Sie wächst weiter. Die Zahl der Mehrfachbeschäftigten

In Zeiten, in denen immer wieder schlagzeilenträchtig darüber Klage geführt wird, dass „die“ Menschen in Deutschland angeblich immer weniger erwerbsarbeiten (wollen), dass in voller Lebenskraft stehende Jüngere nach einer Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich streben und zugleich in vielen Bereichen händeringend nach Arbeitskräften gesucht wird – in solchen Zeiten sollte man Meldungen wie diese aufmerksam zur Kenntnis nehmen: »Auch im dritten Quartal 2024 stieg die Zahl der Beschäftigten mit mehreren Jobs. Damit setzt sich ein langjähriger Trend fort«, so Anja Schreiber in ihrem Beitrag Darum haben immer mehr Menschen einen Zweitjob. „Im dritten Quartal 2024 gingen insgesamt rund 4,6 Millionen Beschäftigte einer Nebentätigkeit nach“, so Susanne Wanger vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit. Damit habe mittlerweile fast jeder neunte Beschäftigte einen zweiten Job. „Diese Entwicklung folgt einem langfristigen Aufwärtstrend.“

Da lohnt sich ein genauerer Blick zurück. Die Zahl der Mehrfachbeschäftigten kann man der IAB-Arbeitszeitrechnung entnehmen. Das IAB erläutert: Mehrfachbeschäftigte sind Personen, die zeitgleich in mehr als einem Beschäftigungsverhältnis stehen. Dies können z.B. sein: Beschäftigte mit mindestens einer weiteren sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung bzw. geringfügigen Beschäftigung. Schauen wir uns die Entwicklung der Zahl der mehrfachbeschäftigten Arbeitnehmer seit Anfang der 1990er Jahre an:

Bis auf die kleine pandemiebedingte Delle im Jahr 2020 kann man seit dem Jahr 2004 ein kontinuierliches Wachstum der Zahl der Mehrfachbeschäftigten erkennen. Im Jahr 2003 waren knapp 1,7 Millionen Menschen in Deutschland mehrfach­beschäftigt. Zehn Jahre später – 2013 – lag ihre Zahl bei 3,2 Millionen und zwanzig Jahre später – 2023 – bei etwa 4,5 Millionen.

Eine Zunahme, die übrigens losgelöst war (und ist) zu der Entwicklung der Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer insgesamt:

Was wissen wir über die Beschäftigungskombinationen in dieser Gruppe? Rund drei Viertel der Mehrfachbeschäftigten sind neben ihrer sozial­versicherungs­pflichtigen Beschäftigung noch geringfügig beschäftigt. Etwa 10 Prozent haben zwei sozial­versicherungs­pflichtige Jobs. Der Rest verteilte sich unter anderem auf Beamte oder Selbstständige mit einem Minijob.

Das erkennbar starke Wachstum der Mehrfachbeschäftigung seit dem Jahr 2003 kann mit den damaligen gesetzlichen Änderungen zur geringfügigen Beschäftigung erklärt werden. „Ein Einkommen aus einer sogenannten geringfügigen Neben­beschäftigung – also einem Minijob – ist seitdem für die Beschäftigten steuerfrei. Es fallen auch keine Beiträge für die Kranken-, Pflege- und Arbeitslosen­versicherung an“, so Bettina Kohlrausch vom gewerkschaftsnahen Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI). Und weiter: »Seit 2013 bestehe zwar eine Versicherungs- und Beitrags­pflicht für die gesetzliche Renten­versicherung, aber es gebe die Möglichkeit, sich von der Zahlung des Arbeitnehmer­anteils befreien zu lassen. „Von dieser sogenannten Opt-out-Regelung machen viele geringfügig Beschäftigte Gebrauch.«

➔ Im Dezember 2024 waren bei der Minijob-Zentrale 6.961.624 Minijobberinnen und Minijobber gemeldet: 6.701.088 im Gewerbe und 260.536 in Haushalten. Von den 6,7 Mio. Minijobbern im gewerblichen Bereich waren 1,38 Mio. rentenversichert tätig (20,6 Prozent), von den in Haushalten geringfügig Beschäftigten waren lediglich 30.801 rentenversicherungspflichtig (11,8 Prozent).
Quelle: Quartalsbericht der Minijob-Zentrale 4. Quartal 2024.

Eine geringfügige Nebenbeschäftigung ist auf den ersten Blick eine attraktive Zuverdienst­möglichkeit, weil sie eben nicht voll steuer- und beitrags­pflichtig ist.

➔ In der BAuA-Arbeitszeitbefragung 2021* der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin wurden einige Merkmale der Mehrfachbeschäftigung in Deutschland erhoben: Mehrfachbeschäftigte haben höhere arbeitszeitliche Anforderungen als Einfachbeschäftigte. Sie arbeiten insgesamt länger und haben in ihrer Haupterwerbstätigkeit häufiger kürzere Ruhezeiten. Mit einer wöchentlichen Gesamtarbeitszeit von durchschnittlich 43,5 Stunden arbeiten Beschäftigte mit einer weiteren Tätigkeit (Mehrfachbeschäftigte) rund fünf Stunden mehr als Beschäftigte mit nur einer Tätigkeit (Einfachbeschäftigte). Die Nebentätigkeit führen die meisten Mehrfachbeschäftigten nach ihrer Haupttätigkeit (31 Prozent), am Wochenende (27 Prozent) oder an sonstigen freien Tagen (22 Prozent) aus. Die Gründe für eine Mehrfachbeschäftigung sind vor allem finanzieller Natur (50 Prozent). Dabei geht es häufiger um einen Zuverdienst (33 Prozent) als um die Sicherung des Lebensunterhalts (17 Prozent). Den Spaß an der Tätigkeit geben mehr als ein Drittel der Mehrfachbeschäftigten (36 Prozent) als Grund für die Nebentätigkeit an. Fazit: »Auswertungen der BAuA-Arbeitszeitbefragung zeigen, dass Mehrfachbeschäftigte höhere zeitliche Anforderungen haben als Einfachbeschäftigte: Sie arbeiten länger und in der Haupttätigkeit häufiger an Wochenenden und werden häufiger aus beruflichen Gründen im Privatleben kontaktiert. Der Gesundheitszustand von Mehrfach- und Einfachbeschäftigten unterscheidet sich insgesamt nicht. Jedoch bewerten Mehrfachbeschäftigte ihre Gesundheit deutlich schlechter, wenn mit der Nebentätigkeit der Lebensunterhalt gesichert werden muss.«
Quelle: Ines Entgelmeier und Anne Marit Wöhrmann (2023): Höhere zeitliche Anforderungen bei Mehrfachbeschäftigung. Dortmund: Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, August 2023.

*) Zur Datengrundlage : An der BAuA-Arbeitszeitbefragung 2021 haben etwa 20.000 Erwerbstätige teilgenommen. In einem circa 40-minütigen Telefoninterview wurden Angaben zu verschiedenen Arbeitszeitmerkmalen und weiteren Arbeitsbedingungen erhoben.