Dann macht doch Heimarbeit … Ungleiches Arbeiten zu Hause (nicht nur in viralen Zeiten)

Bei all dem Durcheinander, das sich seit Tagen über das Land legt, taucht immer wieder die Botschaft auf, man arbeite jetzt im Homeoffice. Auf Twitter kann man romanlängenhafte Tweetsammlungen erstellen, wo über die Erfahrungen berichtet wird von Menschen, die jetzt von zu Hause arbeiten dürfen und können, sollen und müssen. Wenn man nur diesen Ausschnitt berücksichtigen würde, dann muss man zu dem Ergebnis kommen, das ganze Land arbeitet nunmehr von zu Hause.

Das ganze Land und seine Bewohner? Wohl kaum, wenn man beispielsweise nur an die denkt, die jetzt in den Gesundheitseinrichtungen die Stellung halten (müssen). Nicht nur die Pflegekräfte und Ärzte. Da sind auch die vielen Menschen, überwiegend Frauen, die im Einzelhandel den Laden am Laufen halten. Und auch die Müllwerker können ihren Job nicht von zu Hause erledigen, ebenso die Mitarbeiter der Verkehrsbetriebe, die Polizeibeamten, die Bauarbeiter. Beschäftigte in der Gastronomie und und und.

Nun soll es hier nicht primär darum gehen, was derzeit in den Wohnungen und Häuser abläuft, was die gleichzeitig stillgelegte Kinderbetreuung und die geschlossenen Schulen in Kombination mit Arbeit von zu Hause für die davon Betroffenen bedeutet. Aber die Hinweise auf die vielen Berufsgruppen zeigen bereits, dass die Frage, wo man arbeiten kann (und muss), ungleich verteilt ist. Vor diesem Hintergrund hier ein kurzer Ausflug in das, was wir über dieses Homeoffice unter Normalbedingungen wissen und warum das auch aus Ungleichheitsaspekten interessant ist.

Die Diskussion über Vor- und Nachteile der Heimarbeit hat eine lange Geschichte und sie war immer kontrovers. In der jüngeren Vergangenheit haben wir erneut (denn das ist nichts Neues) einen dieser Schübe erlebt, in denen besonders die positiv daherkommenden Versprechungen, die an das Arbeiten im Homeoffice geknüpft werden, in den Vordergrund geschoben wurden. Vor genau einem Jahr wurde hier über politische Instrumentalisierungen und Vorschlägen für gesetzgeberische Aktivitäten berichtet, so in dem Beitrag Homeofficeritis zwischen rosarotem Marketing und einem Desaster gerade für Frauen vom 10. März 2019. Konkret ging es um die Forderung nach einem Rechtsanspruch auf Homeoffice, der aus den Reihen der SPD vorgetragen wurde:

Nach dem Willen von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) soll es unter bestimmten Bedingungen ein Recht auf Homeoffice geben. Ein Recht auf Arbeiten von zu Hause aus soll per Gesetz festgeschrieben werden. „Wir werden ein Recht auf mobiles Arbeiten und Homeoffice gesetzlich verankern, damit mehr Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von den digitalen Vorteilen profitieren können“, so wird aus einem Konzept der Sozialdemokratie in dem Artikel SPD fordert Recht auf Homeoffice zitiert. „Wir werden aber auch Beschäftigte vor einer überbordenden Inanspruchnahme und der Anforderung einer ständigen Erreichbarkeit oder Präsenz durch den Arbeitgeber schützen.“

➔ In der Debatte vor einem Jahr haben die Befürworter des Vorstoßes Immer wieder gerne auf die Niederlande verwiesen, denn dort gebe es einen solchen Rechtsanspruch schon. Ein genauerer Blick auf die Hintergründe zeigt aber, warum man immer verdammt vorsichtig sein sollte, wenn es um partielle Ländervergleiche gehr, denn meistens ist das in einen größeren und landesspezifischen Kontext eingebunden: »Jeder, der will, darf zu Hause arbeiten: In den Niederlanden gibt es jetzt einen Rechtsanspruch aufs Homeoffice – gegen den lautstarken Protest der Arbeitgeber«, berichtet bereits im April 2015 Benjamin Dürr in seinem Artikel Ich will Heimarbeit – du darfst. Aber auch hier muss man genauer lesen: »Natürlich müssen auch Niederländer, wie bisher, einen Antrag bei ihrem Chef stellen, wenn sie einen Teil ihres Jobs von zu Hause aus erledigen wollen. Und natürlich kann ein Arbeitgeber das weiterhin ablehnen. Mit der Neuregelung liegt dann aber die Beweislast beim Arbeitgeber.« Nun gab es auch in den Niederlanden vor allem andere Interessen als nur die, den Arbeitnehmern zu helfen, zu ihrer Wunscharbeitsform zu kommen, denn der Rechtsanspruch auf Homeoffice »wurde als kleiner Teil einer groß angelegten Reform des Pflegesystems verkauft: Der Staat zieht sich im Pflegesektor zurück, flexiblere Arbeitsmöglichkeiten sollen Angehörige dazu bringen, sich um pflegebedürftige Eltern oder Nachbarn zu kümmern.« Zur niederländischen Gesetzgebung vgl. auch diese kurze Ausarbeitung: Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages (2016): Einzelfragen zum niederländischen Gesetz über die Flexibilität am Arbeitsplatz.

Parallel wurden wir mit Befunden über die große Hoffnung Homeoffice konfrontiert, die einen ernüchtern sollten: »Frauen und Männer mit Kindern nutzen flexible Arbeitsmodelle wie Gleitzeit, Vertrauensarbeitszeit und Homeoffice unterschiedlich: Während die Väter sehr viel mehr Zeit in den Job stecken, machen Mütter etwas mehr Überstunden, vor allem nehmen sie sich aber deutlich mehr Zeit für die Kinderbetreuung. Damit hilft flexibles Arbeiten zwar bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie, es kann zugleich aber auch die klassische Rollenverteilung zwischen Frauen und Männern festigen oder sogar verstärken … Mehr Freizeit haben weder Mütter noch Väter durch flexible Arbeitszeiten.« So diese Studie aus dem gewerkschaftsnahen Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung:

➔ Yvonne Lott (2019): Weniger Arbeit, mehr Freizeit? Wofür Mütter und Väter flexible Arbeitsarrangements nutzen. WSI Report Nr. 47, Düsseldorf: Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliches Institut (WSI), März 2019

Die Schlussfolgerung vor einem Jahr hinsichtlich des Vorstoßes auf eine gesetzgeberische Regelung im Sinne eines Rechtsanspruchs auf Homeoffice fiel mehr als skeptisch aus: »Man sollte den Menschen kein Obst vor die Augen hängen, dass sie nicht werden erreichen können. Da, wo man partielles Homeoffice organisieren kann, sollten Arbeitgeber und Arbeitnehmer sich darauf verständigen. Und wenn es sich um Mangelberufe handelt, wird die Bereitschaft der Arbeitgeber, den eigenen Leuten entgegen zu kommen, wachsen. Aber das muss ausgehandelt werden in den Betrieben. Hier lassen sich kaum schematische Vorgaben machen. Und ein Gesetz, dass die „Beweislast“ zuungunsten der Arbeitgeber umgekehrt, kann man gerne einführen (und es hat den Vorteil, dass es den Gesetzgeber erst einmal nichts kostet), aber es wird nichts an den Realitäten des Arbeitsmarktes ändern. Erneut sind wir also konfrontiert mit symbolischer Politikgestaltung. Das kann man zwar versuchen, wird sich aber in der Wirklichkeit entblättern und möglicherweise auch negative Folgewirkungen bei vielen Menschen entfalten, die glauben, was das kommuniziert wird.« Vgl. ergänzend den Beitrag Arbeit im Homeoffice zwischen heimeligen Erwartungen und tatsächlichen Fallstricken vom 18. April 2019. Um die durchaus vorhandenen positiven Aspekte bestimmter Heimarbeitskonstellationen realisieren zu können, müssen nicht-triviale Voraussetzungen erfüllt sein. Dazu weiterführend diese Veröffentlichung:

➔ Yvonne Lott (2020): Work-Life Balance im Homeoffice: Was kann der Betrieb tun? Welche betrieblichen Bedingungen sind für eine gute Work-Life Balance im Homeoffice notwendig? WSI-Report Nr. 54, Düsseldorf: Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliches Institut (WSI), Januar 2020

Was aber wissen wir wirklich über die, die (nicht) zu Hause arbeiten können, dürfen – oder auch müssen? Es ist gar nicht so einfach, hie valide Daten zu bekommen. In diesem Kontext lohnt ein Blick auf die USA, wo man der angesprochenen Frage nachgegangen ist im Rahmen des American Time Use Survey (ATUS). Im vergangenen Jahr wurden die Ergebnisse veröffentlicht, u.a. zu den Möglichkeiten, zu Hause arbeiten zu können – sowie deren tatsächliche Umsetzung. Die vorgenommene Differenzierung der Befunde nach sozioökonomischen Kriterien erlaubt einen interessanten Blick auf die sehr ungleiche Verteilung dessen, was als Homeoffice diskutiert wird.

Die ungleiche Verteilung kann man beispielhaft festmachen an den Kriterien Einkommenshöhe und Bildungsabschluss der Arbeitnehmer:

Die dargestellten Ergebnisse sprechen für sich und für das Fazit, dass wir mit einer erheblichen sozialen Schichtung bei den Möglichkeiten wie auch der tatsächlichen Inanspruchnahme von Arbeit zu Hause konfrontiert sind. Man wird plausibel davon ausgehen können, dass wir bei allen Unterschieden zwischen dem US-amerikanischen und dem deutschen Arbeitsmarkt ein vergleichbares Muster der unterschiedlichen sozialen Schichtung auch bei uns feststellen würde.

Hier einige ergänzende Zahlen aus der US-amerikanischen Auswertung:

➞ Forty-two million wage and salary workers (29 percent) could work at home, and 36 million workers (25 percent) sometimes worked at home. Among those who worked at home, 24 percent did so because of a personal preference, 23 percent worked at home to catch up on work, 22 percent did so to coordinate their work schedule with personal or family needs, and 16 percent did so because the job required it.
➞ Of the 25 percent of wage and salary workers who worked at home at least occasionally, 67 percent were paid for this work, 21 percent were not paid for this work, and 12 percent performed both paid and unpaid work at home.
➞ Twenty-one million workers—15 percent of all wage and salary workers—had days they only worked at home.
➞ Among those who worked at home, women were more likely than men to work at home to finish or catch up on work (26 percent, compared with 21 percent) and to coordinate their work schedule with personal or family needs (25 percent, compared with 20 percent). Men were more likely than women to work at home because of a personal preference (27 percent, compared with 21 percent).
➞ In 2017-18, about one-half of workers in management, business, and financial operations occupations sometimes worked at home. These workers were more likely to work at home than workers employed in other occupations.
Quelle: Bureau of Labor Statistics (2019): Job Flexibilities and Workers Schedules – 2017-2018 Data from the American Time Use Survey, 24.09.2019