Die Grundlinien der Pflegereform 2021 werden in Umrissen erkennbar. Man will die Pflegeversicherung „neu denken“

Anfang Oktober 2020 wurde berichtet, der Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) plane eine Pflegereform, mit der die Eigenanteile, die von den Pflegebedürftigen gezahlt werden müssen, wenn sie in einem Pflegeheim leben, begrenzt werden sollen, denn bislang steigen und steigen sie und immer öfter wird in der Berichterstattung deutlich herausgestellt, dass das so nicht weitergehen kann bzw. darf. Im Mittelpunkt stand vor wenigen Wochen diese Zielsetzung des Ministers: „Mein Vorschlag ist, dass Heimbewohner für die stationäre Pflege künftig für längstens 36 Monate maximal 700 Euro pro Monat zahlen“, sagte Spahn der „Bild am Sonntag“. Wie heißt es so schön: In der Kürze liegt die Würze – aber eben auch, gerade in so komplexen Systemen wie der Sozialpolitik – die Quelle für zahlreiche Fehler und falsche Hoffnungen, die man den Menschen macht. Darauf wurde bereits ausführlich in dem hier am 6. Oktober 2020 veröffentlichten Beitrag Pflegereform, die nächste: Bundesgesundheitsminister Jens Spahn will „den“ Eigenanteil in der stationären Pflege auf 700 Euro im Monat begrenzen. Da muss man wieder einmal genauer hinschauen hingewiesen – beispielsweise auf den Tatbestand, dass eben nicht „der“ Eigenanteil begrenzt werden soll, sondern einer der derzeit vorhandenen drei Eigenanteile, die in der Summe eine durchschnittliche Belastung der Pflegebedürftigen in Höhe von mehr als 2.000 Euro im Monat mit sich bringen.

Aber zwischenzeitlich hat der Minister und sein Ministerium nachgelegt und Eckpunkte für eine „Pflegereform 2021“ unter die Leute gestreut, die weit über den einen Punkt mit den Eigenanteilen hinausgehen. Zu dem, was uns für das kommende Jahr an Veränderungen bzw. Erweiterungen in Aussicht gestellt wird, eine Übersicht:

Schauen wir uns die in dem Entwurf von Eckpunkten für die Pflegereform 2021 derzeit enthaltenen Punkte einmal genauer an:

1. Die stationäre Pflege verbessern: Pflegebedürftige und Angehörige spürbar entlasten, verbleibende Kosten transparenter und planbarer machen, bei der Suche nach Pflegeplätzen helfen
➞ Der pflegebedingte Eigenanteil, der für die Pflege in stationären Einrichtungen von den Betroffenen aufgebracht werden muss, wird auf maximal 700 Euro pro Monat und auf längstens 36 Monate begrenzt. Das führt zu spürbaren Entlastungen, sorgt für Planbarkeit und stellt ein hohes Maß an Transparenz sicher.
➞ Gemäß § 9 SGB XI sind die Länder für die Förderung der Investitionskosten zuständig. Sie setzen diesen Auftrag um, indem sie künftig verbindlich zur Entlastung der Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen beitragen: Sie gewähren einen monatlichen Zuschuss zu den Investitionskosten in Höhe von 100 Euro für jeden vollstationär versorgten Pflegebedürftigen. Dies ist auch deswegen angemessen, weil die Bundesländer bei der Sozialhilfe durch die Deckelung der Eigenanteile um rd. 1 Mrd. Euro entlastet werden.
➞ Pflegebedürftige und ihre Angehörigen werden bei der Suche nach freien Plätzen in Pflegeeinrichtungen künftig durch eine Internetplattform unterstützt, an die die Pflegeeinrichtungen ihre freien Kapazitäten und Angebote tagesaktuell melden.

Mit Blick auf die bislang die Medienberichterstattung dominierende Ankündigung, man wolle den Eigenanteil für 36 Monate auf 700 Euro begrenzen, ist hier der Begriff „pflegebedingter Eigenanteil“ in den Eckpunkten von entscheidender Bedeutung. Dazu bereits in dem Beitrag vom 8. Oktober 2020: »So gibt es eben nicht „den“ Eigenanteil, sondern derzeit deren drei … Zum einen den „EEE“, der „Einrichtungseinheitliche Eigenanteil“, mit dem die nicht über Leistungen aus der Pflegeversicherung gedeckten Kosten der pflegerischen Versorgung (für die Pflegegrade 2-5) finanziert werden. Hinzu kommen die Kosten für „Unterkunft und Verpflegung“ sowie die „Investitionskosten“ der jeweiligen Einrichtung. Sowohl die Unterkunfts- und Verpflegungskosten wie auch die Investitionskosten müssen vollständig von den Pflegebedürftigen über deren Eigenanteile finanziert werden, für diese Posten fließt nichts von der Pflegekasse. Und die Beträge, um die es hier geht, sind erheblich – wie auch die Streuung schon auf der Ebene der Bundesländer (die sich fortsetzt auf der Ebene der einzelnen Pflegeheime, die alle unterschiedliche Sätze vereinbart haben oder bei den Investitionskosten auf die Bewohner umsetzen … Die meisten Menschen, die nun in diesen Tagen mit der Verheißung des Bundesgesundheitsministers Spahn, „der“ Eigenanteil solle auf 700 Euro begrenzt werden, denken mit Sicherheit an den gesamten Eigenanteil (der sich aus den drei Einzeleigenanteile zusammensetzt), den sie zu berappen haben – der aber lag im Juli 2020 im Durchschnitt über alle Bundesländer bei stolzen 2.015 Euro (bei einer Spannweite von 1.436 Euro in Sachsen-Anhalt bis zu 2.405 Euro pro Monat in Nordrhein-Westfalen. Es geht also nicht um die Absenkung und Begrenzung der gesamten Eigenanteile, sondern „nur“ des Eigenanteils für die Pflegekosten im engeren Sinne, die nicht über die Pflegeversicherung abgedeckt sind.«

»Dem aufmerksamen Leser wird sofort auffallen, dass die vom Minister geforderte „Begrenzung“ des Eigenanteils auf 700 Euro im Monat in etwa dem derzeit erreichten Durchschnitt des Eigenanteils für die pflegebedingten Aufwendungen, also dem EEE, über alle Bundesländer entspricht. Der liegt im Schnitt bei 786 Euro, allerdings bei einer Streuung auf der Ebene der Bundesländer zwischen 490 Euro in Thüringen bis 1.062 Euro in Baden-Württemberg. Zu beachten ist, dass die Hälfte der Bundesländer den in den Raum gestellten Kostenhöchstbetrag von 700 Euro beim „EEE“ – noch – nicht erreichen.«

Entsprechend fallen auch andere kritische Stimmen aus, beispielsweise in der am 13.11.2020 veröffentlichten Stellungnahme Eckpunkte zur Pflegereform: Der große Wurf gelingt leider (noch) nicht vom Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV): »… die geplante Deckelung des pflegebedingten Eigenanteils von 700 Euro für höchstens 36 Monate greift zu kurz. Sie wird zukünftige Erhöhungen infolge der Personalkostensteigerungen zwar besser abfedern können, entlastet aber nicht die heutigen Pflegebedürftigen. Heimbewohner müssen zusätzlich zu den Pflegekosten eben auch die Kosten für Unterkunft, Verpflegung und Investitionen bezahlen. Diese belaufen sich im Bundesdurchschnitt bereits auf 1.229 Euro. Insgesamt würde der Eigenanteil mit einem 700-Euro-Deckel also weiterhin bei knapp 2.000 Euro liegen. Dies entspricht dem heutigen bundesweiten Eigenanteil.«

Immerhin enthalten die Eckpunkte auch einen konkreten Punkt zu den Investitionskosten. Danach sollen die Bundesländer »künftig verbindlich zur Entlastung der Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen beitragen: Sie gewähren einen monatlichen Zuschuss zu den Investitionskosten in Höhe von 100 Euro für jeden vollstationär versorgten Pflegebedürftigen.« Dazu der VZBV: »Der Vorschlag, die Investitionskosten zukünftig von den Bundesländern bundeseinheitlich mit 100 Euro pro Heimbewohner zu bezuschussen, wird die Verbraucher ebenso wenig spürbar entlasten. Die Investitionskosten reichen derzeit von 288 Euro in Sachsen-Anhalt bis 551 Euro in NRW, sodass ein pauschaler Zuschuss unabhängig von den regionalen Gegebenheiten keinesfalls kostendeckend ist.« Man kann und muss an dieser Stelle noch weiter gehen und auf die Besonderheiten der bislang ausschließlich von den Heimbewohnern selbst zu zahlenden Investitionskosten hinweisen, deren Entwicklung in den vergangenen Jahren zu ihrer Charakterisierung als „zweites Heimentgelt“ geführt hat und – weitaus bedeutsamer – die sich als einer der Einfallstore für Renditestrategien im Heimbereich erwiesen haben. Vgl. dazu ausführlicher bereits am 18. Februar 2018 der Beitrag Eine teure Angelegenheit und eine mehr als problematische Lastenverteilung. Die Eigenanteile der Pflegebedürftigen in der stationären Pflege und die Rolle der „Investitionskosten“.

Immer wieder wird kritisch darauf hingewiesen, dass bei den aktuellen pflegepolitischen Diskussionen der Schwerpunkt auf den Bereich der stationären Langzeitpflege gelegt wird, dass sich alles um die Heime drehen würde und man doch neben den oftmals „vergessenen“ ambulanten Pflegediensten auch die pflegenden Angehörigen stärker in den Blick nehmen sollte. Dazu als ein aktuelles Beispiel der Artikel Pflegende Angehörige werden in den Corona-Diskussionen oft vergessen. Gemessen an der Länge der Ausführungen scheint man diese Aufforderung in den Eckpunkten aufgreifen zu wollen:

2. Die Pflege zu Hause stärken: Leistungen erhöhen und bedarfsgerechter nutzbar machen, Fehlanreize beseitigen und Versorgung effizienter gestalten
➞ Höhere Leistungsbeträge: Um die häusliche Pflege zu stärken und die gestiegenen Kosten der letzten Jahre auszugleichen, werden die ambulante Pflegesachleistung, das Pflegegeld sowie die Tagespflege zum 1. Juli 2021 um 5 Prozent und ab 2023 regelhaft jährlich in Höhe der Inflationsrate angehoben. Auch für zum Verbrauch bestimmte Pflegehilfsmittel steigt die Pauschale von 40 auf 60 Euro im Monat. 
➞ Flexibler kombinierbare Leistungen: Aus den Ansprüchen auf Kurzzeit- und Verhinderungspflege wird als Entlastungsbudget ein Gesamtjahresbetrag in Höhe von jährlich 3.300 € gebildet. Die bisher vor Inanspruchnahme der Verhinderungspflege von Angehörigen verlangte Vorpflegezeit von 6 Monaten wird abgeschafft. Das ermöglicht Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen, die Leistungen noch bedarfsgerechter nutzen können.
➞ Verhinderungspflege zielgenau ausgestalten: Zudem soll ein Teil der Leistung der Verhinderungspflege für die Ersatzpflege während einer längeren Verhinderung der Pflegeperson vorbehalten bleiben. Für die stundenweise Inanspruchnahme stehen deshalb ab dem 1. Juli 2022 maximal 40 Prozent des Gesamtjahresbetrags zur Verfügung.
➞ Bedarfsgerechtere Versorgung zu Hause: Pflegebedürftige und ihre Angehörigen sollen sich künftig flexibler gemeinsam mit den Pflegediensten auf die Leistungen verständigen können, die sie wirklich benötigen. Es soll in ihrer Entscheidung liegen, ob sie Leistungskomplexe und/oder Zeitkontingente für die Leistungserbringung wählen. Das ermöglicht Pflegebedürftigen eine individuell auf ihre jeweilige Pflegesituation zugeschnittene Gestaltung und Zusammenstellung von Leistungen.
➞ Pflege zu Hause: Pflegebedürftige Menschen werden vielfach auch durch ausländische, überwiegend osteuropäische Kräfte unterstützt, die mit ihnen im Haushalt leben. Bei Beschäftigung einer 24-Stunden-Betreuungsperson im eigenen Haushalt soll es unter bestimmten Bedingungen, analog zu den Angeboten zur Unterstützung im Alltag, möglich sein, den Anspruch auf Umwandlung von bis zu 40 Prozent des Pflegesachleistungsbetrag zu nutzen.
➞ Effizienzreserven im Hinblick auf eine knappe Zahl an Pflegekräften nutzen: Um einen ressourcenschonenden, effizienten Einsatz ambulanter Dienste zu gewährleisten, sollen z. B. bei der Festlegung von Einzugsgebieten in den Versorgungsverträgen der Pflegedienste verstärkt die regionalen Gegebenheiten berücksichtigt werden. Damit wird auch die Rolle kommunaler Akteure in der Pflege gestärkt. Zudem sollen ambulante Pflegedienste künftig bei der Erbringung und Abrechnung von Leistungen der Pflege- und der gesetzlichen Krankenversicherung von Bürokratie entlastet werden.
➞ Fehlanreize im Versorgungssystem beseitigen: Anbieter setzen mittlerweile immer häufiger auf Projekte, die betreutes Wohnen mit dem Angebot von Tagespflege kombinieren. Ältere Menschen erhoffen sich durch diese neuen Wohnformen mehr individuelle Freiheit sowie eine geringere finanzielle Belastung, ohne Abstriche in der Versorgungssicherheit machen zu müssen. Studien zeigen jedoch, dass diese Hoffnung nicht selten spätestens bei Eintritt höheren Unterstützungsbedarfs trügerisch ist. Die Attraktivität für Anbieter solcher Modelle ergibt sich häufig aus der Kombination aller im ambulanten Bereich möglichen Leistungen in einem vermeintlich stationären Pflegesetting, ohne jedoch die Anforderungen eines klassischen Pflegeheims erfüllen zu müssen. Um die Nutzung solcher Versorgungsformen nicht unangemessen zu privilegieren, sollen bei Inanspruchnahme von ambulanten Pflegesach- und/oder Geldleistungen die Leistungen der Tagespflege ab dem 1. Juli 2022 auf 50 Prozent begrenzt werden.

Vor allem die beiden Punkte „Höhere Leistungsbeträge“ und „Flexibler kombinierbare Leistungen“ scheinen handfeste auch monetäre Verbesserungen anzudeuten, die den pflegenden Angehörigen demnächst ins Haus stehen. Aber auch hier muss man genauer hinschauen. So kommentiert der VZBV: »Abgesehen von der Zusammenlegung der Ansprüche auf Kurzzeit- und Verhinderungspflege zu einem Entlastungsbudget werden anscheinend leider keine weiteren Punkte aus den Diskussionspapieren Entlastungsbudget und Entlastungsbudget 2.0 des Pflegebevollmächtigten Andreas Westerfellhaus übernommen, die mehr Flexibilität und Entlastung für die häusliche Pflege versprechen.«

Gemeint ist hier das Konzeptpapier zum Entlastungsbudget 2.0 des Pflegebevollmächtigten der Bundesregierung, Andreas Westerfellhaus. Das sieht vor, nahezu alle Leistungen bei häuslicher Pflege in zwei flexibel abrufbaren Budgets, dem Pflege- und Entlastungsbudget, zusammenzufassen und mit einer vertrauensvollen, unabhängigen Beratung vor Ort durch den „Pflege Ko-Piloten“ anzureichern. Vgl. dazu und generell zu der Lage der pflegenden Angehörigen den Beitrag Häusliche Pflege in Corona-Zeiten: Die Nicht-Aufmerksamkeit für die „unsichtbaren“ Pflegenden vom 5. November 2020. Die nun laut Eckpunkten vorgesehene Zusammenfassung bestehender Einzelleistungsansprüche zu einem „Entlastungsbudget“ ist keine Leistungserhöhung, lediglich die anvisierte zukünftige Dynamisierung mit der (wahrscheinlich noch länger auf sehr niedrigem Niveau liegenden) allgemeinen Preissteigerungsrate könnte man vor dem Hintergrund einer ansonsten stattfindenden Nicht-Dynamisierung und dem damit einhergehenden Realwertverfall der Geldbeträge als eine „Erhöhung“ der Leistungen (ganz eigener Art) interpretieren.

Immerhin wird in den Eckpunkten auch der Schattenbereich der sogenannten „24-Stunden-Betreuung“ vor allem durch osteuropäische Betreuungskräfte aufgerufen, was angesichts der hartnäckigen Ausblendung dieses Bereichs in den offiziellen pflegepolitischen Debatten schon als Fortschritt identifiziert werden kann. Dazu beispielsweise der VZBV in seiner Bewertung: »Auch die 24-Stunden-Betreuung bleibt ein Stiefkind der Reform. Die meisten älteren Menschen haben den Wunsch, so lange wie möglich in den eigenen vier Wänden zu bleiben. Viele Familien sehen daher die Beschäftigung einer Betreuungskraft als einzige Alternative zu einer Vollzeitbetreuung im Heim, zumal auch kaum genügend Pflegeplätze zur Verfügung stehen. Der Vorschlag, zukünftig 40 Prozent des Pflegesachleistungsbudgets zur Finanzierung einer Betreuungsperson im eigenen Haushalt heranzuziehen, ist zwar zu begrüßen. Zusätzlich sollte es aber auch möglich sein, den Entlastungsbetrag in Höhe von 125 Euro sowie die Leistungen zur Verhinderungspflege zur Refinanzierung dieser Versorgungsform heranzuziehen. Natürlich unter der Voraussetzung, dass die Betreuung im Einklang mit den zuvor definierten gesetzlichen Vorschriften stattfindet.«

3. Pflegebedürftigkeit vermeiden: Rehabilitation Älterer spürbar stärken, Kurzzeitpflege qualifizieren und besser vergüten
➞ Geriatrische Rehabilitation besser nutzen: Die Kosten für Maßnahmen der geriatrischen Rehabilitation für gesetzlich Versicherte über 70 Jahre sollen in Zukunft zur Hälfte von der sozialen Pflegeversicherung getragen werden. Damit setzen wir wesentliche Impulse für die Krankenkassen, ihren älteren Versicherten mehr Rehabilitationsmaßnahmen anzubieten. Geriatrische Rehabilitation kann helfen, Pflegebedürftigkeit zu vermeiden oder zu verzögern, sie kann weitere Verschlimmerungen verhindern und gesellschaftliche Teilhabe sichern. Das nützt den betroffenen Menschen, und es trägt zur Nachhaltigkeit der Pflegeversicherung bei.
➞ Kurzzeitpflege stärken: Pflegebedürftige sollen nach einem Krankenhausaufenthalt, in einer akuten häuslichen Krisensituation oder zur Entlastung der pflegenden Angehörigen einen qualifizierten Kurzzeitpflegeplatz nutzen können. Die Pflegeselbstverwaltung wird deshalb verpflichtet, bessere Rahmenbedingungen für die Aushandlung wirtschaftlich tragfähiger Vergütungen und qualitätsgesicherter Leistungserbringung zu schaffen. Die Pflegeversicherung wird die Stärkung der Kurzzeitpflege unterstützen, um eine finanzielle Überforderung der Betroffenen zu verhindern. Darüber hinaus wird eine neue Leistung „Übergangspflege nach Krankenhausbehandlung“ in der GKV eingeführt.

Gegen eine Stärkung der geriatrischen Rehabilitation kann keiner was haben. Konkret geht es bei dem ersten Punkt um eine teilweise Kostenverlagerung von den Krankenkassen (SGB V) auf die soziale Pflegeversicherung (SGB XI), um eine offensichtlich identifizierte Bremse bei den Krankenkassen in diesem Bereich aufgrund der damit verbundenen Ausgaben etwas zu lockern. Ob das ausreichen wird, muss hier dahingestellt bleiben.

Und was ist mit dem Punkt „Kurzzeitpflege stärken“? Angesichts der immer wieder vorgetragenen dringenden Bedarfe in diesem Bereich scheint das doch nun ein echter Schritt nach vorne zu sein. Auch hier muss man wieder eine Menge Wasser in den in Aussicht gestellten Wein kippen. Denn wenn man den Passus liest, dann muss man dem entnehmen, dass es eben keinen Rechtsanspruch geben soll. Genau ein solcher war aber am Anfang des Diskussionsprozess das, was man versprochen hatte. Vgl. dazu ausführlicher den Beitrag Reinschreiben und dann doch wieder löschen: Ein Rechtsanspruch auf Kurzzeitpflege. Ein weiteres Lehrstück aus dem mehrfach überforderten Pflege-System vom 7. Dezember 2019.

Und wie sieht es mit dem und für das Pflegepersonal aus? Da wird der eine oder andere einwerfen, dass das sich schon seit Jahren bearbeitet wird, so auch die Bundesregierung selbst am 13. November 2020, die darauf abstellt, dass sie geliefert habe: »Mehr Ausbildung, mehr Personal und mehr Geld.« Um gleich zu relativieren: »Schrittweise werden die Arbeitsbedingungen für die Pflegekräfte verbessert.« Hintergrund ist die „Konzertierte Aktion Pflege“. Dazu wurde nun ein Umsetzungsbericht veröffentlicht:

➔ Bundesministerium für Gesundheit (Hrsg.) (2020): Konzertierte Aktion Pflege. Erster Bericht zum Stand der Umsetzung der Vereinbarungen der Arbeitsgruppen 1 bis 5, Berlin, November 2020

Aber offensichtlich und verständlicherweise, wenn man sich die wirkliche Wirklichkeit anschaut, wird noch ein erheblicher Handlungsbedarf zugestanden. Dazu findet man in dem Eckpunktepapier diese Umrisse:

4. Beruflich Pflegende stärken: Bessere Bezahlung, mehr Stellen und mehr Verantwortung – Umsetzung der Konzertierten Aktion Pflege
➞ Die Entlohnung entsprechend Tarif für ambulante und stationäre Pflegeeinrichtungen soll künftig Voraussetzung für die Zulassung zur Versorgung werden.
➞ Zur schrittweisen Umsetzung des Personalbemessungsverfahrens in der Altenpflege sollen, flankiert durch den in der KAP vereinbarten Roadmapprozess mit den relevanten Akteuren, mit der Pflegereform die notwendigen gesetzlichen Grundlagen geschaffen werden. Im Entwurf für ein Versorgungsverbesserungsgesetz ist im Vorgriff darauf bereits ein Sonderprogramm für die Finanzierung von bis zu 20.000 zusätzliche Pflegehilfskraftstellen in den vollstationären Einrichtungen vorgesehen.
➞ Gut ausgebildete Pflegefachpersonen, die Tag für Tag qualifizierte, anspruchsvolle Arbeit leisten, sollen in der interprofessionellen Zusammenarbeit mit anderen Berufen des Gesundheitswesens gestärkt werden. Sie sollen mehr Verantwortung in der Versorgung übernehmen können und in geeigneten Bereichen (z.B. Pflegehilfsmittel) eigenständige Verordnungsbefugnisse erhalten. Zudem sollen die Regelungen zu Modellvorhaben zu Heilkundeübertragung gangbar gemacht werden.
➞ Wir werden ein Modellprogramm für den Einsatz der Telepflege gesetzlich verankern. Telepflege kann einen Beitrag für eine bessere und effizientere Versorgung leisten, pflegende Angehörige entlasten und neue Aufgabenfelder auch für gesundheitlich beeinträchtigte beruflich Pflegende eröffnen.

Mehr Stellen für die über 14.000 Einrichtungen der (stationären) Langzeitpflege werden erneut angekündigt – nach den 13.000 Stellen aus der ersten Runde (von denen aber bislang nur ein Bruchteil besetzt sind) soll es nun „20.000 zusätzliche Pflegehilfskraftstellen“ für die Heime geben. Da muss man allerdings anmerken, dass es sich bei diesem Punkt der Eckpunkte für eine „Pflegereform 2021“ um eine Maßnahme handelt, die mit dem Gesundheitsversorgungs- und Pflegeverbesserungsgesetz bereits auf der gesetzgeberischen Umsetzungslaufbahn angekommen ist und in den Eckpunkten offensichtlich noch mal mitverfrühstückt wird.

Kommen wir zu der bedeutsamen Frage der Finanzierung. Und hier lassen sich zwei Schneisen erkennen, die der Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) offensichtlich schlagen möchte: Zum einen enthalten die Eckpunkte ganz offensichtlich ein Förderprogramm für die in Not befindliche Versicherungswirtschaft und zum anderen soll die bislang beitragsfinanzierte Pflegeversicherung geöffnet werden für eine anteilige Finanzierung aus Steuermitteln.

Die Förderung der privaten Versicherungswirtschaft findet man in dem unter Punkt 5 genannten „Mix unterschiedlicher Maßnahmen“, die auch erneut die Beitragsseite der Sozialen Pflegeversicherung betreffen (➞ geplante Anhebung des Beitragssatzes für die „Kinderlosen“, wobei diese Mittel aber nicht in die laufende Kosten-Refinanzierung fließen, sondern in den „Pflegevorsorgefonds“ eingespeist werden sollen). Der entscheidende Punkt ist die vorgesehene „deutliche Erhöhung der staatlichen Zulagenförderung der privaten Pflegevorsorge“:

5. Nachhaltigkeit und Demografiefestigkeit fördern: Ausbau intergenerativer Elemente, Stärkung der privaten und betrieblichen Vorsorge
➞ Die Ansparphase des Pflegevorsorgefonds wird durch weitere Einzahlungen auch nach dem beizubehaltenden Auszahlungsbeginns ab dem Jahr 2035 bis zum Jahr 2050 zeitlich deutlich verlängert.
➞ Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil aus dem Jahr 2001 die besondere Bedeutung von Familien mit Kindern für die Funktionsfähigkeit der sozialen Sicherungssysteme hervorgehoben und gefordert, dies im Finanzierungssystem der Pflegeversicherung zu berücksichtigen. Um die Demografiefestigkeit der Sozialen Pflegeversicherung weiter zu stärken, wird der im Jahr 2005 eingeführte Beitragszuschlag für Kinderlose um 0,1 Beitragssatzpunkte erhöht; die dadurch eingenommenen Mittel werden dem Pflegevorsorgefonds zugeführt.
➞ Zur Sicherstellung einer ausreichenden Versorgung im Alter und zur Stärkung der Eigenvorsorge sollen die staatliche Zulagenförderung der privaten Pflegevorsorge deutlich erhöht (Erhöhung der Zulage abhängig von der Höhe des vom Versicherten selbst zu tragenden Betrag von heute 5 auf dann bis zu 15 Euro/Monat) und ergänzend neue Vorsorgeprodukte gefördert werden, die auf die Deckung der verbleibenden Eigenanteile insbesondere bei stationärer Pflege zielen. Die Möglichkeiten zur Kooperation von Kranken- und Pflegekassen mit Angeboten privater Kranken- und Pflegezusatzversicherungen sollen ausgebaut werden.
➞ Der Tarifabschluss in der chemischen Industrie hat gezeigt, dass auch die betriebliche Pflegevorsorge einen wichtigen Beitrag zur ergänzenden Absicherung des Pflegerisikos leisten kann. Diesen Ansatz wollen wir stärken, indem entsprechende betriebliche Lösungen künftig ähnlich staatlich gefördert werden wie die betriebliche Altersvorsorge und ihre Einbeziehung in die staatliche Vorsorgeförderung ermöglicht wird.

Man kann und wird mit Sicherheit darüber streiten müssen, ob das hier der richtige Ansatz ist. Oder ob es nur darum geht, die Finanzierungsdebatte in der Pflege zu nutzen, um die private Versicherungswirtschaft zu pampern, die ja gleichzeitig auch im Bereich der staatlich geförderten privaten Altersvorsorge (Stichwort „Riester-Rente“) schwer unter Druck ist.

Vor dem Hintergrund der gewaltigen Aufgaben, die gerade im Bereich der Altenpflege vor uns liegen und die erhebliche Mittel benötigen, wenn man sie denn auch wirklich bearbeiten wollte, kommt man um eine Diskussion über den verstärkten Einsatz von Steuermitteln nicht herum. Dazu findet man diesen „Türöffner“ in dem Eckpunktepapier:

6. Systemgerechte Finanzierung gesamtgesellschaftlicher Aufgaben
Die Pflegereform 2021 stellt die Finanzierung der Pflege insgesamt auf eine neue, zukunftsfeste Grundlage: Sie kombiniert dazu Maßnahmen, die die Effizienz der Versorgung erhöhen, Fehlentwicklungen beseitigen, die Generationengerechtigkeit erhöhen und die private Vorsorge stärken. Die Pflegeversicherung leistet im Rahmen der sozialen Absicherung elementarer Lebensrisiken einen wichtigen Beitrag. Wie andere Sozialversicherungszweige auch, erbringt sie Leistungen, deren Finanzierung gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist.
➞ Wie für Zeiten der Kindererziehung übernimmt deshalb künftig der Bund die Beitragszahlungen an die Rentenversicherung für Menschen, die Angehörige pflegen.
➞ Für weitere gesamtgesellschaftliche Aufgaben wie u.a. die Vermeidung von Überforderung durch zu hohe Eigenanteile, die beitragsfreie Versicherung von Kindern und nicht erwerbstätigen Partnern sowie das Pflegeunterstützungsgeld, erhält die Pflegeversicherung künftig einen pauschalen Bundeszuschuss.

Mit „Türöffner“ – nicht weniger, aber auch nicht mehr – ist diese Formulierung gemeint: »Für weitere gesamtgesellschaftliche Aufgaben wie u.a. die Vermeidung von Überforderung durch zu hohe Eigenanteile, die beitragsfreie Versicherung von Kindern und nicht erwerbstätigen Partnern sowie das Pflegeunterstützungsgeld, erhält die Pflegeversicherung künftig einen pauschalen Bundeszuschuss.« Man würde die Möglichkeit einer dauerhaften anteiligen Steuerfinanzierung der Pflegeversicherung legen. Wie immer würde es dann erst im zweiten und dritten Schritt wirklich interessant werden: Bei der Frage nach der Höhe des Anteils an Steuermitteln (einschließlich der Verbindlichkeit des Bundeszuschusses, da hat man beispielsweise in der GKV sehr ernüchternde Erfahrungen machen müssen) und noch weiter ausgreifend bei der Frage, aus welchen Quellen denn die erforderlichen Steuermittel generiert werden (können).

Auf alle Fälle stehen uns spannende Diskussionen bevor.