Das Wohngeld Plus: Eine deutliche Erhöhung und Ausweitung der Unterstützung bei steigenden Wohnkosten. Zugleich: Gut gemeint muss auch gemacht werden (können)

In Deutschland gibt es 77 Großstädte, in denen jeweils mehr als 100.000 Einwohner leben. »49,2 Prozent der rund 8,4 Millionen Haushalte, die in Deutschlands Großstädten zur Miete wohnen, müssen mehr als 30 Prozent ihres Nettoeinkommens ausgeben, um ihre Miete (bruttowarm) zu bezahlen. Das entspricht mehr als 4,1 Millionen Haushalten, in denen etwa 6,5 Millionen Menschen leben. Dabei sind eventuelle Sozialtransfers und Wohngeld bereits berücksichtigt. Bei Sozialwissenschaftlern wie bei Immobilienexperten gilt eine Mietbelastungsquote oberhalb von 30 Prozent des Haushaltseinkommens insbesondere bei Haushalten mit niedrigerem Einkommen als problematisch, weil dann nur noch relativ wenig Geld zur sonstigen Lebensführung bleibt. Auch viele Vermieter ziehen hier eine Grenze, weil sie zweifeln, dass Mieter sich mit weniger Einkommen ihre Wohnung dauerhaft leisten können«, kann man diesem Bericht über Studienergebnisse entnehmen, der bereits 2021 veröffentlicht wurde: Miete: Fast die Hälfte der Haushalte in Großstädten tragen eine prekär hohe Belastung – mehr als 1,5 Millionen leistbare und angemessene Wohnungen fehlen. »Gut ein Viertel (25,9 Prozent) der Haushalte in den 77 deutschen Großstädten, das entspricht knapp 2,2 Millionen Haushalten mit knapp 3,1 Millionen Bewohnerinnen und Bewohnern, müssen sogar mindestens 40 Prozent ihres Einkommens für Warmmiete und Nebenkosten aufwenden, knapp 12 Prozent oder fast eine Million Haushalte gar mehr als die Hälfte. Die mittlere Mietbelastungsquote (Medianwert) für alle Mieterhaushalte in Großstädten liegt bei 29,8 Prozent für die Bruttowarmmiete und damit knapp unter der Überlastungsgrenze.«

Und diese Daten beziehen sich nur auf die Großstädte in Deutschland. Die Wohnkostenbelastung ist für Millionen Menschen ein wahrhaft existenzielles Problem und vor diesem Hintergrund muss man jede Verbesserung der Hilfestellung für einkommensschwache Haushalte erst einmal positiv zur Kenntnis nehmen. Beispielsweise das Wohngeld Plus, das mit Beginn des neuen Jahres 2023 das Licht der Welt erblicken wird.

»Das Wohngeld dient der wirtschaftlichen Sicherung angemessenen und familiengerechten Wohnens. Das Wohngeld wird als Zuschuss zur Miete (Mietzuschuss) oder zur Belastung (Lastenzuschuss) für den selbst genutzten Wohnraum geleistet«, heißt es im § 1 des Wohngeldgesetzes (WoGG). Das hört sich auf dieser Ebene vielversprechend an. Dann aber wird man mit so einer Meldung konfrontiert: 3,7 % weniger Haushalte bezogen im Jahr 2021 Wohngeld, berichtet das Statistische Bundesamt im Dezember 2022: »Am Jahresende 2021 haben rund 595.300 Haushalte in Deutschland Wohngeld bezogen. Das waren 1,5 % aller privaten Hauptwohnsitzhaushalte … (Die) Zahl der Wohngeld beziehenden Haushalte (ist) damit gegenüber dem Vorjahr um 3,7 % oder rund 22.900 gesunken. Am Jahresende 2020 hatten noch rund 618.200 Haushalte Wohngeld bezogen.«

Ein Blick auf die Inanspruchnahme von Wohngeld in den vergangenen Jahren

Schauen wir uns einmal die längerfristige Entwicklung bei der Inanspruchnahme und den Ausgaben für dieses wichtige Instrument einmal genauer an:

Wenn man sich die Zeitreihe mit der Anzahl der Wohngeld-Haushalte (sowie der Ausgaben für das Wohngeld) anschaut, erkennt man sofort die deutlichen Sprünge nach bzw. oben. Die resultieren aus gesetzlichen Veränderungen bzw. einem Auseinanderlaufen von Einkommensentwicklung und Einkommensschwellen. Ein markanter Punkt in der Zeitreihe ist das Jahr 2005, denn in diesem Jahr reduzierte sich der Kreis der Wohngeldberechtigten zunächst deutlich: Hauptursache dafür war „Hartz IV“, das am 1.1.2005 in Kraft trat. Infolge der Reform entfiel für Empfänger staatlicher Transferleistungen sowie für Mitglieder ihrer Bedarfsgemeinschaft das Wohngeld: Dies betrifft zum Beispiel Empfänger von Arbeitslosengeld II beziehungsweise Sozialgeld nach dem SGB II, von Hilfe zum Lebensunterhalt beziehungsweise Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung gemäß SGB XII oder von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz.

Für das Jahr 2009 ist dann ein deutlicher Anstieg der Zahl der Wohngeld-Haushalte erkennbar. Dafür lassen sich zwei Ursachen identifizieren:

➔ Ein Grund dafür ist der sogenannte „Kinderzuschlag“. Der zum 1.1.2005 eingeführte Kinderzuschlag wird Eltern gewährt, die zwar ihren Bedarf aus eigenem Einkommen grundsätzlich selbst decken können, nicht aber den Bedarf ihrer Kinder. Durch den Kinderzuschlag soll vermieden werden, dass Haushalte allein aufgrund ihrer Kinder abhängig von SGB II-Leistungen werden. Änderungen beim Kinderzuschlag haben spürbare Auswirkungen auf Empfänger von Wohngeld mit Kindern, da die Kinder in der Regel auch einen Wohngeldanspruch haben. Und solche Änderungen wurden zum 1. Oktober 2008 in Kraft gesetzt: Der Kreis der Kinderzuschlagsberechtigten wurde ausgeweitet, indem eine feste, niedrigere Mindesteinkommensgrenze festgelegt und die Anrechnungsquote von Einkommen aus Erwerbstätigkeit von 70 % auf 50 % verringert wurde. Das führte zu einem deutlichernAnstieg der Zahl der Haushalte mit Wohngeldbezug. Infolge der Weiterentwicklung des Kinderzuschlags ab Oktober 2008 wechselten Haushalte mit Kindern vom SGB II in die vorrangigen Leistungssysteme Wohngeld und Kinderzuschlag.

➔ Hauptursache für den deutlichen Anstieg der Zahl der Wohngeldhaushalte 2009 ist die zum 1. Januar 2009 in Kraft getretene Reform des Wohngeldrechts. Mit ihr waren erstmals seit den Anpassungen im Jahr 2001 wieder Leistungsverbesserungen für die Wohngeldbezieher verbunden: Vor dem Hintergrund gestiegener Energiepreise wurden erstmals die Heizkosten in das Wohngeld einbezogen. Und die Höchstbeträge für Miete und Belastung wurden über die Abschaffung der Baualtersklassen auf Neubauniveau vereinheitlicht und zusätzlich um 10 % angehoben.

Rauf … und wieder runter … und wieder etwas rauf

Aber der Anstieg der Haushalte im Wohngeldbezug war nicht von langer Dauer. Hauptursachen für den erneuten Rückgang der Zahl der Wohngeldhaushalte im Jahr 2011 waren zwei gesetzliche Änderungen:
➞ Zum einen wurde am 1.1.2011 der Betrag für die Heizkosten (Heizkostenkomponente) bei der Ermittlung der zu berücksichtigenden Miete oder Belastung im Wohngeld gestrichen.
➞ Zum anderen sind seit dem 1.4.2011 Leistungsberechtigte nicht mehr verpflichtet, Wohngeld in Anspruch zu nehmen, wenn dadurch nicht die Hilfebedürftigkeit aller Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft beseitigt würde. Die Grundsicherungsstelle darf künftig nicht mehr einzelne Personen einer Bedarfsgemeinschaft, insbesondere Kinder, auf die Inanspruchnahme von Wohngeld verweisen.

Im Jahr 2016 geht dann die Zahl der Wohngeldhaushalte wieder deutlich nach oben. Was ist hier passiert? Nach sieben Jahren gab es mal wieder eine Wohngeldreform. Im Fokus der Änderungen stand die Angleichung des Wohngeldes an die Entwicklung der Mieten und Einkommen. Dabei fanden nicht nur die gestiegenen Kaltmieten Beachtung, sondern auch die Nebenkosten für Warmwasser und Heizung. Die wichtigsten Neuerungen waren:
➞ Erhöhung der Wohngeldleistungen (Tabellenwerte) um durchschnittlich 39 Prozent.
➞ Anhebung der Miethöchstbeträge: Angepasst an die regional vorherrschende Durschnittsmiete werden die Miethöchstbeträge (höchste bezuschussungsfähige Miete) angehoben. Da die Durchschnittsmieten in Deutschland stark variieren, werden auch die Miethöchstbeträge in unterschiedlicher Höhe angepasst.

Und im Jahr 2019 wurde dann die nächste Reform des Wohngeldes auf die gesetzgeberische Spur gesetzt: das Wohngeldstärkungsgesetz, das Anfang 2020 in Kraft getreten ist (vgl. dazu auch den Beitrag Für viele Menschen steigen die Mieten und das Wohngeld soll jetzt auch mal wieder angehoben und gestärkt werden. Licht und Schatten des Wohngeldstärkungsgesetzes, der hier am 25. Oktober 2019 veröffentlicht wurde). Die Bundesregierung erwartete damals spürbare Ergebnisse, denn mit der Novelle würden 660.000 Haushalte und damit 180.000 Haushalte mehr als bisher die Leistung beanspruchen können, so die hoffnungsvolle Botschaft bei der Verabschiedung des Gesetzes. Wie man den in der Abbildung aufbereiteten Daten entnehmen kann, wurde dieses Ziel nicht erreicht, wenn auch der Anstieg der Zahl der Wohngeldempfängerhaushalte von Ende 2019 bis Ende 2020 mit 22,6 Prozent erheblich daherkommt, allerdings muss berücksichtigt werden, dass seit der Wohngeldreform 2016 die Zahl der wohngeldberechtigten Haushalte stetig zurückgegangen war. Außerdem muss man einschränkend anmerken: Mit der Anfang 2020 in Kraft getretenen Wohngeldreform wurden regelmäßige Erhöhungen entsprechend der Mieten- und Einkommensentwicklung beschlossen. Zum 1. Januar 2022 wurde das Wohngeld erstmals automatisch angepasst. Ob und wie sich das auswirkt, kann man den Daten bis Ende 2021 noch nicht entnehmen.

➔ Zum 1. Januar 2021 ist zusätzlich die sogenannte CO2-Komponente eingeführt worden. Abhängig von der Haushaltsgröße werden die Wohngeldbeträge um die CO2-Komponente aufgestockt. Dies soll Wohngeldhaushalte bei den Heizkosten entlasten. Die Einführung der CO2‑Komponente hat Einfluss auf den durchschnittlichen monatlichen Wohngeldanspruch sowie die Wohngeldausgaben des Bundes und der Länder.

Aber das ist nun Schnee von gestern, denn zwischenzeitlich wurde eine erneute Reform des Wohngeldes auf den gesetzgeberischen Weg gebracht, die zu einer deutlichen Erhöhung der Leistungen wie auch des Empfängerkreises führen soll und wird.

Das Wohngeld Plus kommt zum 1. Januar 2023

Im Gesetzentwurf der Bundesregierung wird auf den Handlungsbedarf hingewiesen: »Die Wohnkostenbelastung an den Einkommensgrenzen des Wohngeldes ist aktuell erheblich und betrug im Jahre 2020 trotz Wohngeld in der Spitze über 50 Prozent des verfügbaren Einkommens. Angesichts dieser hohen Wohnkostenbelastungen an den Einkommensgrenzen des Wohngeldes und bei Haushalten, die knapp oberhalb der Wohngeldgrenze liegen, besteht dringender struktureller Anpassungsbedarf. Die Mehrbelastung dieser Haushalte bei den Wohnkosten wird durch den gegenwärtig starken Anstieg der allgemeinen Lebenshaltungskosten (Inflation) und insbesondere durch die drastischen Preissteigerungen bei den Energiekosten massiv verstärkt.« (Entwurf eines Gesetzes zur Erhöhung des Wohngeldes (Wohngeld-Plus-Gesetz), BT-Drs. 20/3936 vom 11.10.2022).

Mit dem Wohngeld-Plus-Gesetz will die Bundesregierung ab dem 1. Januar 2023 Haushalte mit niedrigeren Einkommen stärker bei steigenden Wohnkosten unterstützen. Sie soll drei Komponenten enthalten:

➞ Erstens die Einführung einer dauerhaften Heizkostenkomponente, die als Zuschlag auf die zu berücksichtigende Miete oder Belastung in die Wohngeldberechnung eingehen soll.

➞ Zweitens soll durch die Einführung einer Klimakomponente ein Zuschlag auf die Höchstbeträge der zu berücksichtigenden Miete oder Belastung in der Wohngeldberechnung erfolgen. Damit könnten laut Bundesregierung strukturelle Mieterhöhungen im Wohngeld aufgrund energetischer Maßnahmen im Gebäudebereich im gesamten Wohnungsbestand oberhalb der bisherigen Höchstbeträge berücksichtigt werden.

➞ Drittens soll die Wohngeldformel angepasst werden.

Wie bei jeder strukturellen Wohngeldreform solle auch bei dieser Reform eine Neuzuordnung der Gemeinden und Kreise zu den Mietenstufen des Wohngeldes erfolgen, um zwischenzeitlich veränderte regionale Mietenniveaus berücksichtigen zu können.

Mehr Geld und mehr Leistungsbezieher: Nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung sollen rund 1,4 Millionen Haushalte erstmalig oder erneut einen Wohngeldanspruch erhalten statt bisher rund 600.000 Haushalte. Zudem soll sich der Wohngeldbetrag von durchschnittlich rund 180 Euro pro Monat auf rund 370 Euro pro Monat erhöhen.

An diesen wenigen Zahlen wird deutlich, dass es sich tatsächlich um eine ambitionierte Verbesserung des Wohngeldes handelt.

Eine ambitionierte und sozialpolitisch dringend erforderliche Verbesserung, wenn sie denn wann und von wem (?) umgesetzt wird

Als das Wohngeld-Plus-Gesetz im November 2022 im Bundestag behandelt wurde, gab es diese ergänzenden Hinweise: »Um in Einzelfällen oder bei erhöhtem Geschäftsgang in den Wohngeldbehörden eine zügige Auszahlung der erhöhten Wohngeldbeträge zugunsten der Wohngeldhaushalte zu ermöglichen, sei zudem die Möglichkeit einer vorläufigen Zahlung vorgesehen. Diese vorläufige Zahlung stehe für den Fall, dass kein Wohngeldanspruch bestanden hat, unter dem Vorbehalt der Rückforderung. Um den Wohngeldbehörden in Bezug auf die Bemessung des Bewilligungszeitraumes mehr Flexibilität einzuräumen und die betroffenen Wohngeldhaushalte auch von bürokratischen Verpflichtungen zu entlasten, werde insbesondere bei gleichbleibenden Verhältnissen die Möglichkeit eröffnet, den Bewilligungszeitraum auf bis zu achtzehn Monate zu verlängern.« Das wurde dann auf den letzten Metern nach einer Anhörung von Sachverständigen noch nachgeschärft: Die Möglichkeit der Verlängerung des Bewilligungszeitraums wurde von 18 auf 24 Monate ausgeweitet und man hat Bagatellgrenzen im Falle von Rückforderungen eingeführt, um den mit den Rückforderungen verbundenen Aufwand etwas zu reduzieren.

Jeder, der sich mit der oftmals leider ausgeblendeten oder schlichtweg ignorierten Fragestellung befasst, wer etwas wie und wann umsetzen muss oder (nicht) kann, wird bei solchen Hinweisen hellhörig. Dies gerade dann, wenn wir über staatliche Leistungen sprechen, die a) an zahlreiche Bedingungen bzw. Voraussetzungen geknüpft sind und die b) nicht nur einige wenige, sondern wie in diesem Fall Millionen Haushalte und Menschen betreffen. Wer berechtigt ist, Wohngeld zu beziehen, lässt sich nicht mit einfachen Grenzwerten erklären. Hauptsächlich kommt es darauf an, wie viele Menschen in einem Haushalt wohnen, wie hoch die Wohnkosten sind und wie hoch das Einkommen. Für jeden Haushalt muss gerechnet werden.

Konkret geht es um die eben nicht triviale Frage: Wer ist für die Umsetzung dieses sozialpolitisch wichtigen Anliegens der Regierung zuständig?

Und an dieser Stelle gab es bereits zahlreiche warnende Stimmen: Wohngeld plus, Probleme plus, so ist beispielsweise ein Beitrag von Karin Christmann aus dem November überschrieben: »Schnelligkeit ging vor Gründlichkeit, so gesehen ist die große Wohngeldreform der Ampel ein ziemlich undeutsches Projekt. Ab ersten Januar wird der Staat sehr viel mehr Menschen als bisher bei den Kosten fürs Wohnen und Heizen unterstützen. Doch wird er das tatsächlich? Von einem drohenden Kollaps vieler Amtsstuben ist bundesweit die Rede. Denn so groß wie die Pläne sind auch die Probleme der Umsetzung. Noch fehlt es so ziemlich an allem: an der richtigen Software, an Räumen, um die zu erwartenden hohen Aktenstapel zu verwahren, vor allem aber an Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die die zusätzlichen Anträge bearbeiten.«

In dem Artikel wird das Beispiel des bevölkerungsreichsten Bundeslandes, also Nordrhein-Westfalen, genannt: »„Illusorisch“ nennt … Nordrhein-Westfalens Bauministerin Ina Scharrenbach (CDU) den Zeitplan. Sie hält die Reform an sich für geboten. Die konkrete Lage in ihrem Land allerdings schildert sie wie folgt: „Das Wohngeld Plus ist verwaltungstechnisch bis zum 1. Januar 2023 nicht umsetzbar.“ Die Software, für die das Land sorgen muss, werde in Nordrhein-Westfalen erst ab dem 2. Quartal 2023 zur Verfügung stehen, „und dies nur, weil wir derzeit andere Digitalisierungsprojekte zurückstellen“. Das Personalproblem kommt hinzu: „Derzeit laufen nahezu in allen nordrhein-westfälischen Kommunen Personalausschreibungen, die Rückmeldungen sind ernüchternd. Stellen können nicht besetzt werden und selbst wenn sie neue Leute finden, können sie sie erst ab Mitte Dezember 2022 schulen.“ Scharrenbachs Fazit: „Das Wohngeld Plus ist Frustration mit Ansage für wirklich alle Beteiligten.“ Aus anderen Bundesländern sind ähnliche Stimmen zu vernehmen.« Mit einer Bearbeitungszeit von mehreren Monaten für Neuanträge ab Januar rechnet in Bremen eine Sprecherin der zuständigen Senatsverwaltung.

Und wieder werden wir auch hier Zeugen des Digitalisierungs-Nirwana in Deutschland. Beispiel Berlin-Pankow: »„Am Ende wird es sich zurechtruckeln“, befindet Amtsleiter Schaum. Aber die Probleme liegen auch hier auf der Hand. Es gibt einen großen Archivraum, bis unter die Decke gefüllt mit Akten. In Berlin können die Menschen das Wohngeld zwar auf elektronischem Weg beantragen, im Amt aber werden die Anträge ausgedruckt und abgeheftet. Wohin mit Tausenden zusätzlichen Anträgen? Schaum weiß es noch nicht. Auf die Software kann er nur hoffen, die Zeitpläne, die er genannt bekommt, sind immer unverbindlich.«

Johanna Apel zitierte ebenfalls im November 2022 unter der Überschrift Wohngeldreform: Kommunen und Landkreise warnen vor Überlastung Reinhard Sager, den Präsidenten des deutschen Landkreistages, mit diesen Worten: „Für die Wohngeldstellen ist die Umsetzung ab dem 1. Januar 2023 wegen des erheblichen Zusatzaufwands und der beabsichtigten Verdreifachung des Empfängerkreises in den wenigen Wochen bis zum Jahreswechsel kaum leistbar. Es wird so sein, dass es in der Anfangszeit deutlich stockt und die Menschen nicht so schnell ihr Wohngeld bekommen werden. Daher haben wir deutlichere Vereinfachungen im Wohngeldrecht gefordert, die zu einer spürbaren Entlastung der Fallbearbeitung in den Wohngeldstellen beigetragen hätten.“ Der Städtetag hat sogar vor einem „Kollaps“ des Systems gewarnt.

Die für die Bearbeitung der vielen zusätzlichen Antragsteller benötigte Software ist schlicht noch nicht fertig. Für die Technik ist unter anderem der IT-Dienstleister Dataport verantwortlich, eine Anstalt des Öffentlichen Rechts mit rund 4.400 Mitarbeitern, berichtet Mirko Wenig in seinem Artikel Neues Wohngeld Plus: Pünktlicher Start unwahrscheinlich. Er verweist auf eine Information seitens des Städte- und Gemeindebundes NRW, dass erst im April die Programmierung des Software-Programms abgeschlossen sei. Und wer muss das dann umsetzen? »Zuständig sind in der Regel Wohngeldämter und Stadtverwaltungen. Doch vielerorts fehlt es hier an Personal: Schon heute müssen Anspruchsberechtigte mitunter Monate warten, bis das Geld bewilligt wird.«

➔ Der WDR hat die Überlastung der Ämter durch das neue Wohngeld Plus genauer unter die Lupe genommen, so dieser Beitrag: Wohngeld Plus: Katastrophale Lage in den Ämtern – droht ein Kollaps?. »Der WDR hat 396 Kommunen zur Situation in den Wohngeldstellen befragt, 274 haben geantwortet. Die Recherche zeigt: „In mehr als jeder fünften Kommune liegt die Bearbeitungszeit demnach bei über zwei Monaten, bei jeder zehnten Kommune schon jetzt bei mehr als drei Monaten.“ Mit einer Antragsflut haben bereits schon viele Wohngeldstellen zu kämpfen. Wie die WDR-Umfrage zeigt, gibt es in vielen Kommunen schon jetzt einen erschreckend hohen Rückstau an Anträgen. So lagen bis zum 1. Dezember in Essen 4.315 offene Wohngeld-Anträge vor. In einem Monat können die Mitarbeiter aber nur rund ein Drittel davon bearbeiten.«

Nun hat sich auch das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) zu Wort gemeldet: Wohngeld: Reibungsloser Start ausgeschlossen: »In großem Umfang suchen die Behörden nun neue Mitarbeiter, um die große Nachfrage zu bewältigen. Mithilfe von Textkernel hat das IW ausgewertet, wie groß der Anwerbeversuch bundesweit ist: Während von Oktober bis Mitte Dezember 2021 rund 118 Stellen ausgeschrieben worden, waren es in diesem Jahr mit 857 gut siebenmal so viele. Aufgrund des Fachkräftemangels ist zu befürchten, dass viele Stellen nicht schnell besetzt werden können. Die ohnehin schon lange Bearbeitungszeit von zwei bis acht Wochen – nach WDR-Recherchen sind es in jeder fünften Kommune länger als zwei Monate – dürfte 2023 noch länger werden. Etliche Haushalte profitieren von der wichtigen Reform also erst im März oder April. Im schlimmsten Fall führt das für die Betroffenen zu finanziellen Engpässen.« Weitere Informationen findet man in diesem Kurzbericht des IW:

➔ Ralph Henger und Jan Felix Engler (2022): Personalmangel und lange Bearbeitungszeiten in den Wohngeldstellen. IW-Kurzbericht Nr. 105/2022, Köln: Institut der deutschen Wirtschaft (IW), Dezember 2022

Gibt es irgendeinen kurzfristigen Lösungsansatz, um das absehbare Chaos in den ersten Monaten etwas abzumildern für die Betroffenen? Kann man das erwartbare Bearbeitungsloch überbrücken?

Am 18. November 2022 wurde gemeldet: Gemeindebund für unkomplizierte Wohngeld-Vorauszahlung. Dort wird Gerd Landsberg, der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, zitiert: »“Wir bekommen im Januar rund 1,4 Millionen Wohngeldbezieher hinzu“ … Normalerweise bräuchten die Ämter fünf bis sieben Monate für die Antragsbearbeitung, durch die Vervielfachung der Anträge werde das jetzt noch deutlich länger dauern. Wegen der hohen Energiepreise seien die Menschen aber auf das Wohngeld angewiesen, daher sei eine schnelle und unkomplizierte Lösung nötig. „Ich plädiere deshalb für eine pauschalierte Abschlagszahlung wie bei den Corona-Hilfen: Der Wohngeld-Antrag sollte einfach und digital gestellt werden können. Mit dem Antrag sollten nur die grundsätzliche Wohngeldberechtigung und die Anzahl der Haushaltsmitglieder abgefragt werden“, sagte Landsberg. „Das Geld soll dann schnell und unbürokratisch, wie beim Heizkostenzuschuss, überwiesen werden. Die genaue Prüfung der Anträge und die Einkommensermittlung erfolgt dann später.“« Im Wohngeld-Plus-Gesetz ist die Möglichkeit einer vorläufigen Zahlung wie bereits erwähnt auch vorgesehen.

Man wird abwarten müssen, ob und wo und in welchem Umfang zu dieser Überbrückung gegriffen wird.

Grundsätzlich bleibt natürlich der nicht nur gefühlte Eindruck, dass wir auch bei diesem Beispiel erneut konfrontiert werden mit der an vielen Stellen wahrzunehmenden Problematik, dass der an sich ja durchaus nachvollziehbare und von vielen geforderte Ansatz, eben nicht mit der Gießkanne, sondern wie auch immer definiert „bedarfsorientiert“ und „zielgenau“ zu unterstützen, eben mit zahlreichen Abgrenzungsfragen und einem entsprechend hohen Aufwand bei der administrativen Umsetzung verbunden ist. Dieses grundsätzliche Problem trifft nun immer mehr und öfter auf eine Verwaltung, die schon im Normalbetrieb wertfrei gesprochen an ihre Grenzen stößt und in der allgemeine Entwicklungen, die überall als Fachkräfte- bzw. Arbeitskräftemangel diskutiert werden, eine ganz besondere Ausprägung erfahren.

Darüber hinaus sei an dieser Stelle nur angemerkt, dass man den Versuch, über den Weg einer Subjektförderung – bei der das Wohngeld durch die Mieter an die Vermieter weitergeleitet wird und eine Subventionierung (steigender) Mieten erfolgt – eine Teil-Kompensation der (steigenden) Wohnkosten für einen Teil der Mieter zu realisieren, auch kritisch diskutieren kann angesichts des eklatanten Mangels an bezahlbarem Wohnraum vor allem für einkommensschwache Haushalte, deren Zahl und deren Nachfrage noch erheblich ansteigen wird, wenn man die Zuwanderung und die Unterbringung der geflüchteten Menschen in Rechnung stellt. Das Wohngeld wurde 1965 eingeführt beim Wechsel von der Objekt- zur Subjektorientierung in der Wohnungspolitik. Angesichts des erheblichen Angebotsmangels im Bereich der halbwegs bezahlbaren Wohnungen kommt man um eine entsprechend ausgestaltete Objektförderung rein mengenmäßig nicht herum. Aber die Zielverfehlungen im Bereich des sozialen Wohnungsbaus sprechen hier eine andere Sprache.

Zur Abrundung: Warum das Wohngeld eine besondere Bedeutung hat oder besser: haben könnte für viele Rentner und Rentnerinnen

Der Finanzmathematiker Werner Siepe hat in einer Studie errechnet, wie vor allem Rentnerinnen und Rentner von dem Wohngeld Plus profitieren können. Die Studie zeigt: viele Ruheständler hätten am Ende deutlich mehr Geld im Portemonnaie. Zugleich zeigen seine Berechnungen auch ganz praktisch, was alles an Voraussetzungen zu berücksichtigen und zu prüfen ist.

➔ Werner Siepe (2022): Wohngeld plus für Rentner ab 2023, Oldenburg, November 2022

Eine Zusammenfassung der Berechnungsergebnisse findet man in dem Beitrag Wohngeld Plus: Wie Rentnerinnen und Rentner profitieren würden von Mirko Wenig. Der Ausgangspunkt: Jeder zweite Wohngeldempfänger ist bereits im Ruhestand. »Von den rund 23 Millionen Rentnerinnen und Rentnern in Deutschland könnten rund eine Million ab 2023 von höherem Wohngeld profitieren, wenn das Wohngeld Plus in Kraft tritt, berichtet Siepe.«

Und dann muss man mit Siepe einsteigen in die Tiefen und Untiefen der Fallkonstellationen: »Wie hoch der Wohngeldanspruch ausfällt, ist … von weiteren Komponenten abhängig. Ein wichtiger Faktor ist, ob der Rentner mindestens 33 Jahre an Grundrentenzeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung nachweisen kann. In diesem Fall gilt im kommenden Jahr laut Paragraph 17a des Wohngeldgesetzes (WoGG) ein Freibetrag von bis zu 251 Euro, womit bei einer Bruttorente von 604 Euro ein zusätzliches Wohngeld von rund 125 Euro erzielt werden kann. Der monatliche Freibetrag liegt bei 100 Euro plus 30 Prozent der diesen Betrag übersteigenden gesetzlichen Rente, höchstens jedoch bei 50 Prozent des Regelsatzes. Dieser Regelsatz würde bei Inkrafttreten des Bürgergeldes 502 Euro monatlich für Alleinstehende betragen, woraus sich der maximale Freibetrag von 251 Euro ergibt. Anrecht hierauf haben auch Ruheständler ohne Grundrentenanspruch, sofern sie die Bedingungen erfüllen.«

»Angehoben werden 2023 die Einkommensobergrenzen für wohngeldberechtigte Rentnerinnen und Rentner – es war erklärtes Ziel der Bundesregierung, den Kreis der Berechtigten auszubauen. Je nach Mietstufe steigen die Freibeträge um 30 bis 39 Prozent des monatlichen Nettoeinkommens – folglich das Bruttoeinkommen abzüglich von Kosten wie Werbungskostenpauschale, Beiträgen zur Sozialversicherung und Steuern. Bei alleinstehenden Rentnerinnen und Rentnern liege die Einkommensobergrenze in 2023 zwischen 1.371 Euro in der niedrigsten Mietstufe I und 1.541 Euro in der höchsten Mietstufe VII … Dies entspreche einer monatlichen Bruttorente von 1.722 Euro bis 1.927 Euro, sofern der Ruheständler keine weiteren Einnahmen haben. Hat der Betroffene Anrecht auf den Freibetrag von 251 Euro, steigt die Obergrenze sogar auf 2.036 Euro Bruttorente in Mietstufe I bis 2.241 Euro in Mietstufe VII.«

Siepe präsentiert mehrere Modellberechnungen, darunter auch für den berühmten „Standardrentner“: »Eine fiktive Rente, die sich daraus errechnet, dass der Ruheständler 45 Jahre lang genau durchschnittlich verdient und in die gesetzliche Rentenversicherung Beiträge eingezahlt hat. „Standardrentner mit einer monatlichen Bruttorente von 1.621 Euro erhalten in 2023 Wohngeld in Höhe von 205 Euro, da ihnen der Freibetrag zwangsläufig zusteht. Ohne Freibetrag wären es nur 82 Euro. In 2022 bekämen sie nur ein Wohngeld von 13 Euro trotz Berücksichtigung des Freibetrags und überhaupt kein Wohngeld ohne Freibetrag“, heißt es in einem Pressetext zur Studie. Die Standardrente errechnet sich aus 45 Entgeltpunkten mal 36,02 Euro für den aktuellen Rentenwert West.«

➞ »Eine weitere Beispielrechnung bezieht sich auf ein Rentner-Ehepaar, das in Leverkusen oder Berlin wohnt und eine Brutto-Kaltmiete von 600 Euro im Monat (einschließlich Heizkosten von 120 Euro monatlich) zahlt. Der Ehemann erhielt 45 Jahre ein Durchschnittseinkommen und zahlte hierfür Rentenbeitrag, während seine Gattin nur die Mütterrente für zwei vor 1992 geborene Kinder erhält. Ihre gesetzliche Bruttorente summiert sich auf 1.801 Euro, wobei die Frau nur einen Rentenanspruch von 180,10 Euro aus ihrer Mütterrente hat. Nach Abzügen von Werbungskosten und Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung bleibt ein anzurechnendes Einkommen von 1.605,60 Euro übrig, welches sich durch den Freibetrag von 251,00 Euro nochmal auf 1.354,60 Euro reduziert. Ohne Berücksichtigung des Freibetrages stünde dem Rentner-Ehepaar in 2023 ein Wohngeld von 187 Euro zu. Die Berücksichtigung des Freibetrags von 251 Euro führt hingegen zu einem um 118 Euro höheren Wohngeld, sodass das Paar 305 Euro an Wohngeld erhalten würde. Auch hier zeigt sich durch die Reform eine deutliche Verbesserung gegenüber dem Status Quo.«

Zwischen Theorie und Praxis bzw. in diesem Fall zwischen Anspruch und Einlösung liegen zuweilen Welten, wie Siepe kritisiert:

„Leider verzichtet etwa die Hälfte der einkommensschwachen Rentner aus Unkenntnis oder Scham darauf, einen Antrag auf Wohngeld (Miet- oder Lastenzuschuss) zu stellen. Die recht komplizierten Antragsformulare und oft auch langen Bearbeitungszeiten in den Sozialämtern bzw. Wohngeldstellen schrecken viele eigentlich Berechtigte zusätzlich ab.“ Er fordert zusätzliche Hilfsangebote, damit mehr Anspruchsberechtigte von ihrem Recht auf Wohngeld Gebrauch machen können.