Ein Nicht-Ausgleich der Inflation kann (angeblich) den Charakter verändern. Beispiel: Das Elterngeld

In den zurückliegenden Monaten ging es an vielen Stellen um den (Teil-)Ausgleich der aus dem Ruder gelaufenen Inflation. Die Gewerkschaften haben in den Tarifverhandlungen für einen nachlaufenden Ausgleich über entsprechend hohe Nominallohnsteigerungen gestritten, der Staat hat unter Verzicht auf Steuer- und Beitragseinnahmen eine Brutto-gleich-Netto-Inflationsausgleichsprämie ermöglicht. Auch die letzte Anpassung des Bürgergeldes zum 1. Januar 2024 berücksichtigte die Preissteigerungen.

Was passieren kann, wenn es keine die Inflation berücksichtigende Dynamisierung einer staatlichen Leistung gibt, es also bei gleich bleibender nominaler Höhe zu einem teilweise erheblichen Realwertverfall kommt, das kann man beim Elterngeld in Augenschein nehmen.

Das ist eine Leistung, die von vielen in Anspruch genommen werden. Das Statistische Bundesamt berichtet dazu: »Rund 1,8 Millionen Frauen und Männer in Deutschland haben im Jahr 2023 Elterngeld erhalten.« Neben 1,3 Millionen leistungsbeziehenden Frauen werden 462.000 Männer mit Elterngeld-Bezug genannt. Der Väteranteil bleibt im Jahr 2023 nahezu unverändert bei 26,2 Prozent. Der Väteranteil gibt den Anteil der männlichen Bezieher an allen Elterngeldbeziehenden an. Er würde also genau 50 Prozent betragen, wenn bei allen Kindern sowohl der Vater als auch die Mutter gleichermaßen Elterngeld beziehen würde. Wie auch in früheren Jahren gab es erhebliche Unterschiede zwischen Frauen und Männern bei der geplanten Bezugsdauer: Die durchschnittliche Dauer des geplanten Elterngeldbezugs lag bei den Frauen im Jahr 2023 bei 14,8 Monaten. Die von Männern angestrebte Bezugsdauer war mit durchschnittlich 3,7 Monaten dagegen deutlich kürzer (vgl. dazu aus früheren Jahren den Beitrag Immer mehr Väter tun es. Sie beziehen Elterngeld. Dennoch ist der Fortschritt eine Schnecke vom 11. April 2019 sowie Immer mehr bestimmte Väter mögen zeitweise das Elterngeld. Sozialpolitische Anmerkungen zu einer selektiven Geldleistung vom 19. Februar 2017).

Ein kurzer Blick zurück kann hilfreich sein: Eine Geschichte der Ablösung, des Paradigmenwechsels – und einer typisch deutschen Ausdifferenzierung

Da es in diesem Beitrag auch um den „Charakter“ des Elterngeldes gehen soll, sei an dieser Stelle ein kurzer Exkurs eingeschoben, der den Entstehungshintergrund dieser familienpolitischen Leistung zumindest etwas anzuleuchten vermag (vgl. dazu ausführlicher den Beitrag Jenseits des „Wickelvolontariats“ für Väter? Zehn Jahre Elterngeld und ein notwendiger Blick auf die Vorgängerleistungen Erziehungsgeld und Mutterschaftsurlaubsgeld vom 29. September 2016).

Das Elterngeld wurde am 1. Januar 2007 eingeführt – und mit dieser Leistung bzw. ihrer Ausgestaltung war damals ein gesellschaftspolitischer Paradigmenwechsel verbunden. Das kann man nur rückblickend verstehen:

Bis 2007 gab es das sogenannte Erziehungsgeld. Das war 1986 von der damaligen Koalition unter Helmut Kohl (CDU) eingeführt worden – und hatte eine interessante andere Leistung abgelöst, die vielen heute gar nicht mehr bekannt ist: das Mutterschaftsurlaubsgeld, das 1979 von der SPD/FDP-Bundesregierung unter Helmut Schmidt (SPD) in die Welt gesetzt worden ist. Mit dem ausdrücklichen Ziel einer besseren Vereinbarkeit von Mutterschaft und Beruf, denn diese Leistung wurde ausschließlich an vorher abhängig beschäftigte Mütter ausgereicht, 750 DM pro Monat bis zu sechs Monate lang, in dieser Zeit gab es dann ein verlängertes Kündigungsverbot und die Mütter waren beitragsfrei in der Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung abgesichert. 1984 wurde der Leistungsbetrag dann auf 510 DM pro Monat abgesenkt. Aus Spargründen. Das Mutterschaftsurlaubsgeld wurde aus zwei Richtungen kritisiert. Zum einen, da Väter keinen Anspruch auf eine entsprechende Leistung hatten. Zum anderen kritisierte etwa 1985 der damalige Familienminister Heiner Geißler „das ungerechte Zweiklassenrecht des Mutterschaftsurlaubsgeldes, das nur eine in einem abhängigen Erwerbsberuf tätige Mutter erhält“. Vor dem Hintergrund dieser Kritiklinie versteht man dann auch die Intention des 1986 ins Leben gerufenen Erziehungsgeldes besser. Das seit dem 1. Januar 1986 verfügbare Erziehungsgeld sollte einen zeitweiligen gänzlichen Ausstieg aus dem Beruf – und zwar für längere Zeit als dies beim Mutterschaftsurlaubsgeld der Fall war – finanziell unterstützen und zugleich, im Gegensatz zum bisherigen Mutterschaftsurlaubsgeld, zumindest innerhalb bestimmter Einkommensgrenzen (bei einem Jahreseinkommen von 75.000 DM, bei Paaren maximal 100.000 DM, erlosch der Anspruch auf Erziehungsgeld) eine finanzielle Anerkennung der Erziehungsarbeit auch nichterwerbstätiger Mütter darstellen und dabei prinzipiell wahlweise Müttern oder Vätern zustehen. Bei der Einführung 1986 wurde die Höhe und Bezugsdauer des Erziehungsgelds auf 600 DM für zehn Monate festgesetzt. 1988 wurde die Bezugsdauer auf zwölf Monate verlängert. Die mögliche Dauer des Erziehungsgeldbezugs wurde dann schrittweise bis auf zwei Jahre erhöht.

Und was muss man sich nun unter dem angesprochenen „gesellschaftspolitischen Paradigmenwechsel“ vorstellen, der mit der Einführung des Erziehungsgeldes verbunden gewesen sein soll?

Damals gab es eine intensive Debatte, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu verbessern und bei einigen Akteuren sicher auch die Intention, die kritisierten Ausschlusseffekte der Mütter vom Arbeitsmarkt zu verringern. Gleichzeitig waren wir konfrontiert mit einer Debatte über die demografische Entwicklung und in diesem Zusammenhang wurde – ob offen oder eher mitlaufend – immer darauf verwiesen, dass gerade akademisch qualifizierte Frauen (angeblich) deutlich stärker von Kinderlosigkeit betroffen seien und man Anreize geben wollte, dass diese nicht auf eine Familiengründung verzichten, weil die materiellen Einschränkungen angesichts des erreichten Erwerbseinkommens zu groß sind.

Folglich bestand der angedeutete Paradigmenwechsel darin, dass man Abschied nahm von der Gewährung einer vom vorherigen Erwerbseinkommen unabhängigen einheitlichen Geldleistung
➔ und das Elterngeld als Lohnersatzleistung mit einem niedrigen, (anfangs) für alle zur Verfügung gestellten Sockelbetrag ausgestaltet
➔ und das dann auch noch verbunden hat mit einer deutlichen Kompression der zeitlichen Inanspruchnahme dieser Leistung (grundsätzlich auf 12 Monate), um einen Anreiz zu setzen, früher wieder in den Beruf zurückzukehren
➔ und durch die mögliche Erweiterung der Bezugsdauer auf 14 Monate, aber nur, wenn sich der Partner beteiligt, einen handfesten, also monetären Anreiz setzen wollte, dass es zu einer höheren Väterbeteiligung kommt.

Und ergänzend: Sozialpolitisch doppelt brisant ist der folgende Tatbestand: In der alten Welt des Erziehungsgeldes gab es den Geldbetrag bis zu 24 Monate lang und auch für Mütter, die vor der Geburt nicht (mehr) erwerbstätig waren. Und das Erziehungsgeld wurde nicht angerechnet auf andere Sozialleistungen, die zur Existenzsicherung beispielsweise von Alleinerziehenden in Anspruch genommen werden konnten. Mit dem Elterngeld war nicht nur eine Halbierung der möglichen Bezugsdauer verbunden, sondern zum 1. Januar 2011 wurde eine ganz massive Veränderung vorgenommen: Der Mindestbetrag von 300 Euro war auch nach der Ablösung des Erziehungs- durch das Elterngeld beim Bezug von Leistungen nach dem SGB II anrechnungsfrei. Das wurde 2011 abgeschafft und für eine Mutter im Hartz IV-Bezug wird seitdem der Betrag voll mit dem Hartz IV-Anspruch verrechnet, sprich: sie hat keinen Cent mehr in der Tasche. Im Zusammenspiel der beiden Komponenten Halbierung der Bezugsdauer und Anrechnung auf die Grundsicherungsleistungen hat sich die Position der davon Betroffenen deutlich verschlechtert.

➔ Auch an dieser Stelle werden wir Zeugen dieser in unserer Zeit so anspruchsvollen Ausdifferenzierung der Leistungsanrechnungsvorschriften: Das Elterngeld wird beim Bürgergeld, bei der Sozialhilfe und beim Kinderzuschlag vollständig als Einkommen angerechnet – dies betrifft auch den Mindestbetrag von 300 Euro. Es gibt aber eine Ausnahme: Alle Elterngeldberechtigten, die Bürgergeld, Sozialhilfe oder Kinderzuschlag beziehen und die vor der Geburt ihres Kindes erwerbstätig waren, erhalten einen Elterngeldfreibetrag. Dieser Freibetrag liegt je nach Verdienst bei höchstens 300 Euro. Bis zu dieser Höhe steht das Elterngeld damit zusätzlich zur Verfügung.«

Hinsichtlich der Ausgestaltung der Leistung Elterngeld müssen wir wie in so vielen anderen Bereichen auch diese typisch deutsche – oftmals gut gemeinte – Auffächerung und damit verbunden auch eine Verkomplizierung der Leistung zur Kenntnis nehmen. Am Anfang gab es die Ablösung der Pauschalleistung Erziehungsgeld durch eine lohnersatzförmig ausgestaltete neue Leistung Elterngeld. Was ist daraus geworden?

Heute gibt es zum einen das Basiselterngeld. Den Eltern stehen gemeinsam insgesamt 14 Monate Basiselterngeld zu, wenn sich beide an der Betreuung beteiligen und den Eltern dadurch Einkommen wegfällt. Sie können die Monate frei untereinander aufteilen. Ein Elternteil kann dabei mindestens zwei und höchstens zwölf Monate für sich in Anspruch nehmen. Basiselterngeld können Eltern nur innerhalb der ersten 14 Lebensmonate des Kindes erhalten. Danach können sie nur noch das ElterngeldPlus oder den Partnerschaftsbonus beziehen.

Das ElterngeldPlus soll die Vereinbarkeit von Beruf und Familie stärken und stellt insbesondere auf diejenigen ab, die schon während des Elterngeldbezugs wieder in Teilzeit arbeiten wollen.

➔ ElterngeldPlus können Eltern doppelt so lange bekommen wie Basiselterngeld: Ein Monat Basiselterngeld entspricht zwei Monaten ElterngeldPlus. Wenn Eltern nach der Geburt nicht arbeiten, ist das ElterngeldPlus halb so hoch wie das Basiselterngeld. Wenn sie nach der Geburt in Teilzeit arbeiten, kann das monatliche ElterngeldPlus genauso hoch sein wie das monatliche Basiselterngeld mit Teilzeit.

Und dann gibt es noch einen Partnerschaftsbonus. Dazu und zu den Voraussetzungen erfahren wir beim zuständigen Bundesfamilienministerium: »Eltern können jeweils bis zu vier zusätzliche ElterngeldPlus-Monate als Partnerschaftsbonus erhalten, wenn sie in diesem Zeitraum gleichzeitig zwischen 24 und 32 Wochenstunden in Teilzeit arbeiten, um mehr Zeit für ihr Kind zu haben (zwischen 25 und 30 Stunden bei Kindern, die vor dem 1. September 2021 geboren wurden). Der Partnerschaftsbonus kann für mindestens zwei und höchstens vier Monate beantragt werden (für Kinder, die vor dem 1. September 2021 geboren wurden, ist dies nur für vier aufeinanderfolgende Lebensmonate möglich). Die Regelung gilt auch für getrennt erziehende Eltern, die als Eltern gemeinsam in Teilzeit gehen. Alleinerziehenden steht der gesamte Partnerschaftsbonus zu.«

Und wieder einmal richtig kompliziert wird es bei dem Versuch, die Frage zu beantworten, was man denn nun an Elterngeld bekommt. Dazu die offizielle Antwort: »Die Höhe des Elterngeldes hängt davon ab, wie viel Einkommen der betreuende Elternteil vor der Geburt des Kindes hatte und ob nach der Geburt Einkommen wegfällt. Eltern mit höheren Einkommen erhalten 65 Prozent, Eltern mit niedrigeren Einkommen bis zu 100 Prozent des Voreinkommens. Je nach Einkommen beträgt das Basiselterngeld zwischen 300 Euro und 1800 Euro im Monat und das ElterngeldPlus zwischen 150 Euro und 900 Euro im Monat. Das Mindestelterngeld erhalten alle, die nach der Geburt ihr Kind selbst betreuen und höchstens 32 Stunden in der Woche arbeiten (höchstens 30 Stunden pro Woche bei Kindern, die vor dem 1. September 2021 geboren wurden), etwa auch Studierende, Hausfrauen oder Hausmänner und Eltern, die wegen der Betreuung älterer Kinder nicht gearbeitet haben. Mehrkindfamilien mit kleinen Kindern profitieren vom sogenannten Geschwisterbonus: Sie erhalten einen Zuschlag von zehn Prozent des sonst zustehenden Elterngeldes, mindestens aber 75 Euro bei Basiselterngeld (37,50 Euro bei ElterngeldPlus). Bei Mehrlingsgeburten wird ein Mehrlingszuschlag von 300 Euro (150 Euro bei ElterngeldPlus) für jedes weitere neugeborene Kind gezahlt.« Alles klar?

Da wurde doch hinsichtlich des Elterngeldes was versprochen im Koalitionsvertrag der mittlerweile verblichenen Ampel-Koalition?

Dem aufmerksamen Leser wird nicht entgangen sein: Am Anfang stand bei der Einführung des Elterngeldes ein Sockelbetrag von 300 Euro. Das war 2007. Nun schreiben wir das Jahr 2024 und 2025 steht vor der Tür. Und immer noch wird von mindestens 300 Euro gesprochen. Offensichtlich hat sich der Betrag nicht verändert, was auch für den Höchstbetrag gilt. Übrigens: Bei der Einführung der Vorgängerleistung Erziehungsgeld im Jahr 1986 wurde die Höhe und Bezugsdauer dieser Leistung auf 600 DM festgelegt – wenn man diesen Betrag jetzt in Euro umrechnet, dann kommt man auf was? Genau. Auf 300 Euro. Wie gesagt, 1986.

Als die Ampel-Koalition Ende 2021 ihren Koalitionsvertrag ausgearbeitet und in die Welt gesetzt hat, da wurde dort vollmundig reingeschrieben:

»Wir werden den Basis- und Höchstbetrag beim Elterngeld dynamisieren

Quelle: Koalitionsvertrag zwischen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP, Dezember 2021, S. 79

Wie bei so einigen anderen Sachen auch ist es hier bei einer Ankündigung geblieben. Papier ist eben geduldig. Nichts wurde dynamisiert.

Kein Inflationsausgleich beim Elterngeld. Und (nicht nur) das soll den Charakter dieser Leistung verändern

»Seit seiner Einführung im Jahr 2007 ist nie eine Anpassung der Mindest- und Höchstsätze für das Elterngeld erfolgt. So ist die Kaufkraft des Elterngeldes für Eltern mit höheren und niedrigem Einkommen bis zum Jahr 2023 um rund 38 Prozent gesunken und diese Entwicklung setzt sich ohne Inflationsausgleich weiter fort.«

Zu diesem Ergebnis kommt diese Ausarbeitung aus dem Institut der deutschen Wirtschaft (IW):

➔ Wido Geis-Thöne (2024): Ohne Inflationsausgleich ändert das Elterngeld seinen Charakter. IW-Kurzbericht, Nr. 97/2024, Köln: Institut der deutschen Wirtschaft (IW), Dezember 2024

Auch Geis-Thöne weist darauf hin, dass es bereits beim Übergang zum Elterngeld im Jahr 2007 keine Dynamisierung des bisherigen Erziehungsgeldes gegeben hat:

»Ein Inflationsausgleich wurde beim Erziehungsgeld bis zum Übergang zum Elterngeld im Jahr 2007 nie vorgenommen, sodass seine reguläre Höhe damals noch immer bei 300 Euro im Monat lag, obschon bis zu diesem Zeitpunkt bereits rund 456 Euro notwendig gewesen, um die Kaufkraft von 600 DM im Jahr 1986 zu erhalten.«

Für Mütter und Väter ohne vorheriges Einkommen wurde der Wert des Erziehungsgelds von 300 Euro bei Einführung des Elterngeldes als Mindestsatz beibehalten und auch nicht mehr angepasst. Bis heute nicht.

»Dabei hätte er bis zum Jahr 2023 um 37,8 Prozent auf 413 Euro steigen müssen, um den inflationsbedingten Kaufkraftverlust seit dem Jahr 2007 auszugleichen.«

Sebastian Heimann, Bundesgeschäftsführer des Deutschen Familienverbandes, wird mit dieser Feststellung zitiert: »Das Basiselterngeld in Höhe von 300 Euro ist … eine familienpolitische Unverschämtheit. Seit Einführung als Erziehungsgeld 1986 wurde dieser Betrag nicht mehr angepasst. Das heißt, dass fast 40 Jahre Inflation nicht berücksichtigt wurden.«

Unten zu wenig – und oben. In der Mitte eher nicht:

»Deutlich an Kaufkraft verloren hat das Elterngeld auch für Personen, die den Höchstsatz beziehen, der bei einem Inflationsausgleich von 1.800 Euro auf 2.480 Euro hätte steigen müssen.«

»Hingegen läge das Elterngeld für Personen mit einem (vormaligen) Einkommen im Bereich von 1.650 Euro und 2.770 Euro auch bei einem vollständigen Inflationsausgleich nicht höher, da hier auch weiterhin ein Satz von 65 Prozent gelten würde.«

»Die fehlende Anpassung des Höchstsatzes betrifft nicht nur Familien mit hohem Einkommen, sondern immer weitere Teile der Mittelschicht. Hatten nur 6,3 Prozent der Elterngeld beziehenden Mütter und Väter von im Jahr 2011 geborenen Kindern Anspruch auf diesen Höchstsatz, erreichten bereits 16,7 Prozent der Eltern von im Jahr 2021 geborenen Kindern das entsprechende Nettoeinkommen von 2.770 Euro.«

Familien mit einem sehr hohen Einkommen sind ausgeschlossen vom Bezug des Elterngeldes. Und hier hat es Kürzungen bei der Bezugsgrenze für höhere Einkommen gegeben. Bis zum April 2024 lag die Bezugsgrenze noch bei 300.000 Euro pro Jahr. Ab April 2024 ist die Bezugsgrenze auf 250.000 Euro abgesenkt worden – und ab April 2025 sollen Mütter und Väter das Elterngeld als Lohnersatzleistung nur noch dann erhalten, wenn ihr zu versteuerndes gemeinsames Jahreseinkommen 175.000 Euro nicht überschreitet.

Und was soll jetzt den Charakter des Elterngeldes verändert haben? In den Worten von Wido Geis-Thöne:

»In den letzten Jahren wurde auf politischer Ebene … nicht über den an sich fälligen Inflationsausgleich gesprochen, sondern mit Blick auf die Konsolidierung des Bundeshaushalts nach Einsparmöglichkeiten gesucht, was letztlich auch zum Absenken der Einkommenshöchstgrenzen für den Elterngeldbezug geführt hatte. Würde man zum Grundkonzept des vormaligen Erziehungsgelds zurückkehren und die Höhe des Elterngelds nur am Bedarf finanziell schlechter gestellter Familien ausrichten, anstatt auch den Lebenstand von Familien mit höherem Einkommen zu sichern, ließen sich sehr viel weitreichendere Ausgabensenkung erzielen. Allerdings würde damit das Ziel, für alle Familien einen Schonraum in der ersten Lebensphase des Kindes zu schaffen und so Paaren die Gestaltung des Familienlebens nach ihren Wünschen und die Entscheidung für Kinder zu erleichtern, aufgegeben. Auch wären die gleichstellungspolitischen Potenziale des Elterngeldes dann nur noch sehr begrenzt. Dabei hatte sich die Politik in den 2000er-Jahren für den Übergang zum Elterngeld entschieden, da sie hier Handlungsbedarf gesehen hatte … Soll das Elterngeld hingegen wie bisher wirken, sollte das Sicherungsniveau auch für Familien mit höheren Einkommen real und nicht nur nominal erhalten bleiben, wofür der Inflationsausgleich unumgänglich ist.«

Und seit dem April 2024 gibt es eine weitere Einschränkung, die man schnell überlesen kann: »Während das Erziehungsgeld eine reine Unterstützungsleistung für Familien darstellte, werden mit dem Elterngeld auch gleichstellungspolitische Ziele verfolgt. So wird ein Bonus von bis zu zwei Bezugsmonaten beim Basiselterngeld und vier Monaten beim Elterngeld Plus gewährt, wenn beide Elternteile Elterngeld in Anspruch nehmen. Allerdings gilt dabei seit dem Jahr 2024 die Einschränkung, dass beim Basiselterngeld nur einer der Bonusmonate parallel zum Elterngeldbezug des zweiten Elternteils genommen werden kann.« Das Bundesfamilienministerium begründet das mit mehr Gleichberechtigung, die man über diese Einschränkung herstellen möchte. Ob das gelingt, steht auf einem anderen Blatt.

Wie dem auch sei. Neben dem tatsächlich hoch problematischen Nicht-Ausgleich der Inflation über viele Jahre hat sich der Charakter des Elterngeldes eher dahingehend transformiert, dass aus einer am Anfang mal einfach strukturierten Pauschalleistung ein ziemlich komplexes Leistungsgeflecht mit zahlreichen Voraussetzungen und Nebenbedingungen geworden ist, verbunden mit einer selbst für Experten nur schwer nachvollziehbaren Konstruktionslogik, die das Ergebnis einer – am Anfang sicher gut gemeinten – Differenzierung der Leistung und der Inanspruchnahmebedingungen zur Förderung bestimmter Ziele wie eine gleichberechtigte Aufteilung von Care- und Erwerbsarbeit. Herausgebildet hat sich ein – in sich schon sehr komplexes – Teil-Gebilde der generell hyperkomplexen Förderlandschaft in unserem Land, die munter weiter ausdifferenziert wird, bis bestimmt keiner mehr durchblickt.