Eine immer größer werdende Kluft zwischen Stadt und Land. Zwei Millionen Wohnungen stehen leer, gleichzeitig werden Millionen Wohnungen gebraucht

Der Leerstand in Deutschland nimmt dramatisch zu: Inzwischen stehen etwas mehr als zwei Millionen Wohnungen leer. Und dieses Problem trifft vor allem ländliche Regionen. Das geht aus dem Bericht Wohnungs- und Immobilienmärkte in Deutschland 2016 des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) hervor. Benedikt Müller hat sich den angeschaut und wichtige Befunde aus dem Bericht in seinem Artikel Zwei Millionen Wohnungen in Deutschland stehen leer aufbereitet:  »In den Ballungsräumen steigen Mieten und Kaufpreise stark, aber in ländlichen Regionen drohe ein Preisverfall … Die Experten schätzen, dass bundesweit inzwischen etwas mehr als zwei Millionen Wohnungen leerstehen. 2011 waren es noch rund 1,8 Millionen. Damit steigt die Leerstand-Quote von 4,5 auf 5,1 Prozent. Bereits jetzt seien Häuser vielerorts „schwierig zu vermarkten“, sagen die Forscher. Sollten noch mehr Menschen vom Land in die Ballungsräume ziehen, drohten vielen Eigentümern „gravierende finanzielle und organisatorische Probleme“.« 

Das Problem ist aber nicht gleichverteilt, wie es Durchschnittswerte wie 5,1 Prozent Leerstandsquote nahelegen könnten: »Besonders groß ist das Problem in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen sowie im Ruhrgebiet und im Saarland. In einigen ostdeutschen Kreisen wie dem Altenburger Land oder dem Vogtlandkreis stehen mehr als 15 Prozent aller Wohnungen leer.«
Bereits seit 2006 ziehen hierzulande deutlich mehr Menschen vom Land in Groß- und Universitätsstädte und in den letzten Jahren sind viele Zuwanderer dazu gekommen, die sich ebenfalls gerne in städtische Räume bewegen.

Die Folge: In den Ballungsräumen steigen die Immobilienpreise kräftig an, doch in vielen ländlichen Kreisen stagnieren sie – oder sinken sogar. Das hat neben der Wohnfrage im engeren Sinne massive Folgewirkungen in anderen sozialpolitischen Systemen, beispielsweise auf die Altersvorsorge, bei der Immobilien eine wichtige Rolle spielen. Zu den angedeuteten massiven Unterschieden zwischen den (ländlichen) Verlierer- und (städtischen) Gewinner-Räumen hat Müller einige Zahlen aus dem BBSR-Bericht zusammengestellt:

»Laut dem BBSR-Bericht wechselt ein Ein- oder Zweifamilienhaus auf dem Land im Schnitt für 135.000 Euro den Besitzer. In den Großstädten kostet ein Eigenheim im Schnitt 383.000 Euro. Bei Eigentumswohnungen sind die Unterschiede noch größer. In süddeutschen Hochschulstädten wie Regensburg, Erlangen, Ulm, Augsburg und Nürnberg sind Wohnungen heute mehr als 50 Prozent teurer als noch im Jahr 2009. Gleichzeitig sind die Wohnungspreise „im Großteil der Märkte“ überhaupt nicht angestiegen.
Besonders deutlich wird die Kluft zwischen Stadt und Land bei den Kaufpreisen für Grundstücke. Wer ein Haus bauen will, kann in einigen ostdeutschen Landkreisen entsprechendes Bauland für nur zehn Euro pro Quadratmeter kaufen. In Düsseldorf kosten Baugrundstücke dagegen 700 Euro, in München gar 1.200 Euro pro Quadratmeter. Die Folge des teuren Baulands: In den Großstädten werden vor allem teure Eigentumswohnungen gebaut, die teuer vermietet werden – wenn überhaupt.«

Der letzte Punkt – spiegelbildlich zum Leerstand in vielen ländlich strukturierten Räumen – ist einerseits sozialpolitisch problematisch mit Blick auf das Fehlen bezahlbaren Wohnraums für die unteren Einkommensgruppen und andererseits aufgrund der hier wirkenden einzelwirtschaftlichen Interessen und Anreize, die aber gesamtwirtschaftlich höchst fragwürdige Ergebnisse generieren, auch aus einer rein ökonomischen Perspektive fatal.

So sind wir konfrontiert mit der Gleichzeitigkeit sich scheinbar widersprechender Aggregatzustände, denn in den Groß- und anderen Städten haben wir einen massiven Nachfrageüberhang bei den preisgünstigen Wohnungen, während sich a) parallel ein enormer Angebotsüberschuss im Bereich des Wohnraums für Premium- und Elitekunden aus einer – zudem auch noch durch einen nullzinsbedingten „Anlagenotstand“ vergrößerten – Überinvestment in diesem dann doch hinsichtlich der tatsächlichen und potenziellen Kunden quantitativ begrenzten Segment, während b) das zusätzliche Angebot an – dann auch noch bezahlbaren – Wohnungen in vielen ländlichen Regionen nicht auf eine entsprechende Nachfrage stößt.

Was tun, wird auch hier sofort eingeworfen werden.Vereinfacht gesagt: Das Angebot dort, wo wir einen Nachfrageüberschuss haben, müsste ausgeweitet werden und gleichzeitig in den Gegenden, wo massive Leerstände auftreten und sich verfestigen, müsste über Rück- und Abbau diskutiert werden.

Wobei es bei der Ausweitung des Wohnungsbaus nicht um eine unterschiedlose Ausweitung geht bzw. gehen sollte. Dazu die Wissenschaftler des BBSR:
»In den Ballungsräumen fordert das BBSR deshalb eine „große Kraftanstrengung“ der Politik, der Investoren und der Zivilgesellschaft, um mehr bezahlbaren Wohnraum zu schaffen …« Und weiter:

»Die Forscher empfehlen den Städten, strategisch neue Wohngebiete auszuweisen. Sie heben Großstädte wie Berlin oder München hervor, die Bauland nicht zum höchsten Preis, sondern nach dem besten Konzept vergeben. So kommen auch städtische Wohnungsunternehmen oder Genossenschaften zum Zug, die vor allem bezahlbare Mietwohnungen bauen. Zudem können Städte einen Mindestanteil von Sozialwohnungen vorschreiben, wenn sie Bauland verkaufen.«

Außerdem empfiehlt das BBSR der Politik, mittelgroße Städte auf dem Land „gezielt zu unterstützen“. Also so eine Art Auffangbecken für die auf (Groß-)Städte fokussierte Binnenwanderung.