aufgabe für das erste Parlament, denn das Grundgesetz schrieb eine Frist vor – bis zum 31. März 1953 galt es, ein neues Gesetz auszuarbeiten und abzustimmen. Dies sollte die Vorgaben des BGB an den Grundsatz der Gleichberechtigung anpassen. Doch es kam anders: Erst 1954 wurde ein Entwurf der Regierung (BT-Drs. 2/224 vom 29.01.1954) zum Gleichberechtigungsgesetz in den parlamentarischen Prozess gegeben. Ein im Bundestags eigens gegründeter Unterausschuss „Familienrechtsgesetz“ hat sich dann von 1955 bis 1957 mit den Details beschäftigt. In der abschließenden Lesung des Gesetzentwurfs am 3. Mai 1957 diskutieren die damaligen Abgeordneten lange und hitzig: über die Möglichkeiten von Frauen, erwerbstätig zu sein, den Güterausgleich bei Trennung und die Wiedereinführung des Letztentscheids, der 1956 mit knapper Mehrheit abgeschafft worden war. Die Gesetzeslage im Paragrafen 1354 des BGB ermöglichte es dem Mann, bei ungleichen Meinungen in der Ehe, die abschließende Entscheidung für die gesamte Familie zu treffen. Dieser Letztentscheid oder auch Stichentscheid war nach einer heftigen Debatte im Unterausschuss „Familienrechtsgesetz“ 1956 knapp mit acht zu sieben Stimmen abgelehnt worden. Die Debatte 1957 begann mit einem Antrag der CDU/CSU-Fraktion – man wollte das Letztentscheidungsrecht des Mannes wieder aufnehmen. Die Entscheidung des Mannes sei mehr „Pflicht“ als Privileg. Wie es ausgegangen ist? Mit 186 zu 172 Stimmen bei sechs Enthaltungen wurde der Antrag zur Wiedereinführung des Stichentscheides abgelehnt. Doch auch wenn die Letztentscheidung des Mannes mit den Entscheidungen 1956 und schließlich 1957 abgeschafft wurde – in Fragen der Erziehung blieb das Vorrecht des Mannes im neuen Gleichberechtigungsgesetz bestehen. Die Modifizierung der Paragrafen 1628 und 1629 des BGB, die das Letztentscheidungsrecht und den Alleinvertretungsanspruch des Vaters für die Kinder regeln, wurde abgelehnt. Umstritten war zudem das Thema Erwerbstätigkeit. Bisher konnte der Ehemann seiner Frau verbieten, einen Beruf auszuüben. Im Plenum einigte man sich nun auf einen Kompromiss: Eine Frau durfte auch gegen den Willen ihres Mannes arbeiten gehen, solange sie Mann und Kinder nicht vernachlässigte. Ein großer Schritt im Sinne der Gleichberechtigung war jedoch die Regelung zur sogenannten Zugewinngemeinschaft. Alles, was beide Ehepartner zusammen in der Ehe erwirtschaftetet hatten, wurde nun zu gleichen Teilen unter den Partnern aufgeteilt; und auch das von der Frau in die Ehe mit eingebrachte Vermögen gehörte nicht mehr automatisch dem Mann. Fazit: Die Emanzipation der Frau, die schon Elisabeth Selbert, eine der Mütter des Grundgesetzes gefordert hatte, konnte das erste Gleichberechtigungsgesetz nicht vollständig umsetzen. Die Gleichberechtigung und die Überwindung eines klassischen Rollenverständnisses von Mann und Frau war mit den neuen Regelungen, die schließlich am 1. Juli 1958 in Kraft traten, nicht erreicht worden. Allerdings war das Gesetz ein wichtiger Schritt zur Gleichberechtigung in der sich wandelnden Nachkriegsgesellschaft. 1958 wurde das Letztentscheidungsrecht in Fragen der Erziehung vom Bundesverfassungsgericht aufgehoben. Neue Regelungen zum Mutterschutz oder über die Rechte nichtehelicher Kinder folgten wenige Jahre später. Mit dem ersten Gesetz zur Reform des Ehe- und Familienrechts wurde schließlich 1977 eine vorgeschriebene Aufgabenteilung in der Ehe abgeschafft. 1994 wurde dann Artikel 3 Absatz 2 des Grundgesetzes um folgenden Passus ergänzt: „Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin“. Im gleichen Jahr trat das zweite Gleichberechtigungsgesetz in Kraft, das unter anderem die Vereinbarkeit von Familie und Beruf fördern sollte. (Deutscher Bundestag 2022) |
Wieder zurück in die Zeit Ende der 1970er Jahre.
Am 9. Februar 1979 gründete Gerhild Heuer in Kiel die Deutsche Hausfrauengewerkschaft (DHG). Heuer ist eine emanzipierte Frau. Ihr Studium der Soziologie hat sie mit einer Promotion abgeschlossen. Ihre Deutsche Hausfrauengewerkschaft versteht sie als Versuch, die Rolle der Hausfrau und Mutter aufzuwerten und ihr endlich den sozialen Stellenwert zukommen zu lassen, der ihr gebührt. „Kein Häkelclub“, soll die DHG werden, „sondern eine Vereinigung von gesellschaftspolitisch aufgeschlossenen, gut informierten Frauen, die sich endlich einmal um ihre eigenen Anlagen kümmern.“
Drei zentrale Forderungen der Deutschen Hausfrauengewerkschaft müssen hervorgehoben werden: Die „tatsächliche Anerkennung der Hausfrauentätigkeit als Beruf“, eine verbesserte Altersvorsorge für Hausfrauen und eine verbesserte Kranken- und Unfallversicherung.
Kurz nach der Gründung hat die Deutsche Hausfrauengewerkschaft schon 4.000 Mitglieder, offensichtlich stoßen die Ideen von Heuer auf Resonanz. Aber der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) rümpft die (männliche) Nase und will die DHG nicht als Gewerkschaft anerkennen. Außerdem laufen öffentlichkeitswirksame Maßnahmen oft ins Leere – so wie die Idee eines bundesweiten Streiks der Hausfrauen, die an einem bestimmten Tag einfach ihre Kinder nicht mehr in die Schule schicken sollen.
1984, schon wenige Jahre nach der Gründung, tritt die Gründerin aus der DHG frustriert aus. Die Forderung nach einem Gehalt für Familienarbeit trägt sie zu dieser Zeit schon nicht mehr mit.
2000 wird die gemeinnützige Deutsche Hausfrauengewerkschaft in den „Verband der Familienfrauen und –männer“ und zwölf Jahre später in den Verband Familienarbeit umbenannt. Man muss festhalten, dass der Verband in der öffentlichen Wahrnehmung heute keine Rolle mehr spielt. Seine Mitgliederzahl ist auf rund 400 zurückgegangen.
Und jetzt ein neuer Anlauf? LUA erscheint auf der Bühne
Nun werden wir also im Jahr 2025 damit konfrontiert, dass die „erste“ Gewerkschaft für die Care- bzw. Sorge-Arbeiterinnen auf den Weg gebracht wurde. Genauer (und durchaus von Bedeutung) formuliert spricht man selbst von „Deutschlands erster gewerkschaftsähnlicher Organisation für Sorgearbeit – die Carewerkschaft“. Und die nennt sich LUA:
➔ Liga für unbezahlte Arbeit (LUA)
»Kümmern, kochen, putzen, trösten: Die Hälfte aller Menschen zwischen 25 und 65 Jahren trägt Fürsorgeverantwortung. Eltern, pflegende Angehörige und familiär Sorgearbeitende halten unsere Gesellschaft am Laufen. Doch ihr Beitrag wird nicht ausreichend anerkannt und geschützt. Die Liga für unbezahlte Arbeit (LUA) ist die erste Interessenvertretung für alle, die familiäre Sorgearbeit leisten.« Das wird einem gleich auf der Startseite der neuen Organisation aufs Auge gedrückt.
Zurück zu dem eingangs erwähnten Interview mit Franzi Helms, sie ist Betriebswirtin und arbeitet als Coachin, Trainerin und Speakerin für Vereinbarkeit von Lohnarbeit und Sorgearbeit, sowie Jo Lücke, sie ist Volkswirtin und arbeitet als Referentin für Care-Arbeit, den beiden Neugründerinnen.
Was präsentieren die beiden an mehr oder weniger konkreten Forderungen?
»Menschen mit Sorgeverantwortung werden benachteiligt – beim Einkommen, in der Rente, in der politischen Teilhabe und in ihrer verfügbaren Zeit. Wir fordern, dass familiäre Fürsorgeverantwortung als Diskriminierungsmerkmal in Artikel 3 Absatz 3 des Grundgesetzes aufgenommen wird. Diese Ergänzung hätte nicht nur eine starke symbolische Bedeutung, sondern vor allem konkrete Auswirkungen – etwa im Sozial-, Arbeits- und Steuerrecht.«
Warum den beiden diese Forderung nach einer Grundgesetzänderung so wichtig ist: »Lohnersatz bei Pflegezeiten, Inflationsanpassung beim Elterngeld, mehr Kitaplätze – das alles ist wichtig, aber nicht genug. Ohne Grundgesetzverankerung bleiben diese Themen politisch optional und können jederzeit zurückgestellt werden.«
Sie weisen selbst darauf hin, dass »es kein Land (gibt), das unbezahlte Sorgeverantwortung in seiner Verfassung schützt. In vielen Ländern findet sich ein Diskriminierungsverbot im Pendant zum Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz – dieser bezieht sich aber nur auf das Arbeits- und Zivilrecht.«
Zur Frage, warum man eine „Gewerkschaft“ für unbezahlte Care-Arbeit braucht: »Es fehlt eine Organisation, die unbezahlte Sorgearbeitende vereint. Viele sind durch Job und Familie so eingespannt, dass politische Teilhabe kaum möglich ist. Deshalb haben wir die Gewerkschaft gegründet. Für andere zu sorgen kostet Zeit und Energie und ist in diesem Sinne auch Arbeit. Wir sehen Staat und Gesellschaft als eine Art Arbeitgebende, die Verantwortung für faire Rahmenbedingungen tragen.«
Natürlich werden die beiden auch mit der Frage konfrontiert, wie sie denn Menschen, deren Arbeit definitionsgemäß „unsichtbar“ und nicht institutionell eingebunden ist, organisieren wollen.
»Wir schaffen barrierearme Vernetzungsangebote.« Was sollen das für Angebote sein? »Wir wissen, dass Menschen wenig Zeit haben. Deshalb bieten wir digitale Formate zu verschiedenen Tageszeiten und bauen Lokalgruppen auf. Erst sensibilisieren, dann mobilisieren – oft in Zusammenarbeit mit bestehenden Verbänden.«
Abschließend für diejenigen, die mit Gewerkschaft immer auch Arbeitskämpfe verbinden: »Wir bauen eine Geschäftsstelle auf, gewinnen Mitglieder, schaffen Sichtbarkeit und planen einen Streik.« Also doch, aber lesen wir weiter, was den beiden da vorschwebt:
Man „plane“ einen Streik (vielleicht sollte man realistischer sagen: sie denken darüber nach) – »allerdings nicht der Sorgearbeit, sondern der Lohnarbeit. Auf unserer Agenda steht daher, politische Streikformen in Deutschland auszuloten. Denn Sorgearbeitende haben ja sonst keine Möglichkeiten für Arbeitskampf. Ein Vorbild könnte Island sein – dort nannte man den Streik einen „gemeinschaftlichen Urlaubstag“. Vielleicht ist das auch für uns ein gangbarer Weg. Vielleicht ist es aber auch an der Zeit für eine neue Rechtsprechung in Sachen Streik.«
Das sind nun für sich schon ganz dicke Bretter, wie die bestehenden, etablierten und mit einem professionellen personellen Apparat ausgestatteten Gewerkschaften sicher genauestens ausführen können.
Fazit
Wenn man sich anschaut, wie sich vor allem im akademischen Bereich in den vergangenen Jahren die Diskussion über Care- bzw. Sorge-Arbeit ausdifferenziert hat und unabhängig davon wie bedeutsam dieser Bereich für die Gesellschaften ist, dann gibt es gute Gründe für einen (neuen, natürlich zeitgemäßen) Organisationsversuch. Aber die Prognose hinsichtlich des möglichen Erfolgs kann derzeit nicht besonders optimistisch ausfallen. Es gibt strukturelle Hürden in der überaus heterogenen Welt der Sorge-Arbeit, zugleich gibt es eher „zu viele“ Organisationen mit einem Interessenvertretungsanspruch in diesem Feld, so dass wir eine erhebliche Fragmentierung und kleinteilige Zersplitterung zur Kenntnis nehmen müssen. Ob LUA hier nur ein weiteres Pflänzchen im bunten Garten darstellen wird (was leider wahrscheinlich ist) oder ob wir alle eine Überraschungserfahrung machen, wird die Zeit zeigen.
Fußnote
- Deutscher Bundestag (2022): Vor 65 Jahren: Bundestag beschließt Gleichberechtigungsgesetz, 27.04.2022) ↩︎