Bedingte Bedingungslosigkeit? Anmerkungen zu einer Widersprüchlichkeit in der Diskussion über ein bedingungsloses Grundeinkommen

Am 1. Januar 2018 wurde hier ein Beitrag zum Thema bedingungsloses Grundeinkommen mit diesen Worten eröffnet: »Eine vorsorgliche Warnung an alle Leser: In diesem Beitrag geht es – folgt man der Überschrift – um das bedingungslose Grundeinkommen. Und allein die Nennung dieser Begrifflichkeit löst oftmals und leider zunehmend bekannte Entweder-Oder-Reflexe und bei manchen auch heftigste Emotionen mit aggressiven Reaktionen gegenüber denen, die nicht der eigenen Sicht der Dinge folgen, aus: Bist Du dafür oder dagegen?« (Alle Welt schaut auf Finnland und das (angebliche) Experiment mit dem bedingungslosen Grundeinkommen. Kaum einer auf die anderen Arbeitslosen).

Genau diesen Mechanismus kann man aktuell studieren, denn erneut wird das Thema Pro und Contra bedingungsloses Grundeinkommen durch die Medien getrieben. Und ebenfalls erneut ist ein (angebliches) „Experiment“ Auslöser für die neue Welle: Das Pilotprojekt Grundeinkommen. »Die derzeitige Debatte um das bedingungslose Grundeinkommen beruht selten auf fundiertem Wissen. Eine gemeinsame Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) und des Vereins Mein Grundeinkommen soll das ändern und neue, empirische Maßstäbe setzen«, so das DIW unter der Eindruck heischenden Überschrift Erste Langzeitstudie Deutschlands zur Wirkung des bedingungslosen Grundeinkommens. 120 Menschen sollen drei Jahre lang monatlich 1200 Euro erhalten – bedingungslos. Weitere 1.380 Teilnehmer an der Studie sollen als Vergleichsgruppe fungieren, um sichergehen zu können, dass in der Studie zu beobachtende Veränderungen tatsächlich auf das ausgezahlte Grundeinkommen zurückzuführen sind. Für eine Teilnahme an dem „Experiment“ muss man sich bewerben und aus diesen Bewerbungen sollen dann die Teilnehmer per Zufallsauswahl bestimmt werden.

Einen Erfolg können die Initiatoren hier schon vermelden – so »sei das für November angepeilte Ziel von einer Million Bewerbungen schon nach 70 Stunden erreicht gewesen – also in knapp drei Tagen statt drei Monaten … Die zunächst festgelegte Zahl von 120 Geldzahlungsempfängern werde nun aufgestockt – wie viele es werden sollen, teilten die Initiatoren jedoch nicht mit«, kann man dieser Meldung entnehmen: Eine Million Menschen bewerben sich für Studie zum Grundeinkommen.

Und sofort ging die Debatte in den Medien los zum Thema Grundeinkommen – Befürworter und Gegner dieses revolutionär daherkommenden Modells wurden gegeneinander in Stellung gebracht. Die vielschichtigen Argumente dafür und dagegen sollen in diesem Beitrag gar nicht vertieft oder wenigstens angeleuchtet werden. Sondern hier soll ein – scheinbarer (?) – Widerspruch aufgerufen werden, der den Kern des Ansatzes betrifft: die Bedingungslosigkeit des Grundeinkommens. Und genau die scheint ja auch ein wesentliches Moment zu sein, wenn es um die Attraktivität eines solchen Modells bei vielen Menschen geht.

Dafür und dagegen – einige (diskussionsbedürftige) Befunde aus der Umfrageforschung

Auch in diesen Tagen des erneuten Aufflammens der Debatte über ein bedingungsloses Grundeinkommen werden gerne Umfrageergebnisse ins Feld geführt, die darauf hinweisen, dass eine nicht kleine Gruppe in unserer Gesellschaft dem Modell positiv gegenübersteht. Wenn man die Befundlage zusammenfassen muss, dann kann man sogar zuspitzend von einer relativ ausgewogenen Zweiteilung der Gesellschaft hinsichtlich Daumen hoch oder runter für ein solches Grundeinkommen sprechen – die Hälfte dafür, die andere dagegen.

Jürgen Schupp vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung hat im Februar 2020 in der Zeitschrift „Wirtschaftsdienst“ diesen hier relevanten Beitrag veröffentlicht, dem auch die Tabelle mit den verschiedenen Umfrageergebnissen aus den letzten Jahren entnommen wurde:

➔ Jürgen Schupp (2020): Bedingungsloses Grundeinkommen: viel Zustimmung, aber auch große Ablehnung, in: Wirtschaftsdienst, Heft 2/2020, S. 112–116

Zu den in der Tabelle präsentierten Umfrageergebnissen schreibt Schupp: »Die Befragungsergebnisse belegen, dass seit der Jahreswende 2016/2017 bis Herbst 2018 die Zustimmungsrate zur Einführung eines BGE weitgehend stabil sowie tendenziell steigend war und bei einem Wert zwischen 45 % und 55 % lag. Bei der zuletzt durchgeführten Erhebung im Herbst 2019 lag die Zustimmungsrate zu einem BGE einige Prozentpunkte niedriger als im Jahr zuvor bei nunmehr 48 %. In Ostdeutschland lag der Grad der Zustimmung bei 58 %, in Westdeutschland bei 46 % der erwachsenen Bevölkerung. Wie differenzierte Analysen nach sozio-demografischen Merkmalen belegen, geht die Zustimmung zu einem BGE oft mit jungem Alter, hoher Bildung und auch einem niedrigen Einkommen sowie politisch eher linker Einstellung einher.«

Allerdings weist Schupp selbst auf ein notwendiges Aber hin, das es zu berücksichtigen gilt, wenn man solche Ergebnisse interpretiert: »Gleichwohl ist bei der Interpretation der Zustimmungsraten nicht notwendigerweise auch von einer daraus ableitbaren Reformbereitschaft hin zu einem BGE auszugehen.« Warum?

»Denn die Erläuterung der international vergleichbaren Surveyfrage* … macht einerseits nicht explizit, welche konkrete Höhe eines Grundeinkommens damit verbunden wäre, welche Sozialleistungen künftig gestrichen und welche erhalten blieben, wieviel vom Bruttoverdienst man nach Einführung eines BGE noch netto behalten dürfte und beantwortet natürlich nicht, welche Steuern zur Finanzierung eines BGE vermutlich erhöht werden müssten.«

*) Schupp bezieht sich hier auf den European Social Survey (ESS), eine länderübergreifende Querschnitts-Erhebung, die seit 2001 alle zwei Jahre als persönliches computergestütztes Interview durchgeführt wird. Der ESS erhebt Daten vor allem über Einstellungen in über 20 europäischen Ländern.

Man kann und muss vor diesem Hintergrund davon ausgehen, dass es tendenziell leichter fällt, auf eine recht allgemein gehaltene Frage nach der Bewertung eines bedingungslosen Grundeinkommens für ein solches zu votieren, vor allem, wenn einem gar nicht bewusst sein kann, was eine mögliche Umsetzung für Folgewirkungen in anderen Bereichen hätte. Insofern werden die Zustimmungswerte wahrscheinlich deutlich niedriger liegen, je mehr handfeste Informationen die Leute haben. Aber das ist naturgemäß Spekulation und soll hier auch gar nicht weiter diskutiert werden. Aus den vorliegenden Befragungsergebnissen kann man einen anderen interessanten und widersprüchlichen Aspekt herausziehen:

Soll das bedingungslose Grundeinkommen aus Sicht der Befürworter etwa gar nicht bedingungslos sein, sondern an Bedingungen geknüpft werden?

Sehr viele derjenigen, die die BGE-Forderung gut finden, meinen damit eigentlich gar kein bedingungsloses Grundeinkommen für alle, sondern eine verbesserte soziale Grundsicherung für Bedürftige – so die These von Ralf Krämer, Gewerkschaftssekretär, Mitglied im Parteivorstand der LINKEN und expliziter Kritiker des bedingungslosen Grundeinkommens, in seinem Beitrag Ohne Basis und meist missverstanden. Als Beleg verweist er auf eine Umfrage des MDR, die im Zeitraum 17.-20. Juli 2020 durchgeführt wurde: Zunächst hält danach mit 53 Prozent gegen 43 Prozent eine knappe Mehrheit ein bedingungsloses Grundeinkommen für sinnvoll. Im Durchschnitt werden gut 1.200 Euro im Monat als angemessen bewertet. Dann aber: Bei den weiteren Fragen zeigt sich, dass 81 Prozent die Aussage unterstützen, dass es eine Vermögensgrenze geben sollte. 55 Prozent unterstützen die Aussage, dass das Grundeinkommen mit anderweitigen Einkünften verrechnet werden sollte. »Die überwiegende Mehrheit spricht sich also in Wirklichkeit gar nicht für ein BGE aus, sondern für eine verbesserte Grundsicherung für Menschen ohne hinreichende andere Einkommen und ohne größere Vermögen«, so die Bewertung von Krämer.

»So mancher, der „Geld für alle“ ruft, hat auf den zweiten Blick eine eher eingeschränkte Definition von „alle“«, so auch Lea Hampel in der Süddeutschen Zeitung unter der Überschrift Befürworter des Grundeinkommens sind weniger liberal als angenommen. Der Artikel bezieht sich auf diese Studie des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW):

➔ Matthias Diermeier und Judith Niehues (2020): Bedingt bedingungslos – widersprüchliche Sozialstaatspräferenzen. IW-Kurzbericht 85/2020, Köln: Institut der deutschen Wirtschaft, 22.07.2020

Dort taucht dann wieder die eine Datenquelle auf, die auch Schupp verwendet hat: »Für die Studie haben die Wissenschaftler Daten der jüngsten European Social Survey (ESS) neu ausgewertet.« Die Wissenschaftler vom IW weisen darauf hin, dass in den Befragungsdaten aus dem European Social Survey (ESS) 2016 ein bemerkenswerter Widerspruch in den Präferenzen der Befragten zu finden sei:

»Zwar zeigt sich in den meisten der 20 berücksichtigten Ländern eine mehrheitliche Zustimmung für ein Grundeinkommen, das gemäß der Fragestellung explizit unabhängig davon ausgezahlt werden soll, ob man arbeitet oder nicht. Die Präferenz für bedingungslose Sozialleistungen gilt jedoch keineswegs uneingeschränkt für den Kreis aller potenziell Berechtigten. Denn zwei Drittel der Befürworter eines Grundeinkommens plädieren an anderer Stelle in der gleichen Befragung für substanzielle Bedingungen, bevor Zuwanderern die gleichen Rechte auf Sozialleistungen zugestanden werden wie eingesessenen Bürgern. Besonders widersprüchlich erscheint, dass im Durchschnitt der 20 europäischen Länder 42,4 Prozent der Grundeinkommens-Befürworter Zuwanderern erst die gleichen Ansprüche auf Sozialleistungen zugestehen wollen, „nachdem sie mindestens ein Jahr gearbeitet und Steuern bezahlt haben” … Eine weitere Gruppe von 27,4 Prozent der Befragten spricht sich für noch restriktivere Zugangsbedingungen aus und möchte Zuwanderern erst nach deren Einbürgerung Zugang zum Sozialstaat erlauben; weitere 7,7 Prozent der Befürworter eines egalitären Grundeinkommens outen sich als extreme Wohlfahrtschauvinisten, die Zuwanderern niemals die gleichen Rechte auf Sozialleistungen zugestehen wollen.«

Interessante Ergebnisse zeigt auch der europäische Ländervergleich, der mit Hilfe der ESS-Daten möglich ist: »Die Bewohner skandinavischer Länder sind seltener für ein Grundeinkommen, würden es aber möglichst vielen gewähren. Das Gegenbeispiel bilden viele Staaten Osteuropas, wo, wie Studienautor Matthias Diermeier sagt, eine Art „exklusiver Etatismus“ herrscht: Viele finden dort ein Grundeinkommen gut, wollen es aber nur Staatsbürgern zahlen«, berichtet Lea Hampel. Dazu das IW im Original:

»Beschränkungen für Immigranten werden insbesondere in Ländern gewünscht, wo die Zustimmung für das Grundeinkommen besonders hoch ausfällt. Hierzu zählen die osteuropäischen Staaten Litauen, Ungarn und Slowenien, die sich durch ein vergleichsweise niedriges BIP pro Kopf sowie einen schwächeren Sozialstaat auszeichnen. Am anderen Ende des Spektrums sortiert sich der wohlhabende schwedische Wohlfahrtsstaat ein, der unter den berücksichtigten Ländern die geringste Zustimmung zum Grundeinkommen aufweist und deren Einwohner Zuwanderern die geringsten Bedingungen beim Zugang zum Sozialstaat auferlegen möchten.«

Zu Deutschland berichtet das IW: »Im europäischen Vergleich befürworten in Deutschland unterdurchschnittlich viele Befragte ein Grundkommen. Knapp 38 Prozent der validen Antworten im ESS 2016 zeigen Zustimmung für ein Grundeinkommen, weitere 8 Prozent der Befragten geben starke Zustimmung an. Gleichzeitig zeigt sich bezüglich der gleichen Rechte von Zuwanderern auf sozialstaatliche Leistungen eine besondere Zustimmung zu Reziprozität: über 50 Prozent der Befragten in Deutschland befinden, Zuwanderer sollten erst den gleichen Anspruch wie Eingesessene erhalten, wenn sie mindestens ein Jahr gearbeitet und Steuern gezahlt haben. Die Anteile der Befragten, die erst nach Einbürgerung oder niemals die gleichen Rechte einräumen möchten, liegen demgegenüber in Deutschland mit knapp 24 Prozent und 2 Prozent vergleichsweise niedrig.«

In der Studie des IW hat man sich die Gruppe derjenigen genauer angeschaut, die zwar im Grunde das bedingungslose Grundeinkommen befürworten, aber zugleich scheinbar paradox Bedingungen daran knüpfen oder sogar ganze Personengruppen ausschließen wollen:

»Unter den stark egalitär ausgerichteten Grundeinkommens-Befürwortern, die Zuwanderern den Zugang zu Sozialleistungen restringieren wollen, lässt sich zum einen eine Gruppe mit noch eher meritokratischer Ausrichtung abgrenzen. Nach deren Verständnis müssen Menschen sich den Zugang zu Sozialleistungen durch eine Art positives Signaling (Arbeit und Steuern) „verdienen”. Womöglich zeigt sich in diesem Verhalten die Sorge vor einer Überforderung des generösen Wohlfahrtsstaates. Wichtig für das Verständnis dieses Befundes ist: Die sozio-ökonomischen Charakteristika von Zuwanderern werden in vielen europäischen Ländern besonders negativ verzerrt eingeschätzt. Alesina et al. (2018) quantifizieren etwa die Überschätzung der Arbeitslosigkeit von Immigranten in Deutschland mit 30 Prozentpunkten – und damit doppelt so hoch wie die von Einheimischen. Es ist denkbar, dass die unbewusste negative Fehleinschätzung von Zuwanderern besonders bei Meritokratie-Befürwortern stark auf die Sozialstaatspräferenzen durchschlägt … Zudem lässt sich unter den Grundeinkommens-Befürwortern eine zweite, kleinere und radikalere Gruppe identifizieren. Im Gegensatz zu den Meritokratie-Befürwortern ist diese Gruppe stark Ressentiments verhaftet und folgt explizit wirtschaftlichen und kulturellen Vorurteilen. In den Augen dieser Nativisten sollen Zuwanderer überhaupt keinen Zugang zum Sozialstaat erhalten. Die generösen Sozialleistungen, die sie befürworten, sollen ausschließlich Einheimischen zur Verfügung stehen.«

Natürlich gilt auch für diese Ergebnisse notwendigerweise der Hinweis, dass es sich um Umfragedaten aus Stichproben handelt – ergänzt um diesen Aspekt, auf den Lea Hampel in ihrem Artikel über die IW-Studie verweist: »Die Ergebnisse sind dennoch unter Vorbehalt einzuordnen. Die Werte der European Social Survey stammen von 2016.« Mittlerweile haben wir die Mitte des Jahres 2020 überschritten und möglicherweise sind die Anteilswerte heute anders verteilt.

Fazit: Neben den seit Jahren immer wieder vorgetragenen Fragen hinsichtlich der möglichen Auswirkungen eines bedingungslosen Grundeinkommens auf das Arbeitsverhalten der Menschen oder die Finanzierbarkeit eines solchen Unterfangens stellen sich auch hinsichtlich der angeblichen Bedingungslosigkeit noch zahlreiche offene Fragen, die es zu diskutieren gilt.