Die Lufthansa steht vor historischem Streik, so hat die FAZ einen ihrer Artikel überschrieben, der sich mit der bevorstehenden dreitägigen Arbeitsniederlegung der Piloten der Lufthansa beschäftigt. Und schaut man nur auf die nackten Zahlen, dann kann man dieser Kategorisierung nicht widersprechen: 5.400 Piloten des Konzerns, zu dem auch Germanwings gehört, werden ab Mittwoch drei Tage lang den Betrieb des Unternehmens so gut wie komplett lahmlegen – fast 4.000 Flüge werden abgesagt und 425.000 Passagiere von dem Arbeitskampf betroffen sein. Nach Schätzungen belaufen sich die Kosten auf der Ergebnisseite des Unternehmens auf 25 Mio. Euro pro Streiktag, so dass bei Realisierung der angekündigten Arbeitsniederlegung erhebliche Schneisen in der Bilanz geschlagen werden – und auch nach dem Ende des Streiks wird es noch Tage dauern, bis sich der Flugverkehr wieder normalisiert, allein aus logistischen Gründen.
Wenige Tage vor dem nun anlaufenden großen Arbeitskampf – und das schafft einen notwendigerweise zu diskutierenden Kontrast – konnte man auf der anderen Seite solche Sätze lesen: »In der deutschen Luftfahrtbranche droht ein erheblicher Jobabbau. Im internationalen Vergleich sind die deutschen Fluggesellschaften und die deutschen Flughäfen bei der Wettbewerbsfähigkeit in den vergangenen Jahren stark zurückgefallen. Das ist das Ergebnis einer Studie unter Leitung des ehemaligen Wirtschaftsweisen Bert Rürup, die gemeinsam von den Gewerkschaften Ver.di, Vereinigung Cockpit, der Flugbegleiterorganistion UFO und dem Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL) in Auftrag gegeben worden ist.«
„Determinanten der Wettbewerbsfähigkeit im internationalen Luftverkehr“, so ist die Auftragsstudie des „Handelsblatt Research Institute“ unter Leitung des umtriebigen Bert Rürup überschrieben. Sie stellt die Aspekte heraus, die seitens der Akteure der deutschen Luftverkehrswirtschaft als besonders belastend wahrgenommen werden, allen voran die Luftverkehrssteuer. »Von dem jährlichen Gesamtaufkommen dieser Steuer in Höhe von einer Milliarde Euro entfällt gut die Hälfte auf die deutschen Fluggesellschaften. Infolge einer offensichtlich zumindest teilweisen Überwälzung dieser Verbrauchsabgabe auf die Ticketpreise ging das Passagieraufkommen der deutschen Airlines im Jahr 2011 um mehr als drei Millionen Passagiere zurück, womit beachtliche Erlösverluste verbunden waren«, kann man der Mitteilung von Rürup & Co. entnehmen. Als negativ herausgestellt werden auch Beschränkung der Betriebszeiten an den wichtigsten deutschen Flughäfen sowie hohe Arbeitskosten und Sozialstandards. Da sind wir wieder beim Thema Arbeitskampf der Piloten.
Bevor wir uns genauer anschauen, was hier gefordert wird, sollte man sich zwei Hintergrundinformationen verdeutlichen: Zum einen sprechen wir mit Blick auf die Lufthansa-Piloten gleichsam von der Spitze der „Piloten-Pyramide“, wenn man das festmacht an der Positionierung im Einkommensgefüge über alle Piloten hinweg. Zum anderen wird der Streik organisiert von einer so genannten „Spartengewerkschaft“, der Vereinigung Cockpit (VC), in der so gut wie alle Piloten organisiert sind.
»Die 1969 gegründete Vereinigung Cockpit (VC) hat 9.300 Mitglieder und ist erst seit dem Jahr 2000 auch als Gewerkschaft aktiv. Sie wird von nahezu allen deutschen Fluggesellschaften als Tarifpartner anerkannt. Vor dem ersten Abschluss bei der Lufthansa im Jahr 2001 wurden die Pilotengehälter von der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft (DAG) ausgehandelt, die in der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi aufging.« (Quelle: Pilotenvereinigung Cockpit – Piloten, die bestbezahlten Angestellten)
Vor diesem Hintergrund ist das aktuelle Thema zugleich auch eingebettet in eine grundsätzliche und überaus strittige Debatte über die (angeblich) schlechten Auswirkungen der Separierung bestimmter Berufsgruppen (zu denen nicht nur die Piloten gehören, sondern beispielsweise auch die Lokführer oder die Krankenhausärzte) in eigenen kleinen, aber aufgrund des Flaschenhalscharakters dieser Berufsgruppen zugleich sehr schlagkräftigen Spartengewerkschaften, die – so der immer wieder vorgetragene Vorwurf – zu einer Zersplitterung der Tariflandschaft führen würden.
So kann es nicht wirklich überraschen, dass die derzeitige Aufregung um den Mega-Streik der Lufthansa-Piloten sogleich genutzt wird, (wieder einmal) Einschränkungen des Streikrechts zu fordern (vgl. dazu beispielsweise Unionsfraktionsvize fordert Änderung des Streikrechts: »Auch in Tarifkonflikten müssten die Verhältnismäßigkeit und die Chancengleichheit gewahrt werden, sagte Vaatz. „Die Schäden, die ein Arbeitskampf auslöst, müssen im Verhältnis zum Anlass stehen.“ Es könne nicht sein, dass eine Gewerkschaft, deren Mitglieder an wichtigen Schaltstellen säßen, ihre Position nutze, um bei der Tarifentwicklung schneller voranzukommen als andere.«
Was genau ist denn nun der Auslöser für den Tatbestand, dass 99,1 % der 5.400 Lufthansa-Piloten für einen solchen Arbeitskampf gestimmt haben? Es geht im Kern um zwei Punkte:
➔ Zum einen geht es um die Forderung der VC nach 10 % mehr Lohn für die Piloten.
➔ Zum anderen steht die „Übergangsversorgung“ zur Debatte, denn das bisherige System ist von der Lufthansa zum Jahresende gekündigt worden. Die Piloten wollen das bestehende System behalten und sind höchstens für bestimmte Deckelungen der damit verbundenen Gesamtkosten zugänglich.
Gerade der letzte Punkt ist für die Piloten bei der Lufthansa von entscheidender Bedeutung – wie auch für das Unternehmen. Dabei geht es um folgenden Sachverhalt:
»Diese Regelung erlaubt es, dass die Lufthansa-Piloten zwischen 55 Jahren und 60 Jahren mit dem Fliegen aufhören dürfen. Bis zum Erhalt der gesetzlichen Rente zahlt ihr Arbeitgeber bislang eine Versorgung, die bis zu 60 Prozent des letzten Bruttogehaltes entspricht«, so Ulrich Friese in seinem Artikel Lufthansa steht vor historischem Streik. Christian Ebner zitiert in seinem Artikel die Lufthansa-Personalchefin Bettina Volkens, nach der die Piloten nur zehn Prozent der 84.000 aktiven und ehemaligen Lufthanseaten im Inland stellen, auf sie entfallen aber aber 40 Prozent der Vorsorgeaufwendungen.
Darüber hinaus muss man berücksichtigen, dass die Lufthansa mit Zusagen aus der Vergangenheit zu kämpfen hat, »denn alle Beschäftigten kommen derzeit in den Genuss von Betriebsrenten, deren Verzinsung das Unternehmen bis zum Jahresende 2013 garantierte. Auch hier ist eine Umstellung geplant, ohne dass bislang das Einverständnis auch nur einer der zahlreichen Gewerkschaften im Unternehmen vorläge. Die gegenwärtigen Pensionsverpflichtungen betragen nach aktuellen Berechnungen allein im Inland 11,2 Milliarden Euro, insgesamt sogar 15,1 Milliarden Euro. Im scharfen internationalen Wettbewerb gilt dies das enormer Ballast«, so Christian Ebner.
Nicht nur die Lohnforderung, sondern auch die generöse Übergangsversorgung mit bis zu 60% des letzten Bruttogehalts bei Eintritt in eine (selbstgewählte) Frührente ab 55 Jahren muss vor dem Hintergrund der Einkommenshöhen gesehen werden, die derzeit im Lufthansa-Konzern gezahlt werden: Je nach Anzahl der Berufsjahre rangiert das Jahresgehalt dieser Berufsgruppe zwischen 78.000 und 260.000 Euro. Die durchschnittliche Zahl der Flugstunden liegt bei 88 Stunden pro Monat.
In vielen aktuellen Berichten über den anstehenden Arbeitskampf der Lufthansa-Piloten wird gerade auf die hohen Gehälter am Ende der Verdienstskala hingewiesen. Und man kann es drehen und wenden wie man will, natürlich stehen die Piloten der Lufthansa an der Spitze der Einkommenspyramide in der Luftverkehrswirtschaft, sie verdienen teilweise deutlich mehr als ihre Kollegen bei anderen Luftverkehrsgesellschaften. Allerdings wäre es nicht in Ordnung, sich nur auf die Spitzen Einkommen zu beziehen, ein differenzierter Blick ergibt eine recht weit reichende Spreizung der Gehälter. So liegt das Einstiegsgehalt nach der Piloten-Ausbildung bei der Lufthansa bei 63.000 € so dass man am Anfang mit Zulagen auf 70.000 € pro Jahr kommen kann. Nach acht bis zwölf Jahren Tätigkeit als Co-Pilot liegt das Durchschnittseinkommen bei 120.000 € pro Jahr. Man muss an dieser Stelle auch erwähnen, dass die dreijährige Ausbildung zum Piloten mit erheblichen Kosten (im Durchschnitt 70.000 €) verbunden ist, die von den Piloten später zurückgezahlt werden müssen. Hinzu kommt, dass die Piloten zahlreichen Prüfungen und Tests unterzogen werden, um ihre Flugtauglichkeit sicher stellen zu können. Sollten Sie den Anforderungen nicht mehr gewachsen sein, dann kann das für den einen oder anderen Piloten durchaus existenzielle Risiken mit sich bringen (vgl. für eine Selbstwahrnehmung des Berufsbildes die Ausführungen eines Lufthansa-Piloten in dem Artikel „Ich bekomme 110.000 Euro – und verdiene das auch“). Auf der einen Seite sollte man gerade aus der Perspektive desjenigen, der selber oft Flugleistungen in Anspruch nehmen muss, betonen, dass Piloten eine auch sehr gute Bezahlung bekommen sollten angesichts der Wichtigkeit und Bedeutung ihrer Arbeit. Auf der anderen Seite reden wir hier wirklich über sehr hohe Gehälter und eine gute finanzielle Ausstattung, die sich in relativer Betrachtung auf der Ebene von Führungskräften in der Wirtschaft bewegt, so dass auch dieser Hintergrund bei der Frage der Beurteilung der Angemessenheit von Arbeitskampfmaßnahmen, vor allem wenn sie mit solchen Folgewirkungen nicht nur hinsichtlich einzelner Passagiere, sondern mit Blick auf die gesamte Volkswirtschaft verbunden sind, Berücksichtigung finden sollte.
Ein Grund für den nun anstehenden heftigen Arbeitskampf ist das gleichsam „vergiftete“ Angebot des Lufthansa-Konzerns, was die (Nicht-) Zukunft des bisherigen Systems der „Übergangsversorgung“ betrifft. Dazu Christian Ebner in seinem Artikel: »Das Unternehmen hat daher einen fließenden Übergang vorgeschlagen, der an staatliche Rentenreformen erinnert: Den bald ausscheidenden Piloten wird gar nichts genommen, den etwas jüngeren schrittweise immer mehr und die ganz Jungen müssen künftig selbst mit für ihre Versorgung ansparen.« Zugespitzt formuliert erkennt man hier das gleiche Strukturmuster wie bei der Ausgestaltung der Rentenpolitik. Während die rentennahen Jahrgänge relativ gesehen geschont bzw. nunmehr sogar mit der „Rente mit 63“ im positiven Sinne bedient werden, kommt es bei der jüngeren Generation zu einer Kumulation von Belastungsverschiebungen. Die Pilotenvereinigung Cockpit hat natürlich kein Interesse daran, einem solchen Modell zuzustimmen, die Vertreter der Vereinigung sprechen hier von einem Vertrag zulasten Dritter, also der jüngeren Piloten.
An keiner Stelle wird derzeit übrigens darüber diskutiert, ob man zwangsläufig bei einem Entweder-oder bleiben muss. Wenn Piloten mit Ende 50 nicht mehr in der Lage sind, eine Passagiermaschine zu steuern und aus Sicherheitsgründen diese Tätigkeit aufgeben wollen und auch müssen, dann könnte man schon auf die Frage kommen, warum diese hoch qualifizierten Menschen dann sofort in eine teilweise langjährige Frührente überführt werden müssen. Gibt es nicht andere Tätigkeitsfelder und wichtige Aufgaben, in denen man diese Beschäftigten einsetzen kann?
Unabhängig von der Frage, ob der konkrete Arbeitskampf in der nun vorgesehenen Art und Weise legitim ist oder nicht – abschließend ein Blick auf die Fragestellung, welche Konsequenzen das ganze entfalten kann. Der Konzern Lufthansa steht seit Jahren in einem intensiven Wettbewerbsumfeld und kämpft mit seiner Kostenstruktur. Sollte es der durchaus mächtigen Gruppe der Piloten gelingen, die Aussicht des Unternehmens notwendigen Kostenanpassungen hinauszuzögern oder gar zu vermeiden, dann wird es zu den in der Wirtschaft bekannten Verlagerungsprozessen kommen. Man darf an dieser Stelle daran erinnern, dass diese bereits seit mehreren Jahren laufen. So sind alle Inlandsflüge der Lufthansa auf die konzerneigene, billigere Tochter Germanwings verlagert worden. 3500 Verwaltungsjobs sollen abgebaut und die Konzernzentrale in Köln geschlossen werden. Es ist leider absehbar, dass der Trend zur Verlagerung auf Billig-Airlines weiter vorangetrieben wird, während auf der anderen Seite die Nachfrage nach Qualität und Komfort von Fluglinien bedient werden, die wie die Fluggesellschaften aus dem arabischen Raum mit erheblichen Staatsgeldern gepampert werden. Bei aller grundsätzlicher Sympathie für das Bestreben von Arbeitnehmern, auch mithilfe von Arbeitskampfmaßnahmen ihre Interessen durchzusetzen, drängt sich der Eindruck auf, dass Streikbeginn beispielsweise von den Piloten, die ganz unten in der Einkommenspyramide der Piloten stehen, sicherlich auf eine größere Sympathie stoßen würden.
Noch gar nicht abzusehen sind die innerbetrieblichen Auswirkungen im Lufthansa-Konzern, denn von dem schon seit längerem laufenden umfangreichen Sparprogramm „Score“ sind alle anderen Beschäftigten des Unternehmens teilweise erheblich negativ betroffen – nur die Piloten wollen sich daran nicht beteiligen, was sicherlich die Solidarität zwischen den einzelnen Berufsgruppen nicht unbedingt fördern wird.
Abschließend – bei aller Skepsis und auch Kritik an dem konkreten Vorgehen der Lufthansa-Piloten – noch eine kritische Anmerkung zu dem Unternehmen, das tatsächlich in den vergangenen Jahren besonders hart getroffen war von Arbeitsauseinandersetzungen (in den letzten sechs Jahren hat es alleine bei der Lufthansa 51 Streikaktionen gegeben). Der vor kurzem ausgeschiedene Vorstandsvorsitzende der Lufthansa AG hat in den vergangenen Jahren einen sehr harten Kurs gegen die Gewerkschaften in seinem Unternehmen praktiziert. Möglicherweise – diese Spekulation sei hier durchaus erwähnt – stecken angelsächsische Großinvestoren hinter der erkennbar harten Linie des Managements. Die größten Eigentümer der Lufthansa AG sind Blackrock, Templeton und Capital Group mit jeweils etwa 5 % der Anteile. Für 2015 wurde den Investoren seitens des im Mai 2014 ausscheidenden Vorstandsvorsitzenden Christoph Franz, der seit März 2014 Verwaltungsratspräsident des Schweizer Pharmakonzerns Roche ist, 2,65 Milliarden € operativer Gewinn versprochen, das ist das gut 3,5 fache des Wertes des vergangenen Jahres, wie Christian Ebner in seinem Artikel ausführt.
Es sind also höchst irdische Dinge, die da über den Wolken verhandelt werden.