Auch 2021 waren einige da: Die Erntehelfer. Zur Saisonarbeit in der Landwirtschaft im zweiten Corona-Jahr

„Wir sind für Rumänen keine attraktiven Arbeitgeber mehr.“
(Jürgen Jakobs, Verbandsvorsitzender der ostdeutschen Spargelanbauer)

Man kennt das von vielen Baustellen der Berichterstattung. Sie werden schnell eröffnet, mediale Bautrupps in großer Zahl werkeln eine Zeit lang darauf herum und ziehen dann nomadenhaft weiter. Nie oder nur äußerst selten verirrt sich der eine oder andere Nachrichten-Schaffende wieder zurück und schaut nach, was denn aus der einstigen Baustelle geworden ist. Zuweilen gibt es auch solche Baustellen, die regelmäßig auf und zu gemacht werden, gleichsam nach einem saisonalen Muster anlassbezogener, punktueller Berichterstattung. In diese Kategorie fallen sicher die Erntehelfer. Wenn die – zumeist aus osteuropäischen Ländern – zu uns kommen, um den deutschen Spargel und andere Gewächse der heimischen Landwirtschaft von den Feldern zu holen, dann schwellen sie wieder an, die Berichte über die teilweise menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen, über Ausbeutung und zugleich müssen wir vielstimmige Klagelieder zur Kenntnis nehmen, dass es viel zu wenige seien, die (noch) kommen und von den Einheimischen könne man sowieso rein gar nichts erwarten, die machen den Buckel nicht (mehr) krumm.

Berits vor dem ersten Corona-Jahr 2020 gab es die erkennbare Entwicklung, dass es immer schwieriger wurde, Saisonarbeiter in ausreichender Zahl für den deutschen Arbeitsmarkt aus den bisher dominierenden Lieferländern zu rekrutieren. Im vergangenen und auch im noch laufenden Jahr kam als besonderes Erschwernis die Corona-Pandemie und die damit verbundenen Restriktionen hinzu.

Auch in diesem Blog wird immer wieder über die Erntehelfer berichtet. Eine in diesem Kontext wichtige Informationsquelle sind die „Jahresberichte Saisonarbeit in der Landwirtschaft“ – herausgegeben von der „Initiative Faire Landarbeit“. Die 2016 ins Leben gerufene Initiative Faire Landarbeit ist ein Bündnis von den gewerkschaftsnahen Beratungsstellen Faire Mobilität, dem Europäischen Verein für Wanderarbeiterfragen und dem Beratungsnetzwerk „Gute Arbeit“ von Arbeit und Leben, der IG BAU sowie weiteren Organisationen. Ziel ist die Verbesserung der Situation von Saisonarbeitern in der Landwirtschaft. Nun wurde der Jahresbericht 2021 veröffentlicht:

➔ Initiative Faire Landarbeit (2021): Saisonarbeit in der Landwirtschaft. Bericht 2021, Frankfurt am Main, Oktober 2021

Nach Einschätzung der Initiative ist die Zahl der Männer und Frauen, die 2021, im nunmehr zweiten Jahr unter Corona-Bedingungen, nach Deutschland gekommen sind, um in der Ernte von Spargel und Erdbeeren, aber auch von Feldgemüse, Gurken, Obst, Wein und anderem mehr zu arbeiten, weiterhin auf einem hohen Niveau. Im Jahr 2019 waren es etwa 275.000 Menschen. Damit stellen die Saisonarbeiter fast ein Drittel aller 937.900 Beschäftigten in der Landwirtschaft (2019) – was eindrücklich die Bedeutung dieser Gruppe unterstreicht. Daneben gab es 434.400 Familienarbeitskräfte und 228.900 ständig angestellte Arbeitskräfte in diesem Wirtschaftszweig.

Erstmalig sind in diesem Jahr über ein Drittstaatenabkommen etwa 180 Menschen aus Georgien für die Arbeit in der Landwirtschaft eingereist. Allerdings waren das weit weniger als das vereinbarte Kontingent. Dazu beispielsweise dieser Artikel vom 30. März 2021: Erntehelfer kommen erstmals aus Georgien: »Erstmals werden zur Spargel- und Erdbeerernte in Deutschland Erntehelfer aus Georgien eingesetzt. Bis zu 5000 Männer und Frauen aus der ehemaligen Sowjetrepublik sollen in den nächsten Wochen auf der Grundlage einer Vermittlungsvereinbarung zwischen den georgischen Behörden und der Bundesagentur für Arbeit auf Feldern vor allem in Baden-Württemberg und Brandenburg eingesetzt werden.« Aber das Potenzial für diese Nachschubquelle scheint groß zu sein: »Nach Angaben des Verbandes ostdeutscher Spargelbauer hatten sich mehr als 80.000 Georgier für die Jobs auf deutschen Feldern beworben. Das sind mehr als zwei Prozent der georgischen Bevölkerung. Die Zahl von 5.000 könne bei Bedarf auch noch aufgestockt werden, sagte ein Sprecher der Bundesagentur.« Vgl. zu diesem Thema auch den Beitrag Erntehilfe kommt diesmal aus Georgien von Ulrich Crüwell aus dem April 2021: »Die Spargelernte war jahrelang eine Co-Produktion polnischer und rumänischer Helfer. Doch viele von ihnen wollen nicht mehr auf deutschen Feldern schuften. Arbeitskräfte aus Georgien sollen einspringen.«

Um ein Vielfaches höher war nach Einschätzung der Initiative Faire Landarbeit die Zahl der Saisonarbeiter aus Drittstaaten, vor allem aus der Ukraine, die mit dem Status von „Praktikanten“ und „Ferienjobber“ in der deutschen Landwirtschaft arbeiteten.

Die Frage nach den Herkunftsländern der Saisonbeschäftigten ist nicht einfach zu beantworten, denn seit 2010 müssen die Betriebe keine Genehmigungen der Bundesagentur für Arbeit für die Anstellung von Saisonarbeitern mehr einholen. Klar ist jedoch, dass die große Mehrheit der Saisonarbeiter aus dem EU-Ausland kommt. Die Menschen kommen nach Einschätzung der Initiative Faire Landarbeit vor allem aus Rumänien und, zu einem etwas geringeren Anteil, aus Polen. Zunehmend werden auch Menschen aus Bulgarien auf den Feldern angetroffen.

Der Rekrutierungsraum von Saisonarbeitern wurde in den letzten Jahren immer wieder erweitert. Bis vor wenigen Jahren stellte Polen das wichtigste Herkunftsland von Saisonarbeitern dar.

In den letzten Jahren entwickelte sich Rumänien zu dem bei weitem bedeutendsten Herkunftsland von Saisonarbeiterinnen. Jedoch wendet sich dieser Trend seit einiger Zeit: Seit im Frühjahr 2020 die Bilder von unhaltbaren Verstößen gegen die Infektionsschutzmaßnahmen im Zusammenhang mit der Einreise per Flugzeug und in Arbeitsunterkünften in Deutschland durch die rumänischen Medien gingen, scheint die Zahl der Saisonarbeiter aus Rumänien weiter abzunehmen. Inzwischen berichten viele Betriebe von zunehmenden Schwierigkeiten bei der Suche nach saisonal Beschäftigten. „Wir sind für Rumänen keine attraktiven Arbeitgeber mehr“, so wird Jürgen Jakobs, Verbandsvorsitzender der ostdeutschen Spargelanbauer, in dem Jahresbericht 2021 der Initiative zitiert.

Herkunftsländer außerhalb der EU, sogenannte Drittstaaten, gewinnen als Rekrutierungsräume mehr und mehr an Bedeutung. Die Ukraine wurde bereits genannt. Ein erheblicher Teil der Arbeitskräfte aus der Ukraine kommt offiziell entweder im Rahmen eines Ferienjobs oder im Rahmen eines studienfachbezogenen Praktikums zur Arbeit nach Deutschland. Allerdings dient das in der Realität wohl in den meisten Fällen nur dazu, um ein Geschäftsmodell zu realisieren, mit dem man die soziale Absicherung der Beschäftigten für teilweise erhebliche Einkommen und Zeitabschnitte umgehen kann. Das Vehikel hierfür ist die sogenannte „kurzfristige Beschäftigung“. Die Saisonarbeiter können die Arbeit in Deutschland kurzfristig „nicht berufsmäßig“ ausüben und müssen in diesem Fall nicht in Deutschland sozialversichert sein. Sie gelten als sog. kurzfristig Beschäftigte. Die kurzfristige Beschäftigung stellt eine Form der geringfügigen Beschäftigung dar. Anders als bei den ebenfalls sozialversicherungsfreien Minijobs auf 450-Euro-Basis, gibt es bei der kurzfristigen Beschäftigung keine monatlichen Einkommensgrenzen.

An dieser Stelle bedeutsam ist diese Einordnung seitens der Initiative Faire Landarbeit: Durch die Ausweitung des Rekrutierungsraums auf Drittstaaten wird auf eine potenzielle Gruppe von Beschäftigten zugegriffen, die in Deutschland weniger Rechte als EU-Bürger haben und deren Aufenthaltsrecht direkt an das Arbeitsverhältnis geknüpft ist. Dies verschärft Abhängigkeiten von Arbeitgebern und erschwert es den Menschen aus Drittstaaten, sich gegen Arbeitsrechtsverletzungen zu wehren.

Wie die Anbaugebiete landwirtschaftlicher Kulturen ist auch die Anzahl der Saisonarbeiter ungleichmäßig in Deutschland verteilt. Und das gilt nicht nur für die Quantitäten, es gibt auch strukturelle Unterschiede zwischen den Regionen, in denen Saisonarbeiter beschäftigt werden:

»Saisonarbeiterinnen arbeiten z. B. in Rheinland-Pfalz überwiegend auf kleineren Familienbetrieben mit durchschnittlich vier bis fünf Arbeitskräften (einschließlich der Familienarbeitskräfte) im Weinbau und im Anbau von Obst und Gemüse. In diesen Fällen leben sie häufig in direktem Kontakt mit den Mitgliedern des Familienbetriebes. In Brandenburg hingegen beschäftigen die großen Spargel-, Erdbeer- und Gurkenbetriebe oftmals hunderte, teilweise sogar über tausend Saisonarbeiterinnen gleichzeitig, bringen sie in Massenunterkünften unter, aus denen sie mit Reisebussen auf die Felder gefahren werden.«

Aber wie sieht es mit dem (staatlichen) Arbeitsschutz aus?

Leider nicht überraschend: Bundesweit gilt, dass in der Landwirtschaft weit weniger kontrolliert wird als in anderen, von Arbeitsmigration geprägten Branchen wie dem Bauhauptgewerbe oder der Gastronomie. Auch hier muss man zuerst ein Blick werfen, wer denn überhaupt kontrolliert bzw. kontrollieren könnte. Die für Saisonarbeiter relevanten Kontrollen finden auf zwei Ebenen statt:

1.) Für die Prüfung der Einhaltung des Mindestlohngesetzes ebenso wie der Sozialversicherungs- und Steuerpflichten sowie der aufenthaltsrechtlichen Beschäftigungsbedingungen ist auf Bundesebene die Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS), eine Behörde der Zollverwaltung, zuständig. Die Dichte der Kontrollen in der Landwirtschaft ist jedoch äußerst gering. Dazu konkrete Beispiele:

➞ Eine parlamentarische Anfrage hat ergeben, dass die FKS in Niedersachsen im
Jahr 2020 insgesamt 105 Kontrollen durchführte. Bei 79.900 abhängig Beschäftigten
(35.200 ständig Beschäftigten sowie 44.700 Saisonarbeiter) ergibt dies durchschnittlich eine Kontrolle pro 760 Beschäftigte in einem Jahr.
➞ Ebenfalls eine parlamentarische Anfrage hat für Bayern zu Tage gefördert, dass die FKS im Spargelerntemonat April im Freistaat 2018 nur zwei Kontrollen, 2019 drei Kontrollen und 2020 vier Kontrollen durchgeführt hat.

2.) Die zweite Kontrollebene ist die der für Arbeitsschutz zuständigen Behörden der Bundesländer. Für die Arbeitsschutzaufsicht gibt es sehr unübersichtliche Zuständigkeiten auf Landes-, Bezirks- und auf Kreisebene. In einigen Bundesländern wie Bayern und Niedersachsen haben die Arbeitsministerien den Vollzug des Arbeitsschutzes an die Sozialversicherung Landwirtschaft, Forsten, und Gartenbau (SVLFG) delegiert. Die SVLFG führt als Berufsgenossenschaft auch in allen anderen Bundesländern Betriebsbesichtigungen und -beratungen im Rahmen ihres Präventionsauftrags durch.

➞ Auch bei der SVLFG ist die Dichte der Kontrollen niedrig. In Bayern wurden zwischen 2016 und 2020 nur bei 650 der ca. 40.000 Haupterwerbsbetriebe Arbeitsschutzkontrollen oder Beratungen durchgeführt. In den Jahren 2018 und 2019 wurden 90 Prozent der Betriebe, die Saisonarbeiter beschäftigen, nicht besichtigt.
Aber wenigstens die besondere Gefährdungslage durch Corona muss doch einen Kontrollschub ausgelöst haben? Könnte man denken. Ein Beispiel dazu:
➞ Die Arbeitsschutzdezernate in Hessen haben aufgrund der COVID-19-Pandemie Schwerpunktaktionen mit einem neuen Kontrollmodell, dem sogenannten „Selbstcheck“, flächendeckend eingeführt: „Alle Betriebe mit Saisonarbeitskräften wurden angeschrieben und um Auskunft zur betrieblichen Umsetzung der gesetzlichen Arbeits- schutzvorgaben sowie der SARS-CoV-2-Schutzmaßnahmen per Checkliste aufgefordert“, so die SVLFG. Statt mit Saisonarbeitern zusammenzuarbeiten und ihre wichtige Rolle als Betroffene von Verstößen anzuerkennen, werden Betriebsleiterinnen beauftragt, sich selbst zu kontrollieren. Von einer wirksamen Kontrollfunktion kann so nicht die Rede sein, so die zutreffende Einordnung der Initiative Faire Landarbeit.

Und natürlich werden wir auch hier mit einer – letztendlich vom Ergebnis her gesehen skandalösen – Zersplitterung der Arbeitskontrollen konfrontiert: Neben der niedrigen Kontrolldichte sind die begrenzten Befugnisse der Behörden ein weiteres Problem, das einer funktionierenden Kontrolle entgegensteht. So ist für die Prüfung der Dokumentation der Arbeitszeit auf Grundlage des Mindestlohngesetzes die Finanzkontrolle Schwarzarbeit zuständig. Für die Kontrolle der Ruhepausenzeiten nach dem Arbeitszeitgesetz ist aber die Arbeitsschutzbehörde auf Landesebene zuständig. Je nach Bundesland können auch Kommunen, Gesundheitsämter oder Verbraucherschutzzentralen für weitere Kontrollen zuständig sein, was die Lage unübersichtlich macht. Entsprechend liegen kaum belastbare Zahlen über die Häufigkeit von arbeitsrechtlichen Kontrollen vor. Außerdem sind die Ergebnisse der Kontrollen des Zolls als auch die Ergebnisse der Kontrollen durch Arbeitsschutzbehörden auf Landesebene öffentlich nicht zugänglich. Dass derart vorprogrammierte Chaos wird auch an anderer Stelle seit längerem gesehen und kritisiert: Die International Labour Organization (ILO) der Vereinten Nationen hat Deutschland bereits 2017 aufgefordert, aussagekräftigere Ergebnisse der Betriebskontrollen in der Landwirtschaft zur Verfügung zu stellen.

Aber nehmen wir mal an, es wurde kontrolliert und Missstände wurden gefunden. Dann kommt als nächste Herausforderung die Durchsetzung der Rechte durch die Saisonbeschäftigten selbst. Dazu aus dem Jahresbericht 2021:

Stellt die Finanzkontrolle Schwarzarbeit Mindestlohnverstöße oder eine illegale Form der Beschäftigung fest, so kann es zu Bußgeldern gegenüber den Betrieben kommen. Eine Lohnnachzahlung aber müssen Beschäftigte in Deutschland individualrechtlich durchsetzen. Dafür bleibt ihnen die komplizierte und langwierige Klage vor Arbeitsgerichten. Da sich Saisonarbeiter in der Regel nur eine begrenzte Zeit in Deutschland aufhalten, ist dieser Weg oft versperrt.

Und auch das sollte man nicht vergessen:

Zudem geraten die Saisonarbeiterinnen häufig selbst ins Visier, wenn sie illegal beschäftigt werden. Das betrifft insbesondere Arbeiter aus Drittstaaten der EU, die keine Freizügigkeit genießen. Der doppelte Auftrag der Zollbehörden, sowohl die Betriebe als auch den Aufenthaltsstatus der Saisonarbeiter zu kontrollieren, führt dazu, dass Saisonarbeitskräfte den Kontakt zu den Aufsichtsbehörden meiden, wenn sie sich selbst gefährden oder vom Auftreten der Zollbeamtinnen eingeschüchtert sind.

Die Initiative Faire Landarbeit geht selbst auf die Felder und zu den Betroffenen. Für die Saison 2021 werden die folgenden Hauptprobleme berichtet:

1.) Fehlende Sozialversicherung
2.) Abzüge von Löhnen und hohe Mieten
3.) mangelhafte Standards in den Unterkünften
4.) fehlender Infektions- und Gesundheitsschutz

In diesen vier Bereichen könne man nicht mehr nur von vereinzelten Vorfällen sprechen, sondern man muss von strukturellen Problemen ausgehen, wobei die Initiative auch betont: »Selbstredend gibt es zugleich eine Vielzahl von Betrieben, die das Arbeitsrecht auch in diesen Bereichen einhalten.«

Was könnte bzw. sollte geändert werden?

Die Initiative Faire Landarbeit hat nicht nur erneut eine Bestandsaufnahme vorgelegt, sondern formuliert auch durchaus klare politische Forderungen. Bevor darauf eingegangen wird, hier zuvor noch der Blick auf ein anderes Gremium, das im Sommer 2021 zahlreiche Empfehlungen in den politischen Raum gegeben hat – die von der Bundesregierung eingesetzte Zukunftskommission Landwirtschaft:

➔ Zukunftskommission Landwirtschaft (2021): Zukunft Landwirtschaft. Eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe Empfehlungen der Zukunftskommission Landwirtschaft, Berlin, August 2021

Die Kommission war 2020 von Bundeskanzlerin Angela Merkel einberufen worden in Reaktion auf Proteste von Landwirten gegen die Agrarpolitik der Bundesregierung.

Der Abschlussbericht enthält einige hier relevante Empfehlungen (S. 61):

Für alle Saisonarbeitskräfte in der Landwirtschaft sollte spezifisch sichergestellt werden:
– dass sie in der Regel sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind und die Ausnahmeregelungen auf ihre Angemessenheit geprüft werden;
– dass sie im Falle einer sozialversicherungsfreien kurzfristigen Beschäftigung mit einem Leistungsspektrum versichert sind, das dem der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung entspricht;
– dass Bezahlung, Unterbringung und Arbeitsbedingungen den inländischen Anforderungen entsprechen; dabei ist der Vollzug der geltenden Anforderungen sicherzustellen;
– dass eine transparente monatliche Entgeltabrechnung ausgehändigt wird;
– dass schriftliche Arbeitsverträge (oder die wichtigsten Arbeitsbedingungen nach § 2 Nachweisgesetz) vor der Abreise im Heimatland in der Muttersprache oder in einer Sprache, die die Arbeitnehmer:innen verstehen, ausgehändigt werden;
– dass ausreichende, flächendeckende und konzertierte Kontrollen durch die unterschiedlichen zuständigen Behörden durchgeführt werden.

Politische Forderungen der Initiative Faire Landarbeit

1.) Kurzfristig Beschäftigte in der Landwirtschaft müssen in Deutschland vollumfänglich sozialversichert sein. Im Gegensatz zu anderen Branchen stellt die kurzfristige Beschäftigung in der Landwirtschaft keine Ausnahme dar, sondern wird von den Arbeitgebern systematisch im Bereich der Sonderkulturen genutzt. Dies entspricht nicht dem Sinn und Zweck der als Ausnahme gedachten Regelung und kann in vielen Fällen nur als missbräuchlich bezeichnet werden.

2.) Eine deutliche Ausweitung konzertierter staatlicher Kontrollen ist notwendig. Eine deutliche Ausweitung der Betriebskontrollen in der Landwirtschaft von Seiten des Staates sind dringend notwendig. Vorhandene Kontrolllücken aufgrund der Fragmentierung der Zuständigkeiten zwischen dem Zoll einerseits und Arbeitsschutzbehörden auf Landes-, Regional- und Kreisebene andererseits müssen geschlossen werden. Offensichtlich sei, dass in der Landwirtschaft illegale Formen der Lohnabzüge ebenso gehäuft auftreten wie Verletzungen der Standards im Arbeitsschutz. Notwendig ist daher die Einrichtung einer „Task-Force Faire Arbeit in der Landwirtschaft“ innerhalb der Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS) des Zolls. Diese sollte in Kooperation mit den Arbeitsschutzbehörden und anderen relevanten Behörden regelmäßige, verdachtsunabhängige Kontrollen insbesondere bei Agrarbetrieben durchführen, die Sonderkulturen produzieren. Um eine Kommunikation in den jeweiligen Herkunftssprachen der ausländischen Beschäftigten zu ermöglichen, sollten die Kontrollen von Dolmetschern begleitet werden.

3.) Die verpflichtende Einführung eines verlässlichen, digitalen Zeiterfassungssystems ist notwendig.

4.) Die Kosten für angemessene Unterkünfte müssen von der Arbeitgeberseite übernommen werden.

5.) Eine striktere Regulierung der Arbeitsvermittlung von Saisonarbeitern als bislang ist erforderlich. Um die Tätigkeiten unseriöser und teilweise krimineller Vermittlungsagenturen zu bekämpfen, ist eine striktere Regulierung notwendig. Erstens muss klargestellt werden, dass sowohl Vermittlungsagenturen als auch selbst anwerbende Arbeitgeberinnen keinerlei Gebühren von den Arbeitnehmern verlangen dürfen, unabhängig davon, ob es sich um eine geringfügige oder sozialversicherungspflichtige Beschäftigung handelt. Zweitens müssten die Mindeststandards für alle Vermittlungsakteure gelten, unabhängig davon, ob sie ihren Geschäftssitz in Deutschland oder im Ausland haben. Drittens muss klar definiert werden, welche Behörde für die Kontrolle der Einhaltung dieser Mindeststandards zuständig ist.

6.) Die Einhaltung der Standards der EU-Saisonarbeiter-Richtlinie muss für alle Saisonarbeiter aus Drittstaaten durchgesetzt werden. Das Vermittlungsabkommen mit Georgien in diesem Jahr ist doppelt gescheitert: Es kamen nicht einmal 200 Beschäftigte über das Abkommen und sie waren zum Teil schweren Arbeitsrechtsverletzungen und unhaltbaren Unterkunftsbedingungen ausgesetzt. Zugleich arbeitete auch in diesem Jahr eine hohe vierstellige Zahl an jungen Menschen aus der Ukraine und aus Georgien als Ferienbeschäftigte und als „Praktikanten“ auf Äckern in Deutschland. Die Bundesregierung muss sicherstellen, dass die Mindeststandards der EU-Richtlinie – etwa das Prinzip der Gleichbehandlung, die Standards zu Unterkünften und die Pflicht zur Krankenversicherung – für sämtliche Beschäftigte aus Drittstaaten gelten und durchgesetzt werden, unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus.

Foto: © Stefan Sell