Frauenhäuser. Ein weiteres Beispiel aus dem Mangel-Land Deutschland

Überall diese Klagen über fehlende Mittel, fehlendes Personal und Hinhaltetaktiken der Nicht-Entscheidungsträger. Das betrifft nicht nur die großen Baustellen des Landes wie Pflege, Kindertageseinrichtungen, Wohnungsnot.
Apropos Wohnungsnot – da wären wir schon bei dem hier im Mittelpunkt stehenden Thema Frauenhäuser. Nur die wenigstens kennen ein Frauenhaus oder wissen, wo da, wo sie leben, eines ist. Aber davon gehört haben schon viele. Unter einem Frauenhaus versteht man eine soziale Einrichtung, die Frauen und ihren Kindern im Falle von häuslicher Gewalt Hilfe, Beratung und vorübergehend eine geschützte Unterkunft anbietet, so beispielsweise das Fachlexikon der sozialen Arbeit. Es geht hier also nicht um irgendwelche Befindlichkeitsstörungen, sondern um teilweise schwer traumatisierte Frauen (und ihre Kinder), die einen Zufluchtsort brauchen.

Im Jahr 1976 eröffneten in Köln und Berlin die ersten Frauenhäuser, in denen Opfer häuslicher Gewalt Schutz und Beratung finden konnten. Genauso lange kämpfen diese Einrichtungen auch um ihr finanzielles Überleben. Derzeit gibt es bundesweit mehr als 350 Frauenhäuser – entweder autonom verwaltet oder in Trägerschaft eines Wohlfahrtsverbandes. Und nicht erst in diesen Tagen wird davon berichtet, dass diese Schutzeinrichtungen erhebliche Probleme haben. Und das hängt – nicht nur, aber auch – mit der Finanzierung zusammen. 

So wurde man im vergangenen Jahr mit solchen Meldungen konfrontiert: »Von Gewalt betroffene Frauen und deren Kinder im Ruhrgebiet haben es immer schwerer, einen Platz im Frauenhaus zu finden. Der Bedarf ist weitaus größer als das Platzangebot. Allein im Essener Frauenhaus gibt es gerade einmal 24 Plätze. Im September mussten 30 Frauen abgewiesen werden«, so diese Meldung: Frauenhäuser im Ruhrgebiet sind überfüllt. Und Ende November 2017 dann: Frauenhäuser in NRW klagen über Platzmangel. »Schon seit zwei Jahren sei die Nachfrage nach Plätzen deutlich höher als die Kapazitäten der Einrichtungen. Insgesamt gibt es in NRW 62 landesgeförderte Frauenhäuser. 2015 habe man über 6.600 Anfragen ablehnen müssen. Seitdem habe sich die Situation weiter zugespitzt. Besonders dramatisch sei die Situation im Frauenhaus Duisburg. In diesem Jahr musste Leiterin Karin Bartl schon über 300 Frauen absagen. „Alle, die sich bei uns melden, befinden sich in einer akuten Notsituation“, betonte die Sozialarbeiterin, „aber wir können sie nicht aufnehmen. Das gibt es in keinem deutschen Krankenhaus.“«

Wie kann es zu so einer Entwicklung kommen? »Als einen Grund für die stark gestiegene Nachfrage an Plätzen nennt die Duisburger Frauenhaus-Leiterin den schwierigen Wohnungsmarkt in deutschen Großstädten. Die Frauen bleiben länger in den Schutzeinrichtungen, weil sie kaum noch günstigen Wohnraum finden. Außerdem suchen mehr Migrantinnen und geflüchtete Frauen Schutz in Frauenhäusern. Ihnen fehlen oft die sozialen Netzwerke vor Ort, auf die deutsche Frauen zurückgreifen können.«

Das hier angesprochene Problem wird nun auch in einem neuen Beitrag des Politikmagazins „Westpol“ des WDR-Fernsehens thematisiert: Streit um Finanzierung von Frauenhäusern in NRW. »Jedes Jahr gibt es Tausende Fälle von häuslicher Gewalt in NRW. Meistens sind Frauen die Opfer. Ihr letzter Ausweg ist manchmal nur noch der Gang ins Frauenhaus. Doch ob sie dort Hilfe bekommen, ist nicht sicher. Weil es nicht genug Plätze gibt, werden Frauen immer wieder abgewiesen – im vergangenen Jahr in über 7.300 Fällen.«

In diesem Jahr zahlt das Land Nordrhein-Westfalen 500.000 Euro extra für die 62 Frauenhäuser. Bis 2020 sollen 50 neue Plätze entstehen. Also nicht mal ein Platz mehr Frauenhaus. Aber damit nicht genug:

»Und dann soll das Geld auch noch an Bedingungen geknüpft werden. Das geht aus dem Entwurf einer Absichtserklärung hervor … Nur wenn sich Frauenhäuser verpflichten, die Langzeitaufenthalte um 20 Prozent zu reduzieren, sollen sie die Förderung bekommen.«

Was sagen betroffene Frauen zu diesem Ansinnen? Dazu aus dem Beitrag: „Für mich es sehr wichtig, dass ich so lange bleiben kann, bis ich stark genug bin“, sagt eine. Eine andere Betroffene meint: „Wäre ich unter Druck, wäre ich wahrscheinlich zu meinem Mann zurückgegangen. Deswegen bin ich froh, dass ich hier die Zeit habe zu überlegen, was ist gut für mich und vor allem für meine Kinder.“

Und was sagt die Landesregierung? Die zuständige Ministerin Ina Scharrenbach (CDU) kann die Kritik nicht nachvollziehen. „Sie haben im Grunde nach in jeder sozialen Dienstleistung, die angeboten wird, diese Argumentation. In jeder! Denn Geld kann es nie genug geben.“ Das nun ist eine bezogen auf den konkreten Tatbestand (aber auch in vielen anderen Bereichen) „unterkomplexe“ Argumentation.

Nun wird der eine oder andere einwerfen, dass das alles irgendwie sehr bekannt klingt. So ist das auch, die Probleme haben sich weiter vergrößert, aber bereits vor einigen Jahren gab es mal eine Welle von Berichten zum Thema Frauenhäuser. So beispielsweise der Artikel Letzte Zuflucht – versperrt von Lisa Erdmann. Der wurde am 6. November 2012 veröffentlicht. Sie berichtet:

»Tausende Frauen geraten jedes Jahr in Deutschland in Not, werden von ihren Männern geschlagen, von ihren Familien eingesperrt oder zwangsverheiratet. Einer Studie im Auftrag des Familienministeriums zufolge war ein Viertel aller Frauen bereits Opfer von Gewalt in der Partnerschaft … Im vergangenen Jahr waren es 15.000, die in Frauenhäusern Zuflucht gesucht haben, begleitet von 17.000 Kindern. Das geht aus dem Bericht zur Situation der Frauenhäuser der Bundesregierung hervor, der im Sommer verabschiedet wurde. Es war der erste, vier Jahrzehnte nach dem Start der Frauenhäuser, eine Art Bestandsaufnahme. Demnach gibt es rund 350 Frauenhäuser in Deutschland und 40 Schutzwohnungen. Doch der Bericht belegt auch, dass 2011 rund 9000-mal Frauen abgewiesen werden mussten – weil Einrichtungen voll belegt waren.«

Und dann berichtete Erdmann von den bürokratischen Untiefen: Maria Schnackenburg aus Bremen arbeitet seit über 30 Jahren im Frauenhaus. In dieser Zeit habe die Bürokratisierung der Abläufe drastisch zugenommen. Früher habe es einen festen Etat gegeben, der dem Haus zur Verfügung stand. Seit zehn Jahren allerdings wird dort pro Frau ein Tagessatz abgerechnet. Dieser beträgt zur Zeit 40,10 Euro. „Je nach Situation der Frau läuft das über das Jobcenter oder über das Sozialamt, dafür brauchen die Frauen Unterlagen, die sie aber meist gar nicht dabei haben.“

Nun muss man wissen: Die Zahlungen für Frauenhäuser sind freiwillige Leistungen der Kommunen und Länder. Man kann ahnen, was passiert, wenn es hier zu Haushaltsproblemen kommt – die freiwilligen Leistungen stehen zuerst auf der Liste der Ausgaben, die man reduzieren kann.

Der Artikel bezieht sich auf eine im Jahr 2012 vom Bundesfamilienministerium veröffentlichte sozial- und rechtswissenschaftliche Bestandsaufnahme zum Thema Frauenhäuser: Bericht der Bundesregierung zur Situation der Frauenhäuser, Fachberatungsstellen und anderer Unterstützungsangebote für gewaltbetroffene Frauen und deren Kinder. In ihrer Zusammenfassung der Studie beschreibt die Bundesregierung selbst das Finanzierungs-Wirrwarr der Frauenhäuser:

»In den meisten Bundesländern besteht für Frauenhäuser und Frauenschutzwohnungen eine Mischfinanzierung aus Tagessätzen und Zuwendungen aus Haushaltsmitteln des Landes und/oder der Kommune. Bei einer Tagessatzfinanzierung werden diese für die meisten Nutzerinnen auf der Basis individueller Leistungsansprüche nach SGB II, SGB XII oder AsylbLG von den jeweils zuständigen Verwaltungsebenen übernommen. Bestehen solche Ansprüche nicht, tragen die Nutzerinnen als Selbstzahlerinnen ganz oder teilweise ihre Kosten selbst. In manchen Bundesländern werden Frauenhäuser nahezu vollständig aus Zuwendungen der Länder oder Kommunen finanziert. Eine weitere Einnahmequelle sind in allen Bundesländern Spenden oder Eigenmittel der Einrichtungsträger. Die Ausgestaltung der Finanzierung im Einzelnen ist sehr heterogen.
Die Finanzierung durch verschiedene Kostenträger ist häufig mit divergierenden Förderzielen und Fördergestaltungen verbunden. Dies führt teilweise zu Inkonsistenzen bei der Zuwendungsgebung und macht die Beantragung und Rechnungslegung für die Zufluchtseinrichtungen unnötig komplex, besonders aufwendig und ressourcenintensiv.« (S. 18)

Während in der Stellungnahme und damit den politischen Schlussfolgerungen bei der Finanzierungsfrage im Wesentlichen auf Optimierungsversuche bei der Kostenerstattung zwischen den verschiedenen föderalen Ebenen und vor allem Kostenträgern abgestellt wurde, gab und gibt es ein weiterreichende Forderung: Die Bundestagsfraktion der Linken legte bereits im Dezember 2009 einen Antrag vor, der die „bundeseinheitliche Finanzierung von Frauenhäusern sicherstellen“ wollte. Doch es sollten fast drei Jahre vergehen, bis dieser Antrag dem Bundestag überhaupt zur Abstimmung vorgelegt wurde, kann man diesem Artikel aus dem Jahr 2012 von Fabian Lambek entnehmen: Frauenhäuser in Not. „Bundeseinheitliche Finanzierung von Frauenhäusern sicherstellen“, so war der Antrag der Linken überschrieben (Drucksache 17/243 vom 15.12.2009). Parallel dazu meldeten sich die Grünen im Bundestag mit einem eigenen Antrag zu Wort: „Grundrechte schützen – Frauenhäuser sichern“ (Drucksache 17/259 vom 16.12.2009). Selbst die SPD zog einige Zeit später mit einem eigenen Antrag nach: „Frauenhäuser ausreichend zur Verfügung stellen und deren Finanzierung sichern“ (Drucksache 17/1409 vom 20.04.2010). Die Anträge wurden „natürlich“ damals von der Regierungsmehrheit abgelehnt, Union und FDP verwiesen auf „verfassungsrechtliche Schwierigkeiten“. Frauenhäuser seien Sache der Kommunen. Was natürlich nicht in Stein gemeißelt ist, aber eine Änderung muss man erst einmal wollen. Wollte man aber nicht. Dabei gab es auch außerhalb der damaligen Oppositionsparteien fundierte Überlegungen über eine Neuregelung der Finanzierung, beispielsweise in diesem Diskussionspapier des Deutschen Vereins zur Finanzierung von Frauenhäusern vom 23. Juni 2010.

Und so wurde seitdem immer wieder mal über die Probleme der Frauenhäuser berichtet, auch in den Politikmagazinen des Fernsehens, so beispielsweise am 10.12.2013 in dem Beitrag Gewaltopfer ohne Schutz: Frauenhäuser weisen immer mehr geschlagene Frauen ab von „Report Mainz“ (ARD). Das lässt sich – wie wir an dem neuen Beitrag des Politikmagazins „Westpol“ gesehen haben – bis in die heutige Zeit nahtlos fortschreiben.

Gibt es Hoffnung, dass sich in dieser Frage etwas bewegt? Schauen wir uns die ganz aktuelle Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage unter der Überschrift „Umstände der Abweisung von Frauen an Frauenhäusern“ (Drucksache 19/1624 vom 12.04.2018) an. Dort erfahren wir (S. 3):

»Um von Gewalt betroffenen Frauen und Kindern den gesicherten Zugang zu Schutz und Beratung in Frauenhäusern zu ermöglichen, plant die Bundesregierung in Umsetzung des Koalitionsvertrages zwischen CDU, CSU und SPD die Einberufung eines Runden Tisches von Bund, Ländern und Kommunen. Ziel der Beratungen ist der bedarfsgerechte Ausbau und die adäquate finanzielle Absicherung der Arbeit von Frauenhäusern und entsprechenden ambulanten Hilfs- und Betreuungsmaßnahmen.
Der Frage, wie eine bedarfsgerechte Weiterentwicklung des Hilfesystems zum Schutz vor Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt aussehen muss, geht auch das derzeit vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend geförderte Modellprojekt Bedarfsanalyse und -planung zur Weiterentwicklung des Hilfesystems zum Schutz vor Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt nach. In dem Modellprojekt geht es darum, gemeinsam mit den Ländern Instrumente zu entwickeln und in der Praxis zu erproben, mit denen die Länder ihr Hilfesystem künftig besser den Bedarfen der von Gewalt betroffenen Frauen anpassen können. In die Beratungen des Runden Tisches sollen die Ergebnisse aus dem Modellprojekt mit einfließen.«

Soll oder muss man das übersetzen? In dieser Legislaturperiode wird sich (wieder) nichts tun, denn das dauert so seine Zeit mit Modellprojekten und Runden Tischen. Dann kann man einer Verbesserung der Situation der Frauenhäuser und damit der betroffenen Frauen in die nächsten Wahlprogramme aufnehmen. Erneut werden wir Zeugen des leider sehr bekannten Mechanismus des „am ausgestreckten Arm verhungern“ lassen.

Das müsste nicht so sein. Andere Vorschläge liegen auf dem Tisch. Beispielsweise der Ansatz, eine Bundesstiftung zur dauerhaft verlässlichen (Grund)Finanzierung der Frauenhäuser einzurichten. Dafür plädiert die grüne Bundestagsabgeordnete Ekin Deligöz in einem Gastbeitrag für die FAZ vom 2. März 2018: Lasst die Opfer nicht allein! »Das Vorbild wäre die seit 1984 existierende Bundesstiftung Mutter und Kind, die jährliche Zuwendungen in Höhe von 92 Millionen Euro vom Bund erhält. Diese Mittel könnten dem Stiftungszweck entsprechend in den Betrieb der Beratungsstellen, der Frauenhäuser und der passgenauen Hilfen für betroffene Frauen zur Verfügung gestellt werden. So entstünde endlich ein solides Fundament für dieses spezifische Nothilfeangebot für Frauen. Länder und Kommunen können und sollen sich weiterhin an der Finanzierung beteiligen. Aber es hängt zukünftig nicht mehr vom jeweiligen Bundesland ab, ob eine Frau, die dringend Hilfe benötigt, diese auch bekommt.«

Und auch die Frage, wie viele Plätze müsste man denn eigentlich zur Verfügung stellen und damit auch finanzieren, kann man seriös beantworten, ohne mit irgendwelchen Wünsch-Dir-was-Zahlen zu hantieren. Und zwar auf der Grundlage einer internationalen Konvention, die auch die Bundesregierung unterschrieben hat und die seit kurzem auch rechtsverbindlich in Kraft getreten ist:

»Mit dem Beitritt zur Istanbul-Konvention (Übereinkommen des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt), die am 2. Februar 2018 in Kraft tritt, hat sich Deutschland dazu verpflichtet, Frauen vor Gewalt besser zu schützen. Dies beinhaltet, „Maßnahmen, um die Einrichtung von geeigneten, leicht zugänglichen Schutzunterkünften in ausreichender Zahl zu ermöglichen“ (Istanbul-Konvention, Artikel 23, Bundestagsdrucksache 18/12037).
Als angemessen erachtet der Europarat dabei einen Frauenhausplatz (Bett) pro 7.500 Einwohner/-innen (Gesamtbevölkerung) … oder einen Familienzimmer pro 10.000 Einwohner/-innen. Laut Bundesregierung halten die rund 350 Frauenhäuser und mindestens 40 Zufluchtswohnungen insgesamt mehr als 6.800 Plätze (Betten) zur Verfügung … Mit der sich daraus ergebenden Platzquote von rund 1:12.000 verfehlt Deutschland die Empfehlung des Europarates deutlich.«