Spanien führt ein „Grundeinkommen“ ein, aber nicht bedingungslos, eher eine Art Hartz IV

Spanien war schon während der letzten schweren Krise 2009 hart getroffen von den wirtschaftlichen Verwüstungen. Und auch in diesen wirren Tagen der Corona-Krise erreichen uns zahlreiche Katastrophenmeldungen hinsichtlich der Auswirkungen der Pandemie von der iberischen Halbinsel. Noch unabsehbar sind die ökonomischen Folgen des harten Lockdown, der in den vergangenen Wochen das Land lahmgelegt hat.

Die Schneise der Verwüstung trifft ein Land, das schon vor Corona mit massiven Armut- und Verarmungsproblemen konfrontiert war, obgleich es nach außen so aussah, als würden sich die Spanier nach der Finanz- und Weltwirtschaftskrise 2009 und der sich anschließenden „Euro-Krise“ seit einiger Zeit wieder auf dem Höhenflug befinden. Aber „die“ Spanier gibt es ebenso wenig wie „die“ Deutschen. Schon »vor der Coronakrise lebten viele immer noch von der Hand in den Mund, mit Zeitverträgen, die manchmal nur ein paar Tage dauern. Und viele dieser Menschen stehen jetzt mit Nichts da, deren Jobs in der Tourismusindustrie, im Handel oder der Reinigungsbranche sind weggefallen … 20 Prozent gelten durch prekäre Arbeitsbedingungen in Spanien als arm. Bei etwa vergleichbaren Lebenshaltungskosten wie in Deutschland«, so dieser Beitrag: Regierung will soziale Abstürze verhindern. Die Arbeitslosigkeit ist inzwischen die zweithöchste in Europa nach Griechenland mit aktuell 17 Prozent. Allein im März stieg die Zahl der Arbeitslosen in Spanien um fast eine Million auf etwa 3,5 Millionen. Rund 900.000 Kleinstunternehmer und Selbstständige haben den Staat inzwischen um Hilfe bitten müssen, weil ihre Einnahmen weggebrochen sind. In dieser Situation hat die derzeitige spanische Regierung etwas vorgezogen, was bereits vor der Corona-Krise vereinbart wurde.

In Spanien wird es für arme Familien erstmals ein monatliches „Grundeinkommen“ geben. Das beschloss die Regierung von Ministerpräsident Pedro Sánchez unter dem Eindruck wachsender sozialer Not durch die Corona-Krise. Das Vorhaben war bereits Teil der Koalitionsvereinbarungen zwischen dem sozialistischen Regierungschef und seinem Partner Pablo Iglesias vom Linksbündnis Unidas Podemos.

Bereits am 7. April 2020 berichtete Reiner Wandler unter der etwas irreführenden Überschrift Lebenslang Geld für jeden: »Die sozialen Opfer der Coronavirus-Krise in Spanien können hoffen. Das Sozialministerium „sei dabei, ein lebenslanges Grundeinkommen“ zu koordinieren, erklärte … Wirtschaftsministerin Nadia Calviño in einem Interview … „Es steht in der Regierungsvereinbarung und wir werden es im Laufe der Legislatur umsetzen“, erklärte die Ministerin und eine der Vizechefinnen der Koalitionsregierung aus der sozialistischen PSOE und der linksalternativen Unidas Podemos (UP) unter Ministerpräsident Pedro Sánchez. Das Grundeinkommen sei „nicht nur für diese Ausnahmesituation“, bekräftigte Calviño, „sondern für immer“ … Als Sozialisten und Linksalternative vergangenen Dezember die Grundlage für eine Koalition schufen, war von einem Grundeinkommen von 1.100 Euro für eine Familie mit zwei Kindern die Rede. Die Presse schätzt die Kosten auf jährlich bis zu 3,5 Milliarden Euro.«

Nun wird der Ansatz im Zuge der verheerenden Auswirkungen der Corona-Krise also vorgezogen. Das „Grundeinkommen“ kommt – wörtlich wird es als „ingreso mínimo vital“ bezeichnet. Das kann man übersetzen mit „Mindesteinkommen zum Leben.“ Wobei man unterscheiden muss zwischen der Leistung und dem Mindesteinkommen zum Leben, das gleichsam als Referenzpunkt verdient – immer wieder taucht hier der Betrag von 1.050 Euro auf. Zu der nunmehr angeblich ab Juni beantragbaren Leistung erläutert Reiner Wendler in seinem Artikel Knapp unter dem Mindestlohn:

»Das neue Mindesteinkommen richtet sich an 850.000 Haushalte mit rund 2,3 Millionen Mitgliedern. Das neue Gesetz klassifiziert die bedürftigen Haushalte in 14 Gruppen, je nach Anteil der Erwachsenen und Kinder, und legt das entsprechende Mindesteinkommen fest. Wer dies nicht erreicht, erhält die Differenz vom Staat.«

»Alleinstehende haben ein Recht auf mindestens 461 Euro im Monat. Das ist knapp unter dem, was Rentner erhalten, die nie eingezahlt haben. Das Existenzminimum für Lebensgemeinschaften aus Erwachsenen und Kindern wird auf bis zu 1.015 Euro monatlich festgelegt, knapp weniger als der gesetzliche Mindestlohn. Wer die Hilfe beantragt, muss mindestens 21 Jahre alt sein und sich vor drei Jahren vom Elternhaus emanzipiert haben. Obergrenze sind 65 Jahre. Ab dann gibt es Rente, auch für die, die nicht eingezahlt haben. Beantragt werden kann die neue Hilfe bereits ab Juni. Ausgezahlt wird sie von der staatlichen Sozialversicherung, die insgesamt drei Milliarden Euro jährlich dafür veranschlagt. Wer das Glück hat, in einer Region zu leben, die ebenfalls ein Hilfsprogramm für die Existenzsicherung hat, kann beide beantragen.«

An anderer Stelle findet man diese Beschreibung, die auf Zugangshürden verweist: »Die Hilfen betragen monatlich zwischen 460 und 1000 Euro, je nach Zusammensetzung und Größe des Haushalts. Anspruchsberechtigt sind in der Regel Personen zwischen 23 und 65 Jahren, die seit mindestens drei Jahren einen selbstständigen Haushalt führen, mindestens ein Jahr sozialversicherungspflichtig waren und deren Einkommen pro Person im Haushalt unter 230 Euro im Monat liegt.«

Auf den angesprochenen Überschneidungsbereich zu bereits bestehenden Sozialhilfe-Leistungen in bestimmten Regionen hat auch Jessica Sturmberg in ihrem Beitrag hingewiesen: »In einigen Regionen gibt es Sozialhilfen, die sollen sich zum Teil kombinieren lassen. Aber gedeckelt.« Der spanische Politikwissenschaftler Pablo Simón von der Universität Carlos III in Madrid wird mit diesen Erläuterungen zitiert: Im Baskenland und in der Region Madrid existierten bereits solche „lebensnotwendigen Mindesteinkommen“. Neu ist die Einführung auf nationaler Ebene, die deutlich größere Anzahl der Leistungsbezieher sowie die Höhe der Kosten, die dadurch entstehen – drei Milliarden Euro pro Jahr werden derzeit kalkuliert. Daraus ergeben sich auch offene Fragen, so Simón: Inwiefern werden diese Gelder die Unterstützungszahlungen der regionalen Behörden ersetzen oder ergänzen? Hinsichtlich der nationalen und regionalen Ebene: Wer ist wofür verantwortlich? Wer entscheidet, wer für diese Zahlungen infrage kommt? Sind die Kriterien eindeutig? Oder lassen Sie Spielraum für Interpretationen?

Eines ist die neue Leistung in Spanien aber nicht: ein „bedingungsloses Grundeinkommen“. Wenn, dann kann man sie am ehesten in den Formenkreis des deutschen Hartz IV-Systems, also einer nicht-bedingungslosen Grundsicherung, einordnen. Denn:

➔ Für die Bewilligung des Mindesteinkommens werden erstmals in Spanien die Daten der Sozialversicherung, des Finanzamtes und anderer staatlicher Stellen abgeglichen, um Missbrauch auszuschließen. Die von dem Mindesteinkommen Begünstigten müssen sich an Programmen zur sozialen und beruflichen Integration beteiligen, wenn sie diese angeboten bekommen. Für die neue Sozialhilfe müssen die Empfänger aktiv auf dem Arbeitsmarkt nach Arbeit suchen.

Man achte auf die Wortwahl: Der spanische Sozialminister Pablo Iglesias wird mit den Worten zitiert, die Maßnahme könne bis zu 1,6 Millionen Menschen aus der extremen Armut holen. Und die Überschrift der Meldung bringt den Charakter dessen, was in Spanien nun auf die Schiene gesetzt wurde, ganz gut zum Ausdruck: Spanien führt „minimales Grundeinkommen“ ein – unter bestimmten Voraussetzungen und nicht für alle. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.