Zwischen Heilserwartung und sozialpolitischen Widerständen. Einige Anmerkungen zum bedingungslosen Grundeinkommen

Um es gleich an den Anfang dieses Beitrags zu stellen: Hier soll und kann es nicht um eine abschließende Bewertung des Konzepts eines bedingungslosen Grundeinkommens gehen (oder sagen wir besser: der vielen teilweise sehr unterschiedlichen Vorstellungen davon). Zuweilen hat man in der heutzutage sowieso immer gleich von Null auf Hundert beschleunigenden Nicht-Diskussionslandschaft des „Dafür“ oder „Dagegen“ den Eindruck, dass die Auseinandersetzung mit dem, was unter dem Etikett des „bedingungslosen Grundeinkommens“ verhandelt wird, partiell fundamentalistische Züge trägt. Die einen erwarten sich davon die Erlösung von Hartz IV und dem Erwerbsarbeitsjoch unserer Tage, die anderen sehen den Totalabriss der bestehenden sozialen Sicherungssysteme und ein perfides Täuschungsmanöver der Kapitalseite ante portas. Man kann aus guten Gründen die Debatte über ein bedingungsloses Grundeinkommen mit großer Sympathie verfolgen für den gedanklichen Grundansatz, ohne deshalb die skeptischen Stimmen und die Gegenargumente hinsichtlich einer Umsetzbarkeit verdrängen zu müssen.

Ein wichtiger vorläufiger Höhepunkt der aktuellen Debatte war sicherlich die Volksabstimmung über die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens in der Schweiz am 5. Juni 2016. Zwar hat eine überwältigende Mehrheit der Bürger, die ihre Stimme abgegeben haben, das Ansinnen zurückgewiesen, aber die Verfechter des Ansatzes haben mit 23,1 Prozent einen selbst nicht so erwarteten Achtungserfolg erzielen können. Vgl. dazu auch den Beitrag Mit dem Herz dafür, aber mit dem Kopf dagegen? Oder mit dem Verstand dafür, aber ohne Herz? Das „bedingungslose Grundeinkommen“ ist (nicht) krachend gescheitert vom 7. Juni 2016.

Bereits in diesem Beitrag wurde neben einer Skizze der teilweise äußerst unterschiedlichen Ansätze darauf hingewiesen, dass das Thema besonders promoviert wird im Umfeld des Weltwirtschaftsforums im schweizerischen Davos. Dabei tauchen in diesem Kontext immer wieder zwei Stränge auf: Zum einen das Silicon Valley (mit seinen Interessen) und zum anderen die immer wieder kolportierte These, dass die digitale Revolution viele menschliche Arbeitskraftkinder fressen wird, denen man etwas bieten müsse. Menschliche Arbeit und Einkommen müssten voneinander entkoppelt werden.

Offensichtlich ist so einiges in Bewegung im Manager-Lager. Auch bei uns in Deutschland: Siemens-Chef plädiert für ein Grundeinkommen, war so eine Nachricht, die eingeschlagen hat. Das sitzt und wird begeistert-zustimmend oder irritiert-ablehnend zur Kenntnis genommen. Und wieder muss das große Schlagwort von der „Digitalisierung“ und der mit ihr – angeblich – einhergehenden Veränderungen herhalten: »Es würden absehbar „einige auf der Strecke bleiben, weil sie mit der Geschwindigkeit auf der Welt einfach nicht mehr mitkommen“, warnte Kaeser auf dem SZ-Wirtschaftsgipfel. Auf sie warten könne man jedoch nicht, denn dann würden Deutschland und Europa verlieren. Also müsse die Gesellschaft dafür sorgen, „dass die Menschen versorgt sind“; sie müssten sehen: „Da ist einer da, der hilft mir.“ Deshalb werde „eine Art Grundeinkommen völlig unvermeidlich sein“«, konnte man dem Artikel über die Ausführungen von Joe Kaeser entnehmen. Und auch der Telekom-Chef Timotheus Höttges hat sich sekundierend zu Wort gemeldet.

Darüber wurde hier in dem Beitrag Ein trojanisches Pferd? Ehrliche Suchbewegungen? Arbeitszeitflexibilixierung als „kontrolliertes Experiment“ und die Semantik des Grundeinkommens bei Managern vom 21. November 2016 berichtet. Dort findet man am Ende allerdings auch den Hinweis auf eine andere – auch mögliche – Schlussfolgerung, sollte es zu den Veränderungen kommen, die da überall in den Raum gestellt werden. Auf dem Wirtschaftsgipfel der Süddeutschen Zeitung, auf dem der Siemens-Chef seine Ideenskizze vorgestellt hat, gab es auch noch eine andere Stimme: Als in einem Panel über Künstliche Intelligenz (KI) diskutiert wurde, stellte Yvonne Hofstetter fest: „Die Schere geht immer weiter auf, die menschliche Arbeit hat immer weniger Anteil an der Produktivität.“ Ausgerechnet sie, die Gründerin eines KI-Dienstleisters, also gewissermaßen eine Profiteurin dieser superschnellen Rechner, mahnte eine Systemdebatte an: „Kann man weiter die Arbeit so stark besteuern, oder muss man nicht schauen, ob man oben beim Kapital etwas macht?“

Wie dem auch sei. Die Debatte über ein bedingungsloses Grundeinkommen hat dann einen weiteren Motivationsschub bekommen durch eine Entwicklung in Finnland. 2000 Finnen bekommen seit Januar ein Grundeinkommen. Sie sind ausgelost worden aus den Arbeitslosen im Land. Silke Bigalke hat sich zu dieser Überschrift hinreißen lassen: Wie Finnland eine soziale Revolution ausprobiert. Und spricht von einem bedingungslosen Grundeinkommen. Was nun nicht so ganz den Tatsachen entspricht, worauf hier schon früher hingewiesen worden ist (vgl. dazu den Beitrag Experimente an Lebenden mit kleiner Dosis. In Finnland und den Niederlanden geht es um ein bedingungsloses Grundeinkommen light und Sozialhilfe-Laborversuche vom 9. Oktober 2016 sowie bereits vor der Umsetzung des Experiments in dem Beitrag Das bedingungslose Grundeinkommen könnte kommen – möglicherweise, in Finnland. Und dann erst einmal als „experimentelles Pilotprojekt“ vom 8. Dezember 2015). Bei allem Respekt für den grundsätzlichen Ansatz eines Experiments – das, was in Finnland passiert, ist nicht weniger, aber eben auch nicht mehr als ein Experiment, auf zwei Jahre befristet, mit einer überschaubaren Teilnehmerzahl und die Teilnehmer auch noch begrenzt auf Arbeitslose, die bereits Leistungen des Staates bekommen und dann auch hinsichtlich der Höhe in einem überschaubaren Rahmen (560 Euro im Monat, übrigens waren mal 1.000 Euro geplant, die aber wieder eingedampft worden sind).

Aber die Liste mit den Experimenten wird möglicherweise bald erweitert. Unter der euphorisch daherkommenden Überschrift In Kenia startet das größte Geld-Experiment der Welt berichtet Daniel Bakir. Man ist gespannt. Wenn man weiterliest, erfährt man, dass die Initiative „Give Directly“ ein kleines Pilotprojekt in ein paar kenianischen Dörfern gestartet hat. In »einigen Monaten soll es die finnischen Dimensionen deutlich übertreffen. Die Initiative hat bereits 23,7 Millionen Dollar für ihr Projekt eingetrieben, anvisiert sind 30 Millionen. Prominenter Unterstützer ist unter anderem Pierre Omidyar, Gründer der Auktionsplattform Ebay, der 493.000 US-Dollar in das Projekt steckt.« Was nun genau ist dort geplant?

»GiveDirectly werde insgesamt 26.000 Menschen in 200 kenianischen Dörfern unterstützen. 6000 dieser Teilnehmer erhalten das Geld über einen Zeitraum von zwölf Jahren. Beträge von 0,75 Dollar pro Tag erscheinen zunächst nicht hoch, doch in ländlichen Gebieten Kenias entspreche das der Hälfte eines typischen Einkommens. Dass das Geld bei denen landet, die es am nötigsten haben, stellt GiveDirectly durch einen aufwendigen Auswahlprozess vor Ort sicher.«

Und auch aus einem anderen Teil dieser Welt wird berichtet, dass es Bestrebungen geben würde, in Richtung auf ein bedingungsloses Grundeinkommen zu marschieren: Indiens Radikal-Experiment – bedingungsloses Grundeinkommen für alle, so hat Arvid Kaiser seinen Artikel überschrieben. Und hier soll es angeblich nicht nur um Pilotprojekte mit Stichproben wie in Finnland gehen, sondern gleich um eine flächendeckende Einführung. Aber:

»Wundertaten sollten die Inder jedoch nicht erwarten. Inzwischen gibt es einen konkreten Plan des Chefwirtschaftsberaters der Regierung, Arvind Subramanian. Der Oxford-Ökonom, der früher in Harvard lehrte, beim Internationalen Währungsfonds und dem Washingtoner Peterson Institute arbeitete, schlägt einen Betrag von 7620 Rupien (106 Euro) vor. Pro Jahr.
Das ist selbst für indische Verhältnisse mager. Der Mindestlohn für ungelernte Arbeiter (jedenfalls diejenigen, die einen regulären Arbeitsvertrag genießen) wurde gerade auf 350 Rupien angehoben. Pro Tag. Subramanians Modell würde zwar annähernd allen Indern genug zum Überleben geben, mehr aber auch nicht.«

Und: Der Vorstoß ist monströs in seiner Radikalität. Warum das?

»Schon seine 7620-Rupien-Lösung würde wegen des kaum ausgeprägten Steuerstaats die Hälfte der Staatseinnahmen aufzehren, hat Subramanian errechnet. Deshalb sollten zur Gegenfinanzierung mit einem Handstreich sämtliche Sozialleistungen und Subventionen abgeschafft werden. Beispielsweise die in Indien nach wie vor bedeutsame Landwirtschaft müsste sich komplett umstellen. Bisher werden Preise durch staatlichen Einkauf zentral garantiert, Düngemittel für alle Bauern eingekauft.«
Man sieht, es tut sich was an ganz unterschiedlichen Stellen. Und wenn sich die Karawane mal in Bewegung gesetzt hat, dann nimmt das Fahrt auf. Und dann kann man durchaus Lorbeeren gewinnen, wenn man sich begleitend einreiht und sich eindeutig positioniert „für die Sache“, in diesem Fall für das „bedingungslose Grundeinkommen“, auch wenn man Dinge verbreitet, die nun wirklich nicht neu sind, sondern die schon vor Jahrzehnten teilweise unter anderen Namen diskutiert wurden. Beispielsweise als „negative Einkommenssteuer“.

Einer, der sich im deutschsprachigen Raum in dieser Hinsicht besonders zu profilieren versucht, ist der aus der Schweiz stammenden Ökonom Thomas Straubhaar, der früher mal Chef des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts war. Natürlich hat er dazu auch ein Buch geschrieben, das man demnächst im Buchhandel erwerben kann (vgl. Thomas Straubhaar: Radikal gerecht. Wie das bedingungslose Grundeinkommen den Sozialstaat revolutioniert, 2017). »Das Grundeinkommen könnte Rente, Kinder- und Arbeitslosengeld ersetzen – wie eine negative Steuer, sagt der Ökonom Thomas Straubhaar in seinem neuen Buch.« So wird ein Auszug vorab aus dem Buch von Straubhaar eingeleitet, der unter der Überschrift Das Grundeinkommen ist nichts anderes als eine Steuerreform von der Wochenzeitung ZEIT veröffentlicht wurde.

Ein zentraler Satz von Straubhaar zum Grundeinkommen wird bei vielen Sozialpolitikern die Alarmglocken klingen lassen – und bei vielen Sympathisanten die Hoffnung bestärken, endlich den Stein der Weisen gefunden zu haben: »Es bündelt alle sozialpolitischen Maßnahmen in einem einzigen Instrument, dem bedingungslos ausbezahlten Grundeinkommen.« Und er fährt fort und zeichnet uns ein scheinbar beeindruckend simples Modell:

»Das bedingungslose Grundeinkommen folgt einer einfachen Logik. Es verzichtet auf ein mehrspuriges Gewirr von über Steuern und Abgaben aus dem Arbeitseinkommen finanzierten Sozialversicherungen und sozialpolitischen Maßnahmen. Stattdessen verrechnet es als Universalzahlung alle personenbezogenen Sozialtransfers und folgt dem Konzept einer negativen Einkommensteuer. Das heißt, alle erhalten vom Staat zunächst einmal Geld, was aus staatlicher Sicht einem Abfluss und damit dem Gegenteil eines Steuerzuflusses entspricht. Aber alle, die Einkommen erwirtschaften – und eben auch die Eigentümer der Roboter –, zahlen gleichermaßen auf alle Einkommen Steuern – und zwar an der Quelle, vom ersten Euro an. Somit zeigt sich, dass auch weiterhin am Ende (also im Saldo, der die Steuerzahlungen mit dem Grundeinkommen verrechnet) der größte Teil der Bevölkerung aus der Sicht des Staates positive Steuern bezahlt.
Wichtig dabei ist, dass der Staat Kapitalerträge genauso wie das Arbeitseinkommen besteuert. Das gilt auch für die mithilfe von Robotern erwirtschafteten Gewinne. Sobald sie an die Eigentümer der Roboter (also die Aktionäre oder Gesellschafter) ausgeschüttet werden, gelangt an der Quelle der gleiche Steuersatz wie für den Lohn der Arbeit zur Anwendung.
«

Er plädiert für einen Generalangriff auf die sozialpolitische Infrastruktur des Landes: »Das Grundeinkommen ersetzt alle heute bestehenden sozialpolitischen Transfers, also Rentenzahlungen, Arbeitslosengeld oder Sozialhilfe u. a. Andererseits muss auch niemand mehr Sozialabgaben leisten, denn die entfallen komplett. Es gibt neben dem über Steuern finanzierten Grundeinkommen keine durch Lohnabgaben gespeiste sozialstaatliche Parallelstruktur mehr.«

Christoph Eisenring hat unter der Überschrift Und ewig lockt das Grundeinkommen einen kritischen Blick auf den Ansatz von Straubhaar geworfen. Und das es ihm um eine Kritik geht, liest man schon in den ersten Zeilen: »Thomas Straubhaar will den deutschen Sozialstaat durch ein bedingungsloses Grundeinkommen ersetzen. Diese Idee ist aber nicht so liberal und gerecht, wie sie Straubhaar in einem Buch darstellt.«

In seinem Hauptszenario geht Straubhaar von einem garantierten Mindesteinkommen von 1000 € pro Person und Monat aus. Um dieses und weitere staatliche Leistungen zu finanzieren, würden die Einkommen aus Arbeit und Kapital an der Quelle mit 50% besteuert, so Eisenring in seiner Beschreibung des Modells von Straubhaar.
Und dann erinnert er daran, dass diese Modellkomponenten nun wirklich nichts Neues darstellen, sondern ganz im Gegenteil eine lange Traditionslinie im ökonomischen Diskurs haben:

»Straubhaars Modell entspricht einer negativen Einkommenssteuer, wie sie der Ökonomie-Nobelpreisträger Milton Friedman vorgeschlagen hatte. In den 1960er und 1970er Jahren gab es in den USA Experimente mit diesem Instrument. Das Mindesteinkommen wurde damals mit der offiziellen Armutsgrenze gleichgesetzt, der Steuersatz lag bei 50%. Die Experimente waren auf drei Jahre beschränkt, was die «Probanden» wussten. Im grössten Test mit 4800 Personen reduzierten Ehemänner ihre Arbeitszeit gegenüber einer Kontrollgruppe um 7%, Ehefrauen die ihre um 17%. Für eine Untergruppe lief das Experiment fünf Jahre. Der Rückgang der Arbeitszeit war nun fast doppelt so hoch.«

Sein Vorwurf geht in die Richtung, man würde »in einem Buch zu einem garantierten Mindesteinkommen à la Friedman eine Diskussion dieser Ergebnisse erwarten, die damals hartgesottene Befürworter dazu bewogen, von der Idee Abstand zu nehmen. Er wolle keine statistische Wirkungsanalyse liefern, verteidigt sich Straubhaar.«

Und natürlich landen wir wieder bei der leidigen, aber unvermeidbaren Finanzierungsfrage. »Eine negative Einkommenssteuer hat ein Grundproblem: Je höher das Mindesteinkommen (und damit je existenzsichernder es ist), desto höher muss auch der Steuersatz sein, um dieses zu finanzieren, und desto weniger wird dann gearbeitet und investiert«, so Eisenring.

Und man könnte und müsste an dieser Stelle ergänzen: Und noch höhere Steuersätze würden anfallen müssen, wenn man berücksichtigt, dass in einer idealen Welt vielleicht der Normalbürger über das Grundeinkommen halbwegs abgesichert werden kann – was aber ist mit den Behinderten und den Leistungen zur Inklusion, die sie erhalten? Was ist mit Zuschlägen beispielsweise für Alleinerziehende oder andere Personengruppen, die einen höheren Bedarf haben? Und auch wenn es nervt, müsste man die Frage stellen – wie anders als über einen Staatsstreich will man die erworbenen Ansprüche an die Sozialversicherungssysteme – man denke hier nur an die Rentenanwartschaften – beseitigen, um alles zu ersetzen durch ein einheitliches Grundeinkommen?

Allerdings stellt Eisenring diese Anschlussfragen, die für den Praktiker der Sozialpolitiker höchst relevant sind, gar nicht – und er kann sie auch nicht stellen, denn am Ende seines Artikels entlarvt er sich als ein klassischer Vertreter einer generell gegenüber Sozialleistungen kritisch eingestellten Spezies, die eher für einen Abbau sozialstaatlicher Leistungen plädieren:

»Ist ein Grundeinkommen liberal, weil es, wie Straubhaar sagt, keine paternalistischen Vorbedingungen an die Zahlung knüpft? Das Gegenteil ist der Fall: Im Normalfall muss dem Menschen niemand helfen. Er kennt seine Fähigkeiten und Interessen. Ein Grundeinkommen gaukelt dagegen Freiheit vor, führt aber in die Abhängigkeit, weil der Mensch zur Lethargie neigt. Auf die Solidarität der Gesellschaft sollte aus liberaler Warte nur zurückgreifen, wer nicht für sich und die Seinigen sorgen kann. Straubhaar hat zwar recht, wenn er den enormen Reformbedarf der Sozialwerke anmahnt, die einen immer grösseren Teil der Staatsausgaben absorbieren. Dann braucht es aber nicht ein Grundeinkommen, sondern ein Einhegen des Wohlfahrtsstaats, damit der Einzelne wieder mehr Freiraum hat.«

„Einhegen des Wohlfahrtsstaates“ muss man hier wohl übersetzen mit Abbau von Sozialleistungen. So ist das bei ihm gemeint.

Aber wieder zurück zu der aktuellen Kritik an den Vorstößen in Richtung bedingungsloses Grundeinkommen. Und das soll gerecht sein? Unter diese Fragestellung hat Henning Meyer seinen Beitrag gestellt, der direkt die Ausführungen von Straubhaar adressiert. Meyers zentrale These lautet: »Das Grundeinkommen hat einen entscheidenden Fehler: Es soll den Sozialstaat abschaffen und zielt auf eine Privatisierung der Risikovorsorge. Das ist extrem ungerecht.« Ihm geht es vor allem um die von Straubhaar vorgeschlagenen radikale Vereinfachung des Steuersystems: »Unser heutiges System durch eine Flat Tax auf alle Einkommensarten ersetzen zu wollen und das auch noch gerecht zu nennen, das ist allerdings abstrus. In Zeiten, in denen die steigende Ungleichheit als eines der wichtigsten gesellschaftlichen Probleme genannt wird und führende Ungleichheitsforscher wie der kürzlich verstorbene Sir Anthony Atkinson eine deutlich stärkere Progressivität des Steuersystems anmahnen, soll diese also komplett abgeschafft werden? Und das soll gerecht sein?«

Ein weiterer Kritikpunkt ziel auf die mit einem Grundeinkommen einhergehende umfassende Privatisierung bisheriger Leistungen: »Wer zum Beispiel eine Rente über dem Niveau des Grundeinkommens haben will, muss privat in Eigenleistung zusätzlich vorsorgen. Das bedeutet wohl eine kapitalgedeckte Rente, da das paritätisch finanzierte Umlagesystem dann Geschichte wäre. Ähnliches gilt für die Krankenversicherung. Wenn die paritätische Finanzierung abgeschafft ist, muss wohl jeder selbst schauen, wo er bleibt.« Und er denkt weiter: »Es bleiben zwei Optionen: entweder ein völlig eigenvorsorgliches System oder eine Art steuerfinanziertes Gesundheitssystem für alle wie das britische NHS. Die Finanzierungslast eines steuerbasierten Systems würde in einem Flat-Tax-Regime natürlich sehr stark die unteren Einkommen belasten. Das Gerechtigkeitsproblem wird gerade hier sehr deutlich.«

Meyer legt den Finger auf eine weitere offene Wunde: »In der aktuellen Diskussion gibt es im Prinzip zwei Ebenen, die sich darin unterscheiden, was genau die pauschale Zahlung ersetzen soll. Die untere Ebene sieht das Grundeinkommen als eine Möglichkeit, direkte Sozialleistungen zu ersetzen; dagegen versteht die Debatte, die im Rahmen der Digitalisierung geführt wird, das Grundeinkommen als mögliche Antwort auf technologische Arbeitslosigkeit.« Und mit Blick auf die zweite Ebene, also das Grundeinkommen als Antwort auf technologische Arbeitslosigkeit schreibt Meyer:

»Wenn der technologische Wandel potenziell viele Jobs obsolet machen wird, dann bietet sich vielen eben nicht die Möglichkeit, zusätzlich zu arbeiten. Der Unterschied zwischen denjenigen, die in der digitalen Ökonomie erfolgreich sein werden, und den tendenziell Abgehängten würde weiterwachsen.
Überspitzt formuliert gäbe es dann die Technologiegewinner, die sich im neuen Flat-Tax-System ohne weitere Verpflichtungen ein schönes Leben machen können. Ihnen gegenüber stünde ein neues Prekariat auf dem Niveau des Grundeinkommens, das weiterhin kaum gesellschaftliche Aufstiegschancen hätte. Das Problem der Ungleichheit, das relativ und nicht absolut ist, wird somit nicht gelöst, sondern lediglich verschoben.«

Zahlreiche offene Fragen werden hier aufgeworfen. Die man natürlich im Detail durchdeklinieren und kontrovers diskutieren müsste. Aber da sind wir erst am Anfang. Deshalb kann man aus sozialpolitischer Sicht derzeit nicht wirklich Hurra schreien und in einem bedingungslosen Grundeinkommen die Lösung für zentrale gesellschaftliche Herausforderungen sehen. Das heißt selbstverständlich nicht, den derzeit bestehenden Zustand zu verteidigen oder gar zu konservieren.
Aber man sollte vorsichtig sein, wenn uns wieder einmal eine allzu einfache Lösung in Aussicht gestellt wird.

So auch die Kritik bei Andreas Hoffmann in seinem Kommentar Das Grundeinkommen würde uns alle überfordern: »Je mehr ich über das Konzept nachdenke, umso mehr Fragen stellen sich mir. Es ist, als hätte sich die Tür in ein Labyrinth geöffnet. Bald taucht die nächste Tür auf. Dann noch eine. Und noch eine.« Als Beispiel: »Wie steht es mit Tarifverträgen oder Kündigungsschutz? Die Arbeitgeber könnten dann jeden sofort rausschmeißen und sagen: „Du hast ja dein Grundeinkommen.“ Wozu noch Abfindungen oder Betriebsräte? Oder Gewerkschaften? Das alles kann auf den Müllhaufen des Sozialstaats. Da werden die Arbeitgeber jubeln, vielleicht trommeln deshalb manche Manager für die Idee.« Und dann eine für den einen oder anderen bis heute schmerzhafte Erinnerung: »Erinnern Sie sich an die Anfänge der Hartz-Reform. Da dachte der übereifrige Wirtschaftsminister Wolfgang Clement daran, dass man den Arbeitslosen eine Pauschale überweist und damit alles erledigt sei. Keine weitere Bürokratie mehr. Doch dann kam etwas dazwischen: die Realität. Arbeitslos ist nicht gleich arbeitslos. Es gibt die alleinerziehende Mutter, die arbeiten und ihre Kinder versorgen will. Es gibt den schlecht ausgebildeten jungen Mann, der sucht und sucht. Es gibt den Langzeitarbeitslosen, der mit physischen und psychischen Problemen kämpft. Und. Und. Und. Die Idee der Pauschale wurde still beerdigt.« An dem letzten Punkt könnte man etwas korrigierend ansetzen und sagen: Das Hartz IV-System hat genau deshalb so viele Probleme, weil es irgendwo hängen geblieben ist zwischen den Polen einer Einzelfallgerechtigkeit und einer unterschiedslosen Pauschalierung für alle, die aber aus fiskalischen Gründen zu niedrig bemessen wurde und ist. Und dann ist das „Grundeinkommen“ nach Hartz IV auch noch ein nicht-bedingungsloses Grundeinkommen, also an Verhaltenserwartungen und bürokratische Nachweispflichten geknüpft, die alle Beteiligten erschöpfen und einige teilweise zerstören. Aber wenn das schon so ist im Grundsicherungssystem SGB II, soll man wirklich glauben dürfen, dass das bei einem Grundeinkommen für alle ganz anders ausfallen wird?

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