Viele machen es. Für wenig Geld. Die Systemgastronomie und die gewerkschaftliche Forderung nach mindestens 12 Euro für eine Stunde. Neues aus dem Niedriglohnsektor

Es sind schon beeindruckende Zahlen, wenn sie denn stimmen. Über 30 Prozent der Menschen ab 14 Jahre besuchen mindestens einmal im Monat eine der McDonald’s-Filialen. Offensichtlich funktioniert das Konzept der standardisierten Erwartbarkeit. Es sind nicht nur McDonald’s und mit einigem Abstand Burger King, sondern auch Starbucks, Kentucky Fried Chicken, Pizza Hut, Café del Sol oder Vapiano. Dem Markt geht es gut. Für de deutsche Systemgastronomie wird ein Nettoumsatz von fast 14 Mrd. Euro ausgewiesen. In diesem Teil der Gastronomie sind rund 120.000 Menschen beschäftigt.

Und für diese Beschäftigten soll es jetzt um deutlich mehr Geld gehen. Denn die Gewerkschaft NGG »kündigt Proteste gegen Restaurantketten wie McDonald’s und Burger King an: Die Betreiber sollen ihren Mitarbeitern künftig mindestens 12 Euro pro Stunde zahlen«, berichtet Birger Nicolai in seinem Artikel 30 Jahre Burger braten – und als Rentner nur Grundsicherung. Nun wird der eine oder andere an dieser Stelle denken: Ja und? 12 Euro Einstiegslohn die Stunde erscheint erst ein mal nicht exorbitant hoch. Dann sollte man bei Nicolai weiter lesen: »Gegenüber der jetzigen Bezahlung entspricht dies einer Lohnsteigerung um knapp 28 Prozent. Auf Monatsbasis wären es 439 Euro mehr Geld für jeden Beschäftigten der niedrigsten Gehaltsgruppe. Alle anderen Lohngruppen sollen nach den Vorstellungen der NGG in ähnlicher Höhe angehoben werden. Die unterste Gruppe soll zudem komplett gestrichen werden.«

Das wirft ein erstes Schlaglicht auf einer dieser Niedriglohnbranchen, von denen hin und wieder die Rede ist. Meist auf einer sehr abstrakten Ebene, die den meisten kaum zugänglich sein wird. »Deutschland hat einen der größten Niedriglohnsektoren in Europa. Trotz Beschäftigungsboom und starkem Wirtschaftswachstum verdient jeder vierte abhängig Beschäftigte – rund acht Millionen Personen – hierzulande weniger als 10,80 Euro brutto pro Stunde. Dort liegt derzeit die sogenannte Niedriglohnschwelle. Europaweit liegt der Anteil bei einem Sechstel. Betroffen sind in Deutschland vor allem Frauen, Alleinerziehende, Ostdeutsche und Migranten.« So beginnt beispielsweise Marcel Fratzscher seinen Artikel In der Niedriglohnfalle, der im Mai dieses Jahres veröffentlicht wurde. »Noch deprimierender ist die Tatsache, dass die Mobilität für diese Menschen ungewöhnlich niedrig ist und die große Mehrheit nur geringe Chancen hat, dem Niedriglohnsektor zu entfliehen und sich besserzustellen.«

Und von oben betrachtet sind es bedenkliche Befunde, die Fratzscher präsentiert: »Der Anteil derer, die im Niedriglohnbereich arbeiten, betrug Mitte der Neunzigerjahre 16 Prozent aller abhängig Beschäftigten, heute liegt er bei 24 Prozent … Die starke Ausdehnung des Niedriglohnbereichs ist … die Folge sinkender Reallöhne beim Drittel der Beschäftigten mit den niedrigsten Stundenlöhnen. Die Reallöhne der 10 Prozent der Beschäftigten mit den niedrigsten Stundenlöhnen sind seit 1995 um 10 Prozent gefallen. Die Reallöhne der oberen 50 Prozent dagegen sind deutlich gewachsen.«

Zahlen, viele nackte Zahlen. Aber hinter denen stehen Millionen Menschen. Und viele von ihnen arbeiten in bestimmten Branchen, in denen man hart arbeiten muss, um auf einen – für viele andere – kläglichen Lohn kommen zu können. Beispielsweise in der Systemgastronomie. Und wie sieht das da konkret aus?

»Bei McDonald’s, Nordsee oder Autogrill verdienen die Beschäftigten in der untersten Lohngruppe gerade sechs Cent mehr als den gesetzlichen Mindestlohn, nämlich 9,25 Euro pro Stunde. Die Systemgastronomie, wie Fast-Food-Ketten in der Fachsprache heißen, leistet sich damit den derzeit niedrigsten Tariflohn. Ab Januar wird er wie schon im Jahr 2015 vom gesetzlichen Mindestlohn überholt. Der Branchentarifvertrag wäre damit nichtig.« Das berichtet Ines Wallrodt in ihrem Artikel Mehr Gehalt als der Mindestlohn. In die gleiche Kerbe schlägt auch Birger Nicolai: »Dass es mindestens geringe Lohnerhöhungen geben muss, steht schon jetzt fest. Denn der gültige Tariflohn in der Systemgastronomie rutscht zum Jahresanfang 2020 um zehn Cent unter den dann gesetzlich vorgeschriebenen Mindestlohn von 9,35 Euro. Bei der vergangenen Tarifrunde vor zwei Jahren hatte es eine Einigung auf drei bis fünf Prozent höhere Löhne gegeben. Dieser Vertrag ist zum Jahresende 2019 gekündigt worden.«

➔ Ende 2019 läuft der Tarifvertrag aus, den die NGG mit dem Bundesverband der Systemgastronomie (BdS) Ende 2016 verhandelt hatte. Ein Blick in die Entgelttabellen ernüchtert. So steigerte sich beispielsweise der Bruttomonatsverdienst einer „Kassenkraft im Fullservicebetrieb“– besser gesagt, der netten Dame, die die Burger-Bestellung entgegennimmt, das Tablett befüllt und abkassiert – von 1.529 € Anfang 2017 auf 1.546 € ab August 2018. Ein Mehr im Portemonnaie von 17 €. Brutto. So dieser Beitrag: Fast Food-Beschäftigte machen sich warm für Tarifverhandlungen. Dort wird auch auf diesen Punkt hingewiesen: »Dass trotz steigender Umsätze die Beschäftigten nicht profitieren, hat sich auch schon bei der kommenden Generation herumgesprochen. 3.500 junge Menschen stecken derzeit in der Ausbildung, doch ist die Anzahl der Azubis in den letzten Jahren deutlich gesunken. 2009 entschieden sich noch doppelt so viele Jugendliche für eine Ausbildung in der Systemgastronomie, also bei einer Gastro-Kette.«

»In Deutschland arbeitet jeder zehnte Beschäftigte in der Gastronomie in einem Betrieb der Systemgastronomie. Doch fast alle diese Ketten haben Personalprobleme. Bei der Mitarbeitersuche wirbt zum Beispiel McDonald’s gezielt damit, nach dem Branchentarif zu bezahlen. Rund sechs Milliarden Euro Umsatz haben diese Restaurantketten im vergangenen Jahr erreicht«, so auch der Hinweis von Birger Nicolai.

„Wir wollen es dieses Mal wissen. Wir müssen im Billiglohn-Bereich etwas verändern und endlich armutsfeste Löhne erreichen“, wird der Verhandlungsführer der NGG, Freddy Adjan, von Nicolai zitiert. Und auch Wallrodt lässt ihn zu Wort kommen: „Wir müssen weg vom Image der Mindestlohnbranche“.

Das Image einer Niedriglohnbranche ist eben nicht nur ein Image: »Anders als in anderen Branchen ist die unterste Lohngruppe bei McDonald`s und Co. mehr als ein Tabellenwert. Denn das Gros der Beschäftigen ist nach Angaben der Gewerkschaft in den Lohngruppen 1 bis 4 eingruppiert und das bedeutet 9,25 bis 10,60 Euro pro Stunde … Die Gewerkschaft sieht in dieser Lohnpolitik ein „Geschäftsmodell“, das darauf setze, dass der Staat die Löhne aufstockt oder die Leute noch einen Zweitjob haben.«

Vor diesem Hintergrund erscheint die Forderung der Gewerkschaft nach 12 Euro für den Einstieg an sich nicht überzogen. Aber sie trifft auf eine zersplitterte Branche, die auf dem Modell des Franchisesystems basiert. »Das bedeutet, dass die Restaurants und Imbissstuben in den meisten Fällen von Selbstständigen geführt werden. Üblich sind ein bis zwei Dutzend Standorte in der Hand eines Franchise-Betreibers. Einige Unternehmen wie McDonald’s oder Nordsee arbeiten mit einer Mischung aus beiden Betriebsarten und verfügen über eine Reihe eigener Filialen. Allerdings geht auch dort der Trend hin zur Selbstständigkeit der Betreiber«, so Nicolai. Und man muss an dieser Stelle zugleich auf eine weitere Asymmetrie hinweisen: Nur wenige Beschäftigte sind in der Gewerkschaft organisiert, über dessen Größenordnung sich die NGG in Schweigen hüllt. Aber man liegt sicher nicht falsch, wenn man von deutlich weniger als 20, in vielen Regionen auf weniger als 10 Prozent ausgeht. Das wissen natürlich auch die Arbeitgeber – und entsprechend gering ist ihre Angst vor dem letzten, aber bedeutsamen Druckmittel der Gewerkschaften, also einem Arbeitskampf. Und der niedrige Organisationsgrad der Beschäftigten hat natürlich auch Folgen für die Beitragseinnahmen der Gewerkschaft: »Ein längerer Streik und die Bezahlung der Teilnehmer aus der Streikkasse der Gewerkschaft dürften für die NGG schwierig werden«, bilanziert Nicolai.

Das Problem eines zu niedrigen Organisationsgrades wird natürlich auch von der Gewerkschaft gesehen: Die »NGG hat sich auf den anstehenden Tarifkampf nach eigenen Angaben ein Jahr lang vorbereitet. Die Gewerkschaft will Mitarbeiter direkt in den Unternehmen ansprechen. „Wir werden jede Filiale besuchen und mit den Leuten reden“, sagte Adjan. In einer groß angelegten Kampagne will die Gewerkschaft die Öffentlichkeit über die Bezahlung und Arbeitsbedingungen in den Schnellrestaurants informieren.«

Und die Arbeitgeber? Dazu Ines Wallrodt: »Der Arbeitgeberseite dagegen gehen schon 9,35 Euro zu weit. Darauf wird der gesetzliche Mindestlohn ab Januar steigen. 9,19 Euro seien noch vertretbar, befand der Verband der Systemgastronomen, als die Mindestlohnkommission 2018 ihren Beschluss veröffentlichte. „Die drastische Erhöhung“ ab 2020 sei jedoch „nicht geboten“.«

Wie es weiter geht? Bisher sind für die Tarifverhandlungen drei Treffen vereinbart, mehr soll es nicht geben. Nach Berlin sind Gesprächsrunden im Februar in Stuttgart und im März in Düsseldorf geplant. Sollte es bis dahin keine Einigung geben, dann seien ab März 2020 größer angelegte Aktionen zu erwarten. Sagt die Gewerkschaft.