Pflegeberufe: Mehr Auszubildende, vor allem in der Altenpflege. Mehr Männer. Endlich Erfolgsmeldungen, aus der Welt der Pflegeausbildungen. Wenn da nicht diese Fragezeichen wären

Seit Jahren bekommt man fortlaufend negative Berichte aus der Welt der Pflege serviert. Auch in diesen Tagen einer erneuten Zuspitzung der Corona-Krise wird die Öffentlichkeit von vielen Seiten mit „Land unter“-Meldungen die Pflegekräfte betreffend versorgt. Nur ein Beispiel: »Der Mangel an Pflegepersonal in deutschen Krankenhäusern entwickelt sich nach Ansicht von Ärztevertretern zum zentralen Problem bei der Versorgung von COVID-19-Patienten. Viele der Zusatzbetten, die geschaffen worden seien, könnten „nicht belegt werden, weil das Personal zur Versorgung der Patienten fehlt“, sagte der Präsident der Deutschen Inter­disziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI), Uwe Janssens … Zwar würden in­zwischen ausreichend Kapazitäten an freien Intensivbetten und Beatmungsgeräten be­reitstehen. Das allein helfe aber nicht weiter. Grob geschätzt fehlten bundesweit 3.500 bis 4.000 Fachkräfte für die Intensivpflege«, so der Artikel Ärzte und Krankenhäuser warnen vor dramatischem Mangel an Pflegekräften. Und ein Blick in die von der Bundesagentur für Arbeit im Mai 2020 veröffentlichte Analyse Arbeitsmarktsituation im Pflegebereich zeigt eindrücklich für die Fachkräfte in der Altenpflege, das ganz Deutschland rot eingefärbt ist, also überall haben wir heute (schon) einen teilweise eklatanten Fachkräftemangel zu beklagen (S. 16).

Es ist seit langem unbestritten, dass wir deutlich mehr Fachkräfte brauchen in der Pflege, ob im Alten- oder Krankenpflegebereich. Und immer wieder wurde und wird die Befürchtung geäußert, dass die angesprochene negative Berichterstattung in den Medien dazu beiträgt, dass immer weniger junge Menschen eine der Pflegeausbildungen anfangen werden. An dieser Stelle scheint nun das Statistische Bundesamt mit einer Entwarnung signalisierenden Botschaft aufwarten zu können: Gestiegenes Interesse an Pflegeberufen: 71.300 Menschen haben 2019 eine Ausbildung begonnen. Die Zahlenlieferung der Bundesstatistiker wurde sogleich von vielen Medien aufgegriffen: Interesse an Pflegeberufen steigt, so ist einer der vielen daraus entstandenen Meldungen überschrieben. »Sowohl die Zahl der Azubis als auch die der Absolventen ist in der Pflege in den vergangenen zehn Jahren deutlich gestiegen«, so Matthias Wallenfels in der „Ärzte Zeitung“ und setzt seinen Beitrag unter diese Überschrift: Pflege anscheinend doch attraktiv für junge Leute. Und ein Blick auf die Entwicklung der Zahl derjenigen, die eine der Pflegeausbildungen angefangen haben, scheint die positive Botschaft zu unterstreichen:

Was genau berichten die Bundesstatistiker? »Die Arbeitsbedingungen in der Kranken- und Altenpflege, seien es hohe Belastung oder fehlendes Fachpersonal, sind jedoch nicht erst seit der Corona-Krise im Fokus. Dennoch haben die Pflegeberufe nicht an Beliebtheit beim Nachwuchs eingebüßt, im Gegenteil: Im Jahr 2019 begannen 71 300 Menschen eine Ausbildung in einem Pflegeberuf, wie das Statistische Bundesamt (Destatis) mitteilt. Das waren 8,2 % beziehungsweise 5 400 mehr als ein Jahr zuvor. Rund 44 900 Menschen schlossen im vergangenen Jahr ihre Ausbildung in einem Pflegeberuf erfolgreich ab.«

»Trotz der herausfordernden Tätigkeit erschien die Wahl eines Pflegeberufs in den vergangenen Jahren für immer mehr Menschen attraktiv: Während im Jahr 2009 noch 51 400 Menschen eine Ausbildung im Pflegebereich begonnen hatten, waren es zuletzt 71 300 und damit 39 % mehr als zehn Jahre zuvor. Damit stieg auch die Zahl derer, die ihre Ausbildung erfolgreich absolviert haben: Im Jahr 2019 schlossen 25 % mehr Menschen ihre Ausbildung in einem Pflegeberuf erfolgreich ab als zehn Jahre zuvor (2009: 36 000).«

Und vor dem Hintergrund, dass es überwiegend Frauen waren/sind, die in der Pflege unterwegs sind, wird berichtet: »Zwar wird der Pflegeberuf nach wie vor überwiegend von Frauen angestrebt – 75 % der Anfängerinnen und Anfänger waren zuletzt weiblich – doch auch der Männeranteil ist in den letzten zehn Jahren gestiegen: Während er 2009 noch bei 19 % lag, waren im Jahr 2019 ein Viertel (25 %) Männer.«

Nun gibt es nicht „die“, sondern mehrere Pflegeausbildungen. Und auch hier scheint es bedeutsame Fortschritte zu geben vor allem in dem Bereich, wo die Not des Mangels am größten ist, also in der Altenpflege: »Zu den Pflegeberufen zählen die Ausbildungen in der Altenpflege, der Gesundheits- und Krankenpflege sowie der Gesundheits- und Kinderkrankenpflege. Zudem gibt es die Möglichkeit, eine einjährige Ausbildung in der Gesundheits- und Krankenpflegehilfe oder der Altenpflegehilfe zu absolvieren. Unter diesen Ausbildungsberufen war es die Altenpflege, die den stärksten Zuwachs an Anfängerinnen und Anfängern zu verzeichnen hatte: von 19 400 im Jahr 2009 auf 27 300 im Jahr 2019, dies entspricht einer Steigerung von 41 %.«

Vor dem Hintergrund solcher Zahlen könnte man durchaus auf die Idee kommen, dass man die vielen alarmierenden Berichte über einen zunehmenden Fachkräftemangel und über wachsende Probleme, junge Menschen für eine Pflegeausbildung zu gewinnen, in die Tonne hauen kann. Und selbst das Statistische Bundesamt vermischt aktuelle Entwicklungen mit der These, dass es angeblich immer attraktiver wird, eine Pflegeausbildung zu machen, worauf die Ausbildungszahlen ja hindeuten: »Nach Abschluss der aktuellen Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst können Pflegekräfte mit mehr Gehalt sowie einer „Corona-Prämie“ rechnen.« Mit diesem Satz beginnt die Pressemitteilung der Bundesstatistiker und das suggeriert, ob bewusst oder unbewusst, dass der Anstieg der vergangenen Jahre (auch) durch Verbesserungen der Bedingungen für die Pflegeberufe ausgelöst wurde. Unabhängig davon, dass es sich um ein Teilergebnis eines Tarifabschlusses handelt, der erst vor wenigen Tagen das Licht der Welt erblickt hat, wird bei vielen der Eindruck erweckt, dass „die“ Pflegekräfte davon profitieren werden, was aber keineswegs der Fall ist (dazu ausführlicher die Ausführungen im Beitrag Tarifabschluss im Öffentlichen Dienst: „Ein respektabler Abschluss“ und „Das Machbare haben wir erreicht“, sagen Gewerkschaftsvertreter. Ein „wirtschaftlich verkraftbarer, maßvoller Abschluss“ sagen die Arbeitgeber. Alles gut? vom 26. Oktober 2020.)

Exkurs: Wenn inhaltslose „Zielgruppenorientierung“ in YouTube-Zeiten auf eine sowieso schon angeschlagene Profession trifft, dann kommt das dabei heraus: Fuck ju Pflege: Und wenn es so ist, dass das Interesse größer wird, dann könnte man doch auf derart katastrophal gemachte Werbevideos wie die vom Bundesfamilienministerium mit 700.000 Euro finanzierte, aus fünf Teilen bestehende Miniserie „Ehrenpflegas“ nun wirklich verzichten – der Anteil des Fremdschäm-Faktors erreicht hier ungeahnte Größenordnungen. Dazu auch aus der Vielzahl an negativen Reaktionen: Knatsch um neue Pflegekampagne „Ehrenpflegas“: »Mit der Webserie „Ehrenpflegas“ will Familienministerin Franziska Giffey Jugendliche für die Pflege begeistern … Der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe spricht von klischeehafter und schädlicher Darstellung des Berufszweigs.« Eine noch liebevolle Zusammenfassung geht so: „Einstellungsvoraussetzung: Herz – ja, Hirn – nein“, so Sebastian Maas unter der treffenden Überschrift Fack ju Pflege. Von den Betroffenen der Kampagne berichtet Frank Rodenhausen: Azubis wollen keine „Ehrenpflegas“ sein: Für Pflegeazubis sind die Streifen zum „Fremdschämen“. Und selbst die Intensivmediziner können nicht mehr an sich halten: Deutschlands Intensivmediziner und -pfleger sind bestürzt über die neue Youtube-Kampagne des Bundesfamilienministeriums (BMFSFJ). »Die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) bezeichnete die Miniserie allerdings als „eine Zumutung für ausgebildete und professio­nell arbeitende Pflegekräfte“ … DIVI-Präsident Uwe Janssens kritisierte die „teilweise absurde“ Darstellung des Pflegenachwuchses. „Ich war wirklich sehr betroffen und sprachlos, als ich die Serie zum ersten Mal gesehen habe“, so Janssens.« Das kann man diesem Artikel entnehmen: Intensivmediziner kritisieren Ausbildungskampagne des Familienministeriums. Man muss wirklich nicht noch mehr Quellen anführen, um das Desaster zu belegen.

Quelle: Screenshot „Ehrenpflegas – Die neue Miniserie“, YouTube (29.10.2020)

Mehr Ausbildungsanfänger/innen, aber …

Kehren wir wieder zurück in die seriöse Welt der Zahlen (und der gar nicht so einfach zu beantwortenden Frage, was hinter ihnen steht). Man muss bei einer Bewertung der neuen Zahlen-Nachrichten aus der Welt der Pflegeausbildungen berücksichtigen, dass es hier vor allem um die Zahl derjenigen geht, die eine der Pflegeausbildungen begonnen haben, also Auszubildende im ersten Jahr der Ausbildung.

Aber sofort stellen sich eine Reihe von Folgefragen, die übrigens seit Jahren im Mittelpunkt der Diskussionen in der einschlägigen Arbeitsmarktforschung stehen, zu denen zwar Studien publiziert wurden, die aber einfacher gestellt als (derzeit) beantwortet werden können*:

➔ Wie viele von denen, die eine Ausbildung beginnen, brechen diese noch vor dem Ausbildungsende ab?
➔ Und wenn die Ausbildung abgeschlossen wird, wie viele der Absolventen arbeiten – wie lange – im Berufsfeld und damit umgekehrt: wie viele verlassen es wann und wenn, dann für immer oder können sie zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal zurückgeholt werden?
➔ Wie sieht es aus mit der regionalen Einbettung? Dahinter steht der überaus bedeutsame Punkt, dass es eben keinen bundesweiten „Markt“ für Pflegekräfte gibt und geben kann und damit auch nicht für den Nachwuchs. Anders formuliert und wieder als Fragestellung: Werden die Auszubildenden in den Pflegeberufen auch in den Regionen ausbildet, in denen es den Bedarf gibt?
➔ Und was sind das eigentlich für Menschen, die eine der Pflegeausbildungen absolvieren? Also Fragen nach dem qualifikatorischen, biografischen Hintergrund der Auszubildenden.

*) Vgl. dazu genauer die Auswertung der Studienlage in dieser Veröffentlichung:

➔ Sell, S. (2019): Wie viele Pflegekräfte in der Altenpflege müssen es denn sein? Von (un)sicheren Bedarfen und beweglichen Zielen bei der Diskussion über den bestehenden und kommenden Mangel an Pflegepersonal. Remagener Beiträge zur Sozialpolitik 23-2019, Remagen 2019

Wie immer bei solchen komplexen Themen muss man genauer hinschauen. Dazu ein Blick auf die Altenpflege, denn eine der Botschaften des Statistischen Bundesamtes lautet: »Mehr Azubis, vor allem in der Altenpflege.« Und bekanntlich haben wir heute schon in der Altenpflege, nicht nur stationär, sondern auch zunehmend in den ambulanten Diensten, ein eklatantes Personalmangelproblem und angesichts der demografischen Entwicklung wird der zusätzliche Bedarf in den vor uns liegenden Jahren deutlich ansteigen, gleichzeitig werden viele Pflegekräfte aus der Generation der Babyboomer den Arbeitsmarkt altersbedingt verlassen und müssen ersetzt werden, unabhängig von irgendwelchen Wachstumsprozessen des Bedarfs. Eine doppelt große Herausforderung.

Nur für sich betrachtet und ohne Berücksichtigung der angesprochenen Folgefragen kann man durchaus von einem Erfolg sprechen, fangen doch immer mehr eine Ausbildung zum/zur Altenpfleger/in an. 2009 waren es 19.433, zehn Jahre später, also 2019, wurden dann schon 27.309 Anfänger/innen in der Altenpflege ausgewiesen – das ist ein ansehnlicher Anstieg von 40 Prozent.

Eine differenziertere Analyse des (scheinbar) erfolgreichen Ausbaus der Ausbildungszahlen in der Altenpflege findet man beispielsweise in dieser Veröffentlichung:

➔ Lukas Slotala (2019): Stellschrauben mit großer Wirkung. Ansätze zur Gewinnung neuer Auszubildender in der Altenpflege, in: Klaus Jacobs et al. (Hrsg.) (2019): Pflege-Report 2019, Berlin, S. 71-82

Der Autor weist auf eine wichtige Besonderheit hin: »Eine der wesentlichen Initiativen zur Förderung neuer Ausbildungsplätze in der Altenpflege war die „Ausbildungs- und Qualifizierungsoffensive Altenpflege“, die zwischen Bund, Ländern und Verbänden vereinbart und zwischen 2012 und 2015 durch eine Reihe von Maßnahmen umgesetzt worden ist … Eine der wenigen rechtlich verbindlichen und zugleich wichtigsten Fördermaßnahmen ist die (Wieder-)Einführung der dreijährigen Nachqualifizierung /Umschulung in der Altenpflege durch die Bundesagentur für Arbeit (kurz „WeGebAU “). Die Förderung wurde zunächst bis 2015 zeitlich befristet, später auf den Zeitraum bis zur Umsetzung des Pflegeberufegesetzes ab 2020 erweitert. Zielgruppe der Förderung sind geringqualifizierte Beschäftigte. Die Förderung besteht zum einen darin, dass die Lehrgangskosten durch die Bundesagentur erstattet werden und zum anderen, dass für die gesamte Dauer der Ausbildung (bis zu drei Jahre) die Bundesagentur einen Zuschuss zum Arbeitsentgelt während der Ausbildungszeit finanziert, der sich an dem bisherigen Gehalt orientiert.« Das hat gewirkt: »Die Wiedereinführung der dreijährigen WeGebAU-Förderung ging mit einem außerordentlichen Effekt einher: Die Zahl der jährlichen Eintritte von WeGebAU-geförderten Personen in die Altenpflegeausbildung stieg sprunghaft um 87 % an. Waren 2012 – also im Vorjahr des Förderbeginns – noch knapp 3.950 neue Eintritte in die von einer Agentur für Arbeit geförderte Altenpflegeausbildung gemeldet, wuchs die Zahl der Neueintritte im darauffolgenden Jahr auf 7.383.«

Die Bundesagentur für Arbeit ergänzt diese Hinweise in ihrer im Mai 2020 veröffentlichten Analyse Arbeitsmarktsituation im Pflegebereich: Mit dem Altenpflegegesetz und dem Gesetz zur Stärkung der beruflichen Aus- und Weiterbildung in der Altenpflege wurde die Förderung der Ausbildung zur Altenpflegefachkraft weiterhin, wenn auch jeweils befristet, durch die Agenturen für Arbeit bzw. die Jobcenter ermöglicht. Die jährliche Zahl der Eintritte lag in der Folge stabil bei rund 7.000.
Im Jahr 2019, mit Inkrafttreten des Qualifizierungschancenge- setzes, wurde die Möglichkeit der Förderung der beruflichen Weiterbildung Beschäftigter erweitert und es gab einen erneu- ten Anstieg. Insgesamt begannen 9.700 Teilnehmende eine Umschulung im Bereich der Altenpflege.

Mit Blick auf die seit Januar 2020 veränderte Landschaft der Pflegeausbildung wird seitens der BA angemerkt: »Während in den letzten fünf Jahren insgesamt 37.600 Personen eine Weiterbildung mit Abschluss in der Altenpflege begannen, waren es in der Krankenpflege lediglich 2.000. Im Rahmen des Pflegeberufereformgesetz (PflBRefG) wurde die SGB-III-Regelung zur Förderung von nicht verkürzbaren Ausbildungen jedoch um eine unbefristete Ausnahmeregelung für den neuen Pflegeberuf ergänzt (§ 180 Abs. 4 Satz 3 SGB III). Das bedeutet: Die neue Pflegeumschulung kann über die gesamte dreijährige Ausbildungsdauer durch die Agenturen für Arbeit und die Jobcenter gefördert werden.«

Man muss bei der Altenpflege also in Rechnung stellen, dass 20 Prozent bis ein Drittel der Ausbildungen über die Förderung der Arbeitsagenturen und Jobcenter läuft und es sich oftmals um lebensältere Menschen handelt. Und die geförderte Ausbildung in den Altenpflegeberufen hat sich über die Jahre verändert im Sinne einer deutlichen qualifikationszielbezogenen Aufwertung, wie die BA berichtet: »Im Jahr 2019 strebten von den 9.700 Eintritten in eine Weiterbildung mit Abschluss in der Altenpflege nur drei Prozent die Weiterbildung zum Altenpflegehelfer (300) und 97 Prozent eine Qualifizierung zur examinierten Altenpflegefachkraft (9.400) an … 2012 hatten noch knapp vier von zehn Eintritten in Weiterbildungen mit Abschluss den Altenpflegehelfer zum Ziel.«

Lukas Slotala (2019) bilanziert: »Einen entscheidenden Anteil an den bisherigen Wachstumsraten im Altenpflege-Ausbildungssektor hatte die (Wieder-)Einführung der dreijährigen Umschulungsmaßnahme der Bundesagentur für Arbeit (WeGebAU). Durch die Maßnahme können vor allem viele ältere Personen für eine Fachkraftausbildung gewonnen werden, die als ungelernte Beschäftigte („Hilfskräfte“ ohne staatlich anerkannten Abschluss in einem Pflegeberuf) in Pflegeeinrichtungen häufig seit vielen Jahren tätig sind. Das spezifische Förderangebot für Zielgruppen, die in vielen Fällen aus bildungsfernen Milieus kommen bzw. migrationsbedingt über keine anerkannten Qualifikationsabschlüsse verfügen, stellt für die betroffenen Personen häufig die berufsbiografisch erste und letzte Chance auf einen beruflichen Fachabschluss dar.« Und er weist auch auf diesen aus berufsfachlicher Sicht durchaus diskussionswürdigen Aspekt hin: »Die bundesweit gestiegene Nachfrage nach Ausbildungsplätzen in der Altenpflegeausbildung ist auf eine im Vergleich zu den anderen bundesrechtlich geregelten Pflege- und Gesundheitsfachberufen beispiellose Öffnung der Altenpflegeausbildung für Hauptschulabsolventinnen und Hauptschulabsolventen zurückzuführen … In NRW und Hessen, den Bundesländern mit den höchsten Zuwächsen bei den Ausbildungszahlen, besitzt inzwischen ungefähr jede dritte in der Altenpflegeausbildung befindliche Person einen Hauptschulabschluss. Derartig hohe Anteile von Hauptschulabsolventinnen und Hauptschulabsolventen weist kein anderer bundesrechtlich geregelter Gesundheitsfachberuf auf.«

➔ Und Slotala (2019) weist noch auf einen weiteren bedenklichen Aspekt hin – die Situation in den Ausbildungsstätten und damit verbunden die Qualität bzw. die Qualitätsanforderungen an eine Altenpflegeausbildung: »Die Steigerung der Ausbildungszahlen in der Altenpflege hat unter Rahmenbedingungen stattgefunden, die keine vollständige Gewähr für eine verlässliche und im Niveau angemessene schulische Qualitätssicherung geben konnten. Als problematisch erscheinen die erheblichen Unterschiede bei den bundeslandspezifischen schulischen Qualitätsvorgaben. Die nordrhein-westfälische Landesregierung hatte ihre landesrechtlichen Mindestanforderungen an die schulische Ausbildung im Zuge des Ausbaus der Ausbildungsplätze zwischenzeitlich ausgesetzt, in Hessen liegen diese teilweise deutlich unter dem Niveau anderer Bundesländer.« Und den folgenden Hinweis sollte man mal in aller Ruhe durchlesen: »Eine schon immer bestehende Lücke in der Qualitätssteuerung , die allerdings nicht erst im Zusammenhang mit den jüngst verstärkten Bemühungen um zusätzliche Auszubildende entstanden ist, sondern dem Altenpflegegesetz seit seiner Einführung innewohnt, ist im Zusammenhang mit der Durchführung der staatlichen Abschlussprüfung zu finden. Die staatliche Abschlussprüfung in der Altenpflege kann auch in den Fällen bestanden werden, in denen insgesamt mangelhafte oder ungenügende Prüfungsleistungen erbracht werden … Aufgrund der im Prüfungsrecht, § 9 der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für den Beruf der Altenpflegerin und des Altenpflegers, gegebenen Möglichkeit des Notenausgleichs können die im Staatsexamen erzielten Noten 5 und 6 durch Vornoten, die im Verlauf der Ausbildung vergeben wurden, ausgeglichen werden. Eine vergleichbare Regelung findet in keinem anderen Pflege- oder Gesundheitsfachberuf Anwendung.« Was das bedeuten kann? Slotala bringt das auf den Punkt: »Insofern ist bei den verstärkten Bemühungen zur Gewinnung leistungsschwächerer Zielgruppen für die Altenpflegeausbildung auch zu berücksichtigen, dass die staatliche Abschlussprüfung nur eingeschränkt eine nicht ausreichende Pflegekompetenz konsequent sanktionieren kann.«

Und wie ist es in der neuen Welt der Pflegeausbildung seit 2020?

Vor dem Hintergrund der zuletzt zitierten Hinweise auf die besonderer Bedeutung der Hauptschüler in den bisherigen Altenpflegeausbildungen wird dem einen oder anderen einfallen, dass das ja auch Thema war beim längeren gesetzgeberischen Gewürge um die Einführung einer generalistischen Pflegeausbildung, die mit dem Pflegeberufereformgesetz (PflBRefG) formal abgeschlossen wurde uns seit diesem Jahr gilt. Der ursprüngliche Ansatz einer vollständigen Generalisierung der Pflegeausbildung wurde im Gesetzgebungsverfahren vor allem nach Interventionen der Pflegeheimbetreiber wieder dahingehend aufgeweicht, dass es nun auch weiterhin die Option gibt, eine vom Niveau her abgesenkte Ausbildung zum Altenpfleger einzuschlagen, deren Abschluss sich von der einer generalistisch qualifizierten Pflegefachperson unterscheidet.

Naturgemäß ist die Datenlage hinsichtlich des noch laufenden Jahres schwierig, weil noch nichts vorhanden ist bzw. wir ein grundsätzliches Problem haben: Die Berichterstattung über die Pflegeberufsausbildungen ist gelinde gesagt miserabel bis nicht vorhanden. Im Bundestag wurde dazu eine Anfrage seitens der Grünen gestellt, die mittlerweile von der Bundesregierung beantwortet wurde:

Einstieg in die generalistische Pflegeausbildung während der COVID-19-Pandemie, Bundestags-Drucksache 19/23449 vom 15.10.2020

Viele Antworten der Bundesregierung sind sehr kurz: „Der Bundesregierung liegen keine Erkenntnisse vor.“

Derzeitiges Fazit: »Da die Ausbildung nach dem PflBG erst seit dem 1. Januar 2020 möglich ist, liegen der Bundesregierung die entsprechenden Ausbildungszahlen noch nicht vor. Dementsprechend lassen sich auch keine Schlüsse hinsichtlich eines Verlustes von Ausbildungsplätzen ziehen. Soweit Verbände von Schwierigkeiten bei der Bereitstellung von Ausbildungsplätzen berichten, werden verschiedene und regional unterschiedliche Gründe gesehen: Ein Grund sei die Notwendigkeit, geeignete Kooperationspartner zu finden. Wiederholt wird berichtet, dass mögliche Einsatzorte in der ambulanten Kurz- und Langzeitpflege in manchen Fällen nicht für Kooperationen zur Verfügung stünden, da es dort an Praxisanleiterinnen und -anleitern mangele.«

Man ahnt schon: Wie dürfen gespannt sein auf die nächste Folge der Serie „Pflegeausbildung“.