Kindergeld hier, Familienbeihilfe dort – und viele möchten „indexieren“. Also weniger Geld für die Kinder, die vor allem in Osteuropa leben. Die EU-Kommission will das verhindern

Ein kurzer Blick zurück in den Sommer 2018. Da war es für einen Moment mal wieder als Aufreger-Thema in den deutschen Medien. Das Kindergeld. Also nicht das Kindergeld generell, sondern das Geld, das ins EU-Ausland überwiesen wird. Wenn also ein polnischer Arbeitnehmer hier arbeitet und seine zwei Kinder sind in Polen geblieben, dann bekommt er das Kindergeld für die beiden nach Polen überwiesen. Das machen beispielsweise die vielen Pendelmigratinnen aus osteuropäischen EU-Staaten, die hier bei uns für zwei oder drei Monate im Wechselmodell in der sogenannten „24-Stunden-Pflege“ in einem der vielen deutschen Haushalte arbeiten. Aber um solche Details ging und geht es gar nicht, sondern um Stimmungsmache.

Allein 2017 wurden 343 Millionen Euro an Kindergeld auf Konten im Ausland überwiesen. Wahnsinn, so viel Geld, werden viele denken – und es wird immer „schlimmer“, weil mehr. Dass das „mehr“ allein dadurch erklärbar ist, dass gleichzeitig auch die Zahl der hier arbeitenden EU-Ausländer vor allem aus Osteuropa stark angestiegen ist. Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten aus Osteuropa stieg von 2015 bis 2017 um 295.000 auf knapp 1,2 Millionen. Und auch der nüchterne Blick auf andere nackte Zahlen konnte vor ein paar Monate viele nicht erreichen: Ende 2017 gab es insgesamt 14,97 Mio. Kinder, für die Kindergeld gezahlt wurde. Von diesen gut 15 Mio. Kindern lebten 243.234 im Ausland – das sind 1,6 Prozent der Kinder im Kindergeldbezug. Bei den Ausgaben stellen sich die Relationen so dar: 2017 wurden insgesamt 35,9 Mrd. Euro für das Kindergeld ausgegeben. 343 Mio. Euro davon wurden auf Konten im Ausland überwiesen. Das waren 1 Prozent der Gesamtausgaben.

Aber es ging um eine ganz andere Ebene – um solche Erzählungen: »Deutschland zahlt immer mehr Geld für Kinder im EU-Ausland. Duisburgs Oberbürgermeister Sören Link sieht den sozialen Frieden gefährdet«, so einer der damaligen Artikel. Mehrere Oberbürgermeister schlagen Alarm und sprechen von einer massiven Zunahme einer gezielten Migration in das deutsche Sozialsystem. Im Mittelpunkt dieses Bedrohungsszenarios stehen dann immer Menschen aus Bulgarien und Rumänien, obgleich deren daheimgebliebenen Kinder Ende 2017 mit 17.000 in Rumänien und knapp 6.100 in Bulgarien nur eine kleine Gruppe der Kinder bilden, um die es hier geht. Auf Platz 1 standen mit 103.000 Kinder die polnischen Eltern (für 2018 wird die Zahl 123.855 genannt) und dann schon auf Platz 2 mit 31.500 Kinder deutscher Staatsangehöriger, deren Kinder sich im EU-Ausland aufhielten, beispielsweise zum Studium.

Nach geltendem Recht haben EU-Ausländer für die Dauer ihres Arbeitsaufenthalts in Deutschland Anspruch auf Kindergeld – auch wenn der Nachwuchs in einem anderen Land lebt. Die Eltern der außerhalb Deutschlands lebenden Kinder können sich aussuchen, ob das Kindergeld auf ein Konto hierzulande oder auf eines im Ausland geschickt wird. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit (BA) befindet sich zum Teil auch nur das Konto im EU-Ausland, während die Kinder in Deutschland leben.

Was von der ganzen Debatte zu halten war und ist, wurde in diesem Beitrag vom 10. August 2018 aufgearbeitet: Und jährlich grüßen die Zuckungen der Erregungsgesellschaft. Einige Anmerkungen zum Thema Kindergeld, „wir“ in Deutschland und „die“ im Ausland. Aber angesichts der Wirkmacht der Erzählungen von den angeblich kindergeldbedingten Zuwanderungswellen der Armutsflüchtlinge aus dem Osten waren auch solche Hinweise eher hilfloser Natur: Das Kindergeld ist kein „Geschenk“ des Staates und auch keine Sozialtransferleistung wie Hartz IV. Es dient vor allem der verfassungsrechtlich garantierten Freistellung des Existenzminimums des Kindes und ist damit Teil des Familienleistungsausgleichs in Deutschland. Deshalb bekommt man ja auch Kindergeld nach dem Einkommensteuergesetz. Weniger als die Hälfte des gezahlten Kindergeldes dient heute tatsächlich der Familienförderung. Verkauft wird das Kindergeld allerdings, als würden Familien vom Staat reich beschenkt.

Aber die Erzählung wurde noch durch ein zweites und für viele Menschen auf den ersten Blick durchaus nachvollziehbares Argument angereichert: Warum wird „deutsches“ Kindergeld für Kinder gezahlt, die in Bulgarien oder Rumänien leben, wo doch dort die Lebenshaltungskosten deutlich niedriger sind als bei uns? Aus dieser Perspektive erscheint die auch bei uns in Deutschland geforderte „Indexierung“ des Kindergeldes, also die Abstufung der Leistungshöhe des ins Ausland gezahlten Kindergeldes nach den Lebenshaltungskosten in den anderen Ländern, durchaus plausibel. Das wurde von interessierter Seite sofort auch genutzt bzw. instrumentalisiert.

»Der parlamentarische Geschäftsführer der CSU im Bundestag, Stefan Müller, sprach von „zügellosen Kindergeldtransfers“ ins Ausland, mit denen „endlich Schluss“ gemacht werden müsse. Als Rezept dafür empfahl er, die Höhe des Kindergeldes den Lebenshaltungskosten am Wohnort der Kinder anzupassen«, so Albert Funk und Rainer Woratschka in ihrem Artikel CSU dringt auf Konsequenzen bei Kindergeldtransfers. Aber die CSU war hier nur der Nachzügler auf Seiten der Instrumentalisierer. Denn bereits im Juni 2018 hatte die AfD-Fraktion im Deutschen Bundestag vorgelegt und diesen Antrag eingebracht: „Kindergeld für im Ausland lebende Kinder indexieren – Anpassung des Kindergeldes für nicht in Deutschland lebende Kinder von EU-Bürgern an die Lebenshaltungskosten am Wohnort des Kindes“ (Bundestags-Drucksache 19/2999 vom 27.06.2018). Darin wird die Bundesregierung aufgefordert, »einen europarechtskonformen Gesetzentwurf vorzulegen, der die Höhe des Kindergeldes für ein Kind, für das in Deutschland ein Kindergeldanspruch besteht, dessen Wohnsitz sich aber in einem anderen EU-Mitgliedstaat befindet, an die Lebenshaltungskosten des Wohnsitzstaates anpasst. Maßstab für die Staffelung der Kindergeldbeträge ist die Notwendigkeit und Angemessenheit nach den Verhältnissen des Wohnsitzstaates. Die maßgeblichen Beträge sind anhand der Ländergruppeneinteilung (BMF-Schreiben vom 20. Oktober 2016, BStBl I S. 1183) zu ermitteln, die im Einkommensteuerrecht bereits verschiedentlich zur Berücksichtigung unterschiedlicher ausländischer Lebensverhältnisse angewendet wird.« Was das zur Folge hätte? »Würden die maßgeblichen Beträge anhand der Ländergruppeneinteilung … ermittelt, so würde das Kindergeld für die osteuropäischen Länder Rumänien, Polen, Ungarn, Kroatien und Bulgarien nur noch 50 Prozent der bislang gezahlten Leistung betragen. Für andere Länder, etwa Griechenland oder Portugal, würde das Kindergeld 75 Prozent betragen.«

Dieses Ansinnen wurde vom Finanzausschuss des Deutschen Bundestags mit großer Mehrheit abgelehnt (Beschlussempfehlung und Bericht auf Bundestags-Drucksache 19/4883 vom 10.10.2018). Dabei wurde seitens der den AfD-Antrag ablehnenden Fraktionen immer wieder auf den Widerstand seitens der EU-Kommission hingewiesen, die eine „Indexierung“ beim Kindergeld ablehnen würde.

Die erfahrenen Beobachter dieser wie ein Murmeltier immer wiederkehrenden Debatte werden sich erinnern, dass bereits 2016 der damalige sozialdemokratische Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel den Versuch startete, das Kindergeld für EU-Ausländer, deren Kinder noch im Heimatland leben, zu kürzen und Finanzminister Wolfgang Schäuble hatte dazu bereits einen Gesetzentwurf vorgelegt. Der wurde aber wegen möglicher Verstöße gegen das geltende EU-Recht gar nicht erst eingebracht. Denn die EU-Kommission hatte die vorgesehene Kürzung des Kindergeldes abgelehnt und darauf verwiesen, dass das in der Form europarechtswidrig sei. Umgesetzt wurde daraufhin nur die Einschränkung der rückwirkenden Bezugsdauer des Kindergeldes. Seit August 2017 kann das Kindergeld rückwirkend für nur noch sechs Monate bezogen werden und nicht mehr für bis zu vier Jahre, wie dies zuvor möglich war.

Jetzt endlich kommen wir zu Österreich, denn auch dort war und ist das Kürzen des Kindergeldes, das dort Familienbeihilfe heißt, ein Anliegen der Bundesregierung aus ÖVP und FPÖ. Und auch dort wurde man mit den gleichen Schwierigkeiten wie in Deutschland konfrontiert: Familienbeihilfe: Warnungen vor EU-rechtswidriger Kürzung, so ist einer der Artikel dazu überschrieben.

➞  Ein besonderer aus der Finanzierungsarchitektur in Österreich von der Lage in Deutschland abweichender Aspekt sei hier nur angemerkt: Die Kritiker der Kürzungsabsicht verweisen darauf, »dass für ausländische Arbeitnehmer dieselben (Arbeitgeber-)Beiträge in den Familienfonds bezahlt werden wie für österreichische. Daher drohe ein Verstoß gegen das Prinzip „gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort“.« Was auch erklären kann, warum die Arbeitgeber die Kürzungspläne positiv sehen, denn man muss wissen, das »die Familienbeihilfe aus dem Familienfonds finanziert wird. Und dieser werde – anders als die Sozialversicherung – nicht durch Beiträge der Arbeitnehmer gespeist, sondern durch Arbeitgeberbeiträge.« Und nun hoffen die Arbeitgeber auf Beitragssenkungen, wenn man einem Teil der Arbeitnehmer die Leistungen für deren Kinder kürzt.

Und die Österreicher haben anders als die Deutschen aus Worten auch Taten folgen lassen. Die umstrittene Verordnung der ÖVP-FPÖ-Bundesregierung zur Anpassung der Familienbeihilfe für im Ausland lebende Kinder ist am 1. Januar 2019 in Kraft getreten. Damit wurde diese finanzielle Unterstützung an die Lebenserhaltungskosten in jenem Land angepasst, in dem das Kind von in Österreich Beschäftigten lebt. Für Staatsangehörige aus vielen osteuropäischen EU-Staaten, die in Österreich arbeiten und Kinder in ihren Heimatländern haben, bedeutet das eine Kürzung, zum Beispiel für Ungarn und Slowaken.  Etwa 125.000 Kinder bekommen daher nun weniger Unterstützung. Ihre Eltern arbeiten zwar in Österreich, die Kinder leben aber im Herkunftsland der Familien wie etwa in Polen, Ungarn oder Rumänien. Die Regierung in Wien schätzt, dass die Indexierung Einsparungen von rund 100 Millionen Euro bringen wird, so diese Meldung: EU-Kommission geht gegen Österreich vor.

Damit haben sich die Österreicher den Zorn der EU-Kommission eingehandelt. Familienbeihilfe: EU leitet gegen Österreich Vertragsverletzungsverfahren ein, so eine der aktuellen Meldungen. Die zuständige Sozialkommissarin Marianne Thyssen »bezeichnete die Indexierung als „zutiefst unfair“. Es gebe „keine Arbeiter zweiter Klasse, und es gibt keine Kinder zweiter Klasse in der EU“. Die Maßnahme, die Österreich gesetzt habe, verhindere nicht einen „Sozialtourismus“, sondern treffe diejenigen, die zum österreichischen Sozialsystem beitragen. Die EU-Kommission habe immer klargemacht, dass es gleiche Leistungen für gleiche Beiträge am selben Platz geben müsse.« Die amtierende österreichische Regierung zeigt sich offiziell uneinsichtig: Die Familienministern Juliane Bogner-Strauß (ÖVP) sieht das alles anders als die Kommission. Sofern die Kommission sich nicht von den österreichischen Argumenten überzeugen lasse, sei letztlich der Europäische Gerichtshof am Zug, so die Ministerin.

➞  Zum Thema Vertragsverletzungsverfahren seitens der EU nur einige Erläuterungen: Derzeit sind allein gegen Österreich 66 Verfahren anhängig – nur vier weniger als gegen Polen, dessen Konflikte mit Brüssel häufig Stoff für Schlagzeilen liefern. Deutschland, das größte EU-Land, hat 80 anhängige Fälle. Vertragsverletzungsverfahren drohen immer dann, wenn der Verdacht besteht, dass ein Staat EU-Regeln nicht korrekt anwendet. Das kann zum Beispiel der Fall sein, wenn durch die nationale Rechtslage heimische Unternehmen gegenüber konkurrierenden Branchenkollegen aus anderen Mitgliedsländern bevorzugt werden. Die Themenpalette ist aber noch sehr viel breiter: Jagdgesetze, Rechte von Minderheiten, Umweltpolitik, Finanzdienstleistungen oder Nahrungsmittelsicherheit: Wo EU-Regeln gelten, können auch Verstöße sanktioniert werden. Wie läuft ein Vertragsverletzungsverfahren ab? Zunächst wird ein administratives Verfahren eröffnet, das zwischen der Europäischen Kommission und dem jeweiligen Mitgliedstaat läuft. Letzterer wird auf die vermuteten Verstöße aufmerksam gemacht, kann zu den Vorwürfen Stellung nehmen oder beanstandete Mängel beseitigen. Wird keine Lösung gefunden, kommt das Verfahren vor den Europäischen Gerichtshof (EuGH).

Und sollte das der Fall sein, so kann man plausibel davon ausgehen, dass es die Österreicher schwer haben werden, ihren Alleingang bestätigt zu bekommen.

➞  Allerdings gibt es auch abweichende Einschätzungen, beispielsweise von Daniel Thym, Professor für Öffentliches Recht mit Europa- und Völkerrecht an der Universität Konstanz und Kodirektor des dortigen Forschungszentrums Ausländer- und Asylrecht (FZAA), der unter der Überschrift Was ist Gleich­be­hand­lung? die folgende Argumentation entwickelt hat: »In mehreren Urteilen betonte der EuGH, dass die Koordinierungsverordnung nur regelt, welches Land zuständig ist, nicht jedoch die Voraussetzungen für bestimmte Sozialleistungen harmonisiert. Juristisch formuliert geht es also um Kollisionsnormen, die im Sinne von Rechtsgrundverweisungen das Sozialrecht eines Landes für anwendbar erklären, nicht aber die Bedingungen vorschreiben, wann und wie eine Leistung zu gewähren ist. Auf dieser Grundlage erklärte der EuGH wenige Wochen vor dem Brexit-Referendum eine britische Regelung für rechtmäßig, die das Kindergeld an den gewöhnlichen Aufenthalt geknüpft hatte – und wies damit eine Klage der Kommission als unbegründet zurück. Bereits zuvor hatte der Gerichtshof den Sozialleistungsanspruch von Unionsbürgern eingeschränkt, obwohl viele Expertinnen und Experten gemeint hatten, dies verstoße eindeutig gegen die Regeln der Koordinierungsverordnung. Gewiss betreffen all diese Urteile unterschiedliche Sachverhalte und man kann sie nicht eins zu eins auf die Diskussion um das Kindergeld übertragen. Dennoch zeigen sie, dass der EuGH gerade bei den Sozialleistungen zuletzt großzügiger war. Hiernach kann man argumentieren, dass auch Art. 67 „nur“ ein Gleichbehandlungsgebot aufgibt. Wenn dem so wäre, könnte ein nationaler Alleingang erfolgreich sein.« Das aber bedeutet nicht, dass Thum nun für einen „österreichischen Weg“ plädieren würde: »Unabhängig vom Recht sollte der öffentliche Diskurs aber aufpassen, dass er die Kindergeldfrage nicht zu einseitig diskutiert … Die meisten Unionsbürger sind sozialversicherungspflichtig beschäftigt, zahlen Steuern und erfüllen, etwa in der Pflege, nützliche Aufgaben.«

Und auch an die ungeplanten Nebenfolgen restriktiven Handelns sollte man denken. Dazu ein Beispiel von Daniel Thym aus seinem Beitrag: »Als die sozialliberale Koalition im Herbst 1973 den sogenannten Anwerbestopp erklärte, blieben viele Gastarbeiter – anders als ursprünglich geplant – im Land, der Spiegel titelte aufgeregt: „Gettos in Deutschland“. Und so ersann die Bundesregierung indirekte Anreize, um die Zuwanderung weniger attraktiv zu machen. Anfang 1975 trat eine neue Kindergeldregelung in Kraft, wonach man für das erste Kind genau 50 DM erhielt, aber nur 10 DM, wenn das Kind im Ausland lebte. Doch die Maßnahme ging nach hinten los, denn für viele der Gastarbeiter war das geringere Kindergeld nur ein Grund, die Familie nachzuholen.
Die Wirkung könnte dieselbe sein, wenn man heute das Kindergeld an die Lebenshaltungskosten des Wohnsitzes koppelte, wie es die Bundesregierung derzeit auf europäischer Ebene plant. Wenn für Kinder in Bulgarien weniger gezahlt würde, könnte man diese nach Deutschland holen. Rechtlich wäre das problemlos möglich, denn für EU-Arbeitnehmer besteht ein privilegierter Familiennachzug. Nicht nur Medikamente haben manchmal unbeabsichtigte Nebenwirkungen, auch Politik hat sie.«

Das sollte man auch vor dem Hintergrund sehen, was Praktiker im Kontext der (angeblichen) Missbrauchsdebatte ausgeführt haben. So kann man einem im Dezember 2018 veröffentlichten Interview mit Manfred Pollnow, dem Leiter der Familienkasse in Berlin-Brandenburg, folgende Hinweise entnehmen: »Bei Kindergeldberechtigten aus EU-Staaten, die bei uns arbeiten, deren Kinder jedoch im Heimatland sind, ist mir kein Missbrauch bekannt. Missbrauch passiert bei ganzen Familien, die nach Deutschland einreisen und nicht nur Kindergeld, sondern auch andere Sozialleistungen beantragen. Sie erschleichen sich die Sozialleistungen mit gefälschten Unterlagen.« Genau das ist ja auch das Problem in einigen Ruhrgebietsstädten, die sich im Sommer 2018 zu Wort gemeldet haben. Aber eben nicht bzw. nur marginal die Kindergeldzahlungen, die ins EU-Ausland fließen.

Das bestätigt auch Karsten Bunk. Er ist der Chef der bei der Bundesagentur für Arbeit angesiedelten Bundesfamilienkasse und koordiniert die 14 regionalen Familienkassen mit 3.900 Beschäftigten, die die Kindergeldzahlungen organisieren. Er beschreibt zum einen die derzeitig dominierende Missbrauchsvariante: »Die klassischen Fälle sind meist ganze Familien, die nach Deutschland kommen und sich in Verhältnissen etablieren, wo man nicht den Eindruck hat, dass sie sich hier dauerhaft niederlassen wollen. Sie wohnen oft in Schrottimmobilien und beantragen Kindergeld für ihre Kinder – ohne sich erkennbar um eine Beschäftigung zu bemühen. Es wird dabei für vergleichsweise viele Kinder Kindergeld beantragt. Kindergeldberechtigte aus Südosteuropa haben durchschnittlich ein bis zwei Kinder. In den Verdachtsfällen werden häufig gleich drei, vier oder fünf Kinder identifiziert. Die eingereichten Bescheinigungen und Geburtsurkunden sind lückenhaft oder sehen oft immer wieder gleich aus, mit den gleichen fragwürdigen Stempeln und Unterschriften, die uns schon in vorher festgestellten Missbrauchsfällen aufgefallen sind. Wenn man dann bei staatlichen Stellen zum Beispiel in Rumänien oder Bulgarien nachfragt, ob es überhaupt diese Schule oder diese Beurkundungsform gibt, stellt man oft fest: Nein, gibt es nicht. Es gibt häufig auch einen bestimmten Akteur, der für mehrere Familien als Dolmetscher und Betreuer auftritt. Bei solchen Personen besteht der Verdacht, dass sie den Leistungsmissbrauch für ganze Gruppen steuern beziehungsweise mit organisieren.« Dagegen muss man mit unseren Mitteln der Kontrolle und der Missbrauchsbekämpfung konsequent vorgehen. Keine Frage.

Zu den Forderungen nach einer Indexierung hat der Mann eine klare Meinung: »Die Debatte um die Indexierung ist nicht geeignet, um Missbrauch zu bekämpfen. Dabei geht es vor allem um die Frage, ob es gerecht ist, überall in Europa deutsches Kindergeld zu zahlen, wo zum Beispiel in Rumänien die Lebenshaltungskosten erkennbar niedriger sind. Diese Debatte kann nur europäisch gelöst werden.«

Und mit Blick auf die jetzt wieder einmal im Mittelpunkt der öffentlichen Erregung stehenden Überweisungen von Kindergeld ins EU-Ausland ergänzt Karsten Bunk: »Die Fälle, bei denen Kindergeld ins Ausland überwiesen wird, sind in der Regel diejenigen, wo Menschen – ohne ihre Familien – nur zum Arbeiten nach Deutschland kommen. Diese üben ganz normale, in der Regel sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse aus und kehren nach einer Zeit wieder zurück. Ihre Kinder bleiben aber unterdessen in der Heimat. In solchen Fällen findet Missbrauch so gut wie nicht statt.