Eine vorsorgliche Warnung an alle Leser: In diesem Beitrag geht es – folgt man der Überschrift – um das bedingungslose Grundeinkommen. Und allein die Nennung dieser Begrifflichkeit löst oftmals und leider zunehmend bekannte Entweder-Oder-Reflexe und bei manchen auch heftigste Emotionen mit aggressiven Reaktionen gegenüber denen, die nicht der eigenen Sicht der Dinge folgen, aus: Bist Du dafür oder dagegen? Mit diesem Warnhinweis versehen begann der Artikel Alle Welt schaut auf Finnland und das (angebliche) Experiment mit dem bedingungslosen Grundeinkommen. Kaum einer auf die anderen Arbeitslosen, der hier am Neujahrstag 2018 veröffentlicht wurde. In diesem Zusammenhang wurde auf ein in Finnland laufendes Experiment verwiesen. 2.000 zufällig ausgewählte Arbeitslose bekommen seit Januar 2017 bedingungslos 560 Euro im Monat – anstelle von Arbeitslosengeld. Die 2.000 Teilnehmer wurden unter allen Personen zwischen 25 und 58 Jahren, die im November 2016 Arbeitslosengeld oder -unterstützung bekommen haben, ausgelost. Der Test ist auf zwei Jahre befristet. Das Grundeinkommen wird nicht reduziert, wenn eine Arbeit aufgenommen wird, kann man dem damaligen Bericht entnehmen. Die Teilnehmer erhielten das Geld zusätzlich zu anderen Sozialleistungen wie Kindergeld oder Wohnbeihilfe überwiesen.
Experiment – oder doch kein Experiment?
Die große Resonanz in den Medien resultierte auch aus dem experimentellen Charakter des finnischen Versuchs. Aber zugleich wurde bereits damals darauf hingewiesen, dass es sich nicht wirklich um ein Experiment das bedingungslose Grundeinkommen betreffend handelt, denn das würden ja alle und eben nicht nur die Arbeitslosen bekommen (müssen) und dann auch nicht auf (nur) zwei Jahre befristet.
Und nicht nur das: Man muss sehen, dass es der finnischen Regierung um ganz andere Fragen ging, als man sie auf der emanzipatorischen Seite der Befürworter eines Grundeinkommens finden wird: Im Mittelpunkt des Interesses stand die große und immer wieder in diesem Kontext aufgerufene Frage nach den Auswirkungen eines wie auch immer ausgestalteten bedingungslosen Grundeinkommens auf die Arbeitsanreize bei den Betroffenen, denn die These, dass das dazu führen wird, dass die Leute sich in der Hängematte der staatlichen Grundeinkommensleistung ausruhen werden, ist eines der populärsten Gegenargumente. Die damalige rechtsliberale Regierung in Finnland wollte mit dem Versuch zwei Ziele erreichen: Erstens soll der Anreiz steigen, gerade schlecht bezahlte Jobs anzunehmen – der Niedriglohnsektor soll so ausgebaut werden. Zweitens soll die staatliche Sozialverwaltung verschlankt werden.
Aber selbst, wenn man die Fokussierung und das meint Reduzierung auf die ewige Frage nach den Arbeitsanreizen akzeptiert, versprach die konkrete Versuchsanordnung nur eine wenn überhaupt sehr begrenzten Erkenntnisgewinn: So war der Druck auf Arbeitslose sehr hoch, sich bei lediglich 560 Euro Grundeinkommen etwas dazuzuverdienen. Weil das Experiment auf Arbeitslose beschränkt ist, bleibt aber vor allem die viel wichtigere Frage unbeantwortet, ob Erwerbstätige die zusätzlichen Einkünfte zum Anlass nehmen würden, weniger oder gar nicht mehr zu arbeiten.
Und man kann und muss darauf hinweisen, dass ein richtiges Experiment anders aufgebaut sein müsste, also neben einer (richtigen) Versuchs- auch eine ordentliche Kontrollgruppe enthalten müsste und das man dann nicht während der Laufzeit des Experiments gewichtige Rahmenbedingungen für eine der beiden Gruppen verändern darf.
Genau das ist aber während der kurzen Laufzeit des Versuchs passiert: Anfang 2018 wurden durch ein „Aktivierungsprogramm“ die Auszahlbedingungen für finnische Arbeitslose insgesamt verschärft. Für die Wissenschaftler bedeutete das: Für Menschen in der Kontrollgruppe änderten sich während des Experiments die Rahmenbedingungen, so Lea Hampel in ihrem Artikel „560 Euro geschenkt“, der in der Süddeutschen Zeitung vom 7. Mai 2020 veröffentlicht wurde. Bereits im März 2018 – der offizielle Versuch hatte noch eine Laufzeit bis Ende 2018 – wurde dazu unter der Überschrift Arbeitspflicht statt Grundeinkommen: Finnland macht die Kehrtwende berichtet: »Finnland geht jetzt deutlich rigoroser mit sozial Schwachen um.« Anfang Januar 2018 trat das so genannte Aktivmodell (Aktiivimalli) in Kraft. Dahinter verbirgt sich ein deutlich strengeres Prozedere für Arbeitslose. »Konkret gibt es für Erwerbslose nun eine Arbeitspflicht von 18 Stunden pro Monat oder ein Monatseinkommen von mindestens 241 Euro. Wer das nicht schafft, dem wird das Arbeitslosengeld um 4,65 Prozent gekürzt. Marjukka Turunen vom finnischen Sozialversicherungsinstitut Kela kritisiert … das neue System als „sehr negative Form, den Ball an die Arbeitslosen weiterzuspielen“.«
Und Lea Hampel weist auch darauf hin, dass die an dem Versuch beteiligten Wissenschaftler gerne einen weitaus ambitionierteren und tatsächlich in Richtung auf ein experimentelles Design weisenden Ansatz gewählt hätten, wenn man sie hätte machen lassen: „Die Forscher hätten gern ein Projekt mit unterschiedlichen, nicht nur arbeitslosen Teilnehmern in ganz Finnland und unterschiedlich hohen Auszahlungen erforscht. Ergänzen wollten sie das durch lokale Projekte, wo alle Mitglieder einer Region ein Grundeinkommen erhalten, um zu sehen, wie sich ein Grundeinkommen auf Gruppen auswirkt. Dieser Ansatz hatte sich als zu teuer und zu komplex herausgestellt, hinzu kamen rechtliche Schwierigkeiten.“
Und was ist nun herausgekommen aus der abgespeckten Variante eines Versuchs mit dem „bedingungslosen Grundeinkommen“?
Bereits im vergangenen Jahr wurde in zahlreichen Artikeln Bilanz gewogen, korrekter: eine vorläufige Bilanz. Stellvertretend dafür der Beitrag Was ein garantiertes Grundeinkommen in Finnland brachte von Nora Laufer, der am 26. August 2018 veröffentlicht wurde: »Die vorläufigen Ergebnisse zeigen, dass sich die Empfänger subjektiv wohler fühlten, sagt Katri Sarkia, die … bei Demos Helsinki tätig ist: „Sie waren von ihrer Einkommenssituation weniger gestresst.“ Die Teilnehmer sahen sich selbst außerdem insgesamt in einer besseren Position als die Vergleichsgruppe, die nach wie vor das reguläre Arbeitslosengeld erhielt. Das Geld hatte jedenfalls keine signifikanten Auswirkungen auf die Beschäftigungsfähigkeit der Teilnehmer, die im Verlauf der Studie mehrfach befragt wurden. Bisher würden aber erst vorläufige Ergebnisse zu dem Experiment vorliegen, sagte Sarkia.«. Es wurde dann darauf verwiesen, dass der Endbericht Anfang 2020 veröffentlicht werde.
Das ist nun passiert: Results of Finland’s basic income experiment: small employment effects, better perceived economic security and mental wellbeing, so ist die Mitteilung des finnischen Sozialversicherungsinstituts Kela überschrieben.
Quelle der Abbildung: Kela (2020): Results of Finland’s basic income experiment: small employment effects, better perceived economic security and mental wellbeing, 06.05.2020
Was ist mit einem möglichen Beschäftigungseffekt? Es gibt einen für die Empfänger des Grundeinkommens, aber der ist mehr als überschaubar: »The employment rate for basic income recipients improved slightly more during this period than for the control group.« Die Wissenschaftler weisen explizit auf die Bewertungsprobleme aufgrund der angesprochenen Veränderung der Rahmenbedingung hin: »… the interpretation of the effects of the experiment is made more complicated by the introduction of the activation model at the beginning of 2018, which meant more stringent entitlement criteria for unemployment benefits asymmetrically in both groups.« Die Verschärfungen des Arbeitslosenregimes griffen im zweiten Jahr des Versuchs und das ist wichtig vor diesem Hintergrund: »During the first year of the experiment, when the activation model had not yet been introduced, the basic income did not have any employment effects for the basic income recipients at group level.« Die Kela-Forscher bilanzieren: »All in all, the employment effects were small. This indicates that for some persons who receive unemployment benefits from Kela the problems related to finding employment are not related to bureaucracy or to financial incentives.«
Einen messbaren Effekt hatte das Grundeinkommen auf das mentale und ökonomische Wohlbefinden derjenigen, die den Betrag bekommen haben: »Survey respondents who received a basic income described their wellbeing more positively than respondents in the control group. They were more satisfied with their lives and experienced less mental strain, depression, sadness and loneliness. They also had a more positive perception of their cognitive abilities, i.e. memory, learning and ability to concentrate.« Sie waren also etwas glücklicher und haben sich besser gefühlt als diejenigen, die man in der Kontrollgruppe untersucht hat. »In addition, the respondents who received a basic income had a more positive perception of their income and economic wellbeing than the control group. They were more likely to find that their financial situation is manageable and that they are protected financially.«
Die Empfänger des Grundeinkommens zeigen höhere Vertrauenswerte und bessere Werte bei der Selbstwirksamkeit: »The basic income recipients trusted other people and the institutions in society to a larger extent and were more confident in their own future and their ability to influence things than the control group. This may be due to the basic income being unconditional, which in previous studies has been seen to increase people’s trust in the system.« Die Forscher vermuten also, dass das Merkmal der „Bedingungslosigkeit“ der Geldleistung hier positiv gewirkt hat.
Man muss hier darauf hinweisen, dass bereits vor über einem Jahr über die nun endgültig vorliegende Bilanzierung berichtet wurde: Durchwachsene Bilanz eines Experiments, so beispielsweise Carsten Schmiester am 9. Februar 2019: »Das probeweise ausgezahlte bedingungslose Grundeinkommen in Finnland hat das Wohlbefinden der Empfänger gesteigert.« Und er berichtete damals schon davon, dass das Grundeinkommen den Begünstigten »mehr Sicherheit, weniger Sozialbürokratie und damit weniger Stress sowie eine bessere Gesundheit (gebracht hat). Aber kaum jemand von ihnen hatte nach dem Experiment einen festen Job. Der Wohlfühleffekt wurde bestätigt, ein Beschäftigungseffekt war jedoch kaum messbar. Fast alle Teilnehmer sind inzwischen wieder im schwerfälligen System der finnischen Sozialhilfe.«
Und auch die Berichterstattung über die nun veröffentlichten Endergebnisse folgt dem, was sich schon im vergangenen Jahr angedeutet hat: Gut für die Psyche – keine Wirkung für den Arbeitsmarkt, so einer der Meldungen dazu.
Ungeachtet von den ernüchternden Ergebnissen dieses – allerdings methodisch sehr fragwürdigen, weil enorm kleingeschredderten – Versuchs wird die höchst kontroverse Debatte über ein „bedingungsloses Grundeinkommen“ weitergehen. Ganz praktisch gesehen haben wir losgelöst von dieser Grundsatzdebatte eine partielle Hinwendung zu „Elementen“ der Bedingungslosigkeit einer Grundsicherung in Deutschland dahingehend, als dass man die Auffangfunktionalität des deutschen Hartz IV-Systems (das bekanntlich als ein nicht-bedingungsloses Grundeinkommen bezeichnet werden kann, vor allem für die vielen, die Jahre in dem System verbringen) in Zeiten der Corona-Krise und dabei insbesondere der existenziellen Krise vieler Solo-Selbstständigen und Kleinstunternehmer dadurch gestärkt hat, dass man die Zugangshürden in das Grundsicherungssystem abgesenkt hat, beispielsweise durch einen befristeten Verzicht auf die Vermögensprüfung, eine vereinfachte Einkommensprüfung, die Erstattung der tatsächlichen Wohnkosten und den Verzicht auf Sanktionen. Allerdings gelten diese Regeln nicht für alle Leistungsbeziehenden, sondern in erster Linie für jene, die erst im Zuge der Krise Grundsicherungsleistungen neu beantragen.