Österreich auf der Hartz IV-Rutsche: Aus der befürchteten wird eine reale schiefe Ebene und die Beruhigungspillen werden wieder eingesammelt

Die neue österreichische Bundesregierung beginnt mit der Demontage des Sicherungssystems bei Arbeitslosigkeit. Im letzten Beitrag des Jahres 2017 in diesem Blog wurde das bereits beschrieben: Go Austria, Hartz. Was für eine Bescherung: Kurz IV (31.12.2017). »ÖVP und FPÖ planen bei Arbeitslosen einen Paradigmenwechsel. Es sieht danach aus, dass ein System wie Hartz IV in Deutschland eingeführt wird«, so Christian Höller in seinem Artikel ÖVP und FPÖ: Jetzt kommt Hartz IV. Wir haben eine mit der deutschen Situation vor den „Hartz-Reformen“ durchaus vergleichbare Situation: Derzeit erhalten Menschen in Österreich, die arbeitslos werden und bestimmte Voraussetzungen erfüllen, für mindestens 20 Wochen Arbeitslosengeld. Der Grundbetrag macht 55 Prozent des früheren Nettoeinkommens aus, eventuell erhöht durch Familienzuschlag und Ergänzungsbeitrag. Wer nach Auslaufen des Arbeitslosengeldes noch keinen Job hat, kann die Notstandshilfe beantragen. Diese beträgt maximal 95 Prozent des vorher bezogenen Grundbetrags des Arbeitslosengeldes. Die Notstandshilfe wird grundsätzlich ein Jahr lang gewährt, kann aber immer wieder verlängert werden. Langzeitarbeislose können die Notstandshilfe sehr lang beziehen. Genau das soll künftig nicht mehr möglich sein.
Die „Notstandshilfe“ soll nun gestrichen werden – und die Betroffenen wären dann auf die bedarfsorientierte Mindestsicherung (BMS) verwiesen, die aber deutlich restriktiver ausgestaltet ist.

Nun könnte man in den vergangenen Tagen zeitweise den Eindruck bekommen, dass hier Panikmache betrieben wird. Eine befürchtete Einführung eines Hartz IV-Regimes wurde immerhin von der neuen österreichischen Sozialministerin, Beate Hartinger-Klein von der FPÖ, zurückgewiesen: Hartinger-Klein: „Hartz IV wird es mit mir nicht geben“: Im Regierungsprogramm ist vorgesehen, dass die Notstandshilfe, die derzeit unbefristet bezogen werden kann, in das befristete Arbeitslosengeld integriert werden soll. Hartinger stellte dazu klar, dass man nach ihren Vorstellungen das Arbeitslosengeld künftig unbefristet beziehen können soll. „Menschen, die unverschuldet auch sehr lange keinen Job finden, werden dauerhaft Anspruch auf Arbeitslosengeld haben.“

Im Regierungsprogramm ist auch eine „degressive Gestaltung der Leistungshöhe“ des Arbeitslosengeldes enthalten. Hartinger-Kleins Plan ist es, dass es künftig zu Beginn der Arbeitslosigkeit mehr als die derzeit 55 Prozent des letzten Netto-Bezuges geben soll. Im Laufe der Zeit sollte dieser Betrag dann sinken. Auf eine konkrete Zahl wollte sie sich noch nicht festlegen, ebenso wenig auf eine Untergrenze. Dazu sollen „finanzmathematische Modelle“ entwickelt werden.

Also alles gut und wieder Ruhe im Land? Nun ist das die Meinung der neuen Ministerin, das Regierungsprogramm liest sich anders und sie müsste sich erst einmal durchsetzen mit ihren Vorstellungen.

Und es dauerte auch nicht lange, bis die neu-ministerielle Beruhigungspille wieder eingesammelt wurde: Sozialministerin Hartinger rudert beim Arbeitslosengeld zurück, so ist eine der Meldungen dazu überschrieben. Sozialministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) hat nach der Zurechtweisung durch Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) ihre Ansage, wonach Langzeitarbeitslose entgegen dem Regierungsprogramm nicht in die Mindestsicherung fallen würden, wieder zurückgenommen. „Der Bundeskanzler hat natürlich recht“, so wird sie zitiert.

Der neue Bundeskanzler Kurz hatte bei der Regierungsklausur in der Steiermark die eigene Ministerin wieder eingefangen:

„Wir wollen ein Arbeitslosengeld neu schaffen, das sicherstellt, dass Personen, die lange gearbeitet haben, mehr bekommen und auch einen längeren Anspruch haben, und dass Personen, die kürzer gearbeitet haben, weniger Anspruch haben und auch weniger lang diese Leistung in Anspruch nehmen können. Und die Mindestsicherung steht all jenen offen, die keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld haben oder deren Anspruch auf Arbeitslosengeld ausgelaufen ist.“

Wie die Regelung im Detail aussehe, sei eine „absolut berechtigte Frage“, wird Kurz zitiert. Die Regierung habe sich 2.000 Maßnahmen für die gesamte Legislaturperiode vorgenommen. Die könne und wolle man nicht alle in den ersten zweieinhalb Wochen umsetzen.

Also bleibt immer noch die konkrete Ausgestaltung des an sich vereinbarten Systemwechsels. Man kann nur hoffen, dass im Zuge des anstehenden Gesetzgebungsverfahrens auch die vielen Stimmen Gehör finden, die den Österreichern aus Deutschland berichten können, was ein Hartz IV-System für viele Betroffenen bedeuten würde.

Entlastungen für einen Teil der Beitragszahler soll es in der Arbeitslosenversicherung geben. Konkret geht es um die bereits vor Weihnachten angekündigte Senkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrags. Einkommen bis zu 1948 Euro brutto sollen von der Maßnahme profitieren, kann man diesem Artikel entnehmen, der über die Regierungsklausur berichtet: „Schritt zu Gerechtigkeit“: Regierung kürzt Familienbeihilfe für Kinder im Ausland: »Bis 1.648 Euro (brutto) ist künftig kein Arbeitslosenversicherungsbeitrag zu bezahlen, von 1.648 bis 1.798 Euro ein Prozent, von 1.798 bis 1.948 zwei Prozent, darüber drei Prozent. Derzeit entfällt der Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung für Arbeitnehmer nur bis zu einem Monatseinkommen von 1381 Euro, zwischen 1.381 und 1.506 fällt ein Prozent an, zwischen 1.506 und 1.696 Euro zwei Prozent, darüber drei Prozent. Die Neuregelung soll ab 1. Juli 2018 in Kraft treten. Für Arbeitgeber bleibt der Beitragssatz wie bisher unverändert bei drei Prozent. Die Entlastung beziehungsweise der Einnahmenausfall beträgt in Summe rund 140 Millionen Euro für ein volles Kalenderjahr.« Falls jetzt jemand fragt, wie die Einnahmeausfälle gegenfinanziert werden sollen, dann hier die erwartbare, leider nicht überraschende Antwort: durch Kürzungen bei den Mitteln für Arbeitsmarktpolitik.

Foto: © Stefan Sell