Soziale Gerechtigkeit ist eine Frage von Leben und Tod. Sie beeinflusst die Art und Weise, wie die Menschen leben, ihr Krankheitsrisiko und ihr Risiko eines vorzeitigen Todes. Wir beobachten mit Erstaunen, wie die Lebenserwartung und der Gesundheitszustand in einigen Teilen der Welt weiter steigen, und mit Sorge, wie sie sich in anderen nicht verbessern. Ein Mädchen, das heute geboren wird, kann mit einer Lebenserwartung von mehr als 80 Jahren rechnen, wenn es in einigen Ländern geboren wird – aber weniger als 45 Jahre, wenn es in anderen Ländern geboren wird. Innerhalb der Länder gibt es dramatische Unterschiede im Gesundheitszustand, die eng mit dem Grad der sozialen Benachteiligung zusammenhängen.
So beginnt eine Mitteilung, die im August 2008 von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) veröffentlicht wurde. Und dann kommt ein klares Statement: »Differences of this magnitude, within and between countries, simply should never happen.«
Im Jahr 2005 hatte die WHO die Commission on Social Determinants of Health eingesetzt, um die Erkenntnisse darüber zusammenzutragen, was zur Förderung der gesundheitlichen Chancengleichheit getan werden kann, und um eine globale Bewegung zur Verwirklichung dieser Ziele zu fördern. 2008 wurde der Abschlussbericht der Kommission veröffentlicht:
➔ WHO (2008): Closing the gap in a generation. Health equity through action on the social determinants of health, Geneva: World Health Organization (WHO), 2008
In dem Abschlussbericht wurden Ziele zur Verringerung der Unterschiede zwischen und innerhalb von Ländern in Bezug auf Lebenserwartung, Kinder- und Müttersterblichkeit festgelegt, die bis 2040 erreicht werden sollen. Ein neuer Bericht der WHO, der im Jahr 2025 veröffentlicht wurden, zeigt, dass diese Ziele wahrscheinlich verfehlt werden.
Und heute? Haben wir die Lücke geschlossen oder wenigstens enger gemacht?
Gesundheitliche Ungleichheiten verkürzen das Leben um Jahrzehnte, so ist eine neue Mitteilung der WHO überschrieben, die im Mai 2025 veröffentlicht wurde (vgl. Health inequities are shortening lives by decades, 06.05.2025). Das liest sich nicht nach spürbaren Verbesserungen oder gar einem Durchbruch beim Thema gesundheitliche Ungleichheiten.
Ein von der WHO veröffentlichter globaler Bericht hebt hervor, dass die Ursachen für Krankheiten oft auf Faktoren außerhalb des Gesundheitssektors zurückzuführen sind, wie z. B. ein Mangel an qualitativ hochwertigen Wohnungen, Bildung und Arbeitsmöglichkeiten. Der neue Bericht kann zeigen, dass solche Faktoren für eine dramatische Verringerung der gesunden Lebenserwartung – manchmal um Jahrzehnte – sowohl in Ländern mit hohem als auch mit niedrigem Einkommen verantwortlich sein können. So leben die Menschen in dem Land mit der niedrigsten Lebenserwartung im Durchschnitt 33 Jahre kürzer als diejenigen, die in dem Land mit der höchsten Lebenserwartung geboren wurden. Die sozialen Determinanten der gesundheitlichen Chancengleichheit können die Gesundheitsergebnisse der Menschen stärker beeinflussen als genetische Einflüsse oder der Zugang zur Gesundheitsversorgung.
➔ WHO (2025): World report on social determinants of health equity, Geneva: World Health Organization (WHO), 2025
Dieser umfassende Weltbericht über die sozialen Determinanten der gesundheitlichen Chancengleichheit untersucht die unzureichenden Fortschritte bei der Erfüllung der Ziele der Kommission für soziale Determinanten der Gesundheit zur Verwirklichung der gesundheitlichen Chancengleichheit (die 2005 bis 2008 gearbeitet hat) und legt den Schwerpunkt der Darstellung und der Aktionsagenda darauf, was gesundheitliche Ungleichheiten hervorruft und reproduziert und welche bewährten politischen Abhilfemaßnahmen es gibt. Der Bericht enthält 14 spezifische Empfehlungen für Maßnahmen in vier Aktionsbereichen. Länderbeispiele im gesamten Bericht zeigen Maßnahmen und verschiedene Strategien zur Umsetzung der Empfehlungen des Berichts in unterschiedlichen Kontexten auf. Der Bericht zielt darauf ab, die globale, nationale und lokale Politik zu informieren und eine Grundlage für koordinierte Maßnahmen und Investitionen in die sozialen Determinanten der Gesundheitsgerechtigkeit zu schaffen.
Der Bericht unterstreicht, dass die Ungleichheiten im Gesundheitsbereich eng mit dem Grad der sozialen Benachteiligung und dem Ausmaß der Diskriminierung zusammenhängen. Die Gesundheit folgt einem sozialen Gefälle: Je benachteiligter das Gebiet ist, in dem die Menschen leben, desto geringer ist ihr Einkommen, desto weniger Bildungsjahre haben sie, desto schlechter ist ihr Gesundheitszustand und desto weniger gesunde Jahre haben sie zu leben. Diese Ungleichheiten werden in Bevölkerungsgruppen, die mit Diskriminierung und Marginalisierung konfrontiert sind, noch verschärft.
Nach Angaben der WHO ist die Wahrscheinlichkeit, dass Kinder, die in ärmeren Ländern geboren werden, vor dem fünften Lebensjahr sterben, 13-mal höher als in wohlhabenderen Ländern. Modellrechnungen zeigen, dass das Leben von 1,8 Millionen Kindern jährlich gerettet werden könnte.
Und es gibt auch Erfolgsmeldungen, bei denen sich dann die Ungleichheiten dennoch wieder Bahn brechen: Aus dem Bericht geht hervor, dass die Müttersterblichkeit zwischen 2000 und 2023 zwar weltweit um 40 Prozent zurückgegangen ist, dass aber immer noch 94 Prozent der Todesfälle bei Müttern auf Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen entfallen.
Die WHO betont, dass Maßnahmen zur Bekämpfung von Einkommensungleichheit, struktureller Diskriminierung, Konflikten und Klimastörungen der Schlüssel zur Überwindung tief verwurzelter gesundheitlicher Ungleichheiten sind. So wird der Klimawandel in den nächsten fünf Jahren schätzungsweise 68 bis 135 Millionen Menschen zusätzlich in die extreme Armut treiben.
Gegenwärtig haben 3,8 Milliarden Menschen weltweit keinen angemessenen Sozialschutz, wie z. B. Leistungen für Kinder oder bezahlten Krankenurlaub, was sich unmittelbar und dauerhaft auf ihre Gesundheit auswirkt. Die hohe Schuldenlast hat die Fähigkeit der Regierungen, in diese Leistungen zu investieren, gelähmt, wobei sich der Gesamtwert der Zinszahlungen der 75 ärmsten Länder der Welt in den letzten zehn Jahren vervierfacht hat.
Der neue Weltbericht ist eine Aktualisierung der Schlussfolgerung der WHO-Kommission zu den sozialen Determinanten der Gesundheit aus dem Jahr 2008, in dessen Abschlussbericht es heißt: „Soziale Ungerechtigkeit tötet im großen Stil“.
„Das ist eine große Sache!“
Die Rettung von Millionen Menschenleben wäre tatsächlich eine „große Sache“, es wäre sogar eine unendlich große Sache und vor allem: eine großartige Angelegenheit.
Das Wortspiel soll aber überleiten zu dem wahren Urheber des Zitats „Das ist eine große Sache!“, denn das stammt konkret vom US-Präsidenten Donald Trump. Um ganz genau zu sein: Er hat das an seinem ersten Amtstag gesagt, was dem noch die Krone aufsetzt bzw. aufsetzen würde, wenn er denn den Kampf gegen todbringende gesundheitliche Ungleichheiten (und ihrer sozialen Bestimmungsfaktoren) meinen würde. Meint er aber nicht. Sondern etwas ganz anderes.
„Ooh“, sagte Trump, als ihm das Dekret zum geplanten Austritt aus der Weltgesundheitsorganisation WHO vorgelegt wurde und fügte an: „Das ist eine große Sache!“. Die UN-Behörde habe die Corona-Pandemie und andere internationale Gesundheitskrisen nicht angemessen gehandhabt, begründet Trump den Schritt. Zudem verlange sie von den USA im Vergleich etwa zu China hohe Zahlungen. „Die Weltgesundheitsorganisation hat uns abgezockt, jeder zockt die USA ab. Das wird nicht mehr passieren.“ Das kann man diesem Bericht vom 21.01.2025 entnehmen: Was Trump am ersten Tag entschieden hat. Übrigens ist Donald Trump ein Wiederholungstäter, der dann sein Ansinnen schlussendlich in die Tat umsetzt. Denn es ist nicht das erste Mal, dass Trump versucht, die Verbindung zur WHO abzubrechen. Im Juli 2020, mehrere Monate nachdem die WHO Covid-19 zur Pandemie erklärt hatte und die Fälle weltweit zunahmen, teilte die Trump-Regierung UN-Generalsekretär Antonio Guterres offiziell mit, dass die USA einen Austritt aus der WHO planten und die Finanzierung der Agentur aussetzten. Präsident Joe Biden machte Trumps Entscheidung an seinem ersten Tag im Amt im Januar 2021 rückgängig.
Der nun per Dekret verkündete Austritt der USA aus der WHO wird in einem einjährigen Rückzugsprozess abgewickelt werden.
Die Folgen für die WHO sind gravierend. Bereits wenige Wochen später wird gemeldet: WHO muss Budget drastisch kürzen: »Die WHO muss mit Hunderten Millionen Euro weniger auskommen – und plant deshalb Kürzungen beim Personal und Gesundheitsinitiativen.« Für das laufende Jahr drohe eine Finanzierungslücke von fast 600 Millionen Dollar (gut 554 Millionen Euro), so WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus. Im Februar hatte der Exekutivrat der WHO ldas Budget für 2026 und 2027 von 5,3 Milliarden Dollar auf 4,9 Milliarden Dollar gekürzt. Seitdem hätten sich die Aussichten weiter verschlechtert, so Tedros. „Wir haben den Mitgliedstaaten daher ein weiter reduziertes Budget von 4,2 Milliarden Dollar vorgeschlagen – eine Kürzung um 21 Prozent gegenüber dem ursprünglich vorgeschlagenen Budget.“
»Die WHO ist bei der Finanzierung ihrer globalen Gesundheitsinitiativen stark auf die Beiträge der Mitgliedstaaten angewiesen. Die USA waren bisher der größte Geldgeber und stellten rund 18 Prozent der Gesamtfinanzierung. Zwischen 2022 und 2023 steuerte das Land 1,28 Milliarden US-Dollar (1,18 Milliarden Euro) zum Budget bei. Als nächstgrößter Geber folgt Deutschland mit 856 Millionen Dollar (791 Millionen Euro) und die Bill und Melinda Gates-Stiftung mit 830 Millionen Dollar (767 Millionen Euro).«
Der Austritt der USA aus der WHO muss auch im Kontext der zum 1. Juli 2025 beschlossenen vollständigen Zerschlagung der US-Entwicklungshilfebehörde USAID gesehen werden. Die USA waren bislang die mit Abstand größte Quelle von Entwicklungshilfe weltweit. USAID war eine der größten Organisationen ihrer Art und organisierte zahlreiche Hilfsmaßnahmen in aller Welt – von der Aids-Hilfe bis zum Wiederaufbau in Kriegsregionen. Das alles hat dramatische Folgen: »Schulen, Impfprogramme, Arzneimittel, Medien, Alphabetisierungsinitiativen – die Liste ist unvollständig – existieren in den ärmsten Ländern der Welt nicht mehr, seit die US-Regierung der US-Entwicklungsbehörde USAID im Februar den Garaus machte. Die Folgen sind entsetzlich. Allein im Gesundheitsbereich sind einem der letzten Memos der Behörde zufolge 18 Millionen zusätzliche Malaria-Fälle mit 166 000 Toten zu erwarten. Eine zusätzliche Million Kinder werden Hunger leiden sowie weitere 200 000 an Polio-Lähmungen. Auch diese Liste ist unvollständig«, so der Artikel Mehr als nur »Soft Power«. Gerade in den Ländern am untersten Ende der Ungleichheitsskala werden viele, sehr viele Menschen sterben aufgrund der Zerschlagung von USAID. Und die massiven Kürzungen bei den Gesundheitsprogrammen seitens der WHO werden diese fatale Entwicklung noch potenzieren.
Das ist alles ein Desaster.