Man ist guter Hoffnung: Die Finanzierung der „Grundrente“ aus einer derzeit noch nicht vorhandenen, aber in Aussicht gestellten Finanztransaktionssteuer, die zugleich woanders landen wird, als ursprünglich geplant

Während die einen offensichtlich erleichtert sind, dass man bei der seit mehreren Jahren auf Eis liegenden „Grundrente“ nunmehr einen Kompromiss in der Koalition hinbekommen hat (weil man in Wirklichkeit vor dem Hintergrund der medialen Show-down-Inszenierung ein sich selbst erfüllendes Auseinanderfallen des fragilen Regierungsbündnisses befürchten musste), versuchen die anderen hingegen durchaus ehrenvoll und zugleich angesichts der Komplexität der gefundenen Lösung auch verzweifelt bemüht, dem Bürger halbwegs verständlich rüberzubringen, wer wann was (nicht) bekommen könnte und wenn ja, wie viel. Dass es sich dabei um das Gegenteil einer trivialen Aufgabe handelt, kann man beispielsweise diesen ersten rechnerischen Illustrationsversuchen von Florian Diekmann entnehmen: Wer von der Grundrente profitieren wird – und wer nicht. Wenn man sich die unterschiedlichen Ergebnisse anschaut, werden sicher viele mehr als ernüchtert sein angesichts der Komplexität, vor allem aber auch aufgrund der erheblichen Widersprüchlichkeit der Ergebnisse.

In diesem Beitrag soll der Blick gerichtet werden auf die Frage: Wer soll das eigentlich und vor allem wie bezahlen? Da sich die Regierung selbst angesichts der geplanten Ausgestaltung der „Grundrente“ (noch) nicht wirklich sicher ist und sein kann, wie viele Menschen und dann in welcher Höhe von den Regelungen, wie sie im Koalitionsbeschluss vom 10.11.2019 vereinbart wurden, betroffen sein werden, kann sie auch genauen Angaben zu dem Finanzvolumen machen. Am häufigsten werden in diesen Tagen Beträge zwischen 1,2 und 1,5 Milliarden Euro pro Jahr in den Raum gestellt.

Hinsichtlich der Frage, wer die Rechnung bezahlen soll, konnte zwischenzeitlich hinsichtlich einer im Geleitzug zum Grundrenten-Kompromiss ebenfalls versprochenen Maßnahme – der Abmilderung der Doppelverbeitragung der Betriebsrentner bei den Beiträgen zur Krankenversicherung – berichtet werden: die Rechnung geht an Dritte. Und in diesem Fall, wie gesagt eigentlich ein Nebenaspekt, der die Zustimmung zu dem Kompromiss bei der Grundrente innerhalb der Regierungsfraktionen wie ein Schmiermittel erleichtern soll, geht es auch um eine beachtliche Summe, die dem gesamten Volumen bei der Grundrente nahekommt: Die Regierung spricht von 1,2 Milliarden Euro, die Krankenkassen gehen von 1,4 Milliarden Euro aus. Und die sollen – Überraschung – die Krankenkassen selbst stemmen, mithin also der Beitragszahler. Dazu ausführlicher der Beitrag Im Windschatten der Einigung bei der „Grundrente“: Die Betriebsrentner bekommen auch was ab. Die Doppelverbeitragung wird gemildert vom 11. November 2019.

Zurück zur „Grundrente“. Zur Finanzierung finden wir in Koalitionsbeschluss vom 10.11.2019 diesen interessanten Passus:

»Die Freibeträge in der Grundsicherung, beim Wohngeld und die Grundrente werden aus Steuern und ohne Beitragserhöhung in der Rentenversicherung finanziert. Entsprechend dazu wird der Bundeszuschuss in der allgemeinen Rentenversicherung erhöht. Als einen wichtigen Beitrag zur Finanzierung der Maßnahmen wird die im Koalitionsvertrag vereinbarte Finanztransaktionssteuer eingeführt.«

➔ Zum Koalitionsvertrag der jetzigen Regierung: Dort taucht die Finanztransaktionssteuer zweimal in sehr allgemeiner Formulierung auf: »Die Einführung einer substanziellen Finanztransaktionsteuer wollen wir zum Abschluss bringen.« (S. 8). Und: »An dem bisherigen Ziel der Einführung einer Finanztransaktionsteuer im europäischen Kontext halten wir fest.« (S. 68).

Da muss man einen Moment innehalten: Grundsätzlich völlig richtig wird eine Steuerfinanzierung beschlossen. Und dafür soll eine erst noch „einzuführende Finanztransaktionssteuer“ einen „wichtigen Beitrag“ leisten. Einen anderen Beitrag soll der Bundesarbeitsminister Heil (SPD) aus „seiner“ eigenen Schatulle beisteuern, wie man dann an anderer Stelle erfahren konnte. So zwischen 400 und 500 Millionen Euro pro Jahr. Was natürlich auch bedeutet, dass wenn dieser Anteil nicht vom Himmel fällt, wovon bei Steuerangelegenheiten immer auszugehen ist, dann muss der Minister das in seinem gegebenem Budget an anderer Stelle abzweigen, also da, wo er was wegnehmen kann. Beispielsweise bei den Fördermitteln für die Langzeitarbeitslosen, auf die es keinen Rechtsanspruch gibt. Oder aber man hofft darauf, dass der Bundesfinanzminister den Haushaltansatz für das Bundesarbeitsministerium entsprechend erhöht. Was aber eben noch nicht einmal eine gute, sondern vor allem eine gewagte Hoffnung wäre.

Was aber hat es mit diesem in Aussicht gestellten Finanzierungsweg auf sich? Die Beobachter der langjährigen Debatte über eine „Grundrente“ werden sich erinnern: Auf diesen Geldbeutel hat der Bundesfinanzminister schon im Frühjahr dieses Jahres, als sein Parteikollege Bundesarbeitsminister sein damaliges und noch deutlich weiterreichendes Konzept der Öffentlichkeit präsentiert hatte, hingewiesen. »Hoteliers und Finanzjongleure zahlen für die Aufstockung von Mickerrenten: So verkaufen es die SPD-Minister Heil und Scholz. Doch ihr Konzept birgt Risiken – und auch die Sozialkassen sollen mal wieder angezapft werden«, so formulierte das im Mai 2019 Florian Diekmann in seinem Artikel Die wackelige Finanzierung von Heils Grundrente. Damals ging es noch um andere Größenordnungen, als das, was nunmehr als abgespeckt Variante vereinbart wurde: »Mit 3,8 Milliarden Euro jährlich zum Start 2021 soll die Grundrente weniger kosten als von vielen befürchtet. Bis zum Jahr 2025 würden die jährlichen Kosten demnach auf 4,8 Milliarden Euro steigen.«

Und damals wurde eine vollständige Steuerfinanzierung verneint, man wollte auch die Sozialkassen für eine Geggenfinanzierung anzapfen (vgl. dazu ausführlicher den Beitrag Die erneut in Aussicht gestellte „Grundrente“ jenseits ihrer Sinnhaftigkeit, aber diesseits von Fehlfinanzierung und Luftbuchungen vom 23. Mai 2019). Hinsichtlich der aufzubringenden Steuermittel wurde im Frühjahr 2019 das hier diskutiert: »Neu sind … die Ideen, woher das Geld für jenen Teil der Kosten kommen soll, der aus Steuern gestemmt würde: Hauptsächlich aus einer Abschaffung der sogenannten Mövenpick-Steuer – also der Steuerermäßigung für Hotelübernachtungen – sowie aus der geplanten Finanztransaktionssteuer.«

Da war sie also schon einmal, die potenziell sprudelnde Quelle Finanztransaktionssteuer. Vor ein paar Monaten wurde mit diesen Beträgen kalkuliert: »500 Millionen Euro aus der Finanztransaktionssteuer – die allerdings erst noch eingeführt werden muss.« Offensichtlich gehen die Luftbucher in Berlin nunmehr mal eben von dem doppelten Volumen aus, das man aus dieser noch nicht existenten Steuer für die Grundrente abzweigen kann.

In diesem Kontext passt dann auch so eine Meldung: »Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) ist nach Informationen des SPIEGEL entschlossen, die Finanztransaktionssteuer notfalls im nationalen Alleingang einzuführen. „Wenn auf internationaler Ebene keine Einigung darüber zu erreichen ist, dann soll Deutschland vorangehen“, sagt ein enger Mitarbeiter von Scholz, der namentlich nicht genannt werden will.« So der Artikel Scholz plant Alleingang bei Börsensteuer. »Seit Jahren wird um eine neue Verkehrssteuer auf börsliche und außerbörsliche Umsätze gerungen. Bislang machten Scholz und seine Vorgänger deren Einführung davon abhängig, dass auch andere Länder mitziehen. Zehn europäische Staaten verhandeln zurzeit über ein gemeinsames abgespecktes Konzept.«

Da sollte man hellhörig werden: „abgespecktes Konzept“ und „seit Jahren“. Schauen wir genauer hin:

Der Bundesfinanzminister Scholz gibt sich zuversichtlich, »was die Ausgestaltung der geplanten Abgabe auf bestimmte Finanzgeschäfte betrifft: „Das Gesetz können wir in wenigen Tagen, Wochen auf die Gesetzgebungsbahn bringen, das ist gut vorbereitet.“ 2021 solle die Steuer erstmals erhoben werden und die Einnahmen direkt den Mitgliedsstaaten zufließen.« Das kann man diesem Beitrag entnehmen: Kann es die Transaktionssteuer richten?. Aber sogleich werden zweifelnde Fragezeichen gesetzt: »Tatsächlich ist der aktuelle Status der Steuer aber weniger klar, als der Bundesfinanzminister es darstellt. Beim jüngsten Treffen der EU-Finanzminister vergangene Woche kam das Thema auf der Tagesordnung erst gar nicht vor … Die Finanztransaktionssteuer sei ein Thema, das schon sehr lange verhandelt werde.« Und weiter erfahren wir: »Damit die Finanztransaktionssteuer auf EU-Ebene umgesetzt werden kann, müssen sich mindestens zehn EU-Staaten an der Initiative beteiligen. Das EU-Recht sieht diese Möglichkeit vor, dass auch Gesetzesinitiativen nur von einer Kerngruppe an Mitgliedsstaaten verfolgt werden. Mindestens neun Staaten müssen dafür eine „verstärkte Zusammenarbeit“ nach Artikel 20 des EU-Vertrags beschließen.«

Um was genau geht es hier eigentlich?

»Die Finanztransaktionssteuer ist eine geringe Abgabe auf Handelsprozesse an Börsen mit dem Ziel, potenziell gefährliche Spekulation unrentabel zu machen. Besonders gegen den sogenannten Hochfrequenzhandel richtet sich die Steuer. Das grundsätzliche Konzept einer häufig nach dem US-amerikanischen Wirtschaftswissenschaftlers James Tobin benannten Transaktionssteuer existiert bereits seit 47 Jahren. Organisationen wie das globalisierungskritische Netzwerk Attac machten sich die Einführung so einer Abgabe zur zentralen Aufgabe. Im Zuge der globalen Finanzkrise 2008 wurden die Forderungen nach einer Besteuerung lauter – auch in Deutschland.«

Und das sollte man wissen: »Seit 2012 setzt sich die Bundesrepublik auf EU-Ebene für die Einführung einer solchen Transaktionssteuer ein – damals auf Betreiben der SPD hin. 2013 wurde sie formell im Koalitionsvertrag von Union und SPD festgeschrieben.«

Und zwischenzeitlich ist etwas passiert, was man in der Politik zur Genüge kennt: Mann muss nur etwas lange genug rauszögern, verschieben, liegen lassen, dann wird es nicht besser, aber auf alle Fälle leichter:

»Je konkreter die Verhandlungen über die Ausgestaltung der Steuer bei den Treffen der EU-Finanzminister wurden, desto größer wurden die Vorbehalte einiger Staaten, desto mehr schrumpfte das Reformpaket zusammen. Der Handel mit Derivaten soll nicht mehr besteuert werden.«

Eigentlich dürfte man gar nicht mehr von einer Finanztransaktionssteuer sprechen, denn die meisten Finanztransaktionen werden nicht erfasst. Im Grunde geht es nur noch um eine Aktienumsatzsteuer nach französischem Vorbild. Käufer und Verkäufer von Aktien und speziellen Aktienfonds sollen jeweils 0,1 Prozent des Transaktionsvolumens an den Fiskus abführen. Der Handel mit Anleihen und strukturierten Finanzprodukten bleibt komplett außen vor. Der macht aber den größten Teil des Geschäfts aus.

Nun könnte man natürlich auf die Idee kommen, dass das bis 2021 nichts wird, mit der neuen Steuer und den Einnahmen aus dieser Steuer (die übrigens an anderer Stelle auch schon mal der EU als eigene Steuerquelle in Aussicht gestellt wurden): »Sollte die Transaktionssteuer auf EU-Ebene dennoch scheitern, zeigt sich Olaf Scholz grundsätzlich bereit, einen nationalen Alleingang zu versuchen.« Das aber würde er vielleicht sogar versuchen, darauf wetten, dass ihm das gelingen würde, sollte man aber nicht, denn die Union hat bereits Widerwillen und Ablehnung einer solchen Variante erkennen lassen. Dann bräuchte die Koalition sicher auch noch mal mehrere Monate, um wenn überhaupt an einen Kompromiss zu kommen. Und gleichsam als Beleg: »Die Unionsfraktion hatte unter Finanzminister Wolfgang Schäuble jahrelang die Einführung der Steuer auf EU-Ebene gebremst.«

Aber selbst, wenn wir einmal davon ausgehen, dass diese neue Steuer auf der europäischen Ebene in der „abgespeckten Variante“ kommen würde, dann taucht sogleich das nächste Problem auf, zumindest aus Sicht einiger Kritiker. Dazu stellvertretend Michael Bormann in seinem Beitrag Scholz bittet Klein-Anleger zur Kasse vom 14 Oktober 2019. Dort wird noch einmal die ursprüngliche Intention der Steuer hingewiesen:

»Das ursprüngliche Anliegen war, durch eine Steuer erstens die Banken an den finanziellen Belastungen der Finanzkrise zu beteiligen und zweitens riskante Spekulationen einzudämmen. Das gelinge nur, wenn die Börsensteuer möglichst flächendeckend in Europa eingeführt würde, so die damals gängige Meinung. Außerdem müssten vor allem riskante Geschäfte besteuert werden.«

Und was ist daraus geworden? »Von diesen Zielen ist kaum noch etwas übriggeblieben. Insgesamt haben sich offenbar nur zehn EU-Länder grundsätzlich darauf geeinigt, die offiziell Finanztransaktionsteuer genannte Abgabe einzuführen. Der Finanzplatz Luxemburg gehört nicht dazu. Das ermöglicht es großen institutionellen Investoren, die Steuer zu umgehen. Das gilt somit auch für Hochfrequenzhändler, die permanent Wertpapiere kaufen und verkaufen, um minimale Preisdifferenzen auszunutzen. Außerdem sollen keine Derivate, sondern nur Aktien besteuert werden. Doch gerade Derivate wie Terminmarktgeschäfte gelten als risikoreich.«

Wen würde also ein solche Besteuerung treffen? »Die Börsensteuer trifft damit nicht Spekulanten, sondern eher konservative Anleger. Diese sollen künftig beim Kauf und Verkauf von Aktien 0,2 Prozent des Transaktionsvolumens zusätzlich an den Fiskus abführen.« Und weiter: »Die geplante Börsensteuer torpediert nicht nur Aktien-Sparpläne, sondern auch Riester-Sparer mit einem Fondssparplan. Sie werden sogar doppelt abkassiert. Denn die Börsensteuer würde einmal beim Kauf der Fondsanteile anfallen. Und der Fiskus würde ein zweites Mal die Hand aufhalten, wenn das Fondsmanagement die eingezahlten Sparraten investiert. Schließlich bittet Scholz auch Mitarbeiter zur Kasse, die sich mit Belegschaftsaktien an ihrem Unternehmen, bei dem sie arbeiten, beteiligen.«

Das hätte dann schon wieder eine irgendwie bekannte Umverteilungsnote. Man will unten etwas Überschaubares geben – und holt sich das nicht oben, sondern in der Mitte. Überzeugend kommt das alles nicht daher.