Tönnies und die doppelt vergessenen Unsichtbaren an den Fließbändern der Fleischindustrie

Was war das vor kurzem für eine Aufregung in den Medien, als bekannt wurde, dass mehr als 1.500 überwiegend osteuropäische Werkvertragsarbeitnehmer des Fleischbarons Tönnies mit Covid-19 infiziert sind. Tagelang beherrschte das und das dahinter stehende System der Auspressung die Schlagzeilen und der Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) konnte sogar innerhalb der Koalition die „Gunst der Stunde“ nutzen, um ein Verbot von Werkverträgen und Leiharbeit in den Kernbereichen der Fleischindustrie anzukündigen und auf den gesetzgeberischen Erarbeitungsweg zu geben. Eine besondere Unterstützung hat er dabei durch den Tatbestand bekommen, dass nicht „nur“ die bislang unsichtbaren osteuropäischen Arbeitskräfte massiv betroffen waren und sind von Covid-19, sondern die „Kollateralschäden“ für die Region und die dort lebenden Bürger inklusive eines regionalen Lockdowns haben Wut und Empörung und Ängste an die Oberfläche gespült, dass die „einheimische“ Bevölkerung zu Geiseln des Systems werden. Und die Zahl der erschütternden Berichte von Bewohnern der Region, die nicht mehr ihren Sommerurlaub antreten konnten oder sogar zurückgeschickt wurden aus den Urlaubsdestinationen, bekam einen ganz erheblichen Umfang – während gleichzeitig nach der Stilllegung des Schlachthofs in Rheda-Wiedenbrück die Berichterstattung über die Frage, wie es eigentlich den vielen betroffenen Fleischarbeitern geht, zu einem Rinnsal geworden ist, wenn überhaupt.

In so einer Situation hätte man den modernen Gesetzen der Aufmerksamkeitsökonomie folgend nach der Aufhebung der erneuten regionalen Beschränkungen des Lebens aller einfach den Ball eine Zeit lang flach halten müssen, um dann im Hintergrund einer Kulisse, die nicht mehr durch die Scheinwerfer des öffentlichen Interesses angestrahlt werden, eine Wiedereröffnung des riesigen Tötungswerkes (in dem vor dem Corona-Ausbruch täglich mindestens 20.000 Schweine – manche berichten von bis zu 30.000 Tieren – ihr kurzes Leben verloren haben) in die Wege zu leiten, denn parallel steigt von Tag zu Tag der Druck von der vorgelagerten Front, also seitens der Schweineproduzenten, die nicht mehr in der Lage sind, ihre Tiere zum „optimalen Schlachtzeitpunkt“ einer entsprechenden Verwertung zuzuführen, weil die Schlachtkapazitäten nicht mehr ausreichen.

➞ Dazu und als Beispiel für die auf absolute Effizienz getrimmte hochproduktive Welt der Fleischindustrie aus der Vielzahl der Berichte der Bericht Engpässe in Schlachthöfen: Für die Masttiere „eine Katastrophe“: »Die Situation ist verfahren. Gleich zwei große Schlachthöfe mussten wegen Corona-Ausbrüchen dicht machen: Der Tönnies-Schlachthof im nordrhein-westfälischen Rheda-Wiedenbrück und auch der Putenschlachtbetrieb Geestland in Wildeshausen in Niedersachsen. Die Schließung bringt die streng durchgetakteten Lieferketten der Branche durcheinander. „Gehen Sie mal davon aus, dass wegen der Betriebsschließung bei Tonnies derzeit täglich rund 20.000 Schweine weniger geschlachtet werden können“, sagt Holger Vogel, der Präsident des Bundesverbands der beamteten Tierärzte … Andere Schlachtbetriebe könnten nur begrenzt einspringen, weil sie keine Kapazitäten in Reserve halten … Das Problem ist bei Geflügel noch gravierender, weil Zuchtputen und Masthähnchen schneller wachsen und eine noch kürzere Lebensdauer haben: „Die Gesundheit von Masthähnchen ist nur auf rund 30 Tage angelegt“, sagt Vogel. „Danach kippen sie um, haben zum Beispiel Herz- und Kreislaufkrankheiten oder Beinschäden.“«

Und das hat enorme Auswirkungen nicht nur auf die Produzenten der Tiere, sondern auch auf die bisherigen Giganten der Schlachtungsbranche – also Tönnies (mit einem Marktanteil 2019 von 30,3 Prozent) und Westfleisch (mit einem Marktanteil von 14 Prozent im vergangenen Jahr): Der Tönnies-Schlachthof in Rheda-Wiedenbrück ist noch mindestens bis zum 17. Juli sollständig geschlossen und auch eine Wiederaufnahme des Betriebs wird sich wenn, dann über mehrere kleine Schritte und weit unterhalb der vorher gegebenen Kapazität vollziehen. Hinzu kommt: »In Coesfeld, wo der Tönnies-Konkurrent Westfleisch einen großen Schlachthof betreibt, ist man nach der coronabedingten Schließung im Mai bis heute nur bei einer Kapazitätsauslastung von 70 Prozent. Das ist vor allem dem Arbeitsschutz unter Coronabedingungen geschuldet. Bitter für Westfleisch in Coesfeld und Tönnies in Rheda-Wiedenbrück: Beide Fleischfirmen haben wegen der Coronafälle die Exportlizenz für China verloren. Bislang konnten die Unternehmen die hierzulande nicht gefragten Schweineteile wie Köpfe, Schwänze oder Füße nach China verkaufen. Nun müssen diese Teile teuer entsorgt werden«, so Alfons Frese in seinem Artikel: „Wir schieben Zehntausende Schweine vor uns her“. Zugleich befindet sich der Schlachtpreis, also das, was die noch 30.000 Schweinemäster in Deutschland für ein ausgenommenes Schwein bekommen, im Sinkflug. Die Preise verfallen an dieser Stelle des Marktes, da wirken die Gesetze von Angebot und Nachfrage ohne Rücksicht auf irgendwelche Verluste.

Aber wieder zurück in die Untiefen des Umgangs mit dem Fiasko bei Tönnies. Die regional Verantwortlichen, die es ja auch deshalb „schwer“ haben, weil sie jahrelang Teil des Systems Tönnies waren und weil der Staat generell, wenn man genau hinschaut, durch ein massives Staatsversagen beim Arbeits- und auch Gesundheitsschutz auffällig geworden ist, versuchten sich gegenüber den aufgebrachten Bürgern, die nun „Opfer“ der Ansteckungen der bislang im Verborgenen gehaltenen Menschen aus anderen Ländern geworden mit diesen typisch markig daherkommenden wohlfeilen Ankündigungen, die an das angebliche Gerechtigkeitsempfinden adressiert sind, zu exkulpieren: Man werde dem Tönnies eine saftige Rechnung für all die Schäden, die er angerichtet hat, zustellen. Und noch mehr: »Arbeitsminister Heil hat die Firma Tönnies aufgefordert, für Schäden durch den Corona-Ausbruch im Kreis Gütersloh aufzukommen. Grünen-Politiker Hofreiter brachte eine persönliche Haftung des Konzernchefs ins Spiel«, so diese Meldung: „Tönnies muss für Schäden haften“. Und richtig dicke Backen hat mal wieder der SPD-Politiker Ralf Stegner gemacht: »“So jemand braucht nicht staatliche Hilfe durch Steuergelder, der sollte zur Verantwortung gezogen werden. Vielleicht kommt er irgendwann in staatliche Kost und Logis.“ Bei Tönnies würden Gesetze missachtet. Dem müsse mit aller Konsequenz nachgegangen werden«, kan man diesem Artikel entnehmen: Stegner spekuliert über mögliche Haftstrafe für Unternehmer Tönnies.

Wirklich interessant an den Ausführungen von Stegner sind nicht die Träumereien von einem inhaftierten Fleischbaron, sondern dieser Passus: „So jemand braucht nicht staatliche Hilfe durch Steuergelder.“ Also das ist doch das Mindeste, werden die in den Details unbelasteten Bürger an dieser Stelle unterstreichen, hervorheben und als Selbstverständlichkeit abheften wollen. Irrtum. Denn genau um Steuermittel geht es jetzt – und Tönnies hat, wohl auch vor dem Hintergrund der Debatte seine Person betreffend, den Finger auf eine große, offene Wunde für die Politiker gelegt (was er nicht hätte machen müssen, er hätte das auch auf sparsamer Flamme betreiben können und würde dennoch an den Tropf mit den Steuergeldern kommen). Um was genau geht es?

»Der massenhafte Corona-Ausbruch beim Fleischbetrieb Tönnies brachte eine ganze Region in den Lockdown. Nun fordert der Fleischbaron Lohnentschädigung vom Land. Die Politik ist entsetzt«, können wir unter dieser Überschrift lesen: „Das versteht doch kein Mensch“: Politiker sind entsetzt über Tönnies‘ „dreiste“ Forderung: »… nun fordert Fleischbaron Clemens Tönnies Geld vom Land zurück. Weil seine Schlachthöfe bis mindestens 17. Juli geschlossen bleiben müssen, verlangt er nun eine Erstattung der Lohnkosten. Entsprechende Anträge der Firma Tönnies sowie einiger Subunternehmer sind beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe eingegangen.«

Sofort drängen zahlreiche Politiker an die Mikrofone oder lassen und die Tasten hauen. Einige Beispiele aus dem Artikel:

»In der Politik kommt die Forderung … gar nicht gut an: „Ich habe dafür wenig Verständnis“, sagte Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner im Gespräch mit der „Bild am Sonntag“. Durch den Fall sei eine ganze Region in Mitleidenschaft gezogen worden, und der Ärger der Bürger darüber werde „durch das jetzige Vorgehen sicherlich nicht kleiner werden.“ Auch Karl-Josef Laumann, Gesundheitsminister in Nordrhein-Westfalen, richtet deutliche Worte an Tönnies: Der Unternehmer solle sich „sehr genau überlegen, was man den Bürgerinnen und Bürgern in Nordrhein-Westfalen eigentlich noch alles zumuten will“, zitiert ihn die „Bild am Sonntag“. Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter bezeichnete die Forderung schlicht als „dreist“. Und Katja Mast, stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, sagte am Freitag gegenüber der Deutschen Presse-Agentur: „Lohnkostenerstattung vom Land zu fordern ist ein Unding. Da reibt man sich die Augen, das versteht doch kein Mensch.“ Das Infektionsgeschehen und Tönnies‘ Geschäftsmodell würden unmittelbar zusammenhängen, „und jetzt soll die Allgemeinheit bezahlen?“«

Gut gebrüllt, mag man schlussfolgern, aber wirklich interessant und relevant ist der letzte Passus in dem Beitrag: »Unklar ist …, warum Tönnies zum jetzigen Zeitpunkt die Anträge eingereicht hat, wo der öffentliche Druck auf den Unternehmer gewaltig ist. Denn ein Antrag auf Entschädigung kann bis zu zwölf Monate nach der Quarantäne eingereicht werden.«

Das ist wahrscheinlich vor dem Hintergrund des Versuchs, alle „Schuld“ bei Tönnies zu personalisieren, aus Sicht des Fleischbarons gar nicht so „unklar“, sondern ein für die Politiker unangenehmer Hinweis auf die Rechtslage, auf die sich der Milliardär hier bezieht. In dem Artikel heißt es dazu: »Schließen Gesundheitsämter Betriebe und ordnen eine Quarantäne an, sieht das Infektionsschutzgesetz vor, dass Lohnkosten erstattet werden können.«

An dieser Stelle hilft der Blick in das relevante Gesetz, hier das Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz – IfSG) und dabei konkret in den § 56 IfSG. Der steht nämlich unter der Überschrift „Entschädigung“. Darauf bezieht sich Tönnies – und was die Politiker wirklich erbost ist die Tatsache, dass er das jetzt offensiv tut, statt hinter den Kulissen den Apparat laufen zu lassen.

Aber ist das wirklich so eindeutig? »Es scheint … fraglich, ob Tönnies und die Subunternehmen mit ihren Anträgen auf Lohnkostenerstattung Erfolg haben werden. Aus allgemeinen Erläuterungen geht hervor, dass es bei angeordneten Betriebsschließungen kein Anrecht auf eine Entschädigung gibt«, so der Hinweis von Kristian Frigelj in seinem Beitrag Und jetzt will Tönnies Hilfe vom Staat – was besagt das Recht? Er führt das nicht weiter aus, sondern verweist hier auf die Erläuterungen Entschädigung bei Quarantäne oder Tätigkeitsverbot des Landschaftsverbandes Rheinland.

➞ Möglicherweise bezieht sich der Verfasser des Artikels bei seiner allerdings nicht weiter begründeten Behauptung von der „Fraglichkeit“ des Antrags von Tönnies und seinen Subunternehmern auf diesen Passus in den Erläuterungen:
»Fallen die Erlasse der Landesregierung zur Schließung von Geschäften, Betrieben u.a. unter die Erstattungsregelungen?
Nein. Die angeordneten Schließungen von Geschäften, Betrieben, Freizeiteinrichtungen, Sportstudios, Friseuren oder die Untersagung n Veranstaltungen aller Art stellen kein Tätigkeitsverbot im Sinne des Gesetzes dar! Die Maßnahmen der Landesregierung und der Kommunen beruhen jedoch auf einer anderen Rechtsgrundlage (§ 28 Abs. 1 Satz 2 IfSG), um durch Inanspruchnahme der Allgemeinheit die Ausbereitungsgeschwindigkeit der COVID-19-Epidemie zu senken. Deshalb wird wegen Betriebsschließungen oder Einnahmeausfällen infolge der Schließungen und Veranstaltungsabsagen keine Entschädigung des Verdienstausfalls gewährt.«
Möglich, dass das auch für Tönnies & Co. gilt. Die Juristen werden sicher alsbald eine klare Zuordnung des Falls Tönnies geben können, das müsste auch aus dem Homeoffice möglich sein.

In der FAZ vom 11.07.2020 wird unter der Überschrift „Tönnies fordert Erstattung von Lohnkosten“ dieser Hinweis gegeben: »Erfolg versprechen die Anträge allerdings nur für einen äußert kurzen Zeitraum: Denn die Erlasse der Landesregierung zur Schließung von Betrieben fallen nicht unter die Erstattungsregelung. Sie stellen nämlich kein Tätigkeitsverbot im Sinne des Gesetzes dar. Eine Erstattung kommt also nur für den Zeitraum in Frage zwischen den Quarantänemaßnahmen nach den ersten positiven Tests und der Schließung des Werks am 17. Juni. Zu dem Zeitpunkt gab es 657 Neuinfizierte, inzwischen wurden insgesamt gut 1500 Tönnies-Mitarbeiter positiv auf das Coronavirus getestet.«

Der eigentliche Skandal ist ganz woanders: Bei den doppelt Vergessenen

Erneut also kreist die Diskussion nicht um die wirklich Betroffenen, also die vielen osteuropäischen Werkvertragsarbeitnehmer, die am Ende der Nahrungskette stehen, die man vorher trotz seit Jahren immer wiederkehrender Berichte über die skandalösen Arbeitsbedingungen in der Branche partout nicht zur Kenntnis nehmen wollte und die nach einem kurzen Moment des Entsetzens in den Medien auch schon wieder verschwunden sind aus der Berichterstattung, nachdem in der Akutphase des Skandals in dem einen oder anderen Bericht mit spitzen Fingern ein wenig der Schleier gelüftet wurde. Das ist wieder vorbei. Erneut werden wir konfrontiert mit einem so typischen und mehr als beklemmenden Merkmal im Kontext der Nicht-Berichterstattung über die Osteuropäer in unserem Land (und man sollte an dieser Stelle nicht vergessen, dass es Hunderttausende von ihnen auch in vielen anderen Branchen es Landes gibt, auf dem Bau, auf den Straßen als Lkw-Fahrer, in den Logistik-Unternehmen usw.): Entpersonalisierung. Den Menschen wird gerade kein Gesicht gegeben (anders beispielsweise die verständlicherweise empörten Bürger der betroffenen Region, die immer wieder ihren Unmut in die Kameras sagen dürfen/müssen).

Eigentlich naheliegend wären doch solche Fragen, die gerade von den Medien gestellt und verfolgt werden müssten: Was ist mit den Menschen aus dem Maschinenraum der Fleischindustrie, die sich infiziert haben und die man in Quarantäne gesteckt hat, passiert? Wo sind die? Wie geht es ihnen? Wer kümmert sich um sie?

Es gibt wie immer einige wenige Ausnahmen. Und auf eine solche soll hier hingewiesen werden:

„Gut, dass ihr hier seid“, sagt Piotr Brzozowski und zieht an einer Zigarette. „Reden wir, ich bin stinksauer.“ Brzozowski teilt sich seine Wohnung mit drei Männern, im Haus sind sie fast 30. Alle arbeiten für Tönnies. So beginnt der wichtige und lesenswerte Artikel Das große Warten von Jonas Seufert und Lukasz Grajewski, der in der taz veröffentlicht wurde. Die beiden Autoren sind zu den Betroffenen hingegangen und sie haben ihnen eine Stimme und ein Gesicht gegeben. »Seit drei Wochen sind viele, die bei Tönnies arbeiten, in Quarantäne. Ihr Unmut richtet sich gegen die Behörden und gegen ihre Arbeitgeber.«

»Rund 7.000 Menschen schuften in Rheda-Wiedenbrück unweit von Gütersloh für den Unternehmer Clemens Tönnies. Die meisten kommen aus Osteuropa, aus Polen, Rumänien, Bulgarien. Sie wohnen in Dörfern und Städten rund um die gigantischen Werkshallen, in Wohnungen in Gütersloh, in Mietskasernen in Verl, in heruntergekommenen Nachkriegsbauten in Rietberg. Ein Heer an Arbeitern, die meisten angestellt bei einem der etwa 25 Subunternehmen, die Werkverträge mit Tönnies geschlossen haben.«

»Der Kreis Gütersloh schloss den Schlachthof und stellte die gesamte Belegschaft unter Quarantäne. In Verl zog die Stadt einen Bauzaun um die Unterkünfte der Arbeiter. In Rietberg passt ein privater Sicherheitsdienst auf, dass die Arbeiter nicht weglaufen.
Viele sitzen seit drei Wochen in ihren Unterkünften und sind schlecht gelaunt. Sie wissen nicht, wann sie wieder rausdürfen. Sie wissen nicht, ob sie für die Zeit der Quarantäne Geld bekommen. Manche kriegen nicht genug Essen, sagen sie, weil die Subunternehmen, bei denen sie angestellt sind, zu wenig liefern.«

»Zweimal die Woche testen Feuerwehrleute, Soldaten, Angestellte von sozialen Trägern und Freiwillige die Arbeiter und ihre Kontaktpersonen. Sie fahren in sogenannten mobilen Teams zu den Wohnungen, klingeln, fragen nach Symptomen, nehmen Abstriche und schicken sie ins Labor. Was sie nicht dabeihaben: Informationen. Wie lange dauert die Quarantäne noch? Warum darf mein Mitbewohner schon wieder raus und ich nicht? Werden wir diesen Monat bezahlt? Wann können wir wieder arbeiten?
Sie verweisen dann auf eine Telefonnummer, die Hotline des Gesundheitsamts. Die Arbeiter sagen, dort erreichen sie selten jemanden, oft scheitere es auch an der Sprache. Brzozowski sagt, dass sich auch eine deutsche Freundin für ihn erkundigt habe – erfolglos. „Ich habe keine Informationen.“«

Und dann steigen Jonas Seufert und Lukasz Grajewski noch weiter runter und beschreiben die teilweise nur noch als kafkaesk zu charakterisierende Lage der betroffenen Arbeiter – eine absolute und wichtige Leseempfehlung angesichts der bereits wieder funktionierenden Entpersonalisierung, die dazu geführt hat und führt, dass die Unsichtbaren unsichtbar sind.

Aber der Staat hat die gleiche Verantwortung, sich mindestens in dem Umfang um diese Menschen zu kümmern und ihnen konkret zu helfen, wie er in kürzester Zeit massenhafte Testmöglichkeiten organisiert hat für diejenigen im betroffenen Landkreis, die dringend eine Bescheinigung brauchen, um in den Sommerurlaub fahren zu können. Mindestens ist dabei noch eine völlige Untertreibung der Verantwortung der staatlichen Behörden und der Politik. Das kann man dann ja dem Schweine-Milliardär Tönnies in Rechnung zu stellen versuchen.