Menschenhandel und Ausbeutung. In Deutschland. Das BKA berichtet über die (kleine) Spitze eines (großen) Eisbergs

»Die deutsche Polizei hat im vergangenen Jahr deutlich mehr Ermittlungsverfahren im Bereich Menschenhandel geführt als im Vorjahreszeitraum. 2020 wurden 465 Verfahren abgeschlossen, eine Zunahme um 22,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.« Das berichtet das Bundeskriminalamt (BKA) unter der Überschrift Mehr Ver­fah­ren we­gen Menschen­handel. Das geht aus dem „Bundeslagebild Menschenhandel und Ausbeutung“ hervor:

➔ Bundeskriminalamt (2021): Menschenhandel und Ausbeutung. Bundeslagebild 2020, Wiesbaden, September 2021

Ein Schwerpunkt der Polizeiarbeit bleibt das Vorgehen gegen sexuelle Ausbeutung: 291 Verfahren wurden unter diesem Aspekt geführt, etwa aufgrund von Zwangsprostitution oder Ausbeutung von Prostituierten. Opfer sexueller Ausbeutung sind weiterhin mehrheitlich Frauen. So waren im Jahr 2020 von den insgesamt 406 Opfern in Verfahren des Menschenhandels zur sexuellen Ausbeutung 381 Opfer weiblich.

»Die Verfahren zeigen zudem, dass die Opfer jünger werden. So lag der Altersdurchschnitt der im Jahr 2020 identifizierten Opfer von sexueller Ausbeutung bei 24 Jahren (2019: 26 Jahre). Außerdem waren 42,7 Prozent der Opfer, deren Alter ermittelt werden konnte, unter 21 Jahre alt, bezogen auf den Prozentwert aus 2019 ist das eine Steigerung von 31,4 Prozent.«

Neben der sexuellen Ausbeutung wird im Deliktsfeld des Menschenhandels auch gegen Arbeitsausbeutung und Ausbeutung der Bettelei ermittelt.

Arbeitsausbeutung

»Im Jahr 2020 wurden deutschlandweit 22 Ermittlungsverfahren im Bereich der Arbeits- ausbeutung abgeschlossen. Dies bedeutet einen neuen Höchststand im Fünf-Jahres-Vergleich.«

»Im Jahr 2020 wurden in den 22 Ermittlungsverfahren im Bereich der Arbeitsausbeutung 73 Opfer festgestellt (2019: 43 Opfer; +69,8 %), darunter am häufigsten rumänische (21) und simbabwische Staatsangehörige (13)«, so das Bundeslagebild 2020.

Das Bundeskriminalamt beschreibt ein Beispiel aus dem Zirkusmilieu (BKA 2021: 15):

»In Nordrhein-Westfalen ansässige Beschuldigte betrieben Scheinfirmen zur Vermittlung von afrikanischen Musikern, Artisten und Tänzern, die in Simbabwe und Äthiopien bei Castings angeworben wurden. Den Künstlern wurden ein ausreichender Verdienst sowie Unterkunft, Verpflegung und Krankenversicherung bei Auftritten in Deutschland versprochen. Sie erhielten Arbeitsverträge und Bescheinigungen über Krankenversicherungen, welche sie bei den deutschen Auslandsvertretungen in ihrer Heimat vorlegten und daraufhin Visa für die Einreise in das Bundesgebiet erhielten.
Tatsächlich wurden die Opfer nach ihrer Ankunft in Deutschland durch die Beschuldigten ausgebeutet: Vertraglich vereinbarte Gelder wurden nicht ausgezahlt und auch weitere Vertragsbedingungen wurden nicht eingehalten. Die Opfer mussten in verschiedenen Zirkussen oder auf der Straße auftreten und im Anschluss alle Einnahmen abgeben.
Im Falle von Widerstand wurde den Künstlern oder ihren in der Heimat befindlichen Familien bzw. Freunden mit Gewalt oder gar dem Tod gedroht.«

»Die meisten Opfer wurden im Jahr 2020 in der Baubranche ausgebeutet, die von vergleichsweise geringen Einschränkungen infolge der COVID-19-Pandemie betroffen war (22 Opfer; 30,1 %). Bei Fällen dieser Art wurde typischerweise die schwierige wirtschaftliche Lage und/oder die Hilflosigkeit ausländischer Arbeitskräfte angesichts deren mangelnder deutschen Rechts- und Sprachkenntnisse ausgenutzt. Die Opfer wurden weit unter Mindestlohn und/oder unter gefährlichen Bedingungen beschäftigt sowie in menschenunwürdigen Verhältnissen untergebracht.
Auffällig ist die Zunahme von Fällen im Bereich der Arbeitsausbeutung in der Landwirtschaft und in Schlachtbetrieben. Letztere sind im Jahr 2020 in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt, nachdem es in Einzelfällen in den beengten Unterkünften der Arbeitskräfte zu Corona-Massenausbrüchen gekommen war.«

Nun wird der eine oder andere einwenden, dass das doch sehr überschaubare Zahlen sind, die da vom BKA veröffentlicht werden. Dazu erläutert das BKA (2021: 16):

»Da es sich bei Delikten im Bereich der Arbeitsausbeutung überwiegend um Kontrolldelikte handelt, ist von einem großen Dunkelfeld auszugehen. Opfer von Menschenhandel und Arbeitsausbeutung geben sich aus Angst vor täter- oder behördenseitigen Konsequenzen häufig nicht zu erkennen. Die Identifizierung der Opfer stellt die Strafverfolgungsbehörden regelmäßig vor große Herausforderungen. Bei der Bekämpfung der Arbeitsausbeutung ist die multidisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Polizei- und Zollbehörden von immenser Bedeutung.«

Das BKA bilanziert: »Weiterhin ist bei Straftaten in den Bereichen Menschenhandel und Ausbeutung von einem hohen Dunkelfeld auszugehen: Opfer von Menschenhandel und Arbeitsausbeutung geben sich aus Angst vor täter- oder behördenseitigen Konsequenzen häufig nicht zu erkennen. Es bleibt daher auch weiterhin Aufgabe der Polizeibehörden, dem Menschenhandel in Deutschland durch verstärkte Kontrollen, den Aufbau spezialisierter Fachdienststellen und die Intensivierung nationaler und internationaler Kooperationen mit allen relevanten Akteuren entgegen zu treten.«