Diesseits und jenseits des Internationalen Frauentages 2021: Einige sozialpolitisch relevante Hinweise auf nur scheinbar trockene Zahlen und Studien

In der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg entstand das, was wir heute als „Internationaler Frauentag“ bezeichnen –  im Kampf um die Gleichberechtigung und das Wahlrecht für Frauen. Die Vereinten Nationen haben diesen Tag später zum Tag der Vereinten Nationen für die Rechte der Frau und den Weltfrieden erhoben (1977). Natürlich gibt es eine eigene Website zum International Women’s Day. Zyniker bezeichnen ihn heute auch als Tag der Rosenindustrie, weil davon viele an diesem Tag abgesetzt und verteilt werden (über die Schattenseite der globalisierten Rosenproduktion wird seit Jahren immer wieder mal berichtet und es sind gerade Frauen, die dabei massiv ausgebeutet und um ihre Gesundheit gebracht werden, vgl. dazu nur als ein Beispiel den Beitrag Ausgebeutet in der Rosenfabrik von Caspar Dohmen, der im Januar 2017 veröffentlicht wurde). Aber man darf und sollte an die Wurzeln erinnern, die vielen sicher nicht mehr bekannt sind: Der erste Frauentag wurde am 19. März 1911 in Dänemark, Deutschland, Österreich-Ungarn und der Schweiz gefeiert. Mit der Wahl des Datums sollte der revolutionäre Charakter des Frauentags hervorgehoben werden, denn der Vortag, der 18. März, war der Gedenktag für die Gefallenen während der Märzrevolution 1848. Außerdem hatte auch die Pariser Kommune 1871 im März begonnen.

Ein zentrales Thema ist immer wieder die Situation der Frauen auf dem Arbeitsmarkt – angesichts der Bedeutung der Erwerbsarbeit für eine eigenständige Lebensführung, für eine ausreichende soziale Absicherung bis hin zur Verwirklichung dessen, was man mit den Begriffen „Gleichstellung“ oder „Gleichberechtigung“ zu fassen versucht, ist das auch nicht überraschend. Und in diesem Jahr kommt die Erfahrung von zwölf Monaten Corona-Pandemie hinzu, die ihre Spuren auch im Arrangement der Geschlechter hinterlassen hat.

So berichtet das Statistische Bundesamt anlässlich des diesjährigen Frauentages unter der Überschrift Drei von vier Müttern in Deutschland waren 2019 erwerbstätig: »Erwerbstätige in bestimmten Berufen haben unter der Corona-Pandemie besonders stark zu leiden. Häufig betrifft dies Berufe, in denen der Frauenanteil besonders hoch ist. So waren im Einzelhandel mit Lebensmitteln im Jahr 2019 vier von fünf Erwerbstätigen Frauen (Anteil von 80,8 %). Noch höher lag der Frauenanteil im Bereich Altenpflege mit 84,2 %. Kitas und Schulen werden ebenfalls als mögliche Infektionsherde für Sars-CoV-2 bezeichnet, auch dort ist das Personal überwiegend weiblich: Im Bereich Erziehung und Sozialarbeit lag der Frauenanteil zuletzt bei 83,5 %, unter den Lehrkräften an allgemeinbildenden Schulen bei 72,8 %. Aber auch in einigen Branchen, die durch die Pandemie in eine Krise gestürzt sind, verdienen überwiegend Frauen ihren Lebensunterhalt. In Tourismus-, Hotel- und Gaststättenberufen waren zuletzt nahezu zwei von drei Erwerbstätigen Frauen (Anteil von 64,6 %). Friseursalons und Kosmetikstudios mussten über Monate schließen: In Berufen rund um die Körperpflege sind sogar 86,5 % der Erwerbstätigen Frauen.«

Im vergangenen ersten Corona-Jahr wurde intensiv über eine besondere Belastung für viele Frauen diskutiert: »Der von der Bundesregierung im März 2020 beschlossene Lockdown veränderte den Familien- und Arbeitsalltag deutlich. Viele Erwerbstätige mussten ins Homeoffice wechseln, ihre Arbeitszeiten verkürzen oder konnten vorübergehend nicht mehr arbeiten. Besonders hart getroffen waren die Eltern. Zusätzlich zur Erwerbsarbeit mussten sie von heute auf morgen die Betreuung und den Unterricht ihrer Kinder selbst bewerkstelligen – und wegen der Kontaktbeschränkungen konnten auch die Großeltern nicht einspringen. Wie haben die Menschen in Deutschland angesichts dieser einschneidenden Veränderungen das Arbeits- und Familienleben erlebt und organisiert? Welche Auswirkungen gab es auf die Geschlechterungleichheiten?« Diesen Fragen gingen beispielsweise Mareike Bünning und Lena Hipp vom WZB nach und die Überschrift ihres Beitrags gibt schon einen Teil der Antwort: Mütter trifft es besonders hart. Ungleiche Auswirkungen von Covid-19 auf das Arbeits- und Familienleben. Die beiden Wissenschaftlerinnen bilanzieren: »Die Analysen deuten eher auf eine Zunahme als auf eine Verringerung der Geschlechterungleichheit während der Pandemie hin, von der insbesondere Eltern betroffen waren. Viele der beobachteten Ungleichheiten schwächten sich gegen Ende des Lockdowns wieder ab … Trotz aller Fortschritte in den Bereichen Gleichstellung und Vereinbarung von Familie und Beruf zeigte sich zu Beginn der Pandemie, wie stark tradierte Geschlechterrollen in unserer Gesellschaft verinnerlicht sind. Ohne Zögern wurde die Verantwortung für Kinderbetreuung und Hausunterricht den Familien überlassen. Einem solchen Vorgehen liegt die Logik des Hausfrauenmodells zugrunde, das an der Lebensrealität des mittlerweile dominanten Modells von Zwei-Verdienerpaaren vorbei und zulasten von Eltern, insbesondere von Müttern ging. Unbezahlte Arbeit ist nach wie vor unsichtbar und wenig anerkannt. Das zeigt sich unter dem Brennglas der Pandemie sehr deutlich.«

Und wenn wir schon Stimmen aus dem WZB zitieren, dann darf diese wuchtige These natürlich nicht fehlen: Jutta Allmendinger, die Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin (WZB), fand schon Anfang Mai 2020 drastische Worte. Frauen erlebten durch die Folgen der Pandemie eine “entsetzliche Retraditionalisierung“, behauptete sie in der Talkshow „Anne Will“: „Ich glaube nicht, dass man das so einfach wieder aufholen kann und dass wir von daher bestimmt drei Jahrzehnte verlieren.“ Darüber lässt sich trefflich streiten, aber das Bild von einem „Rückfall“ in die 1950er Jahre aufgrund der Pandemie und ihrer angeblichen Auswirkungen auf viele Frauen war im öffentlichen Raum aufgehängt. An der Retradionalisierungsthese wurde zwischenzeitlich auch zahlenbasiert Kritik vorgetragen, vgl. dazu nur als ein Beispiel den Beitrag Sind Frauen die Verliererinnen der Covid-19-Pandemie? von Claudia Globisch und Christopher Osiander aus dem November 2020: »Frauen schultern auch während der Pandemie den größeren Teil der Kinderbetreuung und der Hausarbeit. Allerdings ist der Anteil der Männer, die sich stärker an der Kinderbetreuung beteiligen, in dieser Zeit deutlich gestiegen.«

Aus dem gewerkschaftsnahen Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) wurde diese Studie veröffentlicht:

➔ Aline Zucco und Yvonne Lott (2021): Stand der Gleichstellung. Ein Jahr mit Corona. WSI-Report Nr. 64, Düsseldorf: Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliches Institut (WSI), 2021

Darin wird darauf hingewiesen, dass man differenzieren muss: In einigen Familien verfestigt sich die traditionelle Verteilung der unbezahlten Kinderbetreuung, in anderen eröffnen sich aber auch neue Chancen für eine fairere Aufteilung. Der Rückstand von Frauen bei der durchschnittlichen Erwerbsarbeitszeit (Gender Time Gap) nimmt Pandemie-bedingt zu, auch weil vor allem Mütter ihre Arbeitszeit im Job reduzieren, um bei geschlossenen Schulen und Kitas Kinder zu betreuen. Es besteht die Gefahr, dass ein Teil dieser Arbeitszeitreduzierungen auch nach Ende der akuten Krise nicht zurückgenommen werden kann, falls Arbeitgeber an einer Aufstockung der Arbeitszeit kein Interesse haben. „In der Gesamtschau spricht vieles dafür, dass sich die bereits vor der Krise existierenden Ungleichheitsstrukturen in der Krise verschärfen und damit auch langfristig zu einer wachsenden Ungleichheit zwischen den Geschlechtern führen könnten“, so Bettina Kohlrausch, wissenschaftliche Direktorin des WSI.

Auch aus dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin erreichen uns thematisch passende Studien:

➔ Jonas Jessen, C. Katharina Spieß und Katharina Wrohlich (2021): Sorgearbeit während der Corona-Pandemie: Mütter übernehmen größeren Anteil – vor allem bei schon zuvor ungleicher Aufteilung, in: DIW Wochenbericht Nr. 9/2021

»Eltern haben im Zuge der ersten coronabedingten Kita- und Schulschließungen einen Großteil der Bildungs- und Betreuungsarbeit übernommen. Vielfach wurde in der Öffentlichkeit diskutiert, inwiefern die Corona-Pandemie die Aufteilung von Sorge- und Erwerbsarbeit zwischen Müttern und Vätern verändert hat. Eine Auswertung neuer pairfam-Daten zeigt ein differenziertes Bild: Einerseits hat sich der Anteil der Paare, die sich Kinderbetreuung und Hausarbeit egalitär aufteilen, nicht signifikant verändert. Andererseits ist bei Paaren, bei denen die Frauen bereits vor der Pandemie den überwiegenden Teil der Sorgearbeit übernommen haben, das Ungleichgewicht in der Pandemie noch größer geworden. Im Frühjahr und Sommer 2020 haben Frauen in rund 16 Prozent und damit im Vorjahresvergleich in etwa doppelt so vielen Familien (fast) vollständig die Kinderbetreuung übernommen. Wenn Mütter im Homeoffice arbeiten, erledigen sie auch mehr Sorgearbeit, während dies bei Vätern nicht der Fall ist. Die Aufteilung der Sorgearbeit wird dabei von Müttern und Vätern sehr unterschiedlich wahrgenommen. Die Politik sollte aus einer gleichstellungspolitischen Perspektive bei neuen familienbezogenen Leistungen die ungleiche Verteilung der Sorgearbeit stärker in den Blick nehmen. Helfen könnten beispielsweise finanzielle Anreize für eine gleichmäßigere Aufteilung der Elternzeit.«

Auch hier durchaus differenzierte Befunde. Auf der einen Seite: Der Anteil der Familien, in denen Frau die Kinderbetreuung (fast) vollständig übernimmt, hat sich von acht auf 16 Prozent in etwa verdoppelt. Große Unterschiede in der Wahrnehmung: 24 Prozent der Mütter sagen, sie hätten im Lockdown Kinderbetreuung alleine gestemmt – unter den Vätern sagen dies nur fünf Prozent. Insgesamt aber differenziertes Bild: So hat sich Anteil der Familien, in denen Sorgearbeit gleich aufgeteilt ist, in der Krise nicht signifikant verändert.

Und immer wieder wird im Zusammenhang mit der Bewältigung der Folgen der Corona-Krise über das Thema Homeoffice gesprochen. Dabei wird neben den vielen angeblichen oder tatsächlichen positiven Auswirkungen dieser Arbeitsform auch darauf hingewiesen, dass es viele Frauen, hierbei vor allem Mütter mit kleineren Kindern, gibt, bei denen das Homeoffice einen belastungsverstärkenden Effekt hat im Zusammenspiel mit der konkreten Aufteilung der innerfamilialen Aufgaben.

Aus dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit erreicht uns in diesem Kontext ein interessanter Forschungsbericht:

➔ Michaela Fuchs, Anne Otto und Birgit Fritzsche (2021): Systemrelevante Berufe und das Potenzial für Homeoffice: Eine geschlechtsspezifische Bestandsaufnahme für Thüringen. IAB-Regional. Berichte und Analysen aus dem Regionalen Forschungsnetz. IAB Sachsen-Anhalt-Thüringen, Nr. 01/2021, Nürnberg 2021

»Frauen sind von der Corona-Krise weitaus stärker betroffen, als dies in früheren Krisen der Fall war. Unter anderem sind sie stärker in den systemrelevanten Berufen vertreten, also denjenigen Berufen, die als unverzichtbar für das Funktionieren der Gesellschaft und die Aufrechterhaltung der kritischen Infrastruktur gelten. Gleichzeitig aber haben sie in einem größeren Maße als Männer die Möglichkeit, zumindest zeitweise von zu Hause zu arbeiten und damit den Vorgaben des Arbeitsschutzes und der sozialen Distanzierung nachzukommen. Vor diesem Hintergrund unterzieht die vorliegende Analyse die Arbeitsmarktsituation von Frauen und Männern in den systemrelevanten Berufen sowie deren Homeoffice-Potenziale in Thüringen einer umfassenden Bestandsaufnahme. In Thüringen arbeitet rund ein Drittel aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten – vorrangig Frauen – in den systemrelevanten Berufen. Die Studie zeichnet ein sehr differenziertes Bild dieser Berufe, in denen Frauen vielfach eine ungünstigere Arbeitsmarktsituation als Männer aufweisen. In einigen Berufen jedoch ist die Situation der Frauen ähnlich oder sogar besser als die der Männer. Frauen arbeiten in frauendominierten Berufen vorwiegend in Teilzeit, während Männer hauptsächlich eine Vollzeittätigkeit ausüben. Männer weisen zudem in vielen systemrelevanten Berufen eine stärkere Spezialisierung auf anspruchsvolle und komplexe Tätigkeitsniveaus auf. Dieser Befund steht in Zusammenhang damit, dass Männer in vielen systemrelevanten Berufen höher entlohnt werden als Frauen. Im Gegenzug sind Frauen in den meisten systemrelevanten Berufen seltener von Arbeitslosigkeit betroffen. In Thüringen kann theoretisch etwas mehr als die Hälfte der Beschäftigten zumindest zeitweise im Homeoffice arbeiten. Hierbei haben Frauen ein wesentlich höheres Homeoffice-Potenzial als Männer. Diese Diskrepanz beruht hauptsächlich auf der geschlechtsspezifischen Berufssegregation und hiermit verbundenen unterschiedlichen Tätigkeitsstrukturen. In den systemrelevanten Berufen gibt es nur ein geringes Homeoffice-Potenzial, da vielfach die physische Präsenz am Arbeitsplatz erforderlich ist. Demgegenüber bieten Arbeitsplätze mit komplexeren Arbeitsinhalten wie bei Spezialisten- und Experten einen besseren Zugang zu Homeoffice. Um die stärkere Betroffenheit von Frauen in kommenden Krisen, aber auch generell auf lange Sicht zu verringern, sollten die Rahmenbedingungen künftig verbessert werden. Ansatzpunkte hierfür bieten u. a. eine bessere finanzielle Entschädigung für Lohnausfälle der Eltern bei Kita- und Schulschließungen, bessere Voraussetzungen für die ausgewogenere Aufteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit zwischen Partnern, ein weiterer Ausbau der Betreuungsinfrastruktur sowie eine höhere Entlohnung und Wertschätzung in systemrelevanten Berufen.«

Abschließend der Blick auf bestimmte Gruppen, die eher selten bis gar nicht in der öffentlichen Diskussion auftauchen:

Auch wenn das Thema weitgehend verdrängt wurde aus der öffentlichen Debatte, es gibt sie noch immer die Geflüchteten. Die Bundesanstalt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) gat ein eigenes Forschungszentrum und hat im Umfeld des Internationalen Frauentages drei Kurzanalysen veröffentlicht, die einen differenzierten Blick auf die Frauen mit Fluchthintergrund zu werfen versuchen – eine kurze Zusammenfassung der drei Analysen findet man unter der Überschrift „Geflüchtete Frauen und Männer unterscheiden sich in ihren Lebensentwürfen“. Erkennbar wird über alle drei Analysen teilweise erhebliche Unterschiede zwischen den Männern und Frauen mit Fluchthintergrund, die überaus relevant sind für eine anzustrebende Integration:

➔ Wenke Niehues (2021): Zu Lebenssituationen von jungen Erwachsenen mit Fluchterfahrung. Ausgabe 01|2021 der Kurzanalysen des Forschungszentrums Migration, Integration und Asyl des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, Nürnberg 2021

Niehaus wird mit diesen Worten zitiert: »Geschlechtsspezifische Lebensentwürfe zeigen sich bereits bei jüngeren geflüchteten Frauen: Während junge geflüchtete Männer vermehrt erwerbsorientiert sind, gründen geflüchtete Frauen bereits in jungen Jahren verstärkt Familien und kümmern sich um ihre Kinder. Dies unterscheidet sie auch von anderen jungen Frauen in Deutschland, die keine eigene Migrationserfahrungen aufweisen und im Alter von 18 bis 25 Jahren deutlich seltener eigene Kinder haben. Die starke Familienorientierung der jungen geflüchteten Frauen spiegelt sich ebenfalls in der Ausgestaltung ihres Alltags wider: Es fällt auf, dass junge geflüchteten Frauen mit Abstand die meiste Zeit mit der Kinderbetreuung verbringen. Sind sie erwerbstätig, reduziert sich ihre Zeit der Kinderbetreuung, bleibt allerdings dennoch höher als bei jungen geflüchteten Männern. Dagegen verbringen junge geflüchtete Frauen und Männer ähnlich viel Zeit damit, Deutsch zu lernen – mit Freunden oder in einem Sprachkurs –, einzukaufen und Behördengänge zu erledigen.«

➔ Cristina de Paiva Lareiro (2021): Geflüchtete Frauen in Deutschland – Freizeitverhalten und soziale Kontakte. Ausgabe 02|2021 der Kurzanalysen des Forschungszentrums Migration, Integration und Asyl des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, Nürnberg 2021

»Geflüchtete Frauen unterscheiden sich in ihrem Alltags- und Freizeitverhalten deutlich von geflüchteten Männern. Sie verbringen einen großen Teil ihrer täglichen Zeit mit Aufgaben rund um den Haushalt, wie etwa dem Erledigen von Hausarbeit oder der Betreuung von Kindern. Damit steht ihnen entsprechend weniger Zeit für Freizeitaktivitäten zur Verfügung: Sie treiben beispielsweise weniger Sport und besuchen auch weniger häufig Kultur- oder Sportveranstaltungen als geflüchtete Männer oder etwa Frauen ohne Migrationshintergrund. Des Weiteren pflegen geflüchtete Frauen weniger häufig Kontakte zu Deutschen als Männer mit Fluchthintergrund.
Bei allen Frauen lässt sich eine stärkere Familienorientierung als bei Männern feststellen und das unabhängig des Migrationshintergrundes. Bei geflüchteten Frauen ist die Orientierung am familiären Kontext jedoch etwas stärker ausgeprägt – mit Auswirkungen auf ihre Alltagsgestaltung. Dennoch zeigt sich, dass sich beispielsweise durch Kinder für die Frauen auch soziale Räume eröffnen, etwa in der Kita oder auf dem Spielplatz, in welchen sie mit ihren Mitmenschen in Kontakt kommen können.«

Und immer wieder hinsichtlich ihrer besonderen Bedeutung für eine gelingende Integration werden die Sprach- und Integrationskurse hervorgeheboben. Auch dazu gibt es einige Ergebnisse in einer neuen Analyse:

➔ Anna Tissot (2021): Hürden beim Zugang zum Integrationskurs. Alltagserfahrungen geflüchteter Frauen mit Kleinkindern. Ausgabe 03|2021 der Kurzanalysen des Forschungszentrums Migration, Integration und Asyl des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, Nürnberg 2021

»Ganz grundsätzlich ist das Erlernen der Sprache für alle Zugewanderten – so auch für Menschen mit Fluchterfahrung – sehr bedeutsam. Denn erst mit grundlegenden Sprachkenntnissen erscheinen eine Integration in Gesellschaft und Arbeit realistisch.
Für Frauen, besonders für Mütter, ist das Erlernen der deutschen Sprache auch deswegen wichtig, weil sie eine Multiplikatorrolle einnehmen und den Integrationsverlauf ihrer Kinder stark beeinflussen können. Gleichzeitig sind aber vor allem Mütter mit größeren Herausforderungen bei der Integration und beim Spracherwerb konfrontiert. Sie weisen eine nachteilige Ausgangslage auf und haben aufgrund hoher Haushalts- und Betreuungspflichten weniger Möglichkeiten einer Erwerbsarbeit nachzugehen oder an Angeboten zum strukturierten Spracherwerb, wie dem Integrationskurs , teilzunehmen.
Mittlerweile ist belegt, dass geflüchtete Frauen seltener am Integrationskurs teilnehmen, wenn Kinder im vorschulischen Alter im Haushalt leben und betreut werden müssen. Die wohl bedeutsamste strukturelle Hürde ist der Mangel an Regelangeboten der Kinderbetreuung in den Kommunen und Landkreisen. Trotz Gesetzesanspruch erhalten viele geflüchtete Familien erst ab dem dritten oder sogar vierten Lebensjahr einen Betreuungsplatz für ihr Kind. Hinzu kommt die geographische Entfernung zwischen Wohnort und Integrationskurs bzw. Kinderbetreuung, welche sich als eine weitere strukturelle Hürde für die betroffenen Frauen zeigt. In strukturschwachen und ländlicheren Gegenden tritt dies nochmals verstärkt auf. Die Schwierigkeiten beim Zugang zum Integrationskurs können aber nicht ausschließlich durch strukturelle Hürden erklärt werden, sondern sie treten in Kombination mit individuell-familiären Hürden auf, wie etwa klassischen Rollenaufteilungen zwischen den (Ehe-)Partnern.«

Und zum Abschluss dieses Beitrags der Blick auf Frauen, die meistens völlig im Schatten sind: obdachlose Frauen. Dazu das Interview mit Andrea Hniopek, der Leiterin des Hamburger Containerprojekts für Frauen: “Viele Frauen sind so müde, dass sie nicht kämpfen können.” Auf die Frage, wie sichtbar weibliche Obdachlosigkeit ist, antwortet sie: »Ehrliche Antwort? Wir wissen es nicht. Vielleicht gehen wir durch die Stadt und begegnen ganz vielen obdachlosen Frauen, aber unsere Schere im Kopf sorgt dafür, dass wir sie nicht wahrnehmen. Weil wir ein anderes, männliches Bild von Obdachlosen haben. Dabei ist etwa jede vierte Obdachlose eine Frau. Im öffentlichen Raum sind sie weniger sichtbar, weil sie sich anders verhalten als Männer, die häufig in Gruppen zusammenstehen und trinken. Obdachlose Frauen fallen häufig höchstens durch psychische Auffälligkeiten auf, etwa wenn sie Einkaufswagen vor sich herschieben.« Und zu den Unterschieden zwischen den Geschlechtern unter den Obdachlosen: »Typisch weiblich ist, dass fast jede obdachlose Frau Gewalt erfahren hat, meist sexualisierte Gewalt. Wirklich: fast jede. Das ist etwas, was sie von obdachlosen Männern unterscheidet. Viele von ihnen sind schwer traumatisiert und erleben sich ohnmächtig. Das gilt sicher nicht für alle Frauen aber eben doch für viele, die solche Erfahrungen gemacht haben. Obdachlose Frauen haben viel öfter als Männer Kinder. Deshalb braucht es Orte, an denen Frauen mit Kindern sein können.« Man ahnt, dass hier wirklich vieles ganz tief unter jeder jeder Wahrnehmungsschwelle verborgen liegt.